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Hans Rothfels' Geschichtsschreibung wird als spezifische wissenschaftliche Reaktion auf den historischen Wandel im 20. Jahrhundert gedeutet.Hans Rothfels (1891-1976) war einer der einflußreichsten Historiker der frühen Bundesrepublik. Seine geschichtswissenschaftliche Tätigkeit erstreckte sich vom Ersten Weltkrieg bis in die sechziger Jahre. Dabei vollzog sie sich unter verschiedenen politischen Systemen und aus unterschiedlichen akademischen wie biographischen Positionen heraus. In der Weimarer Republik machte er als nationaler Junghistoriker eine aufstrebende Karriere, bis er nach dem Januar…mehr

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Produktbeschreibung
Hans Rothfels' Geschichtsschreibung wird als spezifische wissenschaftliche Reaktion auf den historischen Wandel im 20. Jahrhundert gedeutet.Hans Rothfels (1891-1976) war einer der einflußreichsten Historiker der frühen Bundesrepublik. Seine geschichtswissenschaftliche Tätigkeit erstreckte sich vom Ersten Weltkrieg bis in die sechziger Jahre. Dabei vollzog sie sich unter verschiedenen politischen Systemen und aus unterschiedlichen akademischen wie biographischen Positionen heraus. In der Weimarer Republik machte er als nationaler Junghistoriker eine aufstrebende Karriere, bis er nach dem Januar 1933 aus rassistischen Motiven ausgegrenzt wurde. Im amerikanischen Exil führte er seine Beschäftigung mit der deutschen Geschichte fort und kehrte 1951 mit einer hohen moralischen Reputation nach Deutschland zurück. Die vielfachen politischen und lebensgeschichtlichen Brüche, die Rothfels erlebte, führten dazu, daß er in seiner Historiographie immer wieder neue historische Anschlüsse herzustellen versuchte, um den Verlauf der jüngsten Geschichte jeweils sinnvoll deuten zu können. An Rothfels' Beispiel wird damit eine spezifische wissenschaftliche Reaktion auf den historischen Wandel des 20. Jahrhunderts greifbar.Jan Eckel analysiert in einem diachronen Längsschnitt die Bedingungsfaktoren von Rothfels' wissenschaftlicher Produktion und verortet seine Geschichtsschreibung im Fachzusammenhang. Vor diesem Hintergrund wird seine Historiographie als eine Form der intellektuellen Verarbeitung von gegenwärtigen Beobachtungen und Erfahrungen interpretiert.
Autorenporträt
Jan Eckel, Professor für Zeitgeschichte an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg. Er hat zahlreiche Schriften zur Geschichte der Menschenrechte und der Geschichte der internationalen Politik im »langen« 20. Jahrhundert vorgelegt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.10.2005

Auf dem Prüfstand
Der Historiker Hans Rothfels, der deutsche Widerstand und die schwere Erbschaft des "Dritten Reiches"

Jan Eckel: Hans Rothfels. Eine intellektuelle Biographie im 20. Jahrhundert. Wallstein Verlag, Göttingen 2005, 448 Seiten, 39,- [Euro]

Als Resultat langjähriger Forschungen liegt nun das Buch von Jan Eckel über Hans Rothfels vor. Eckel will sich auf eine "intellektuelle Biographie" des Historikers beschränken (was immer das heißen mag). Er klammert lebensgeschichtliche Details aus, soweit sie nicht Einfluß auf Rothfels' "Produktionsbedingungen" haben oder für dessen "wissenschaftliches Umfeld" relevant sind. So erfahren wir über Herkunft und Familie, über den Schülerkreis und die Lebensumstände nur das Nötigste. Aus Angst, auf die Ebene des Individuellen abzugleiten, scheut der Autor davor zurück, mit dem Menschen Rothfels in Tuchfühlung zu treten.

