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Wir alle haben schon gespendet. Doch geht es uns dabei wirklich um die Hilfe für andere? Oder wollen wir eher unser Gewissen beruhigen, ein wohliges Gefühl verspüren oder spendabel wirken? Millionäre lassen Kunstmuseen errichten, statt Verhungernden zu helfen, und Normalbürger geben Beträge, die nicht einmal die Bearbeitungsgebühren decken. Wer dagegen so viel Gutes wie möglich tun will, sollte besser auf seinen Verstand hören als auf seinen Bauch. Diese simple Idee ist Ausgangspunkt einer neuen sozialen Bewegung - des effektiven Altruismus.Peter Singer, einer ihrer Gründerväter, zeigt in…mehr

Produktbeschreibung
Wir alle haben schon gespendet. Doch geht es uns dabei wirklich um die Hilfe für andere? Oder wollen wir eher unser Gewissen beruhigen, ein wohliges Gefühl verspüren oder spendabel wirken? Millionäre lassen Kunstmuseen errichten, statt Verhungernden zu helfen, und Normalbürger geben Beträge, die nicht einmal die Bearbeitungsgebühren decken. Wer dagegen so viel Gutes wie möglich tun will, sollte besser auf seinen Verstand hören als auf seinen Bauch. Diese simple Idee ist Ausgangspunkt einer neuen sozialen Bewegung - des effektiven Altruismus.Peter Singer, einer ihrer Gründerväter, zeigt in seinem Buch, wie effektives Spenden möglich und warum es richtig ist. Gestützt auf harte Fakten und neue wissenschaftliche Methoden, können wir heute in vielen Fällen sagen, welcher gute Zweck der bessere ist. Gleiches gilt für die Wahl der Mittel: Auch hier orientieren sich effektive Altruisten daran, was den größten Nutzen verspricht. Um mehr spenden zu können, beschränken sich manche von ihnen auf das Allernötigste, andere geben gar freiwillig einen Teil ihrer selbst, etwa eine Niere. Effektive Altruisten sind aber weder Heilige noch Masochisten: Man darf sie sich als glückliche Menschen vorstellen.Singers Buch ist ein Aufruf zu einem in doppelter Hinsicht gelungenen Leben: Indem man für andere das Bestmögliche tut, gibt man dem eigenen Leben Sinn.
Autorenporträt
Singer, PeterPeter Singer, geboren 1946, ist Ira W. DeCamp Professor of Bioethics am University Center for Human Values der Princeton University sowie Laureate Professor an der School of Historical and Philosophical Studies der University of Melbourne. Er ist einer der zentralen Vordenker der internationalen Tierrechtsbewegung und gilt als der bekannteste und umstrittenste Moralphilosoph der Welt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.05.2016

Glück ist eine Kosten-Nutzen-Kalkulation
Mit wie viel Geld kann man wo am meisten helfen? Der Philosoph Peter Singer erklärt, was "Effektiver Altruismus" sein soll

Vielleicht muss eine Idee nicht nur richtig sein, um in dem Gewusel von Vorstellungen und Theorien aufzufallen und die Blicke derer auf sich zu ziehen, die in Hinblick auf das Leben nicht genau wissen, wie, wohin und warum. Schön und attraktiv ist eine Idee, wenn sie wie das Leben ausschaut, wie es gerade zu sein scheint und wie es sein müsste, wenn es gut sei und gelänge, wobei keiner genau und für alle und definitiv sagen kann, wie es am besten zu bewältigen sei, nur dass es einem eben jetzt gut, richtig und schön zu werden scheint, da die Idee vor einem auftaucht, und dann zieht sie all jene mit sich, die sich davon Sinn und Erfüllung durch Erkenntnis und Handeln versprechen.

So ein Gedanke, mit dem und in dem sich leben lässt, so cool, smart und rational, wie zu werden und zu sein einem in den Zentren der reichen Nationen zugefallen ist und gefällt, ist der effektive Altruismus.

