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Kein anderes Thema hat das Selbstbild der Polen nach 1989 so erschüttert wie ihr Verhältnis zu den Juden. Sie sahen sich als Helfer und Retter, aus keiner anderen Nation wurden in Yad Vashem so viele Menschen als "Gerechte unter den Völkern" geehrt. Doch spätestens seit der Debatte über das Massaker von Jedwabne steht fest: Auch Polen haben ihre jüdischen Mitbürger erpreßt, denunziert, ermordet. In den letzten 20 Jahren fand zwischen den "Unschuldsbesessenen" und jenen Polen, die sich den Schattenseiten der Vergangenheit stellen wollen, eine intensive Debatte statt, deren wichtigste Beiträge in diesem Band versammelt und kommentiert werden.…mehr

Produktbeschreibung
Kein anderes Thema hat das Selbstbild der Polen nach 1989 so erschüttert wie ihr Verhältnis zu den Juden. Sie sahen sich als Helfer und Retter, aus keiner anderen Nation wurden in Yad Vashem so viele Menschen als "Gerechte unter den Völkern" geehrt. Doch spätestens seit der Debatte über das Massaker von Jedwabne steht fest: Auch Polen haben ihre jüdischen Mitbürger erpreßt, denunziert, ermordet. In den letzten 20 Jahren fand zwischen den "Unschuldsbesessenen" und jenen Polen, die sich den Schattenseiten der Vergangenheit stellen wollen, eine intensive Debatte statt, deren wichtigste Beiträge in diesem Band versammelt und kommentiert werden.
Autorenporträt
Barbara Engelking leitet das Zentrum zur Erforschung des Holocaust an der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Warschau. Helga Hirsch, 1988-1994 Korrespondentin der Zeit in Warschau, ist Publizistin und Filmemacherin.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.03.2009