Des Autors ehrgeiziges Ziel ist nicht eine einfache Biographie. Er will am Beispiel der wissenschaftlichen Entwicklung von Rothfels zeigen, "wie ein Historiker die politisch-historischen Veränderungen des 20. Jahrhunderts wahrgenommen und intellektuell verarbeitet hat". Die Person von Rothfels fungiert gleichsam als Meßlatte, um den historiographischen Niederschlag wechselnder Zeiterfahrungen zu bestimmen. Eckel beruft sich dabei auf den "Radikalen Konstruktivismus", demzufolge Geschichtsschreibung die Projektion gegenwärtiger Erfahrungen in die Vergangenheit darstellt. Am Fall Rothfels will er aufzeigen, wie die deutsche Historiographie im 20. Jahrhundert auf die Krisenerfahrungen reagiert hat. Folgerichtig sucht er nicht das Besondere, sondern das für die zeitgenössische Geschichtsschreibung Typische herauszuarbeiten. Das ist das gerade Gegenteil zur eigentlichen Aufgabe des Biographen. Diese methodische Überspanntheit trägt nicht zur Erleichterung der Lektüre bei.

Eckel entwirft ein komplexes Schema zur Schilderung der wissenschaftlichen Karriere, der Publikationen und der institutionellen Funktionen, die Rothfels in den einzelnen Entwicklungsphasen einnahm. Die von ihm behandelten Hauptthemen - Clausewitz, Friedrich der Große, Bismarck - reflektierten, so Eckel, durchweg das politische und militärische "Bedrohtsein" und zielten auf eine Sinngebung für die deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Rothfels sei mit dieser Intention von der Hauptströmung der deutschen Geschichtswissenschaft nicht inhaltlich abgewichen, doch habe ihm die Fähigkeit zu anschaulicher Verdichtung komplexer historischer Zusammenhänge zu breitem Ansehen im Fach verholfen.

Nun interessiert sich Eckel denn auch weniger für den historischen Ertrag der von ihm lückenlos herangezogenen Schriften von Rothfels, sondern vor allem für deren politisch-ideologische Funktion. An Eckels Sachkunde und glänzender Quellerschließung ist nicht zu zweifeln, aber es gelingt ihm nicht, die Leuchtkraft von Rothfels' Texten und die Faszination zu vermitteln, die insbesondere von dessen eigenwilliger Bismarck-Deutung und von dessen Vision einer neuen Ostpolitik ausging. Eckels vermerkt zutreffend, die Stellungnahmen von Rothfels Anfang der dreißiger Jahre seien durch eine stärkere "Zukunftsgerichtetheit" gegenüber den zuvor erschienenen Arbeiten ausgezeichnet gewesen und auf eine Art "geistiger Vorbereitungsarbeit" zu politischem Handeln hinausgelaufen.

Die Königsberger Arbeiten hätten jedoch eine "revisionistische, nationalistische und chauvinistische Stoßrichtung", insgesamt ein chauvinistisches "Superioritäts- und Verfügbarkeitsdenken" aufgewiesen, argumentiert Eckel. Erscheinen diese Urteile reichlich überzogen, so ist ihm darin zuzustimmen, daß Rothfels mit der völkischen Ostforschung nicht in Verbindung gebracht werden kann, wenngleich er vorübergehend eine Synthese der "Volksgeschichte" mit der von ihm bis dahin vertretenen "Staatsgeschichte" ins Auge faßte Insofern dementiert Eckel jüngere Autoren, die Rothfels in Verbindung zur völkischen Ostforschung und damit indirekt zum Nationalsozialismus in Verbindung bringen. Er macht zugleich deutlich, daß Rothfels nur bedingt mit den Volkskonservativen identifiziert werden kann (der Begriff des "Rechtsintellektualismus", den er in dieser Beziehung gebraucht, ist wenig hilfreich). Die gleichzeitige Ablehnung der Regierung Otto Braun in Preußen und die Sympathien mit der "nationalen Bewegung" während der Zeit des Aufstiegs der NSDAP lassen 1930 eine eher lavierende Hinwendung zur bürgerlichen Rechten erkennen. Trotz seiner Beachtung von Max Hildebert Boehm, Oswald Spengler und Carl Schmitt erscheint die Position von Rothfels' eher eigenständig, wenngleich sie mit einer wachsenden Ablehnung der Weimarer Republik einherging. Problematisch wird Eckels Analyse dort, wo er die Beziehung von Rothfels zur NSDAP diskutiert und sich dabei auf die Thesen von Niklas Berg und Thomas Etzemüller bezieht. Seine kontrafaktische Spekulation, daß Rothfels - wäre seine rassische Diskriminierung nicht eingetreten - wie seine Schüler eine politische Radikalisierung hin zur NS-Diktatur vollzogen hätte, wirkt eher peinlich. Denn die Grundeinstellung von Rothfels war himmelweit von dem für die NSDAP typischen voraussetzungslosen und gewaltsamen Aktionismus entfernt, auch wenn er sich anfänglich der Hoffnung hingab, daß sich die nationalsozialistische Bewegung in zivilisierte Bahnen zurückleiten ließe.

