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Die Bewohner des kleinen Städtchens haben einen ausgeprägten Familien- und Nachbarschaftssinn und sind bewandert in Überlebenstechniken wie der Jagd. Aber es gibt auch Konflikte zwischen den Generationen, zwischen Traditionalisten und Erneuerern, Probleme mit Alkohol und eine hohe Suizidrate. Dann droht plötzlich neues Ungemach: Im beginnenden Winter fällt der Strom aus, der spärliche Kontakt zur weit entfernten Außenwelt bricht vollständig ab, die Vorräte schwinden. Damit die Einwohner nicht in Panik geraten, muss der Gemeinderat ständig abwägen, wie viel Wahrheit ihnen zuzumuten ist und wie…mehr

Produktbeschreibung
Die Bewohner des kleinen Städtchens haben einen ausgeprägten Familien- und Nachbarschaftssinn und sind bewandert in Überlebenstechniken wie der Jagd. Aber es gibt auch Konflikte zwischen den Generationen, zwischen Traditionalisten und Erneuerern, Probleme mit Alkohol und eine hohe Suizidrate. Dann droht plötzlich neues Ungemach: Im beginnenden Winter fällt der Strom aus, der spärliche Kontakt zur weit entfernten Außenwelt bricht vollständig ab, die Vorräte schwinden. Damit die Einwohner nicht in Panik geraten, muss der Gemeinderat ständig abwägen, wie viel Wahrheit ihnen zuzumuten ist und wie die Vorräte gerecht rationiert werden können.Aus dem Nichts taucht in dieser angespannten Situation ein unbekannter weißer Ranger auf, der um Einlass in die indigene Gemeinschaft bittet. Schnell stellt sich heraus, dass ihm nicht zu trauen ist, denn er treibt gefährliche Machtspiele. Doch so viel ist sicher: Jeder Winter geht einmal zu Ende.
Autorenporträt
Waubgeshig Rice ist Autor und Journalist aus der Wasauksing First Nation. Er hat bereits eine Kurzgeschichtensammlung und einen Roman veröffentlicht und arbeitet als Moderator für CBC Radio. Er lebt in Sudbury und Wasauksing in Kanada.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Tilman Spreckelsen wirkt etwas verhalten gegenüber Waubgeshig Rices Roman über ein First-Nations-Reservat im Norden Kanadas, in dem nach einem Stromausfall auf einmal die Grundversorgung weg- und das Chaos ausbricht. Wie der Autor, der hier in einer Linie mit Autoren wie Richard Wagamese und Richard van Camp stehe, das Reservat als scheinbar auf Dauer und Autonomie ausgelegtes, dann aber doch sehr "fragiles Gebilde" freilegt, scheint ihm zuzusprechen. Wie dann aber ein bulliger, machthungriger Weißer in die Kommune eindringt die Menschen zurechtweist, scheint sich bei ihm eher in die Tendenz des Romans zur schematischen Darstellung einzuordnen. Daher immerhin "konsequent" sei wiederum das utopische Ende des Romans, erkennt Spreckelsen an - wobei er abschließend Zweifel äußert, ob die dort nahegelegte "strikte Trennung" der Ethnien wirklich die Utopie sein sollte.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.11.2021

Die Apokalypse haben wir schon oft genug mitgemacht
First Nations in der hintersten Ecke: Waubgeshig Rice erzählt im Roman "Mond des verharschten Schnees" vom Leben in einem kanadischen Reservat

Es beginnt harmlos. Eines Tages fällt der Strom in der kleinen Siedlung im nördlichen Kanada aus, einem Reservat der Anishinaabe. Auch der Satellitenempfang funktioniert nicht mehr, zum Missvergnügen vor allem der Kinder. Nachfragen, warum das so ist, sind nicht möglich, denn auch der Mobilfunkempfang ist gestört. Allerdings kennt man das hier schon und richtet sich auf eine kurze Zeit der Unannehmlichkeiten ein. Bis dahin wird weiter der stetig fallende Schnee geräumt und zur Geduld aufgerufen. Schließlich hat man noch genügend Dieselvorräte, um die Notstromaggregate sogar einige Monate lang zu betreiben, es gibt ein schon vor längerer Zeit angelegtes, seitdem stetig gepflegtes Lebensmittellager. Und wer möchte, kann ja auf die Jagd gehen.

Nicht jeder möchte das, darin besteht die Crux im Reservat, und dass wir dem jungen Familienvater Evan zu Beginn des Buches dabei zusehen, wie er nicht nur einen Elch erlegt, sondern ihm hinterher auch mit dem vorgeschriebenen Opferritus Respekt erweist, macht deutlich, dass er wesentlich besser auf das vorbereitet ist, was sich gerade anbahnt, als sehr viele seiner Nachbarn. Denn die Hoffnung, all diese Störungen würden nur wenige Tage anhalten, erfüllt sich nicht. Stattdessen stürmen die Einwohner den Supermarkt der Siedlung und kaufen ihn leer. Es kommt zu Spannungen und Prügeleien, öffentliche Einrichtungen wie Schulen müssen geschlossen werden. Terry, der Chief des Reservats, versucht mit seinen Leuten die Ordnung aufrechtzuerhalten, lässt den Bedarf jeder Familie an Lebensmitteln feststellen und verteilt entsprechende Rationen. Aber die Lage ist verzweifelt, es geht ein Riss durch die Gemeinschaft. Und immer mehr Opfer müssen in einer Halle aufgebahrt werden, weil man sie in diesem ungewöhnlich harten Winter nicht beerdigen kann.