Fünf Jahrzehnte brauchte das jugendliche moralische Bewusstsein im wissenschaftlich-technischen Westen, um sich vom Wortschatz und vom Altruismus der Revolutionen zu lösen und sich auf die neuen Ressourcen und Möglichkeiten zu besinnen: Informationen sammeln, Geld verdienen, Netzwerke einrichten, mit denen den Armen weltweit besser zu helfen sein könnte als mit der Kritik der politischen Ökonomie. Statt sich damit zu beschäftigen, ob und wie sich eine Wirtschaftsform verändern ließe, überlegen effektive Altruisten, wie und wo sie am meisten Geld verdienen können, um dann umso mehr davon zu spenden, was nicht heißt, einen Feind, das Kapital, die Kapitalisten, den Profit, mit den eigenen Waffen schlagen zu wollen, weil es einen Feind nicht mehr gibt.

Auch der Philosoph Peter Singer, dem die Tiere einmal ein Denkmal errichten werden, bekennt sich zu dieser neuen, effizienten Form der Philanthropie. Kein Leid ist zu weit weg, um es nicht unter das Kalkül einer humanitären Kosten-Nutzen-Analyse zu bringen, die jeder, der Gutes tun möchte, anwenden sollte, damit Gutes nachweislich geschieht. Singer spendet regelmäßig einen Teil seines Gehalts für ausgewählte Zwecke in Ländern, von denen er so spricht, als seien sie in ihrer Entwicklung aus theoretisch unerfindlichen oder praktisch zu vernachlässigenden Gründen zurückgeblieben und müssten nun bei der Lösung ihrer Probleme, Hunger, Krankheit, Durst, Obdachlosigkeit, von jenen unterstützt werden, die in Nationen mit großem Wohlstand leben.

Wer sich jetzt als effektiver Altruist, von der Schweiz bis Australien, von Deutschland bis in die Vereinigten Staaten, aufmacht, sich im Verzicht zu üben und anderen mit Gaben zu helfen, der tut das nicht vor allem, weil er sein Gewissen beruhigen möchte, er sieht sich nicht unbedingt als Nutznießer einer Ordnung, die Armut und Reichtum produziert. So viel Theorie braucht heute keiner, der nicht nur reden, sondern handeln möchte.

Der effektive Altruist folgt der historisch und ideell etwas aseptischen, aber deshalb umso sachdienlicheren Einsicht, dass sich ein moralisch zu rechtfertigendes Leben in einem System von Überfluss und Mangel nur führen lässt, wenn er möglichst viel und sinnvoll Gutes tut, und zwar überall. Er muss nicht wissen, warum es in bestimmten Gegenden nicht regnet und nicht regnen wird, wenn er den Leuten helfen möchte, die dort verdursten, und er wird seine Zeit und seine Kräfte nicht damit vergeuden herauszufinden, was Geld ist, wenn er mit Geld verhindern kann, dass sich Krankheiten ausbreiten.

Das Motiv, warum einer sich dafür entscheidet, effektiver Altruist zu werden, liegt nicht notwendigerweise darin, dass er Mitleid mit den Armen hat. Auch effektive Egoisten lassen sich rühren. Peter Singer zieht Altruismus, etwas für andere tun, und Utilitarismus, dass das Wohlbefinden aller einen Maßstab für Handlungen hergeben soll, zusammen, damit die Empfindsamkeit für die Welt ein Ziel hat, das sich rational im Hinblick auf einen zu erreichenden Nutzen rechtfertigen lässt.

Ein individuelles Gefühl, Empörung, Traurigkeit, Liebe, wird zum Mittel und dient auf diese Weise einem allgemeinen guten Zweck. Wie der Christ muss auch der effektive Altruist zur Empathie mit anderen Lebewesen fähig sein, sonst würde er aus der Höhle des Ichs und des Vorteils nicht herausfinden. Es zahlt sich aus, zu geben: Das eigene moralische Glück lässt sich maximieren, indem das mangelhafte Glück der anderen gefördert wird. Der Egoismus der effektiven Altruisten findet seine Erfüllung im utilitaristisch klugen Verzichten.

