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Relevanz ist ein Kernkriterium für die Bewertung von Forschungsansätzen wie auch von Forschungsergebnissen: Meteorologische Vorhersagen sollen über das Erscheinen eines Wetterphänomens zuverlässig Auskunft geben, Daten, die auf der Basis biomedizinischer Modelle erbracht wurden, sollen ein Krankheitsbild erklären helfen.Aber ist durch das gewählte Verfahren das Forschungsziel überhaupt erreichbar? Stehen andere Verfahren zur Verfügung und was leisten diese im Hinblick auf unsere Erkenntnisziele? Letzteres wird unter Umständen nicht nur durch die Frage mitentschieden, wozu, sondern eben auch,…mehr

Produktbeschreibung
Relevanz ist ein Kernkriterium für die Bewertung von Forschungsansätzen wie auch von Forschungsergebnissen: Meteorologische Vorhersagen sollen über das Erscheinen eines Wetterphänomens zuverlässig Auskunft geben, Daten, die auf der Basis biomedizinischer Modelle erbracht wurden, sollen ein Krankheitsbild erklären helfen.Aber ist durch das gewählte Verfahren das Forschungsziel überhaupt erreichbar? Stehen andere Verfahren zur Verfügung und was leisten diese im Hinblick auf unsere Erkenntnisziele? Letzteres wird unter Umständen nicht nur durch die Frage mitentschieden, wozu, sondern eben auch, woran geforscht wird, das heißt, anhand welcher Ressourcen wir forschen oder auch auf welche Datengrundlage sich unser methodisches Vorgehen stützt.Lara Huber untersucht die Relevanzfrage in ihrer gesamten Breite: von der Begriffsgeschichte von »Relevanz« über die binnenwissenschaftliche Perspektive (wie bilden sich Relevanzkriterien in der Wissenschaft selbst?) bis hin zum politischen Diskurs über die Bewertung von Wissenschaft und Forschung.
Autorenporträt
Lara Huber ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und lehrt als Privatdozentin an der Bergischen Universität Wuppertal.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.08.2020

Richtig wichtig
Lara Huber über Relevanz in der Forschung

Auch unauffällige Wörter können Modewörter werden. "Relevanz" ist eines von ihnen. Es ist schon eine Weile her, dass es seine Karriere begann und sich im Grundwortschatz kritischer Zeitgenossen unentbehrlich machte; in seiner Begleitung befand sich damals oft das Eigenschaftswort "gesellschaftlich". Als Gespann verhalfen beide einer unwidersprechlich scheinenden Forderung nach Weltverbesserung zum Ausdruck. Mittlerweile ist ihr gesellschaftskritischer Impetus zwar verblasst, mit ihrem Gebrauch scheint aber noch die Hoffnung auf einen rhetorischen Mehrwert gegenüber dem schlichten "wichtig" oder dem bildkräftigen "ausschlaggebend" verknüpft zu sein. Wer Relevanz ein- oder Irrelevanz anklagt, behauptet zu wissen, worauf es in einer Sache ankommt: auf die gewichtigen Erkenntnisse, die, in die Waagschale geworfen, den Wägebalken nach oben befördern. Dieses Sinnbild jedenfalls meint die Wortherkunftsforschung im lateinischen "re-levare", "wieder emporheben", zu erkennen.

Relevanzforderungen wie Relevanzbehauptungen gehören im Wissenschaftssystem zum Normalbetrieb - schon allein deswegen, weil die Verwendung öffentlicher Forschungsgelder rechenschaftspflichtig ist, auch und gerade in Gesellschaften, in denen die Wissbegierde "im Prinzip" freie Bahn hat, weil Wissenschaftsfreiheit grundrechtlich verbürgt ist. Nicht nur die Richtigkeit, auch die Wichtigkeit von Forschungsergebnissen wird also zum Thema, wenn von Relevanz in der Wissenschaft die Rede ist.

Und mit der Wichtigkeit erscheint die mit ihr eng verwandte, aber nicht bedeutungsgleiche Nützlichkeit auf dem Radarschirm der Aufmerksamkeit; und mit alledem wiederum die Unterscheidung von Grundlagenforschung und angewandter Forschung. Es ist kein unbekanntes Terrain, das Lara Huber in ihrer hier anzuzeigenden Abhandlung erkundet. Doch die Wissenschaftsphilosophin möchte es sozusagen neu kartographieren - eben in der Perspektive des Relevanzbegriffs, der oft verwendet, aber selten erörtert wird.

Ein nicht überraschendes, jedoch seinerseits als relevant einzustufendes Ergebnis dürfte sein, dass in der anwendungsorientierten Forschung nichts "per se" relevant sei. Selbst wenn Ziel und Zweck biomedizinischer Studien oder klimawissenschaftlicher Untersuchungen bestimmt sind und ihr möglicher "Erkenntniswert" nicht nur innerhalb der Wissenschaft, sondern auch von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft anerkannt wird, ist nicht vorab festgelegt, welche Erkenntnismittel die richtigen und relevanten sind, um zu aussagekräftigen Ergebnissen zu kommen. Und auch die Relevanz der Resultate lässt sich im Einzelnen nicht voraussehen oder letztgültig beurteilen. Das macht wissenschaftliche Forschung aus: dass ihre Resultate stets unter dem Vorbehalt ihrer Relativierung oder Entwertung stehen. Seit einigen Monaten kann derlei, augenfälliger vielleicht als je zuvor, anhand von virologischen und epidemiologischen Daten und Thesen verfolgt werden.

Huber spitzt verallgemeinernd zu: Die Frage nach der Relevanz der Erkenntnisse bleibe "zu einem gewissen Grad stets unbeantwortet". Umso wichtiger sei deren kritische und öffentliche Diskussion, in die auch "der gut informierte Bürger" einbezogen sein solle, den die Autorin - mit dem Soziologen Alfred Schütz - vom weniger gut informierten, dafür meinungsfreudigen "Mann auf der Straße" abhebt. Zuerst indes sollten die Leute vom Fach zu Wort kommen. In dieser Bevorzugung deutet sich mittelbar an, worin die Überlegungen ihren eigentlichen Gravitationspunkt haben: in der Verteidigung der Zweckfreiheit und Ergebnisoffenheit des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses. Von dieser Freiheit und Offenheit hängt die Wissenschaftlichkeit der Wissenschaft ab - und letztlich auch ihre Relevanz und Nützlichkeit.

UWE JUSTUS WENZEL.

Lara Huber: "Relevanz". Über den Erkenntniswert wissenschaftlicher Forschung.

Felix Meiner Verlag, Hamburg 2020. 189 S., br., 22,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Uwe Justus Wenzel macht sich zusammen mit der Wissenschaftsphilosophin Lara Huber Gedanken über den Begriff der Relevanz. Für Wenzel kein unbekanntes Terrain, doch wie Huber es "neu" zu "kartografieren" versucht, findet er spannend. Dass in anwendungsorientierter Forschung nichts per se relevant ist, scheint ihm eine interessante Erkenntnis des Buches zu sein. Und wenn die Autorin zuspitzt, dass die Relevanz von Forschungsresultaten in gewisser Weise unbeantwortet bleibt, dennoch aber immer zuerst Fachleute das Wort haben sollten, denkt Wenzel wohl an die Pandemie und unsere Epidemiologen.

© Perlentaucher Medien GmbH