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Verschwunden war die nukleare Abschreckung nie, aber lange in den Hintergrund getreten. In einer Ära neuer Großmachtkonflikte - wie aktuell im Krieg Russlands gegen die Ukraine - gewinnt sie wieder an Bedeutung. Peter Rudolf analysiert die politischen und strategischen Ideen der Beteiligten, entschlüsselt den "Nukespeak" der Doktrinen und bietet so Orientierungswissen für eine dringend notwendige neue Nukleardebatte.Der Einsatz von Atomwaffen gilt als hypothetischer Fall. Dennoch beruht die paradoxe Abschreckungslogik auf der Drohung und Bereitschaft, Nuklearwaffen einzusetzen, um einen Krieg…mehr

Produktbeschreibung
Verschwunden war die nukleare Abschreckung nie, aber lange in den Hintergrund getreten. In einer Ära neuer Großmachtkonflikte - wie aktuell im Krieg Russlands gegen die Ukraine - gewinnt sie wieder an Bedeutung. Peter Rudolf analysiert die politischen und strategischen Ideen der Beteiligten, entschlüsselt den "Nukespeak" der Doktrinen und bietet so Orientierungswissen für eine dringend notwendige neue Nukleardebatte.Der Einsatz von Atomwaffen gilt als hypothetischer Fall. Dennoch beruht die paradoxe Abschreckungslogik auf der Drohung und Bereitschaft, Nuklearwaffen einzusetzen, um einen Krieg zwischen Atommächten dauerhaft zu verhindern. Deutschland neigt dazu, den militärischen und politischen Problemen sowie moralischen Dilemmata auszuweichen. Als NATO-Mitglied ist es aber in das nukleare Abschreckungssystem eingebunden und muss sich seiner Verantwortung stellen.
Autorenporträt
Peter Rudolf, geb. 1958, promovierter und habilitierter Politikwissenschaftler an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Zuletzt erschienen: »Zur Legitimität militärischer Gewalt« (Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung).
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensent Rudolf Walther begrüßt den Band des Politikwissenschaftlers Peter Rudolf. Das komplexe, oft gar nicht oder missverstandene Thema der nuklearen Abschreckung legt ihm der Autor analytisch in allen militärischen, politischen, völkerrechtlichen, moralischen und historischen Momenten dar. Rudolfs Sorgfalt und Faktenkundigkeit scheinen dem Rezensenten bemerkenswert. Wie nackt die Nato in Sachen Abschreckung letztlich dasteht, lernt Walther ebenso kennen wie die Fragwürdigkeiten des Konzepts Abschreckung an sich.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.08.2022

Eskalation
ohne Empirie
Peter Rudolf über die nukleare Abschreckung
Eigenartigerweise spielt in den deutschen Medien bislang nur eine geringe, auf jeden Fall nur eine untergeordnete Rolle, was der Politikwissenschaftler Peter Rudolf im Untertitel seines Buches „Welt im Alarmzustand“ ankündigt: „Die Wiederkehr nuklearer Abschreckung“. In den deutschen Medien dominiert nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs, nach einer eher kurzatmigen Debatte über den Sinn und die Gefahren einer Flugverbotszone über der Ukraine, das Thema der Lieferung schwerer Waffen, so als ob nicht die drohende Konfrontation zweier Atommächte und damit die nukleare Abschreckung mit auf der Tagesordnung stünden, sondern nur die Unterstützungsbedürftigkeit des attackierten Landes mit modernen Waffen.
Rudolf analysiert das komplexe Thema Abschreckung in seinen militärischen, politischen, völkerrechtlichen, ethisch-moralischen und historischen Facetten sorgfältig und faktenkundig. Die Washington Post etwa diagnostizierte den Krieg in der Ukraine bereits drei Tage nach dem russischen Angriff zutreffend als „nuclear crisis“.
Nukleare Abschreckung durchlief nach 1945 verschiedene Phasen. Im Zeichen der Strategie „massiver Erwiderung“ dominierte in den 60er-Jahren zunächst eine Kriegführungseuphorie mit hybriden Zielen. US-Präsident Eisenhower etwa nannte im Dezember 1960 nicht weniger als 3729 Ziele inner- und außerhalb der damaligen Sowjetunion als zu zerstörende Ziele und rechnete dabei mit etwa 220 Millionen Toten. Angesichts der offensichtlichen Hybris solcher militärischen Kalküle verloren diese schnell an Plausibilität. Allgemein akzeptiert bzw. demokratisch vermittelbar oder mehrheitsfähig waren sie außerhalb der USA nie.