Die Idee vom größtmöglichen Glück aller und von der größtmöglichen Leidensminderung für alle empfindsamen Lebewesen soll Altruisten dazu anhalten, effektiv zu sein, das heißt herauszufinden, zu analysieren, zu berechnen und zu kontrollieren, mit wie viel Geld sie wo und wie am besten helfen können. Wahllos hier und dort zu spenden beleidigt den Verstand, der dafür da zu sein scheint, dass er Zwecke und Gründe für Mittel und Entscheidungen sucht. Die alltäglich bewiesene Cleverness besteht beim Geben wie beim Nehmen darin, sich intellektuell erfolgreich zurechtzufinden, Einsatz und Ertrag in ein gewinnbringendes Verhältnis zu setzen.

Die Art des Wissens, das sich einer bei der Abwicklung von Geschäften in den Zentren des nationalen Wohlstands angeeignet hat und vorteilhaft einzusetzen versteht, kann ihm dabei helfen, einen Teil des erwirtschafteten Reichtums in die armen Regionen der Welt zu schaffen. Wie jede Bewegung des sozialen Wandels durch moralische Irritation und ethische Ideale setzt auch der effektive Altruismus seine Hoffnung darauf, dass immer mehr Menschen sich ihm anschließen werden, weil sie an ihre allgemeine Verantwortung für das Unheil auf der Welt glauben. Sie gehen nicht davon aus, dass sie einer bestimmten Tat für schuldig befunden worden sind.

Von seiner ideellen Architektur her gesehen gleicht diese junge Gruppenaktion einer Art Operationszentrum in wohlhabenden Nationen, ein moderner gläserner Bau, in dem die Verschickung von Gaben in die Dritte Welt geplant, organisiert und vorangetrieben wird, bis die ungerechte Verteilung des Glücks auf der ganzen Welt durch die Summe der Handlungen derjenigen, die glücklicher sind, so weit korrigiert worden ist, dass die Moral der einen und das Leben der anderen in einem stabilen Gleichgewicht sind. Der Einwand, dass es moralisch besser sein könnte, die Mitarbeit in Firmen aufzukündigen, die für die Armut anderswo unmittelbar verantwortlich sind, wird mit dem Hinweis erledigt, andere ständen bereit, die frei werdende Stelle zu übernehmen, hätten aber nicht die Absicht, das auf diese Weise verdiente Geld teilweise zu spenden.

Wer ein effektiver Altruist werden möchte, muss keine Angst davor haben, sich selbst verleugnen zu müssen. Keiner zwingt ihn, zum Wohl vieler etwas zu tun, das ihm zuwider wäre. Er soll aus Überzeugung handeln, und wenn er eingesehen hat, dass der Sinn seines Lebens auch und vor allem darin bestehen kann, Gutes zu tun, ohne selbst darunter leiden zu müssen, dann wird er die Gelegenheit zur moralischen Selbstvervollkommnung und Verbesserung der Welt ergreifen. Wichtig ist dabei nur, dass er sich seiner Sache sicher ist. Hier soll ihm die Kosten-Nutzen-Analyse des Utilitarismus hilfreich zur Seite stehen, eine Art unternehmerische Rationalität der Moral, die dazu dient, herauszufinden, wo sich was mit den größten Gewinnerwartungen investieren lässt. Er kann jetzt mit sich zufrieden sein, er hat sich nach besten Kräften kundig gemacht und aus den Informationen nach besten Kräften einen rationalen Schluss gezogen.

