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Manuel und Pau werden als Kinder Zeugen der Ermordung einiger Männer ihres Dorfes durch faschistische Rebellen (1936). Unter den Mördern erkennen sie den Vater des gleichaltrigen Julià. Pau rächt seinen Vater, indem er Julià in einer Höhle im Beisein von Manuel übertötet. Er flieht und verunglückt, als er in einen Brunnen stürzt. Jahre später (1942) begegnet der an Tuberkulose erkrankte Manuel in einem mallorquinischen Sanatorium Ramallo, seinem Freund aus Kindheitstagen. Und Ramallo trifft dort auf die Nonne Francisca Luna, die als Mädchen Ramallo liebte. Überspannt von malerischen…mehr

Produktbeschreibung
Manuel und Pau werden als Kinder Zeugen der Ermordung einiger Männer ihres Dorfes durch faschistische Rebellen (1936). Unter den Mördern erkennen sie den Vater des gleichaltrigen Julià. Pau rächt seinen Vater, indem er Julià in einer Höhle im Beisein von Manuel übertötet. Er flieht und verunglückt, als er in einen Brunnen stürzt. Jahre später (1942) begegnet der an Tuberkulose erkrankte Manuel in einem mallorquinischen Sanatorium Ramallo, seinem Freund aus Kindheitstagen. Und Ramallo trifft dort auf die Nonne Francisca Luna, die als Mädchen Ramallo liebte. Überspannt von malerischen Beschreibungen der Landschaft Mallorcas und eingebettet in die wenig bekannte Episode italienischer Faschisten auf Mallorca, aber ohne Ausweg zwischen bigotter Moral und sexueller Verklärung, steuert ihr kurzes Leben auf die Katastrophe zu. Zwischen Szenen von Auflehnung, aufkeimender Sexualität und abrupter sexualisierter Gewalt bleibt für ein klischeehaftes Mallorca kein Platz. Und dennoch ist Das Meer ein Roman wie ein Brandzeichen Mallorcas. Der Übersetzung liegt die erst 2017 unter Verwendung der Archive der franquistischen Zensurbehörde vervollständigte Ausgabe von "El mar" zugrunde.
Autorenporträt
Blai Bonet i Rigo, 1926 in Santanyí, Mallorca, geboren, ist ein genuiner Dichter und Prosaist. Für seinen Erstlingsroman ¿Das Meer¿ erhielt er 1957 den bedeutendsten Preis für unveröffentlichte Prosa, Premi Joanot Matorell. Stark beeinflusst von Pasolini, Genet, Cela und Camus, erreicht Bonet eine Zersprengung des Erzählens, wobei die Szenerie seines Romans zwischen Manns ¿Zauberberg¿ und Kafkas ¿Schloss¿ pendelt. Bonet gehört neben Mercè Rodoreda und Josep Pla zu den bedeutendsten Figuren der katalanischen Literatur.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensentin Karin Janker ist begeistert von Blai Bonets erstem Roman von 1958, der nun endlich auch auf Deutsch vorliegt, wie sie dankbar feststellt. Janker vergleicht die auf Mallorca spielende Geschichte um zwei vom spanischen Bürgerkrieg geprägte, an Tuberkulose erkrankte junge Männer mit Thomas Manns "Zauberberg" und erkennt: Bonet schreibt eine Art "Anti-Zauberberg". Die Krankheit wird hier nicht verklärt, sondern in ihrer Unerbittlichkeit dargestellt, meint Janker. Dass der Krieg anders als bei Mann bei Bonet bereits vergangen ist, ermöglicht es dem Autor, die Versehrungen seiner Figuren auf ihn zurückzuführen. Für die Verfilmung des Romans liefert das Buch den Kontext, erklärt die Rezensentin. Keine Urlaubslektüre für Mallorca-Reisende, warnt Janker.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.04.2021

Am Ende aller Geschichten

Großtat eines kleinen Verlags: "Das Meer", der verzweifelte Roman des Katalanen Blai Bonet, erscheint endlich auch auf Deutsch.