Auch das Kreuz kann Zeichen des Unfriedens sein
Ein kleines Kompendium der Geschichtspolitik: Der Sammelband „Unbequeme Wahrheiten. Polen und sein Verhältnis zu den Juden”
Neben der deutsch-polnischen Vergangenheit ist das Verhältnis der katholischen Mehrheit zur jüdischen Minderheit das zweite Thema, das an der Weichsel immer wieder für heftige Debatten sorgt. Wenn sich beide Themen überschneiden, wenn also das Dreieck Deutsche, Polen, Juden ausgeleuchtet wird, dann sind die Emotionen besonders stark. Den jüngsten dieser Debatten haben die beiden Publizistinnen Barbara Engelking und Helga Hirsch, die eine in Warschau, die andere in Berlin beheimatet, einen Sammelband mit dem programmatischen Titel „Unbequeme Wahrheiten” gewidmet.
Das Buch enthält in kluger Auswahl zwei Dutzend repräsentative Essays aus der polnischen Presse von links bis rechts. Die Beiträge sind überwiegend in den letzten beiden Jahrzehnten erschienen, also seit der Wiedererlangung der polnischen Unabhängigkeit und somit auch dem Ende der Parteizensur. Sie setzen sich mit einer für das Selbstverständnis der Nation elementaren Frage auseinander: Wo sind die katholischen Polen während des Zweiten Weltkrieges zwischen den deutschen Tätern und den jüdischen Opfern zu verorten?
Hintergrund der ersten von insgesamt vier großen Debatten war der Warschauer Aufstand im Spätsommer 1944. Der junge Historiker Michal Cichy hatte zum 50. Jahrestag in der linksliberalen Gazeta Wyborcza eine Reihe von Dokumenten veröffentlicht, denen zufolge Angehörige der polnischen Untergrundarmee Überlebende des Aufstandes im jüdischen Ghetto vom Frühjahr 1943 ermordet hatten. Damit löste Cichy einen Sturm der Entrüstung aus, stellt doch der Warschauer Aufstand das wichtigste Kapitel im Selbstbild der Nationalpatrioten als „Volk der Helden und Opfer” dar. Sein Text wurde als Sakrileg attackiert, er habe die Ehre der Nation besudelt. Cichy, damals gerade 27 Jahre alt, war über die Wucht der Angriffe von rechts so erschrocken, dass er fortan nicht mehr zu dem Thema publizierte.
Die nächste Debatte lösten mehrere Hundert Holzkreuze aus, die polnische Nationalkatholiken auf einem Privatgrundstück unmittelbar neben dem Zaun des Arbeitslagers Auschwitz aufstellten, um an die von Deutschen in Auschwitz ermordeten katholischen Polen zu erinnern. Die Aktion warf die Frage nach der „Konkurrenz der Opfer” auf, die in immer wieder Polen für erregte Kontroversen sorgt: „Wem gehört Auschwitz?” Zu kommunistischer Zeit war verschwiegen worden, dass die überwältigende Mehrheit der Opfer mit polnischer Staatsangehörigkeit Juden waren. Polens Konservative und Nationalisten fürchten, dass mit der „vollständigen Vereinnahmung Auschwitz’” durch jüdische Organisationen das Schicksal der katholischen Polen unbeachtet bleibe.
Den Konflikt löste kein geringerer als Papst Johannes Paul II., für den die katholisch-jüdische Aussöhnung eines seiner zentralen Anliegen war: Er befand, das Kreuz dürfe kein „Zeichen des Unfriedens” sein. Die Kreuze wurden schließlich in einer feierlichen Prozession aus Auschwitz entfernt und auf Pfarreien in ganz Polen verteilt.
Nicht um Opfer, sondern um Täter unter den katholischen Polens kreisten die nächsten beiden Debatten, die beide der aus Warschau stammende amerikanische Politologe Jan Thomas Gross ausgelöst hat: Im Jahr 2000 erschien seine Darstellung des Pogroms von Jedwabne 1941, bei dem fast alle jüdische Einwohner des ostpolnischen Städtchens umkamen, die meisten verbrannten in einer Scheune. Die Debatte um polnische Schuld erstarb allerdings weitgehend, nachdem immer mehr Belege dafür gefunden wurden, dass in Jedwabne ein SS-Kommando die Einwohner aufgehetzt hatte, es sich also nicht um ein polnisches, sondern ein deutsch-polnisches Verbrechen handelte.
Dieser die Last der Schuld verringernde Verweis auf die deutschen Besatzer war bei Gross’ nächstemBuch, das 2008 unter dem Titel „Angst” erschien, nicht mehr möglich: Es behandelt die antisemitischen Ausschreitungen in den ersten beiden Nachkriegsjahren, denen mehrere Hundert Juden, meist Holocaust-Überlebende, zum Opfer fielen.
Der sorgfältig redigierte Sammelband verdeutlicht, dass in der Frage des polnisch-jüdischen Verhältnisses nach wie vor ein Riss durch die Gesellschaft geht. Er bezieht sich allerdings vor allem auf die Geschichte und weniger auf die Gegenwart. Heute vertreten nur noch marginale Gruppierungen offen antisemitische Positionen. Die Kaczynski-Zwillinge, die führenden Köpfe des nationalkonservativen Lagers, verdammen Antisemitismus entschieden. Zu den wichtigsten Elementen ihrer Geschichtspolitik gehört vielmehr die Konstruktion einer polnisch-jüdischen Kampf- und Opfergemeinschaft gegenüber den Deutschen. Die hier versammelten Aufsätze aber lassen erkennen, dass dies eine sehr brüchige Konstruktion ist. Da die Deutschen in fast jeder polnischen Debatte über das Verhältnis zu den Juden offener oder verdeckter Bezugspunkt sind, sollte das Bändchen Pflichtlektüre für alle sein, denen an guten Beziehungen zu den Nachbarn gelegen ist. THOMAS URBAN
BARBARA ENGELKING, HELGA HIRSCH (Hrsg.): Unbequeme Wahrheiten. Polen und sein Verhältnis zu den Juden. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 309 Seiten, 12 Euro.
Wo standen die katholischen Polen zwischen Deutschen und Juden?
Die antisemtischen Gewaltakte trafen Holocaust–Überlebende
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Für alle, die an guten Beziehungen zu den polnischen Nachbarn interessiert sind, sollte dieser Band Pflichtlektüre sein, meint Rezensent Thomas Urban. Helga Hirsch und Barbara Engelking haben darin die wichtigsten Essays zum polnisch-jüdischen Verhältnis versammelt, die in den vergangenen beiden Jahrzehnten in polnischen Medien erschienen sind. Oftmals haben diese heftige und wichtige Geschichtsdebatten in Polen ausgelöst, wie Urban nacherzählt. Etwa als der junge Historiker Michal Cichy Dokumente veröffentlichte, denen zufolge Überlebende des Warschauer Ghettos von Angehörigen der polnischen Heimatarmee umgebracht wurden. Thema sind auch die berühmten Karmeliter-Kreuze in Auschwitz, die Diskussionen um die "Konkurrenz der Opfer auslösten, oder das Progrom von Jedwabne, bei dem polnische Dorfbewohner mehrere hundert ihrer jüdischen Nachbarn ermordeten.

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»Das Buch enthält in kluger Auswahl zwei Duzend repräsentative Essays aus der polnischen Presse von links bis rechts. Pflichtlektüre für alle, denen an guten Beziehungen zu den Nachbarn gelegen ist.« Thomas Urban Süddeutsche Zeitung