Ein beliebtes Reflexionsmodell des moralisch kalkulierenden Verstandes sind das Fallbeispiel und das Gedankenexperiment, die Hochrechnung der Folgen von Absichten und Handlungen, die vergleichende Engführung von Werten und Optionen. Ist es im Hinblick auf die Förderung des allgemeinen Wohlbefindens besser, fragt Singer, Geld für den Anbau eines Kunstmuseums auszugeben oder damit ein zur Blindheit führendes Augenleiden von tausend Menschen in den Entwicklungsländern zu heilen? Jedem, dem es wichtig ist, ökologisch gut und gerecht zu handeln, sind solche Einzelfallberechnungen und Schadenbegrenzungen beim Kauf von Bananen, Smartphones, Kleidung und bei Fahrten mit Auto, Bahn, Flugzeug bekannt. Das global bewusst geführte westliche Leben zerfällt in Handlungen, die vorab daraufhin untersucht werden, inwiefern sie gegenwärtiges oder zukünftiges nahes oder fernes Glück im errechneten oder prognostizierten Durchschnitt minimieren, erhalten oder fördern.

Das überlegte Verzichten liegt nahe beim bewussten Genießen. Die Klammer, die beide Tugenden eines um kritische Warenanalyse und den moralischen Mehrwert des eigenen Glücksstrebens bemühten Marktteilnehmers zusammenhält, ist die Kontrolle über sich selbst, größte hedonistische Dehnung des urbanen Ichs auf moralisch engstem Raum, eine im Hinblick auf Glück und Gerechtigkeit jeweils erstellte Bilanz von Geben und Nehmen. Effektive Altruisten sind keine Heiligen, Märtyrer oder Asketen, sie müssen auch keine radikalen Aussteiger, Verweigerer oder Nonkonformisten sein, die der Gesellschaft, in der sie leben, den Rücken kehren, sie bekämpfen oder sich zu alternativen Lebensformen im sozialen Abseits zusammenfinden.

Die Biographien, die Singer erzählt, lassen vermuten, dass es sich um Menschen handelt, die wissen wollen, was sie hier und jetzt tun und tun sollen, die sich Gedanken darüber machen, wie sich ein vernünftig zu rechtfertigendes Leben auf der Grundlage all der erreichbaren Informationen über den Zustand der Welt und das Leid von Menschen führen lässt, und die sich dabei vielleicht manchmal doch zu überfordern scheinen, so wie einer, der nicht körperlich arbeiten muss, in seinem Drang, sich fit und gesund zu halten, vielleicht zu viel trainiert, zu eifrig und verbissen an seinem Programm zur Ertüchtigung festhält. Singer sagt, dass es für effektive Altruisten kein Ideal gebe, das sie erreichen müssten, sondern nur Schritte auf einem Weg, der zum Guten führt, so dass jeder das tun sollte, was er zu tun vermag, was ein wenig so aussieht wie: junge Leute, auf Laufbändern, konzentriert, lächelnd, hinter Glas, den Blick auf den Bildschirm vor ihnen, das Beste wollend.

EBERHARD RATHGEB

Peter Singer: "Effektiver Altruismus. Eine Anleitung zum ethischen Leben". Aus dem Englischen von Jan-Erik Strasser. Suhrkamp, 240 Seiten, 24,95 Euro

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Michael Pawlik rauft sich die Haare. Dass der australische Moralphilosoph all jenen, die sich nicht grenzenloser Aufopferung verschreiben, um damit Schlimmeres zu verhindern, moralisches Unrecht attestiert, findet der Kritiker eindimensional und "schlicht". Peter Singers Auffassung, man dürfe keineswegs zwischen Menschen der eigenen Solidargemeinschaften und jenen, die weiter weg leben, einer anderen Religion oder Spezies angehören unterscheiden, setzt der Kritiker entgegen, dass der Autor hier jegliche Formen von Leistungs-Gegenleistungs-Beziehungen außer Acht lasse. Und wenn Singer schließlich Auschwitz-Aufsehern bescheinigt, sich nicht falsch verhalten zu haben, da andere sonst die mörderischen Aufgaben übernommen hätten, kommt der Rezensent nicht umhin dem Autor ein "moralisches und intellektuelles Armutszeugnis" auszustellen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.12.2021