Eine Gruppe junger Leute 1942, ein Lungensanatorium auf Mallorca - doch die ersten Sätze dieses unerhörten Romans sind der Natur gewidmet. Sätze ohne Verb, beschwörende Sätze, die Natur erscheint wie eine angerufene Macht. Tatsächlich wird hier gleich am Anfang schon die mallorquinische Natur mythisiert, aber im Gegensatz zur Romantik besteht keine Einheit mit ihr. Sie ist ein Gegenüber, wenn nicht ein Gegner. Zwar liegt die Landschaft "süßlich, bedächtig" da, durchzogen aber von "tiefschwarzen Schatten", der Nebel ist "tiefbleiern", das Olivgrün der Eichen "stumpf und still".

So wird kein lebensfrohes Buch eingeleitet. Im Mittelpunkt stehen die Freunde Manuel Tur und Andreu Ramallo. Sie leiden an Tuberkulose, werden gepflegt von Nonnen, unter ihnen Schwester Francisca, eine Freundin aus frühen Tagen, und betreut von Pater Gabriel. Die jungen Leute stehen an der Schwelle zum Erwachsensein und haben in der Kindheit schon Schreckliches gesehen. Der Spanische Bürgerkrieg ist nur ein paar Jahre her. Die Frage ist nun nicht, was passiert und was sie erleben, sondern: Was geht in ihnen vor?

"Das Meer" des Mallorquiners Blai Bonet (1926 bis 1997) zu resümieren ist kaum möglich. In jedem der 32 Kapitel spricht eine der genannten vier Personen. Es gibt nur wenige Ereignisse im eigentlichen Sinne, das Wichtigste wird von Manuel berichtet, aber auch das ist keine natürlich fließende Erzählung, Bonet widersetzt sich jeder Roman-fleuve-Idee. Mit seinem Freund Pau wird Manuel 1936 Zeuge, wie einige Männer des Ortes, darunter Paus Vater, von Franco-Anhängern erschossen werden. Pau rächt sich, indem er den Sohn eines der Franquisten erdolcht. Auf der Flucht stürzt der Junge in einen Brunnen und stirbt. Das sechs Jahre zurückliegende Ereignis ist der Urgrund all dessen, was berichtet wird.

Seitdem geschieht nichts mehr. Die Zeit steht still. Überraschend dann der Satz: "Das Sanatorium ist der Gegenentwurf zur Eintönigkeit." So begründet Pater Gabriel seine Entscheidung, warum er nicht in einer Gemeinde, sondern im Sanatorium Seelsorger geworden ist. Der Gegenentwurf, den er meint, das sind nun keine Abenteuer oder Actionszenen, sondern die manischen Monologe und Gespräche ohne Ende, die Gedanken und Reflexionen über Gott und dessen Sohn, den Erlöser der Menschen; das sind die heimlichen und offenen und verbotenen Sehnsüchte, ob homoerotisch oder nicht, das Ergründen des eigenen und fremden Körpers; das ist das Erlangen bewussten Seins im körperlichen Schmerz und im Gebet, das für einen besessen Glaubenden wie Manuel einer Droge gleichkommen kann.

Dies alles in Anbetracht des täglichen Todes im Lungensanatorium, wo es nach "schwefeligem Triom, reinem Alkohol, Schweiß und Kölnisch Wasser stinkt". Verzweiflung ist die Kraft, die die Menschen in diesem Roman bewegt, einerlei, was sie tun oder sagen. Für Gläubige ist das ein Problem, denn Verzweiflung bedeutet doch, kein Vertrauen zu Gott zu haben.

Natürlich denkt man an Thomas Manns "Zauberberg", in dem Hans Castorp seine leerlaufende Zeit mit vielen Gesprächen in Davos verbringt. Aber dort wird "als Gottesschande das Versagen des Gefühls" empfunden, hier ist es eher das Versagen des Glaubens im Leben. Und dort steht der Krieg noch bevor, fast als Verheißung, während er hier zurückliegt, als Trauma. Bei Bonet wird der Bluthusten unmittelbar auf Brutalitäten des Bürgerkriegs zurückgeführt: Danach "bekam ich meine Krankheit", sagt Manuel.