Waubgeshig Rice, Jahrgang 1979, entstammt der Wasauksing First Nation in Ontario und hat als Radiojournalist in Ottawa gearbeitet. In seinem 2018 publizierten Roman "Mond des verharschten Schnees", der jetzt im Zuge des kanadischen Buchmessenauftritts auch auf Deutsch erschienen ist, schildert er das Reservat als fragiles Gebilde, das im Moment der elementaren Gefahr den Einzelnen nicht mehr schützen kann. Zwar wirkt das Leben, das die Gemeinschaft im Reservat führt, nachdem sie dorthin aus ihrem ursprünglichen Siedlungsgebiet im Süden gebracht worden war, mit den Häusern und Straßen, den Autos und Schneepflügen und den gefüllten Tiefkühltruhen wie auf Dauer angelegt. Tatsächlich aber entpuppt es sich als Provisorium, wenigstens aus der Perspektive von Evans, die oft auch die des Erzählers ist.

Der harte Winter ist die Nagelprobe dafür, und der Zusammenbruch der Versorgung aus dem Süden mit Strom, Treibstoff und Lebensmitteln befördert langsam die Erkenntnis, dass die kulturellen Importe aus dem Süden insgesamt nicht weiterhelfen. Als der Transfer nicht mehr geleistet werden kann und weil sich die zwangsweise hier Angesiedelten allzu sehr auf den Fortbestand dieser Transfers verlassen haben, geraten sie in Not - ob die alten Rituale der First Nations, die hie und da noch beachtet werden, ihren zivilisatorischen Zweck weiter erfüllen, ist ungewiss.

Mit diesem Thema steht Rice literarisch nicht allein. Im Nachwort zu seinem Roman beruft er sich auf befreundete Autoren wie Richard Wagamese und Richard van Camp, die kulturelle Brüche im Leben der kanadischen First Nations ebenso dargestellt haben wie die Suche Einzelner nach den verschütteten Wurzeln ihrer Ethnien, um sie für das eigene Leben nutzbar zu machen (F.A.Z. vom 10. Oktober 2020). Rice stellt die gegenwärtigen massiven Schwierigkeiten im Reservat ebenfalls in einen größeren Zusammenhang, der auch eine zeitliche Dimension enthält. Bei ihm kokettiert die Stammesälteste Aileen, die Hüterin des tradierten Wissens, einmal mit ihrem Unvermögen, das Fremdwort "Apokalypse" richtig auszusprechen - auch weil ihr das Konzept nicht einleuchtet: Den Weltuntergang habe ihr Volk schließlich schon einige Mal erlebt, etwa als die Weißen in die Heimat der Anishinaabe eindrangen, sich die Ressourcen wie Bäume und Fische aneigneten und die Angehörigen der First Nations hierher, ins nördliche Ontario, brachten. Oder als sie die Kinder in die berüchtigten Residential Schools brachten, wo der Gebrauch der Muttersprache streng bestraft wurde, von noch viel größeren Grausamkeiten abgesehen. Diese Apokalypse, sagt sie, "haben wir wieder und wieder durchgemacht. Aber wir haben immer überlebt. Wir sind immer noch hier. Und wir werden immer noch hier sein, auch wenn es keinen Strom und kein Radio mehr geben wird und wir niemals wieder irgendwelche Weißen zu sehen bekommen".

Dass sich freilich die wenigsten dazu eignen, die Moderne hinter sich zu lassen und buchstäblich zurück in die Wälder zu gehen, wissen auch die Protagonisten des Romans. Es bedarf tatsächlich der ganzen Grausamkeit und Herrschsucht eines Neuankömmlings, eines muskelbepackten, skrupellosen Weißen aus dem Süden, um Evan und seinen Nachbarn klarzumachen, dass die Krise längst nicht mehr von den Witterungsbedingungen ausgeht. Rice schildert den kulturellen Gegensatz mit bisweilen grellen Farben, die kaum noch Platz für Schattierungen lassen und den einen die Rolle der Bösen, den anderen die der Schwachen, Verführbaren oder Widerständigen zuweisen. Vor diesem Hintergrund ist auch das Finale des Romans, angesiedelt einige Zeit nach der Katastrophe, konsequent und erscheint zugleich als Utopie mit begrenzten Aussichten auf Verwirklichung im größeren Umfang. Ob jedenfalls die dabei angestrebte strikte Trennung der Ethnien samt ihrer Traditionen so wünschenswert wäre, ist eine andere Frage. TILMAN SPRECKELSEN

Waubgeshig Rice: "Mond des verharschten Schnees". Roman.

Aus dem kanadischen Englisch von Thomas Brückner. Wagenbach Verlag, Berlin 2021. 224 S., br., 14,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Wachsende Spannung und lebendig gezeichnete Landschaften machen die schwierigen Entscheidungen von Rices Figuren noch eindringlicher und realistischer.« Toronto Star