„Wir müssen
priorisieren“
Uneigennützigkeit allein reicht dem
australischen Moralphilosophen Peter Singer
nicht. Ein Gespräch über das richtige Spenden
und seine Idee des „effektiven Altruismus“
VON NIKLAS ELSENBRUCH
Auf dem Tisch hinter Peter Singer liegt bei der Videoschalte in seinem Büro in Princeton ein schwarzer Fahrradhelm. Der 75-Jährige scheint einfach nicht zu ermüden: 1975 erschien mit „Die Befreiung der Tiere“ sein moderner Klassiker der Tierethik. Später folgten heftige Diskussionen um seine Positionen zum Lebenswert von Embryonen und Neugeborenen mit Behinderung. 2015 präsentierte der Australier mit dem nun neu aufgelegten Buch „Effektiver Altruismus“ dann einen philanthropischen Ansatz, der wohltätige Organisationen gezielt nach ihrer Wirksamkeit bewertet und soziales Engagement daran ausrichtet. Daraus ist inzwischen eine globale Bewegung entstanden. Wie sieht Peter Singer den effektiven Altruismus heute? Was entgegnet er seinen Kritikern? Und welche Visionen hegt er für die Zukunft?
SZ: Im September gewannen Sie den mit einer Million Dollar dotierten Berggruen-Preis für Philosophie, unter anderem für Ihre Arbeit zum effektiven Altruismus. Was muss man sich denn unter „effektivem“ Altruismus, also wirksamer Uneigennützigkeit vorstellen?
Peter Singer: Altruisten, uneigennützig handelnde Menschen, gab es schon immer. Das Besondere an effektiven Altruisten ist, dass sie sich vorab darüber informieren, was die beste Verwendung ihrer Ressourcen wäre. Eine durchschnittliche, wohlmeinende Organisation kann Hunderte Male weniger effektiv sein als die beste auf demselben Feld.
Nach welchen Kriterien lässt sich die Effektivität von Altruismus bewerten?
Das hängt natürlich auch davon ab, was man wertschätzt. Der effektive Altruismus ist eine Bewegung von Menschen mit verschiedenen Werten. Einig sind sie sich grundsätzlich darin, dass das Vermeiden von Leid wichtig ist und frühzeitiger Tod schlecht. Effektivität bedeutet dann zum Beispiel: Wie viel Geld benötigt eine Organisation, um mit einer bestimmten Maßnahme ein Leben zu retten?
Warum reicht es denn heute nicht mehr, einfach normaler Altruist zu sein?
Weil die Möglichkeiten, die wir haben, uns zu engagieren, so vielfältig geworden sind. Wir haben viele Probleme, unter denen wir priorisieren müssen, etwa globale Armut und den Klimawandel. Deshalb ist es wichtig, dass Meta-Organisationen die Effektivität altruistischer Organisationen in verschiedenen Bereichen recherchieren und ihre Ergebnisse über das Internet zugänglich machen.
Die Corona-Pandemie erwähnen Sie in der Neuauflage des Buchs nicht. Verursacht sie nicht genügend Leid?
Nun, die Pandemie ist eine ernste Sache. Aber so schlimm sie auch ist: Der Klimawandel oder extreme Armut sind viel größere globale Probleme. Damit kann man die Pandemie nicht vergleichen, zumindest bislang nicht.
Was wäre das wichtigste Engagement gegen die Pandemie?
In den wohlhabenden Ländern übernehmen Regierungen und Privatunternehmen viele Aufgaben, die sonst der Philanthropie zukämen. Natürlich kaufen manche Privatleute zusätzlich für Ältere ein oder so etwas. Aber einen wirklich dramatischen Unterschied macht unsere Hilfe in einkommensschwachen Ländern. Die Organisation Development Media International etwa nutzt dort Radioprogramme, um Menschen auf dem Land darin zu beraten, wie man Infektionen vorbeugt, erkennt und behandeln kann. Das ist häufig deren einzige Nachrichtenquelle.
Und darüber hinaus?
