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Nichts ist geheimnisvoller für uns Menschen, als unter die Erdoberfläche zu schauen: Die Höhlen, die Bergwerke, die Abraume - alles eine verwunschene Landschaft, die die Phantasie bewegt. Aber nicht selten können solche Sehnsuchtsorte auch mit viel Schmerz, mit Verlust und mit Beschädigungen der menschlichen Würde verbunden sein. Und davon erzählt Clemens Meyer in seinem neuen Buch. Und, wie immer bei ihm, mit zum Teil ungehörigen Wendungen und unvermuteten Ausgängen.Der Ausgabe sind atmosphärisch gefärbte Bilder des renommierten Fotografen Bertram Kober beigegeben. Nicht die Erzählungen zu…mehr

Produktbeschreibung
Nichts ist geheimnisvoller für uns Menschen, als unter die Erdoberfläche zu schauen: Die Höhlen, die Bergwerke, die Abraume - alles eine verwunschene Landschaft, die die Phantasie bewegt. Aber nicht selten können solche Sehnsuchtsorte auch mit viel Schmerz, mit Verlust und mit Beschädigungen der menschlichen Würde verbunden sein. Und davon erzählt Clemens Meyer in seinem neuen Buch. Und, wie immer bei ihm, mit zum Teil ungehörigen Wendungen und unvermuteten Ausgängen.Der Ausgabe sind atmosphärisch gefärbte Bilder des renommierten Fotografen Bertram Kober beigegeben. Nicht die Erzählungen zu illustrieren, war seine Absicht, sondern der literarischen Stimme einen weiteren Echoraum zu geben.
Autorenporträt
Clemens Meyer, geboren 1977 in Halle/Saale, lebt in Leipzig. 2006 erschien sein fulminanter Debütroman Als wir träumten, es folgten u. a. Die Nacht, die Lichter. Stories (2008), der Roman Im Stein (2013) sowie 2020 die breit besprochene Erzählung Nacht im Bioskop. Für sein Werk wurde Clemens Meyer vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Preis der Leipziger Buchmesse, dem Bremer Literaturpreis, zuletzt im vergangenen Jahr mit dem Klopstock-Preis.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.10.2021