Laut dem Nachwort des katalanischen Bonet-Herausgebers Xavier Pla wurde das Buch aber nur indirekt von Thomas Mann inspiriert, nämlich über Camilo José Celas Sanatoriumsroman "Pabellón de reposo", der in einer Station für Rekonvaleszenten spielt und körperlichen Verfall und sexuelle Leidenschaften gewissermaßen Hand in Hand auftreten lässt. Die wichtigere Verwandtschaft, so Xavier Pla, sei die mit Pier Paolo Pasolini - was unmittelbar einleuchtet.

Trotz der schwergewichtigen, bilderreichen Sprache wird alles - Grausamkeiten, obsessive Grübeleien, sexuelle Versuchungen - mit schamlos sachlicher Notwendigkeit geschildert. Das ruft eine Art Distanz hervor. Man möchte nicht gleich von Brecht'scher Verfremdung sprechen, aber es ist deutlich, dass Bonet Einfühlung und Mitleiden vermeidet. Seine Sprache kennt weder süßliche noch schmerzliche Violinenklänge. Sie ist nicht konzis, aber auch nicht überladen oder gar "übergriffig" - im Gegensatz zu durchaus verwandten Texten wie Pierre Guyotats Algerien-Romanen, die uns mit schockierenden monotonen Abscheulichkeiten geradezu malträtieren. Abstoßende Grausamkeit beschränkt sich bei Bonet auf zwei ebenso unerklärliche wie sadistische Katzentötungen.

Der Roman ist aufwühlend und aufreibend, die Übersetzung kann keine leichte Aufgabe gewesen sein. Sie fängt die Atmosphäre, die Verfassung der Personen, ihr inneres Ringen, den blutig-erdigen Stil des Autors sehr passend ein (hier und da ein Stilbruch oder eine Unsicherheit in Tempora und Modi). Aber die zahlreichen unbegreiflichen Stellen und Formulierungen, die rätselhaften Bilder - sie müssen in Bonets Denken gründen, das nicht allen zugänglich sein dürfte: "Menschensöhne sündigen so übertrieben wie jemand, der eine Mauer nur aus Steinen errichtet", "Das Blut ist wie Gott: Blut ist verborgene Natur", "eure Verzweiflung, so schwabbelig wie die Bäuche von Leuten, die ihre Namen änderten", "korrupt wie brodelnde Jauche". In diesem Zwischenreich zwischen Tod und Leben, dessen Gottesfurcht es am Wesentlichen zu fehlen scheint, das den christlichen Glauben auszeichnet, nämlich an Vergebung, gibt es vielleicht tatsächlich keine Geschichten mehr und keine Geschichte. Es ist eine schwere, aber unerschöpfliche Lektüre, weil Blai Bonet eine innere (religiöse, erotische, seelische) Verfassung ergründen und keine äußere Situation erzählen will. Nach einmaligem Lesen ist man noch lange nicht mit ihm fertig.

PETER URBAN-HALLE

Blai Bonet: "Das Meer". Roman.

Aus dem Katalanischen von Frank Henseleit. Mit einem Nachwort von Xavier Pla. Kupido Verlag, Köln 2021. 248 S., geb., 27,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.08.2021