Insbesondere hat Rothfels, wie aus einer von Eckel wiedergegebenen brieflichen Äußerung Siegfried Kaehlers indirekt hervorgeht, die Virulenz des Antisemitismus der NSDAP zunächst unterschätzt, und er erlag der Illusion, daß es sich um eine Kinderkrankheit handelte, die sich wieder verlöre. Das mag erklären, warum Rothfels versuchte, gegen seine rassisch begründete Ausschaltung in Berlin Unterstützung zu finden. Immerhin hatte es innerhalb des Ministeriums für Wissenschaft und Volksbildung Bestrebungen, einen anderen Lehrstuhl zu finden, gegeben, was Eckel übersehen hat. Grotesk und taktlos erscheint es indessen, daß er, dem Verdikt von Niklas Berg folgend, Rothfels die Rüge erteilt, in seiner "Deutschen Opposition gegen Hitler" die Rolle des Antisemitismus praktisch verschwiegen zu haben, und ihm überdies vorhält, sich mit seiner jüdischen Herkunft nicht auseinandergesetzt zu haben. Er hätte besser die gegen ihn gerichteten konkreten Verfolgungsschritte geschildert, die im Nachlaß erschütternd dokumentiert sind. Der Vorwurf einer Beschönigung des NS-Regimes kulminiert in der Kritik an dem Buch "Die deutsche Opposition gegen Hitler". Es erschien 1948 und ging auf Vorarbeiten von 1947 zurück. Wie Berg erblickt Eckel darin eine nationale Rechtfertigungsschrift, die an die Spitze der von ersterem bereits gerügten allgemeinen Exkulpationstendenz der westdeutschen Nachkriegsgeschichtsschreibung trat. So wirft Eckel jetzt Rothfels die "Konstruktion eines möglichst positiven Bildes der nationalsozialistischen Vergangenheit" vor, das dazu beigetragen habe, die "beispiellose Verbrechenspolitik" als "eigentliches Kennzeichen der deutschen Geschichte" zu verdecken.

Unbestreitbar wirkte die Schrift über den Widerstand im Sinne einer Selbstentlastung der Deutschen. Die mit ihr verknüpfte Traditionsstiftung, die das Denken der Verschwörer mit dem Begriff des "anderen" und damit wahren Deutschland in Zusammenhang brachte, wurde von Rothfels bewußt bejaht. Daraus allerdings den Vorwurf abzuleiten, Rothfels hätte damit die Verbrechen des Regimes bagatellisiert und die Nation als Ganzes zu exkulpieren gesucht, ist nicht einmal die halbe Wahrheit. Keiner der deutschen Nachkriegshistoriker hat so eindringlich wie Rothfels auf die Notwendigkeit des "Hinsehens" auf die Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes verwiesen und die Beschäftigung mit der Geschichte des "Dritten Reiches" für unabdingbar erklärt. Eckels These einer "rehabilitierenden Interpretation der NS-Geschichte" steht die von ihm eingehend beschriebene Initiative von Rothfels für eine stärkere Berücksichtigung der NS-Massenverbrechen in den "Vierteljahrsheften für Zeitgeschichte" und den Forschungsprogrammen des Münchener Instituts für Zeitgeschichte gegenüber.