Die Versorgung einkommensschwacher Länder mit Impfstoff. Hier brauchen wir zivilgesellschaftliche Organisationen, die unseren Regierungen Beine machen.
Angenommen, jemand möchte noch heute zum effektiven Altruisten werden – was raten Sie der Person?
Das hängt von der individuellen Situation ab. Manche Menschen haben Geld, das sie spenden können. Denen rate ich, unter den effektiven Organisationen auf der Webseite meiner Organisation The Life You Can Save eine oder mehrere auszuwählen. Wer kein Geld, aber Zeit hat, könnte sich bei diesen Organisationen oder auch politisch für wichtige Zwecke engagieren.
Das Motto des effektiven Altruismus lautet: „So viel Gutes tun wie möglich“. Sollte man sich wirklich komplett verausgaben, um anderen zu helfen?
Das wäre die letzte Konsequenz. Aber die Bewegung des effektiven Altruismus muss die Effektivität ihrer eigenen Forderungen berücksichtigen. Wenn die Hälfte der Weltbevölkerung mitmacht und zehn Prozent von dem tut, was sie sollte, ist das besser, als wenn nur ein Prozent dabei ist und sich verausgabt. Also stellen wir keine überzogenen Ansprüche. Jeder soll mit einem für ihn oder sie machbaren Engagement anfangen. Wir erwarten nicht, dass Menschen zu Heiligen werden.
Der effektive Altruismus will das Wohlbefinden auf der Welt insgesamt steigern. Reduziert das nicht die Individuen auf Summanden in einer großen Gleichung?
Ich denke nicht. Ja, man stellt Gleichungen auf. Aber im Universum schwebt kein abstraktes Wohlbefinden herum, das unabhängig von den Individuen wäre. Es ist deren Wohlbefinden, das wir steigern wollen.
Wenn jedem Individuum ein absoluter Wert zukommt, wie kann man dann entscheiden, ob man mit demselben Geld einen Menschen von einer Krankheit heilt oder fünf andere?
Der absolute Wert des Individuums scheint mir eine deutsche Idee zu sein, vielleicht im Anschluss an Kant. Für mich ergibt das keinen Sinn. Nehmen Sie die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, dass man ein gekapertes Flugzeug nicht abschießen darf, das auf eine Veranstaltungshalle zufliegt – obwohl die Insassen in wenigen Minuten ohnehin sterben werden. Aus meiner Sicht ist das verrückt.
Menschliche Individuen sind in ihrem Wert also zueinander relativ?
Ja, ich denke schon. Wenn in einer großen Gruppe alle Menschen jeweils absoluten Wert haben, muss es doch einen Unterschied machen, dass sie gegenüber einer Einzelperson in der Mehrzahl sind. Die Idee des absoluten Wertes leugnet die Relevanz von Zahlen.
Sie nehmen uns gegenüber Menschen in fernen Ländern genauso in die Verantwortung wie gegenüber unseren direkten Mitbürgern. Ich kann mir ausrechnen, dass ich mit dem Geld, das einem Hungernden vor meiner Haustür hilft, drei Menschen anderswo sättigen könnte. Soll ich ihn also ignorieren?
Wenn Sie sicher sein können, dass das Geld den anderen Menschen in derselben Weise zugutekommt: ja. Ich will nicht leugnen, dass das emotional schwierig wäre. Ich würde niemanden verurteilen, der einem Hungernden vor der eigenen Haustür hilft, das ist eine menschliche Reaktion, die wir normalerweise rühmen. Aber besser wäre es, den anderen zu helfen.
Was raten Sie jemandem, der Dichter werden will?
Hin und wieder hat jemand eine solche Begabung, dass seine Lyrik weithin gelesen wird und Menschen bewegen kann. Aber darauf kommen Hunderte andere, deren Versuche weniger gelungen sind und in Heftchen mit 50 Lesern enden. In diesen Fällen wäre es wahrscheinlich besser, die eigenen Fähigkeiten für etwas Anderes einzusetzen. Meinen Philosophiestudenten sage ich übrigens ganz Ähnliches.