Todgeweiht auf der Insel
Unter Franco verboten, nun endlich auch auf Deutsch: Blai Bonets Roman „Das Meer“
erzählt von einem Sanatorium für tuberkulosekranke Jugendliche auf Mallorca
VON KARIN JANKER
Zu jener Zeit, als Andreu Ramallo entdeckt, dass auf seiner Brust Haare zu wachsen beginnen, wird er zum ersten Mal Zeuge eines Todeskampfes. „Ich rede von Justo Pastor, diesem klein gewachsenen, beschwerten Jungen aus Albacete mit seinem gelben Teint, den schwarzen Augen, aus deren violetter Tiefe die Ahnung, zu sterben, hervorschien.“ Justo Pastor ist 17 Jahre alt, als er an der Tuberkulose stirbt, Andreu Ramallo ist neunzehn, und auch sein „Rachen pfeift wie ein mit einem Messer aufgeschlitzter Fischbauch“. Die beiden jungen Männer sind Todgeweihte, Bewohner eines Sanatoriums für Tuberkulosekranke im Hinterland Mallorcas. Der spanische Bürgerkrieg liegt schon ein paar Jahre zurück, doch hier geht das Sterben weiter.
Andreu Ramallo bleibt nach dem Tod seines Kameraden allein im Flur des Sanatoriums zurück und horcht, wie sich die Bahre entfernt: „Jetzt fährt er durch den Flur am Speisesaal, jetzt am Aushang mit dem Menü von morgen vorbei, hinaus, bis zur Leichenhalle, die neben den Beeten mit den Ranunkeln liegt.“ Mit diesen düsteren Szenen beginnt Blai Bonets Roman „Das Meer“, ein Mallorca-Roman, der sich nur bedingt als Urlaubslektüre für den Strand empfiehlt, für alle anderen Situationen dagegen sehr. Bei Bonet haben die Schwindsüchtigen nichts mehr von jener Verklärtheit, die noch die Romantik den Tuberkulosekranken andichtete: Damals galt die Schwindsucht als ästhetisches Ideal, das aus jungen Menschen irgendwie ätherische Wesen machte, fragil und elegant, mit hektischen Flecken auf den Wangen und besonders empfindsam die Welt erspürend.
In „Das Meer“ hingegen wütet die Tuberkulose wie eine Bestie. Hier sterben die Männer „wie Hunde, in der Blüte ihrer Jugend“. Im Roman erzählen vier Stimmen: Andreu Ramallo und Manuel Tur, moribunde Halbstarke, die zwischen den dicken Mauern des Sanatoriums ihr aufkeimendes Begehren entdecken, sowie Gabriel, der Pater der Anstalt, und eine junge Krankenschwester, die allerdings hinter den beiden anderen Protagonisten zurücktreten.
Blai Bonet vollendete „Das Meer“ mit Anfang dreißig, es war sein erster Roman. Als er ihn schrieb, lagen die Gräuel des spanischen Bürgerkriegs erst wenige Jahre zurück, sie bilden in „Das Meer“ den Urgrund der persönlichen Katastrophe im Leben der Protagonisten. Manuel Tur und Andrea Ramallo teilen nicht nur die Krankheit und ihr verbotenes Begehren. Beide sind auch Überlebende eines Krieges, der ihnen ihre Kindheit geraubt hat.
„Das Meer“ ist ein Tuberkulose-Roman wie Thomas Manns „Zauberberg“. Aber Bonet schrieb einen Anti-„Zauberberg“. Es ist kaum ein krasserer ästhetischer Gegensatz denkbar als der zwischen „Das Meer“ und Thomas Manns gut 25 Jahre zuvor erschienenem Roman. Dabei erzählen vordergründig beide vom Alltag junger Männer im Lungen-Sanatorium. Doch während Hans Castorp mit krokodilslederner Handtasche nach Graubünden reist und dort im Hochgebirge das Sterben aus neugieriger Distanz betrachtet, ringen Andreu Ramallo und Manuel Tur auf jeder Seite mit dem Tod. Und noch etwas ist anders: Castorp wartet sieben Jahre auf den Krieg, Andreu Ramallo ist bereits vom Krieg gezeichnet. Er hat erlebt, dass der Krieg keinerlei Hoffnung bereithält.
Bonet ging es ganz offensichtlich auch darum, sich von der Mann’schen Projektionsfläche abzusetzen: „Unser Sanatorium liegt nicht sehr hoch. 234 Meter sind keine Höhe.“ Kein Hochgebirge, das einen aus den Zeitläuften entrückte, sondern Mallorca, Schauplatz grausamer Massaker zwischen Republikanern und Faschisten, ist sein Handlungsort. Wie harmlos der „Zauberberg“ in Blai Bonets Augen gewirkt haben muss, macht ein Utensil besonders deutlich: das Fieberthermometer.