Innere
Abraumhalden
Drei Erzählungen und ein Essay in
Clemens Meyers Band „Stäube“
Es gibt Zeiten, in denen es nötig ist, das Selbstverständliche zu sagen. Clemens Meyer tut das zwischen zwei Klammern. Es sei ihm vollkommen egal, ob es sich bei einem Autor um Mann oder Frau handele, schreibt er, ob weiß, schwarz, jung, alt, schwul oder hetero, denn es gehe in der Literatur doch „um ein Werk, das auch, wenn der Autor anonym wäre, wirken und bestehen muss“. Meyers Bekenntnis findet sich in dem Essay „Wozu Literatur“, der einen schmalen Band mit drei Erzählungen abrundet.
Die uralte Wozu-Frage geht Meyer weniger theoretisch an, als dass er sich als emphatischer Leser zeigt, der von denen, die er bewundert, viel gelernt hat. Balzac, Joseph Roth, Michail Scholochow, Isaak Babel, Fred Wander, Bernhard Traven, Hemingway, ja sogar der jüngere Thomas Mann wären da vor allem zu nennen, aber auch die Arbeiter im Bergwerk der Literatur: Wolfgang Hilbig, Werner Bräunig und Franz Fühmann. Alles Männer, sehr wohl, aber eben auch Werke.
So ein Bergwerksarbeiter ist auch der in Leipzig lebende Clemens Meyer. Er kennt die Braunkohlereviere seiner Heimat und ist fasziniert davon einzufahren. „Der Bergmann fährt“, sagt so einer, „all unsere Bewegungen unter Tage sind ein Fahren in den Berg.“ In seinem Essay berichtet Meyer, wie er als Dozent am Leipziger Literaturinstitut seinen Studenten den Auftrag gab, eine Kurzgeschichte über einen im Berg eingeschlossenen Höhlenforscher zu schreiben, der immer tiefer in seine Erinnerungen abtaucht. Die Studenten waren wenig begeistert von der Idee, aus einem Zeitungsartikel, den er mitbrachte, eine eigene Erzählung zu entwickeln. Also hat Clemens Meyer es eben selber gemacht.
Seine Höhlenforschergeschichte „Dem Grund zu“ bildet nun das Zentrum des Bandes „Stäube“. Da lässt sich beobachten, wie der Autor am Werkstoff arbeitet, wie er sich in die Situation hineinschreibt, um gleich mit dem ersten Satz voll da zu sein: „Er spürte den Luftzug und kroch weiter.“ Die Zeitschichten überlagern sich für den im Dunkeln Eingeschlossenen wie die Erdschichten im Berg. Er erinnert sich daran, wie er als Kind von seinem Großvater, einem Bergmann, aus dem Stollen gerettet wurde, in dem er sich verirrte. Als Leser verirrt man sich mit ihm zwischen den verschiedenen Ebenen der Erinnerung.
Dieser Vorgang des Eindringens – weniger in den Berg als in die Psyche eines Menschen – ist vielleicht auch schon die Antwort auf die Frage „Wozu Literatur“. Es gibt kein anderes Medium, das in der Lage wäre, die Welt mit fremden Augen sehen zu lernen und ins Innere anderer Menschen vorzudringen. In der Erzählung „Wo die Drachen wohnen“ ist das ein junges Mädchen, dreizehn oder vierzehn Jahre alt, das mit einer Clique Halbstarker am Bahnhof in Zwickau herumlungert und Touristen für Geld zu der Stelle führt, wo einmal das Haus der NSU-Terroristen stand, die für die Jugendlichen Helden sind. Das Mädchen gilt ihnen dagegen als „Kanackenbraut“, weil sie einen älteren Jungen liebt, der aus Jugoslawien stammt. Als die anderen in einem Abbruchhaus einen Obdachlosen verprügeln und in seinem Schlafsack anzünden, hält sie sich abseits und sorgt sich darum, dass der Mann nicht verbrennt.
Meyer schreibt solche Szenen ganz kalt und gibt doch diesem Mädchen ein großes Herz. Der besondere Blick für das Abgründige und das Randständige der Gesellschaft zeichnet all seine Romane und Erzählungen aus. Er kann voller Anteilnahme über Elend und Armut schreiben, ohne je sentimental zu werden. Empathie stellt sich ein als Effekt, gerade weil die Menschen davon nichts wissen.
Das gilt auch für die kleine, dichte Kurzgeschichte „Die Glocken“, die den Band eröffnet. Da kehrt ein Mann am Weihnachtsabend mit dem Zug in seine Heimatstadt zurück, um mit der Mutter ein letztes Mal unterm Christbaum zu sitzen, bevor er sie ins Altersheim bringt. Da zeigt Meyer sein ganzes Können, wenn er mit wenigen skizzenhaften Strichen eine Stimmung tiefster Traurigkeit entstehen lässt, ohne dass seine Figuren darum wüssten.
Wenn Meyer mit unbestechlicher Lakonie über Abraumhalden, Wüstungen und Bergwerke schreibt, sind das immer auch innere Landschaften. Das gilt auch für Bertram Kobers Fotografien von Höhlen, Gestein und Verfall, die dem Band beigegeben sind.
JÖRG MAGENAU
Schicht um Schicht abtragen: das Bergwerk als Literaturmetapher
.
Foto: dpa
Clemens Meyer:
Stäube. Drei Erzählungen und ein Nachsatz. Mit Fotografien von Bertram Kober. Faber & Faber,
Leipzig 2021.
128 Seiten, 22 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensentin Nicole Henneberg nimmt Clemens Meyer den angry young Schriftsteller ab. Wie Meyer sich mit existenziellem Schreiben gegen Wohlfühlliteratur positioniert, findet sie nicht nur glaubwürdig, sondern auch unterhaltsam. Über seine poetologische Position klärt der Autor die Rezensentin in einem Essay auf, die Praxis liefern die drei ebenso im Band enthaltenen drei Kurzgeschichten. Meyer kann Räume und Figurenkonstellationen mit wenigen Strichen genau vermitteln, meint Henneberg, er erkundet "hochkonzentriert" Tiefenschichten seiner Figuren und entwirft Zeitbilder. So muss Literatur sein, findet die Rezensentin.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.11.2021

Ans Ende der Nacht und verwandelt zurück

Der archäologische Blick des Autors: Mit seinem packenden Erzählungsband "Stäube" sucht Clemens Meyer im Untergrund Glücksmomente und Enttäuschungen der ostdeutschen Vergangenheit.

Ein Mann steigt aus einem Zug. Es ist Heiligabend, er geht auf das einsame Bahnhofsgebäude zu, schaut durch das Fenster in die Gaststätte und sieht einen Jungen, der verzweifelt auf einen alten Mann einredet. Clemens Meyer schildert diese Szene und den dazugehörigen Raum so präzise und eindringlich, dass sofort ein düster leuchtendes Bild vor unseren Augen entsteht - es erinnert in seiner Melancholie an Edward Hoppers Gemälde.

"Die Glocken" heißt diese Geschichte, sie eröffnet den schmalen, hochkonzentrierten und sehr persönlichen Erzählband "Stäube". Seine drei Kurzgeschichten werden abgerundet von einem biographischen Essay, in dem der Schriftsteller, aufgewachsen in einer christlich geprägten Familie in Halle und seit frühester Jugend leidenschaftlicher Leser, erzählt, wie er zu dem wurde, der er heute ist. Als Lieblingsfeindin hat er sich hier seine gleichaltrige englische Kollegin Zadie Smith erwählt, die ihr Schriftstellerleben entspannt genießt, der es Spaß macht, zu schreiben, und die ihre Tätigkeit mit dem fröhlichen Backen von Bananenbrot vergleicht.