Daß es sich bei Rothfels' "Deutscher Opposition" um eine in mancher Hinsicht stilisierte Darstellung handelt und daß die Forschung sehr viel stärker die quantitative Isolierung der Verschwörung herausgearbeitet hat, ist nicht strittig. Aber die Bedeutung dieser bahnbrechender Studie, die zum erstenmal die verschiedenen Gruppierungen der Opposition geschlossen dargestellt hat, auf die Entlastungsfunktion zu reduzieren ist schwer erträglich, auch wenn man einräumt, daß Rothfels seit den fünfziger Jahren selbst nur begrenzte Modifikationen daran vorgenommen hat und in einzelnen Fällen einschlägige Quellen wie die Kaltenbrunner-Berichte zurückhielt. Denn unabhängig von divergierenden Interpretationen, bleibt es das Verdienst von Rothfels, dem Widerstand einen zentralen Platz in der historischen Forschung der Bundesrepublik verschafft zu haben.

Viele Seiten seines Buches verwendet Eckel darauf, die Adaption der Rothfelsschen historischen und politischen Stellungnahmen an die veränderte Konstellation der fünfziger und sechziger Jahre zu schildern. Er betont, daß sowohl bei Rothfels wie im Fach "eine profunde Infragestellung der eigenen Grundlagen" ausgeblieben sei. Größere Veränderungen erblickt er nur im außenpolitischen Bereich, wo sich - bei grundsätzlichem Festhalten an den Prämissen der früheren ostpolitischen Vorstellungen - eine zunehmende Akzeptanz des Status quo und der Brandtschen Ostpolitik ergab. Innenpolitisch konstatiert der Autor (wie es nicht anders zu erwarten war) ein Festhalten an den demokratiekritischen Einstellungen der zwanziger Jahre, aber zugleich eine bemerkenswerte Hinwendung zu einer positiven Bewertung der Kanzlerdemokratie. Hingegen sind kaum Spuren der amerikanischen Erfahrungen (bis 1951), die im einzelnen nachgezeichnet werden, erkennbar.

Eckel schildert zutreffend die prägende Rolle von Rothfels als Herausgeber der Vierteljahrshefte (wobei immerhin gegenüber späteren Jahren regelmäßig Treffen der Mitherausgeber stattfanden). Sie führte zur Überakzentuierung des Widerstandes und einer geringeren Gewichtung der Judenverfolgung und der Verbrechen des Regimes und tendierte laut Eckel zu einer "affirmativen Nationalgeschichtsschreibung". Ähnlich diente seine Tätigkeit als Herausgeber der "Akten zur deutschen auswärtigen Politik 1918-1945" und der "Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa" der Pflege nationaler Identität. Jedoch kommen Rothfels' scharfe Zurückweisung von David Hoggan oder Franz von Papen und seine Kampfstellung gegen rechtsextreme Bestrebungen kaum zur Sprache.

Für die letzte Schaffensperiode galt, daß Rothfels nicht nur daran dachte, die seit 1920 geplante Edition zur Sozialpolitik Bismarcks abzuschießen, sondern auch historiographische Brücken zwischen Marxismus und westlichem Staatsgedanken zu schlagen. Sein Vortrag über "Bismarck und Marx" in der Heidelberger Akademie der Wissenschaften von 1960 begegnete jedoch auf östlicher Seite weitgehendem Unverständnis. Das Projekt zu Bismarcks Sozialpolitik kam - abgesehen von den sich häufenden äußeren Abhaltungen - nicht zum Abschluß, da Bismarck seine ursprüngliche staatssozialistische Vision mit dem Blick auf die ökonomischen Realitäten selbst fallenließ.

