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Zur Vergänglichkeit und Wandelbarkeit von Emotionen.Gefühle sind nicht nur per se vergänglich, sie sind es auch in der historischen Zeit. Es gibt Gefühle - zum Beispiel Ehre -, die uns fremd geworden sind, die aber unseren Groß- und Urgroßeltern noch vertraut waren. Umgekehrt finden heute Empfindungen großen Anklang - wie Empathie und Mitleid -, um die sich vormoderne Gesellschaften kaum scherten. Ute Frevert geht in ihrem Essay der Frage nach, wie sich solche emotionalen Konjunkturen erklären lassen, und zeigt damit, wie sich Emotionen in der und durch die Geschichte wandeln.

Produktbeschreibung
Zur Vergänglichkeit und Wandelbarkeit von Emotionen.Gefühle sind nicht nur per se vergänglich, sie sind es auch in der historischen Zeit. Es gibt Gefühle - zum Beispiel Ehre -, die uns fremd geworden sind, die aber unseren Groß- und Urgroßeltern noch vertraut waren. Umgekehrt finden heute Empfindungen großen Anklang - wie Empathie und Mitleid -, um die sich vormoderne Gesellschaften kaum scherten. Ute Frevert geht in ihrem Essay der Frage nach, wie sich solche emotionalen Konjunkturen erklären lassen, und zeigt damit, wie sich Emotionen in der und durch die Geschichte wandeln.
Autorenporträt
Ute Frevert, geb. 1954, Historikerin, ist Direktorin des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung, Berlin. Professuren an der Yale University sowie an den Universitäten Bielefeld, Konstanz und Berlin. Frevert ist Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina und erhielt 1998 den Leibniz-Preis der DFG. Veröffentlichungen u.a.: Emotions in History - Lost and Found (2011); Die kasernierte Nation. Militärdienst und Zivilgesellschaft in Deutschland (2001); 'Mann und Weib, und Weib und Mann'. Geschlechter-Differenzen in der Moderne (1995); Ehrenmänner. Das Duell in der bürgerlichen Gesellschaft (1991).
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Rezensentin Waltraud Schwab folgt Ute Frevert sehr gerne bei deren "kenntnisreichen" Darlegungen zur Historizität der Gefühle, an deren jeweiligen Stand sich Veränderungen einer Kultur nachvollziehen lassen. So etwa am Begriff der "Scham", dessen Wandel von der Bezeichnung des zunächst menschlichen, später allein weiblichen Geschlechtsbereichs bis zu sehr heutigen Begriffen wie "Fremdschämen" die Rezensentin ausführlich referiert. Dass die Autorin dabei sehr genderbewusst argumentiert und ihre Darlegungen mit einer "charmanten Boshaftigkeit" garniert, weiß Schwab dabei zu schätzen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.08.2013

Durch Mitleid wissend, war's nicht so?
Zwischen Natur und Stil: Ute Frevert widmet sich dem Erstarken und Verblassen von Gefühlsdiskursen

Die Historisierung von Gefühlslagen ist längst Konsens in den Sozial- und Kulturwissenschaften. Selbst die Entdeckung der Spiegelneuronen konnte die Essentialisierung unserer Empfindungen nicht gänzlich etablieren. Tatsächlich scheint es ein evolutionäres Zulaufen auf einfühlende Verhaltensweisen zu geben, die wir mit unseren nächsten evolutionären Verwandten teilen. Darüber hinaus, so Ute Frevert, ist das meiste aber sozialhistorische Verhandlungsmasse.

Zwei Begriffspaare stellt die Direktorin des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung auf den Prüfstand. Zum einen die Gefühle von Scham und Ehre. Zum anderen jene von Mitleid und Empathie. Während das erste Gefühlsduo sich in einer kulturellen Flaute befinde, erlebe die Empathie, nach ihrer philosophischen Erstentdeckung im achtzehnten Jahrhundert - damals noch als Verpflichtung zum Mitleid, dann zur Brüderlichkeit und schließlich zur Solidarität -, einen zweiten Frühling: Mitgefühl mit Opfern von Naturkatastrophen oder diktatorischen Regimes, utilitaristische Gruppendynamiken im Netz, Zivilcourage und Ehrenämter: ohne Mitgefühl stehe die westliche Welt heute auf verlorenem Posten.