Seit Jahrzehnten machen Sie sich für Tierrechte stark. Spielen diese im effektiven Altruismus auch eine Rolle?
Die meisten Tiere empfinden Leid. Der effektive Altruismus will Leid im Allgemeinen mindern und setzt sich auch für Tiere ein. Animal Charity Evaluators empfiehlt Tierschutzorganisationen. Diese kümmern sich weniger um Haustiere, sondern engagieren sich gegen die Massentierhaltung, denn sie fügt Tieren das meiste Leid zu. Tierschutz ist ein wichtiges Gebiet des effektiven Altruismus.
Wie wägen Sie tierisches und menschliches Leben gegeneinander ab?
Das ist eine schwierige Frage, auf die ich keine gute Antwort habe. Soll man zehntausend Hühner oder einen Menschen retten? Wo hilft ein Dollar am meisten? Ich glaube, nach unserem gegenwärtigen Wissensstand kann man diesen Vergleich nicht ziehen. Die Entscheidungen haben hier ein subjektives Element. Ich persönlich spende sowohl an Organisationen, die Menschen in extremer Armut helfen, als auch an solche, die sich für Tiere einsetzen.
Welche Entwicklungen beobachten Sie in den vergangenen Jahren auf dem Gebiet des effektiven Altruismus?
Die Bewegung erhält mehr finanzielle Mittel, besonders durch Spenden wohlhabender Menschen – etwa über die Organisation Open Philanthropy, die in verschiedene Bereiche investiert: gegen globale Armut, Klimawandel und die Auslöschung der Menschheit durch Pandemien oder Atomkriege, aber auch für Tierschutz und Reformen des amerikanischen Justizsystems.
Selbst in mittelgroßen deutschen Städten finden sich längst Organisationen, die für effektiven Altruismus eintreten. Sind sie Teil einer koordinierten Bewegung?
Viele führen den Begriff im Namen. In jedem Fall hilft es, sich zusammenzutun, das ermutigt die Einzelnen.
Kann ihre Idee von einem Prinzip individueller Wohltätigkeit zu einem Prinzip institutioneller Politik avancieren, etwa in der Entwicklungszusammenarbeit?
Ja, das ist möglich. Unter Obama habe ich die US Agency for International Development dabei beraten, wie sie ihre Effektivität steigern kann. Auch die britische Behörde für Entwicklungszusammenarbeit ist sehr bewandert auf dem Gebiet und steht mit Teilen der Bewegung im Austausch.
Was ist Ihre Vision für die Zukunft des effektiven Altruismus?
Wir haben schon große Fortschritte erzielt. Trotzdem gehen allein in den USA noch 90 Prozent aller Spenden an Organisationen, die nur im Inland arbeiten. Das hat mit Effektivität wenig zu tun. Hier möchte ich eine Veränderung sehen. Auch in Europa haben wir noch einen weiten Weg vor uns.
„Jeder soll mit
einem machbaren
Engagement anfangen.“
„Der absolute Wert des
Individuums scheint mir
eine deutsche Idee zu sein.“
Peter Singer, geboren 1946 in Melbourne, lehrt seit 1999 Bioethik an der Princeton University. Rund ein Drittel ihres Einkommens spenden Singer und seine Frau Renata an besonders effektive wohltätige Organisationen. Imago
„Tierschutz ist ein wichtiges Gebiet des effektiven Altruismus.“ – Huhn in Massentierhaltung.
Foto: Andreas Gebert/dpa
Peter Singer:
Effektiver Altruismus.
Eine Anleitung zum
ethischen Leben.
Aus dem Englischen von Jan-Erik Strasser.
Suhrkamp, Berlin 2021.
237 Seiten, 18 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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»Peter Singers Argument ist kraftvoll, provokant - und im Prinzip richtig. Die Welt wäre ein besserer Ort, wenn wir das Spenden ebenso wichtig nähmen wie das Geldverdienen.«
The New York Times 29.12.2015