Rothfels besaß ein unvergleichlich hohes moralisches Prestige in der frühen Bundesrepublik. Sein Eintreten für die Unantastbarkeit menschlicher Würde war keine bloße Phrase. Sein historisch-politisches Engagement trug dazu bei, die schwere Erbschaft des NS-Regimes, den Verlust des Vertrauens des Menschen in den Menschen, auszuräumen. "Grundgestein" seines unablässigen Wirkens war die tiefe Überzeugung von der sittlichen Macht der Geschichte, und er inspirierte viele Jüngere dazu, sich mit historischen Themen zu befassen, auch wenn sie sich von den festgefügten Bahnen seines Geschichtsbildes lösten.

HANS MOMMSEN

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.11.2005

Eine Erlebnisgemeinschaft
Jan Eckel über den Historiker Hans Rothfels
Der prominenteste Historiker, der in einem neuen Band über deutsche Wissenschaftler und Volkstumspolitik behandelt wird, ist sicherlich Hans Rothfels. Karl Heinz Roth skizziert dort Rothfels als Faschismussympathisanten vor 1933 und als Neokonservativen nach 1945. Der Beitrag ist Teil eines Buches, das, herausgegeben von Ingo Haar und Michael Fahlbusch, dem englischsprachigen Publikum von dem bevölkerungspolitischen Furor der „Volksgeschichte” im Zeitraum 1920 bis 1945 erzählt.
Gleichzeitig hat nun der junge Freiburger Historiker Jan Eckel eine Biografie von Hans Rothfels vorgelegt. Rothfels war zwar keiner der methodisch prägenden Historiker des 20. Jahrhunderts wie Friedrich Meinecke, Otto Brunner oder Hans Rosenberg. Dennoch wurde er in der frühen Bundesrepublik Deutschland einer der einflussreichsten Geschichtswissenschaftler. Dies lag nicht nur in seinem Werk begründet, sondern auch in seiner Biografie. Eckel hat dennoch keine klassische Biografie geschrieben, den persönlichen Werdegang schildert er kaum. Seine „intellektuelle Biographie” konzentriert sich auf die Reflexion von politischen Erfahrungen im Medium von Geschichtsschreibung - und stellt eine historiographische Glanzleistung dar.
Rothfels, Jahrgang 1891, konvertierte 1910 zum Protestantismus. Er studierte Geschichte bei Meinecke, der politisch liberal und methodisch einem klugen Historismus verpflichtet war. Rothfels indes ging einen anderen Weg. Er blieb staatsorientiert und politisch konservativ. 1914 hatte er emphatisch die „Entindividualisierung” beschrieben. 1926 wurde er nach Königsberg berufen, als nationaler Historiker an die „Grenzlanduniversität”. Rothfels kam denn auch als Vertreter einer „kämpfenden Wissenschaft”.
Dort sammelte Rothfels schnell einen Kreis jüngerer Historiker um sich. Er öffnete sich der „Volksgeschichte”, blieb aber selber auf Fragen staatlicher Verfasstheit und gesellschaftspolitischer Ordnungsmodelle konzentriert. Nach 1933 wurde er rassistisch ausgegrenzt. 1939 gelang ihm, auch gegen innere Hindernisse, die Emigration nach England - noch 1937 hatte er selbst Auswanderung als „Landesverrat” bezeichnet. Seit 1940 in den USA, kehrte er 1951 auf einen Lehrstuhl nach Tübingen zurück.
Gefühle gewöhnlicher Mitläufer