Gefühle, so Ute Frevert, haben einen Ort und eine Zeit. Der Psychiater Allen Frances hat in seiner von Frevert zitierten Streitschrift gegen die Inflation psychiatrischer Diagnosen (F.A.Z. vom 13. Mai) darauf hingewiesen, dass heute das Gefühl der Trauer beim Tod eines nahen Angehörigen schon nach wenigen Wochen pathologisiert wird. Man steuert mit verschreibungspflichtigen Medikamenten gegen ihre Symptome an. Es wäre durchaus vorstellbar, dass die Empfindung von Verlust-Trauer eines Tages als "Gefühlspraktik" insofern beseitigt sein wird, als es keinen Raum mehr gibt, diese auszuleben.

Max Weber sah den Zenit des Ehrbegriffs bereits um 1900 überschritten. Außer beim Militär, so Frevert, sei in dieser Hinsicht keine gesteigerte Reizbarkeit mehr zu messen. Wer fühlt sich schon heute noch bei seiner Ehre gepackt? Der Bedeutungsverlust der Ehre legt den Schluss nahe, dass so "natürlichen" Gefühlen wie dem Wunsch nach Satisfaktion ein stark kulturrelativistisches Moment innewohnt.

"Zu einem gesunden und männlichen Charakter", hieß es noch im Brockhaus von 1884, gehöre vor allem ein "reges Mitgefühl". Und einer der größten Naturalisten des Mitleids war im neunzehnten Jahrhundert Richard Wagner. Sein Parsifal ist nicht durch Bildung, sondern "durch Mitleid wissend". Im Nationalsozialismus verband man diese moderne Mitleids-Ethik mit dem herrschenden Rassenwahn. Meyers Lexikon von 1939 beschränkt die Fähigkeit zur Einfühlung auf "Gemeinschaftsgenossen". Ein scheinbar natürliches Gefühl ist offenbar selbst in habitualisierter Form anfällig für Missbrauch. Frevert gibt zu bedenken: Auch wenn wir uns heute in einer Zivilisation wähnen, die humanitäre Maßstäbe gesetzt hat und mit internationalen Hilfsorganisationen Gutes auf der gesamten Welt bewirkt: Mitleid bleibe ein Stilmittel, mit dem sich politische, wirtschaftliche oder individuelle Ziele durchsetzen ließen. Wer mit natürlichen Gefühlen argumentiert, macht sich schnell verdächtig.

KATHARINA TEUTSCH

Ute Frevert:

"Vergängliche Gefühle".

Wallstein Verlag, Göttingen 2013. 96 S., br., 9,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.08.2013

