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Ernst Halters grosse Auswahl der Gedichte Erika Burkarts stellt exemplarisch das jahrzehntelange lyrische Schaffen der Dichterin vor, deren Entwicklung dem gängigen Muster - Aufbruch ins Ungewohnte, neuartige Diktion, Konsolidierung, Reife, Abgeklärtheit, Rückzug - widerspricht: Sie geht genau den umgekehrten Weg. «Lies beide Seiten» wird das Motto ihres Schreibens. Es berichtet von erhoffter Transzendenz des lebendigen Hier in ein uns nicht erkennbares, geahntes Dort, wo sich ein Sinn finden könnte. Wir leben auf einer planen Fläche und sind nichts als das Spiegelbild des Mysteriums unserer…mehr

Produktbeschreibung
Ernst Halters grosse Auswahl der Gedichte Erika Burkarts stellt exemplarisch das jahrzehntelange lyrische Schaffen der Dichterin vor, deren Entwicklung dem gängigen Muster - Aufbruch ins Ungewohnte, neuartige Diktion, Konsolidierung, Reife, Abgeklärtheit, Rückzug - widerspricht: Sie geht genau den umgekehrten Weg. «Lies beide Seiten» wird das Motto ihres Schreibens. Es berichtet von erhoffter Transzendenz des lebendigen Hier in ein uns nicht erkennbares, geahntes Dort, wo sich ein Sinn finden könnte. Wir leben auf einer planen Fläche und sind nichts als das Spiegelbild des Mysteriums unserer eigenen Existenz, das unseren Blicken undurchdringlich bleibt.Ihre grossen Gedichte sind Spiegelschrift.Wider den Tod entwickelt die Dichterin zuletzt ihr revolutionäres Profil: Fragmente, harte Kontraste, blitzhafte Visionen, Proteste, Rufe, Klagen, Beschwörungen - in alltäglicher Diktion. «Gott allpräsent in seiner Absenz? Wir wissen gar nichts. Unvorstellbar eine gottlose Welt. Wir lebenvon etwas, an das wir uns wider jede Wahrscheinlichkeit seines Seins klammern als an die letzte Hoffnung.»
Autorenporträt
Erika Burkart, 1922 in Aarau geboren. Für ihr Werk wurde sie mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, so mit dem ConradFerdinand-Meyer-Preis, dem Johann-Peter-Hebel Preis, dem Gottfried-Keller-Preis, dem Joseph Breitbach-Preis der Akademie der Wissenschaften und Literatur, Mainz, und dem Grossen Schillerpreis der Schweizerischen Eidgenossenschaft, den sie als erste Frau überhaupt erhielt. Sie starb im April 2010. Im Limmat Verlag sind ihre letzten Aufzeichnungen «Am Fenster, wo die Nacht einbricht» lieferbar.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.06.2022

Die Mücke im Aug
Erika Burkarts Lyrik in großer Auswahl

"Im Wasser geschlafen, / nach Luft gerungen, / ins Feuer gesprungen, / heimgekehrt in die Erde." Knapper als mit diesem Vier-Elemente-Vierzeiler unter dem Titel "Biographie" kann man ein Menschenleben kaum fassen. Das Gedicht schrieb die vor hundert Jahren in Aarau geborene Erika Burkart. Sie war eine der wichtigsten Lyrikerinnen der Schweiz. Im April 2010 ist sie "heimgekehrt in die Erde". Hinterlassen hat sie neunzehn Gedichtbände, aus denen jetzt eine "große Auswahl" vorliegt. Sie enthält auch die beiden in der "Frankfurter Anthologie" interpretierten Texte "Flocke um Flocke" und "Vita".

In Burkarts lyrischer "Welt der Bilder und Gefühle", wie Peter von Matt das Werk einmal charakterisierte, nehmen Tiere und Pflanzen aus ihrer nächsten Lebensumgebung besonders viel Raum ein. Die Kategorie Naturlyrik greift indes zu kurz, selbst wenn die Anfänge in den Fünfzigern eine Orientierung an Gedichten Annette von Droste-Hülshoffs nicht verbergen. Für den Zusammenhang von Poesie und Ökologie, der augenblicklich große Aufmerksamkeit erfährt, hat Burkart viel zu bieten. Dabei geht es nach Ernst Haeckels Definition von 1866 um alle - oft schädlichen - "Beziehungen des Organismus zur umgebenden Außenwelt". Über Störungen des biologischen Gleichgewichts im technischen Zeitalter denkt Burkart immer wieder nach. Ein Titel wie "Homo faber" lässt das auch unmittelbar erwarten. Da steht ein Mann in der Landschaft, von dem man nicht wissen kann, was er im Schilde führt. Plant er eine Schnellstraße, einen Modellflugplatz, eine Mülldeponie, einen Hundedressurplatz, einen Wanderweg? Oder blieb er einfach nur stehen, "weil ihm eine Mücke ins Aug flog"?

