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Bilder von Krieg und Nation - das sind die Vorstellungen, die es im bürgerlichen Deutschland zur Zeit der Einigungskriege über das Wechselspiel von militärischer Aktion und nationaler Identität gegeben hat und die sich in einer Vielzahl von textuellen und visuellen Zeugnissen ausgesprochen haben. Diese Zeugnisse demonstrieren, wie stark der Nationsbegriff von militärischen Denkmustern durchdrungen war und wie entschieden das Bild und der Mythos der Einigungskriege die Konzepte für den Aufbau des Nationalstaates und für die nationale Selbstdefinition prägte. Insbesondere der…mehr

Produktbeschreibung
Bilder von Krieg und Nation - das sind die Vorstellungen, die es im bürgerlichen Deutschland zur Zeit der Einigungskriege über das Wechselspiel von militärischer Aktion und nationaler Identität gegeben hat und die sich in einer Vielzahl von textuellen und visuellen Zeugnissen ausgesprochen haben. Diese Zeugnisse demonstrieren, wie stark der Nationsbegriff von militärischen Denkmustern durchdrungen war und wie entschieden das Bild und der Mythos der Einigungskriege die Konzepte für den Aufbau des Nationalstaates und für die nationale Selbstdefinition prägte. Insbesondere der deutsch-französische Krieg von 1870/71 geriet zu einem politischen Mythos, an den sich zentrale soziale Leitideen knüpften: die Idee einer gelungenen Synthese von Führung und Partizipation, die Idee einer Nation, die sich vor allem den Normen des Bürgertums verpflichtet weiß. Im Ergebnis stellt sich der bürgerliche Militarismus des Kaiserreichs in einem veränderten Licht dar. Er war weniger Ausdruck von Untertanengeist, weniger Störfaktor der Modernisierung, als vielmehr selbst moderner Ausdruck einer selbstbewussten Teilhabe der bürgerlichen Schichten am neuen Nationalstaat.
Autorenporträt
Frank Becker ist Privatdozent am Historischen Seminar der Universität Münster.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.08.2001

Zu schön, um wahr zu sein
Bismarcks drei Kriege in bürgerlicher Perspektive vor 1914

Frank Becker: Bilder von Krieg und Nation. Die Einigungskriege in der bürgerlichen Öffentlichkeit Deutschlands 1864-1913. R. Oldenbourg Verlag, München 2001. 32 Abbildungen, 593 Seiten, 168,- Mark.

"Als daher die Kriegserklärung Frankreichs an Preußen erfolgt war, befahl Seine Majestät, daß sofort die nöthigen Schritte getan werden sollten, um alle Flugblätter, Proklamationen, Gedichte, Spott- und Zerrbilder, Illustrationen, Depeschen u.s.w., sowohl im Vaterlande, als überall in Europa, wo dergleichen erscheinen würde, zu sammeln und dieselben der später zu erwartenden Literatur über den voraussichtlich langen und schweren Krieg angeschlossen werden sollten."

Ohne diese im Militärarchiv in Freiburg im Breisgau versteckte Quelle zu kennen, gehorcht Frank Becker dieser königlichen Order gleich im doppelten Sinne. All jenes Material trägt er zusammen, das die "klassischen" und traditionellen Quellengruppen ergänzt, wenn man im Rahmen der Mentalitäts-, Wahrnehmungs-, neuerdings der sogenannten "Neuen Kulturgeschichte" dem modischen Postulat von Dekonstruktion und Konstruktion genügen will. Dann verfaßt er ein Buch, das die drei Kriege Bismarcks so darstellen will, wie sie die bürgerlichen Zeitgenossen sahen. Bewußt beschränkt er sich auf das Bürgertum, wohl wissend, daß die "proletarische" Perspektive fehlt. Daß es sie ebenfalls gab, wird niemand leugnen wollen, der sich mit den Militaria beispielsweise eines Friedrich Engels beschäftigt hat. Ohne von dieser aktuellen erkenntnistheoretischen Diskussion naturgemäß etwas ahnen zu können, stand dem preußischen König offensichtlich schon 1870 das zukünftige "Bild" seines Krieges vor Augen; schließlich hatte sich der König schon zuvor lebhaft mit Moltkes "Konstruktion" des Krieges im "Generalstabswerk" zur Kampagne von 1866 auseinandergesetzt.

Mit anderen Worten: Das, was die Zeitungen schrieben, die Graphiker zeichneten, die Maler in gewaltigen Panoramen oder anrührenden Genrebildern dem Publikum als Deutung der Kriege von 1866 bis 1871 anboten, taten sie schon zeitgenössisch mit einem schielenden Blick auf die Nachwelt. Da war nichts spontan und naiv, allein die Fülle der später gedruckten "Erlebnisse aus dem Kriege" deutet darauf hin. Doch diese Doppelebene entgeht Becker, er nimmt alles sehr direkt und beim Wort. Aber das tut seiner Leistung keinen großen Abbruch, denn in umfassender und einfühlsamer Weise gelingt ihm die Rekonstruktion der Konstruktion der Wirklichkeit von 1864 bis 1871; vielleicht nicht der, die man naiv als eine solche nehmen möchte, sondern jener, die aus der Tradition der deutschen Idealphilosophie entstanden war und für wahr gehalten wurde.