Im „Zauberberg“ markiert das Thermometer, mit dem die Patienten ihre Körpertemperatur zu messen haben, die Initiation Hans Castorps im Sanatorium: Gebettet auf roten Samt wie ein Schmuckstück im eigenen Kästchen macht erst das Thermometer Castorp zu einem Mitglied jener Gesellschaft. Bei Blai Bonet hingegen bahnt sich über ein profanes Thermometer die erste Annäherung zwischen Andreu Ramallo und Manuel Tur an: „Nach einem Augenblick des Ausruhens nahmen wir die Thermometer. Das war ein vorabendliches Ritual. (…) Du hattest mir dein Thermometer geliehen. Ich hatte keines.“ Sie teilen diesen Moment und treffen sich danach voll dringlichen Begehrens und schlechten Gewissens, um ihre „Unschuld zu töten“.
Der Schriftsteller Blai Bonet, 1926 in Santanyí auf Mallorca geboren, erlebte dort den Krieg und den Alltag in einem Sanatorium für Tuberkulosekranke. Schonungslos beschreibt er die Krankheit und das Ringen mit einem fast ebenso lebensfeindlichen Katholizismus. Als der Roman Ende der 1950er-Jahre erscheinen sollte, lag über Spanien bereits die Decke des Franquismus, die auch das literarische Schaffen Bonets zu ersticken versuchte. Die Zensur unterband die Veröffentlichung. Lange kämpften Verlag und Behörden miteinander, ehe der Roman dann doch, wenn auch brutal gekürzt, erscheinen durfte. Bonet, der eine Zeit lang selbst Priester werden wollte, rang für das damals erzkatholische Spanien offenbar zu heftig mit dem Wertekanon der Staatsreligion.
In den vergangenen Jahren wurde „Das Meer“ in zehn Sprachen übersetzt. Dass dieser Roman nun endlich erstmals auch auf Deutsch zu lesen ist, ist dem 1964 in Dortmund geborenen Buchhändler, Übersetzer und Verleger Frank Henseleit zu verdanken, der das Werk nicht nur aus dem Katalanischen übertragen, sondern auch in dem von ihm gegründeten Kupido-Verlag herausgebracht hat.
Erst jetzt, da das Buch in seiner eindringlichen Poetik für ein deutsches Publikum erlebbar ist, erschließt sich auch der Kontext der Verfilmung von „El Mar“ von Regisseur Agustí Villaronga. Der Film, der im Jahr 2000 auf der Berlinale ausgezeichnet wurde, entwickelt aus dem Roman einen verstörenden Reigen der Gewalt, des fanatischen Katholizismus und einer immer wieder an die Oberfläche drängenden, unterdrückten Sexualität. Doch der Roman erweitert den Fokus auf die Lebenswirklichkeit Mallorcas in jenem Nachkriegsjahrzehnt: Er erzählt, woher die Gewalt kommt, für die die Tuberkulose nur ein Symptom ist. Die alkoholabhängige Mutter, der der Anisschnaps in die Knochen kroch, „wie auch die Kälte und die Harnsäure in sie krochen“. Der brutale Vater, der beim Mittagessen mit der Familie unter dem Tisch den Kater, der um seine Beine streicht, mit dem Absatz seines Stiefels so lange tritt, bis das Tier stirbt. Und diese Jungen, denen die Eltern nichts sehnlicher wünschen, als abgehärtet zu sein. „Als du ein Junge warst, ließ ich dich hart werden, wie ein Stück Leder in der Sonne hart wird“, sagt Manuel Turs Vater zu ihm.
Leser von „Das Meer“ werden eine ganz andere Seite Mallorcas kennenlernen. Hier, wo das Licht „senkrecht wie ein Messer fällt“, gedeiht der Tod. „Kein Mensch ist eine Insel“, wusste auch Blai Bonet, der Inselbewohner. Er, der im Bürgerkrieg die Essensrationierungen und nach dem Krieg das Verbot der katalanischen Sprache miterlebt hat, den Zwang zum Katholizismus und die Verfolgung Homosexueller, war in seiner Jugend selbst ein Todgeweihter. Er überlebte die Tuberkulose und schrieb, um weiterzuleben. 1997 erlag Bonet einem Lungenleiden. Sein Überlebensroman „Das Meer“ ist ein Buch, das einen lange begleitet.
Thomas Manns Castorp wartete
auf den Krieg, Bonets Figuren
sind schon vom Krieg gezeichnet
Eine ganz andere Seite Mallorcas:
wo das Licht „senkrecht wie ein
Messer fällt“, gedeiht der Tod
Blai Bonet: Das Meer. Aus dem Katalanischen von Frank Henseleit. Kupido, Köln 2021.
280 Seiten, 27,80 Euro.
Blick aufs Meer bei Santanyí: Bonet selbst erlebte dort Krieg und den Alltag in einem Sanatorium für Tuberkulosekranke.
Foto: Martin Siepmannimago images/Westend61
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