Von solch fragender Skepsis des lyrischen Ichs sind etliche Texte erfüllt. In "Auf einen Nussbaum" ist anfänglich keine Katastrophe zu erwarten, der Baum ist fruchtbar, bietet in Fülle "doppelt verschalt die hirnweißen Kerne", der gute Ertrag scheint Schutz zu garantieren. Doch dann: "Ein Bauer hat ihn erschlagen / zwecks Gewinnung zusätzlichen Nutzlands. / Sein Tod und seine Absenz sind mir dauernder Schmerz." Das innige Verhältnis zu Bäumen spielt in vielen Gedichten eine Rolle: "Mein Nächster", so ein Titel, kann ein Hase, Käfer oder Vogel sein; noch besser aber ein Baum, der seit der Kindheit von Jahr zu Jahr im Frühjahr sprießt und sich im Herbst entblättert - "Bis uns der Himmel den Schneeschleier zuwirft, / teilen wir Armut und Trauer."

Für die Fragilität und Verletzbarkeit der Natur zeigt Burkart hohe Sensibilität. Im Gedicht "Meer" heißt es: "Die Erde ist wund; wir sind ihr Mund, / beklagen die eigene Schuld an ihr". Nicht nur der Mensch setzt ihr allerdings zu, Haeckels Verständnis der Ökologie umfasst schließlich jede Beziehung von Organismen untereinander. Verfall ist Teil aller Lebenszyklen, auch Bäume existieren nicht ewig. Dass Eichen uralt werden, weiß jeder, auch Linden mit ihrem weichen Holz können tausend Jahre überdauern. Der Sturm fällt sie nur häufiger, dann zeigen sie sich, wie im "Requiem für eine Linde", "Darniederliegend, verstümmelt / ein abgeasteter Rumpf". Den Ausgleich schafft im Gedicht ein "Mann, einen Baum pflanzend".

Burkart kennt "Die Bäume der Dichter", im gleichnamigen Gedicht erwähnt sie "Rilkes Pappel, Hölderlins Eichen, / die Nussbäume Werthers, / Joseph Roths Weiden im Sumpf." Davon unterschieden sind die "Rauchbäume Celans" über Auschwitz, ewige, länderweit sichtbare Mahner im Himmel. Nur wenige Texte des Bandes schlagen so jäh aus Naturkontexten ins Politische und Historische um. Erika Burkart hat es nicht nötig, ihre Gelehrtheit auszustellen, ab und zu blitzt sie aber diskret auf. Etwa, wenn sie in "Der erste Blick" auf Lichtenbergs Aphorismus aus einem "Sudelbuch" (E 454) anspielt, dem zufolge man "seinem Gefühl folgen und den ersten Eindruck, den eine Sache auf uns macht, zu Wort bringen" solle. Denn nur so gelinge, fährt das Gedicht fort, eine Erfassung des Ganzen aus den dunklen, unteren Vermögen. Dieser Idee einer intuitiven, vorreflexiven, elementar sinnlichen Erkenntnis der Welt - gleichsam am Grund der Seele, dem "Fundus animae", wie man zu Lichtenbergs Zeit sagte - scheint auch Burkarts Poetik tief verpflichtet zu sein. ALEXANDER KOSENINA

Erika Burkart: "Spiegelschrift". Gedichte - Die große Auswahl.

Hrsg. und Vorwort von Ernst Halter. Limmat Verlag, Zürich 2022. 333 S., geb., 39,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Alexander Kosenina freut sich über diese Auswahl mit Gedichten der Schweizer Lyrikerin Erika Burkart. Interessant für heutige Leser ist Burkart laut Kosenina u. a. durch ihre Themen und Motive, die sich mit der Gefährdung der Natur durch den Menschen befassen. Naturlyrik ist das für Kosenina nicht, auch wenn er die Droste-Hülshoff in den seit den 1950er Jahren entstandenen Texten noch hier und da heraushört. Erstaunlich scheint ihm Burkarts Feingefühl für die Verletzlichkeit der Natur und die Beziehungen der Lebewesen untereinander. Selten, dass die Dichterin politisch wird oder gelehrt, stellt Kosenina fest.

© Perlentaucher Medien GmbH