Diese Konstruktion hob verschiedene vergangene Wirklichkeiten in sich auf; genauer: deren Mythen. Zu ihnen zählten der Mythos der Befreiungs- und Freiheitskriege von 1812 bis 1815, der Rheinmythos von 1840 ("Sie sollen ihn nicht haben, den freien, deutschen Rhein"), der Mythos der verletzten Nationalehre, für den die "Emser Depesche" stand, der Mythos der einigen Nation, des "Volks in Waffen". Gehorchten in der öffentlichen Wahrnehmung die Kriege von 1864 (gegen Dänemark) und 1866 (gegen Österreich) noch jenen Stereotypen, in denen ein Gegensatz zwischen Adel und Bürgertum, zwischen stehendem Heer und bürgerlicher Miliz, zwischen den Interessen der Krone und jenen der Bürger konstruiert wurde, so verschmolzen 1870 in einem geradezu blitzartigen Prozeß alle diese Gegensätze, selbst der zwischen Preußen und den süddeutschen Staaten. Daraus entwickelte sich ein geradezu phantastisch-stimmiges Idealbild, dessen Prägekraft so groß war, daß es nahezu unverändert die Jahrzehnte bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges bestimmen sollte.

Becker verweist die oftmals kolportierte These vom "Generationenbruch" um 1890 ins Reich der Fabel - ob zu Recht, bedürfte vor allem nach den in den letzten Jahren in reicher Fülle vorgelegten Untersuchungen zu den Krieger- und Flottenvereinen doch noch eines genaueren Zusehens. Dieses Bild - das Wort "Bild" hat Becker im letzten Teil seiner Studie wörtlich genommen und eine hervorragende Ikonographie der Kriegsdarstellungen von 1870/71 geliefert - wird durch die erneute Legitimierung des Adels durch das Bürgertum, die Aussöhnung des Bürgertums nicht allein mit dem Königsheer, sondern mit allen Bedingungen bestimmt, die es so erfolgreich machten: Schulpflicht, Wehrpflicht, Professionalität, hierarchische Führungsstrukturen gelten als Schlüssel des deutschen Erfolges.

An alledem hatte das Bürgertum selbstbewußten und tätigen Anteil. Deswegen kann man Beckers Behauptung, es könne keine Rede sein von der "Unterwerfung des Bürgertums unter die Machtinstrumente des Obrigkeitsstaates, deren markantestes der Militärapparat gewesen sein soll", nur zustimmen. Genauso richtig ist sein Hinweis, daß die im Krieg von 1870 bewiesene "Leistungsfähigkeit und Effizienz zu den entscheidenden Kriterien von Modernität" gezählt werden müssen, woraus sich die Feststellung ergibt, Deutschland sei alles andere als eine "verspätete Nation" gewesen, sondern habe sich im Gegenteil eines "Modernitätsvorsprunges" erfreuen können.

Wirklich? War es nicht vielmehr so, daß die guten Bürger das glaubten und deswegen für die Wirklichkeit hielten? Man sieht, wohin es mit der "konstruierten" Geschichte kommen kann: Indem man die Wahrnehmung von einst als "Realitätskonstruktion" nimmt, wie sich Becker ausdrückt, gerät man in die Falle eines multidimensionalen Relativismus, gegen den der des verpönten Historismus wie schiere Objektivität erscheinen kann. Daß dem Leser dieser klugen Studie solche Gedanken kommen, wenn er von den schönen Bildern der "via triumphalis" sich erst einmal hat gefangennehmen lassen, ist das Verdienst Beckers. Aber ob das, was das Buch beschreibt, nun die "Wahrheit" ist, bleibt - Clio sei Dank - denn doch offen.

MICHAEL SALEWSKI

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Frank Becker versucht laut Michael Salewski die drei Kriege Bismarcks so darzustellen, wie sie das zeitgenössische Bürgertum selbst erlebte und in allerlei Kunstproduktionen bereits für die Nachwelt bebilderte. Die vielfältigen Selbstwahrnehmungsformen und Mythenbildungen, die an dieser "Konstruktion von Wirklichkeit" beteiligt waren, sind vom Autor in umfassender Weise rekonstruiert worden, lobt der Rezensent. Hierfür sammle der Autor gemäß den Forderungen neuerer Theorieansätze alles neben den herkömmlichen Quellengruppen relevante Material. Dabei könne er etwa so manchen in der Forschung verfestigten Thesen zur staatspolitischen Rolle des Bürgertums plausibel widersprechen. Daneben sei ihm eine beeindruckende Ikonographie der Kriegsdarstellungen von 1870/71 gelungen. Sich Gedanken zu machen über die erkenntnistheoretische Anlage der Studie, die nämlich in die Nähe eines "multidimensionalen Relativismus" gerate, ist für Salewski ein weiteres Verdienst Beckers.

© Perlentaucher Medien GmbH
"..kluge Studie..." Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.8.2001