Damit begann seine zweite, weit einflussreichere Karriere. Der Remigrant verstand sich nicht als Umerzieher, sondern als Heimkehrer ins Vaterland. Weil Rothfels nicht anklagte, sondern Deutschland und Deutsche vehement gegen jegliche Kollektivschuldvorwürfe verteidigte - etwa in seinem Buch über den Widerstand, das englisch 1948, deutsch 1949 erschien -, wurde der „jüdische” Emigrant zu einer politisch-moralischen Instanz und zu einer „singulären Integrationsfigur”, so Eckel. Er personifizierte das Schuldgefühl der gewöhnlichen Mitläufer, und seine Rückkehr schien zugleich den Wunsch auf Verzeihung zu erfüllen. Viel davon blieb unausgesprochen. Viele Schüler und Kollegen knüpften vorsichtig neue Kontakte zu Rothfels. Theodor Schieder sprach dabei nicht über die (seine) Vergangenheit, sondern bekundete, „mit aller Radikalität zu einem Neuen entschlossen” zu sein.
Rothfels war in diesen Beziehungen indes nicht nur moralische Instanz, sondern auch abhängig. Weniger vom Beschweigen seiner Hoffnungen auf die nationale Erhebung vor 1933. Das verbarg er kaum. Sondern weil er wieder - endlich! - uneingeschränkt zur Nation gehören wollte. Seine jüdische Herkunft, die 1933 zum Anlass für seinen Ausschluss aus der Nation wurde, stellte nach 1945 eine zentrale Bedingung seiner positiven Aufnahme und seiner eminenten öffentlichen Stellung dar.
Bis in die späten sechziger Jahre war Rothfels dann in vielen Institutionen beim Aufbau der bundesdeutschen Geschichtswissenschaft beteiligt. Nicht nur das Tübinger Ordinariat, insbesondere auch Großprojekte (Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa; Akten zur Deutschen Auswärtigen Politik) und vor allem das neu gegründete Münchner Institut für Zeitgeschichte mit den Vierteljahrsheften für Zeitgeschichte boten ihm Gestaltungsmöglichkeiten. Seine Wirkung gründete nicht auf einer „Schule” oder einem eigenen theoretischen Ansatz. Gerade deshalb konnte Rothfels auch immer wieder Neues aufgreifen und adaptieren.
Erst die „kritische” Geschichtswissenschaft seit den 1960er Jahren versagte sich dann seiner Grundannahme: gegenwärtige Konstellationen aus einer Kontinuität der nationalen Geschichte historisch zu deuten. Das blieb nach 1945 so lange möglich, wie die Mitlebenden der NS-Zeit eine deutsche Geschichte - und damit sich selber - vom Nationalsozialismus trennten. Als die Jüngeren jedoch den Nationalsozialismus selber in eine Kontinuität deutscher Geschichte einordneten und sich deshalb von der nationalen Vergangenheit distanzierten, wurde Rothfels schnell marginalisiert.
Drei Erkenntnisse sind an Eckels exzellenter Studie besonders hervorzuheben. Erstens, dass trotz der fast schon charismatischen Ausstrahlung, die er auf junge, sich dem „Volk” zuwendenden Historiker wie Werner Conze und Theodor Schieder hatte, Rothfels selber immer am Staat als zentraler Deutungskategorie festhielt. Der Staat erschien bei ihm als Garant für die Bewahrung des Volkes und als Schlichter von Gegensätzen zwischen konkurrierenden Völkern - in diesem Sinne interpretierte er etwa Bismarcks Nationalitätenpolitik.
Dennoch lassen sich, zweitens, bei Rothfels intellektuelle Wandlungen beobachten. Außenpolitisch akzeptierte er früh die Eigenständigkeit der Völker im Osten - während diese nach 1918 unter deutscher Hegemonie „geordnet” werden sollten, übernahmen die politischen Blöcke und Staatenbündnisse wie die Europäische Gemeinschaft nun die Funktion übernationaler, Stabilität schaffender Staatsmodelle. Rothfels’ gesellschaftliche Vorstellungen wandelten sich hingegen weit langsamer. Zwar wertete er die Demokratie uneingeschränkt positiv, doch trotz der USA-Erfahrung blieb er der pluralistischen Demokratie gegenüber distanziert und favorisierte lange frühindustrielle Gesellschaftsmodelle, wie sie um 1945 von Teilen des Widerstandes, aber auch von Neoliberalen wie Wilhelm Röpke vertreten wurden.