Die Scham der Leguane
Die Historikerin Ute Frevert fragt, wie sich Gefühle verändern
Auch unsre Gefühlswelten unterliegen historischen Veränderungen. Wir lieben anders als unsere Großeltern, wir ersehnen und befürchten anderes. Ob es jemand gibt, der das bezweifelt? Doch wie sich die Gefühle verändern, das ist allerdings von größtem Interesse. Das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung (Berlin) hat einen Forschungsbereich zur Geschichte der Gefühle aufgebaut, dessen Direktorin, Ute Frevert, sich Gedanken macht über „Vergängliche Gefühle“. Vergangen, nicht ganz, aber doch sehr gemindert, sieht sie Ehre und Scham. Mitleid und Empathie dagegen, so Frevert, erleben seit dem 18. Jahrhundert „einen atemberaubenden Bedeutungszuwachs“.
  Die Methode Freverts ist ziemlich konventionell. Die Konjunktur von Mitleid und Empathie beschreibt sie ideengeschichtlich, die bekannten Autoritäten werden noch einmal aufgerufen: Adam Smith, Rousseau, Lessing, Mendelssohn, Schopenhauer, Nietzsche (mit der erstaunlichen Behauptung, er habe Wagners letztem Werk, dem „Parsifal“, „ungeteilte Bewunderung“ gezollt). Aber was bedeutet es für die Gefühle, dass sie theoretisch empfohlen oder kritisiert werden? Das Reden über Gefühle kann diese hervorrufen, bestärken oder auch dämpfen, deshalb wird jede emotionsgeschichtliche Arbeit auch ein ideengeschichtliches Kapitel brauchen. Aber das kann nicht davon ablenken, dass die Theorien der Gefühle noch nicht die Gefühle selbst sind. Und wenn man denn ideengeschichtlich argumentiert und glaubt, dass im 18. Jahrhundert mit dem Mitleid etwas Neues in die Welt kam – was war davor? Müsste man nicht fragen, wie sich (religiös neutrales) Mitleid und christliche Barmherzigkeit zu einander verhalten?
  Dass Ehre und Scham auf dem Rückzug sind, das wird jeder bereitwillig glauben. Als R.W. Fassbinder 1974 Fontanes „Effi Briest“ verfilmte, da bekannte die Hauptdarstellerin Hanna Schygulla, sie verstehe nicht, „was Ehre einmal gewesen sei, und die im Roman geschilderten Gefühle und Konflikte seien ihr fremd“. Frevert skizziert die Entwicklung des Schambegriffs vor allem seit dem 18. Jahrhundert. Schamhaftigkeit wird vor allem von Mädchen und Frauen gefordert, in sexueller Hinsicht natürlich, aber auch darüberhinaus als Zurückhaltung in allen Dingen. Das löst sich im 20. Jahrhundert. Ehre ist eine eher männliche Angelegenheit, sie wandelt sich vom Verlangen der Anerkennung durch Dritte zum Gefühl innerer Ehrenhaftigkeit.
  Das ist zunächst nicht verblüffend. Eine Befragung niederländischer und spanischer Studierender zu Ehre, Stolz und Scham 1999 ergab, dass die Niederländer damit viel weniger anfangen konnten als die Spanier. Die Erinnerung an eine Kultur der Ehre ist im Süden offenbar viel vitaler als im Norden, wo „individualistische Zuschreibungen“ dominieren. Was dagegen wenige erwartet haben dürften: In einer gleichzeitigen Untersuchung zur Rolle sexueller Scham taxierten niederländische Studentinnen sie hoch und unterschieden sich hier nicht von den Spanierinnen. Die interessanten Fragen ergeben sich aus Detailbeobachtungen, hier liegen die Überraschungen.
  Theoretische und methodische Überlegungen sind nicht Ute Freverts Stärken. Kurz schneidet sie die Frage nach Gefühlen bei Tieren an. Schamreaktionen erkennt sie nicht nur bei Menschen, Leguane „zeigen ein ähnliches Verhalten“. Leider fehlt hier ein Beleg. Und was die Autorin zur Veranschaulichung ihrer Auffassung anführt, zweifelhaft. Wenn die Muskulatur erschlafft, der Körper „Demut“ signalisiert, die „Aggressionsspirale unterbrochen“ wird, handelt es sich wohl eher um eine Unterwerfungsgeste, die die Auseinandersetzung mit einem Artgenossen beendet. Die vom Rezensenten befragten Zoologen konnten sich Schamgefühle bei Reptilien nicht vorstellen. Dabei kann der von Frevert nur knapp angespielte Punkt echtes Interesse beanspruchen. Das Schamgefühl setzt ja ein gewisses Reflexionsniveau voraus, es wächst aus einem wahrgenommenen Widerspruch von Sein und Sollen. Es ist beobachtet worden, wie Schimpansen und auch Paviane, die getan haben, was nur ranghöheren Gruppenmitgliedern zusteht, sich an die Nase fassen. Möglicherweise kann man das als Verlegenheitsgeste deuten. Da öffnet sich ein großes anthropologisches Thema, das nach dem Selbstverhältnis. Verblüffend, dass die Autorin sich mit einem flüchtigen, vermutlich ganz fehlgehenden Hinweis begnügt.
  Die Ehre gehört sehr viel selbstverständlicher allein dem Menschen an. Doch ist sie, selbstverständlich, auf dem Rückzug. Wer von Ehre hört, denkt an schnarrende Leutnants und großmäulige Korpsstudenten. Erklärungen dafür liegen auf der Hand. Die Milieus mit ihren festgefügten Tugendvorstellungen, Adel, Militär, Universität, Kaufmannschaft, haben an Bindungskraft verloren, die Gegenspieler Ökonomisierung, Individualisierung und Verinnerlichung sind mächtige Tendenzen. Aber spielt das Bemühen um Ansehen nicht immer noch eine große Rolle – im akademischen Milieu sogar ganz besonders? Und was ist mit Prominenz und Persönlichkeitsschutz, mit der Ehre nicht identisch, aber ihr doch nahe verwandt als Geltung in der Öffentlichkeit? Der Sargdeckel über der Ehre ist rasch zugeklappt. Aber damit ist womöglich nur ein Wort erledigt, noch nicht die Empfindung, die unter anderem Namen weiterleben könnte.
STEPHAN SPEICHER
Ehre scheint auf dem Rückzug zu
sein. Lebt die Empfindung
unter anderem Namen weiter?
  
  
  
  
  
Ute Frevert:
Vergängliche Gefühle. Wallstein Verlag,
Göttingen 2013.
96 Seiten, 9,90 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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»ein lesenswertes Denkstück« (Martin Ebel, Deutschlandfunk, 04.04.2014) »Die Geschichtlichkeit der Gefühle wird in schöner Anschaulichkeit vor Augen geführt« (Gerhard Sauder, Das achtzehnte Jahrhundert, Jg. 40. Heft 2, 2016)