Die neue Strategie sah deshalb vor, auf atomare Erstschläge nicht massiv, sondern flexibel zu reagieren, um die drohende Eskalationsspirale unter Kontrolle zu halten, etwa mit Konzepten der Begrenzung des Nuklearkrieges sowie Maßnahmen zum Schutz vor überraschenden Erstschlägen mit der Einrichtung von Frühwarnsystemen und sicheren Befehls- und Kommunikationsstrukturen. Die USA haben selbst unter Präsident Obama nicht auf die Option eines Ersteinsatzes von Nuklearwaffen verzichtet.
Mit dem wirtschaftlichen und geostrategischen Aufstieg Chinas verschärfte sich die Statuskonkurrenz zwischen den USA und der neuen aufsteigenden Großmacht im Osten. Im Südchinesischen Meer, das China als eine Art mare nostrum betrachtet, entwickelte sich eine komplexe Lage wegen Taiwan, einem Verbündeten der USA, dessen unabhängige Staatlichkeit China jedoch bestreitet und in diesen Tagen offen wie nie bedroht.
Die Nato schließlich versteht sich als „Nukleares Bündnis“, verfügt aber über keine öffentliche Nuklearstrategie und paradoxerweise auch über keine eigenen Atomwaffen, denn die Verfügung über den Einsatz der amerikanischen, britischen und französischen Nuklearwaffen liegt nicht bei der Nato, sondern beim amerikanischen bzw. französischen Präsidenten bzw. dem britischen Premierminister. Selbst über den Einsatz der in Belgien, den Niederlanden, Italien und in Deutschland gelagerten rund 100 Atomsprengköpfe entscheiden nicht nationale Behörden oder die Nukleare Planungsgruppe der Nato, die Franz Josef Strauß einst als „Placebo“ verspottete, sondern der Präsident der USA nach „Konsultation“ aller Nato-Mitglieder, was jedoch in keiner Art und Weise eine Mitbestimmung dieser Länder bedeutet. Die in Europa gelagerten Sprengköpfe symbolisieren lediglich die politische Garantie des atomaren Schutzschirms für Europa.
Die wirkliche nukleare Abschreckung tragen allein die drei Atommächte, nicht „die“ Nato, und „niemand weiß bis heute“ – so der Autor –, unter welchen Bedingungen der Schirm wirklich schützt. Für den US-Nuklearexperten Hans Kristensen entspringt das Gerücht, bei der US-Administration fände die BRD für ihre nukleare „Teilhabe besonderes Gehör, komplett der Fantasie“: „Wenn die USA eskalieren wollen, verfügen sie über Optionen, die nicht vom Willensprozess in der Nato abhängen und militärisch effektiv sind“, schreibt Rudolf.
Ein besonderes Augenmerk richtet der Autor auf die völkerrechtlichen Normen nuklearer Abschreckung, die freilich Schwächen und Paradoxien des Konzepts nicht beseitigen, das wesentlich auf dogmatischen Annahmen und Glaubenssätzen beruht, die empirischer Grundlagen entbehren und Defizite bestenfalls verdecken. „Für die Behauptung etwa, ohne nukleare Abschreckung wäre es zu einer sowjetischen Aggression gegen Westeuropa gekommen, fehlt, was die verfügbaren Quellen angeht, der empirische Nachweis.“
Der Autor verallgemeinert den Satz zur These, wonach nukleare Abschreckung ein Konstrukt ist, in welchem die Annahmen, denen es an einer empirischen Grundlage fehlt, eine wichtige Rolle spielen. So zehrte das Abschreckungssystem immer, wie der Friedensforscher Dieter Senghaas schon Anfang der 80er-Jahre belegte, von der atavistischen Vorstellung, die den politischen Gegner zum „ewigen potenziellen Aggressor verurteilt“. Abschreckung im Krieg gelingt nur, wenn es gelingt, dem Gegner die Bürde einer weiteren Eskalation aufzuerlegen. Ob es möglich ist, einen einmal begonnenen Nuklearkrieg zu begrenzen, ist unter Experten ebenso umstritten wie die fundamentale, nicht hintergehbare Instabilität des Abschreckungssystems.
RUDOLF WALTHER
Das Konzept beruht
im Wesentlichen auf Dogmen
und Glaubenssätzen
Die Nato hat keine eigenen
Atomwaffen, obwohl sie sich
als nukleares Bündnis versteht
Peter Rudolf:
Welt im Alarmzustand.
Die Wiederkehr nuklearer Abschreckung. Verlag J.H.W. Dietz Nachf., Bonn 2022. 138 Seiten, 18 Euro.
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