Drittens transferierte Rothfels sein Verständnis von Geschichte in die durch ihn entscheidend beförderte Etablierung eines Teilgebietes „Zeitgeschichte”. Eckel zeigt überzeugend, dass Rothfels’ historiographisches Grundmuster darin bestand, gegenwärtige Konstellationen in die Vergangenheit zu projizieren. Die „Erlebnisgemeinschaft” war für ihn Voraussetzung für historische Wissenschaft. Seine berühmte Bestimmung der Zeitgeschichte rekurrierte deshalb nicht nur auf die äußere Konstellation der bipolaren Welt, die er 1917 beginnen ließ, sondern auch auf eine methodische Besonderheit, auf das, was er die „Epoche der Mitlebenden” nannte.
In dieser methodischen Bestimmung steckt mehr an theoretischer Herausforderung (und an politischer Deutung), als es eine auf positivistische Faktensammlung ausgerichtete Zeitgeschichte, wie sie heute weit verbreitet ist, wahrhaben will. Die „Erlebnisgemeinschaft”, die Rothfels geprägt hatte und der er sich als Mitlebender zugerechnet hatte, erschöpft sich nicht in der Jagd nach alten Zeitzeugen à la Guido Knopp, sondern fragt nach den politischen Grundierungen der Historiker, ohne politisierte Geschichtsschreibung zu werden. Rothfels’ Erlebnishorizont verlor seit den späten sechziger Jahren rapide an Prägungskraft für die Geschichtswissenschaft. Das Feld besetzten damals Jüngere, die in den Krisenzeiten von Weimar und Nationalsozialismus groß geworden waren. Diese Spannung zwischen einer methodischen Bestimmung als Erfahrungsverarbeitung und der Periodisierung politischer Konstellationen theoretisch zu verarbeiten, ist für die bundesdeutsche Zeitgeschichte - nach wie vor - überfällig. Zumindest in diesem Punkt bleibt Rothfels aktuell.
MANFRED HETTLING
JAN ECKEL: Hans Rothfels. Eine intellektuelle Biographie im 20. Jahrhundert. Wallstein Verlag, Göttingen 2005. 475 Seiten, 42 Euro.
INGO HAAR, MICHAEL FAHLBUSCH (Hrsg.): German Scholars and Ethnic Cleansing, 1920-1945. Berghahn Books, New York 2005. 298 S., ca. 22 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Ein Buch ohne Publikum, fürchtet Volker Ullrich, könnte Jan Eckels Biografie über den Zeithistoriker Hans Rothfels bleiben. Eckel arbeite zwar sehr scharf das "intellektuelle Profil" des Historikers heraus, vergesse dabei jedoch, auch auf die Erzählbarkeit zu achten. Rothfels bleibe als Person, als Mensch "blass". Auch Eckels Schreibstil überhaupt wird kritisiert. Von dem "imponierhaften Jargon" fühlte sich der Rezensent spürbar abgestoßen, die "bombastische Einleitung" machte es nicht besser, und auch dass der Autor "mit seinem wissenschaftlichen Handwerkszeug ... klappert", geht Ullrich tüchtig auf die Nerven. Dafür schildere Eckel in gelungener Weise, wie Rothfels, jüdischer Antidemokrat, von den Auswüchsen der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft kalt erwischt und schließlich ins Exil getrieben wurde, um nach den Krieg zu einer Integrationsfigur der Zunft zu avancieren. Die eigentliche "Leistung" dieser Biografie besteht für den Rezensenten aber in der Klarstellung, dass die Geschichtsschreibung für Rothfels primär ein Mittel zur "Verarbeitung gegenwärtiger Erfahrungen und Konstellationen" war.

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