"Vielleicht arbeite ich ja in einem anderen Universum", entgegnet Meyer empört, in dem "Heizer schreiben, Figuren wie Bräunig aus der Wismut steigen, Franziska Linkerhand auf den Baustellen ihre Illusionen von einem neuen guten Land verlieren, wo Brüche Montage sind, das Ringen um Stoff und Form zu spüren ist." Er bekennt sich als existenzieller Autor, der beim Schreiben keine Wahl hat, was die Stoffe angeht, und der in seinen Texten die Ränder und Abgründe des Menschlichen zu ergründen versucht. Das nennt er seinen "archäologischen Blick", mit dem er lebt, seit sein Großvater, der Bergmann, ihn für unterirdische Stollen und die "Königin der Tiefe" begeisterte.

In der zentralen Geschichte des Bandes durchwandert, genauer: durchkriecht ein Mann immer wieder die unterirdische Welt, seien es Keller unter Städten oder stillgelegte Bergwerke. Zeit- und Erinnerungsebenen verrutschen und vermischen sich, wie in Fieberträumen, immer wieder werden Rettungstrupps nach ihm ausgeschickt, denen er entflieht. Er versucht nicht nur in die Unterwelt einzudringen - mit all ihren mythologischen Implikationen -, sondern auch in die Tiefen seines Bewusstseins und der Sprache. Das liest sich eindrucksvoll und verstörend, aber auch mitreißend, denn Meyer versucht nichts weniger, als ein Zeitbild zu entwerfen, von den Neunzigerjahren bis heute. Die Missverständnisse und Abstürze, die winzigen Glücksmomente und die vielen enttäuschten Hoffnungen seiner Generation, der in den Siebzigerjahren in der DDR Geborenen, geistern durch die Stollen und Schächte wie "verirrtes Licht", das den Kriechenden, zuletzt durch Steinschlag schwer Verwundeten, narrt und vorwärts lockt. Ein dunkles Märchen erzählt der Autor, von einem, der auszog, das Leben und Lieben und Vergessen zu lernen, und in unbekannten Welten aufwacht, im Krieg irgendwo, in einem Keller, in einem unterirdischen Militärcamp, doch immer gelingt es ihm, weiterzukommen. In seinen Abenteuern spielt die Realität eine ganz eigene, subversive Rolle, als würde der Kriechende in einen zerbrochenen Spiegel schauen, in dem immer neue Zerrbilder erscheinen.

Das einzig Tröstliche sind seine Wahrnehmungen, sein Tast- und Geruchssinn, er spürt das Pulsieren der Steine unter seiner Hand, schmeckt das Wasser. Die eindrucksvollen Fotografien von Bertram Kober zeigen die Räume dieser Geschichten, auch die aufgerissene Erde und die Schaufelbagger des Braunkohletagebaus. Zerstörte Welt und Zauberwelt in einem sind diese Räume an der Schwelle zwischen Ober- und Unterwelt, und so heißt eine Geschichte "Wo die Drachen wohnen": Sie handelt von einem durch den Tagebau zerstörten Dorf, in das die kindliche Erzählerin wegen des Geruchs immer wieder zurückkehrt. "Es gibt so viele verschiedene Sorten Staub, ganz feinen weißen, auch schwarzen aus Kohle, mancher schmeckt bitter, anderer süß, als ich ganz klein war, kannte ich sie alle." Jetzt führt sie Touristen durch Zwickau, zeigt ihnen die Orte, an denen Uwe Mundlos und Beate Zschäpe lebten, ansonsten hängt sie mit ihrer gewalttätigen Clique am Hauptbahnhof herum und sorgt sich um deren Opfer.

Als angehender Schriftsteller hat sich Clemens Meyer gerne als angry young man stilisiert, während seines Studiums am Leipziger Literaturinstitut musste er eine Strafe in der Jugendarrestanstalt Zeithain absitzen. Als die Mauer fiel, war er achtzehn und beobachtete in den folgenden Jahren mit verzweifelter Sorge die Selbstzerstörung seiner Freunde, davon erzählt er in seinem Debüt "Als wir träumten" (2006). Schon damals war sein Ideal eine existenzielle Literatur, die etwas wagt, eine radikale, artifizielle Form des Realismus, die keine Berührungsängste mit Surrealem und Märchenhaftem hat, eine vielschichtige Reise ans Ende der Nacht und zurück an ihren Anfang ("Wozu Literatur?" Ein Nachsatz). Was er sich vorgenommen hat für die Geschichte "Dem Grund zu" - einen Mann in einem Raum zu zeigen, in seiner ganzen Körperlichkeit, "der den Raum gefüllt mit seinem Leben, seinem Sterben" -, das ist ihm mit Bravour gelungen. Dazu gibt es Literatur, könnte man hinzufügen, denn "Bananenbrote haben wir doch genug". NICOLE HENNEBERG.

Clemens Meyer: "Stäube".

Mit Fotografien von Bertram Kober. Verlag Faber & Faber, Leipzig 2021.

128 S., geb., 22,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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