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Europas neue Herausforderung
Seit der Zuspitzung der Flüchtlingskrise im Herbst 2015 beherrschen die Themen Migration, Flüchtlingspolitik und Asylrecht die politische Agenda in Deutschland und Europa. Die EU steht vor einer Zerreißprobe. Doch die Krise kündigte sich schon seit längerem an. Der renommierte Historiker und Politikwissenschaftler Hans-Peter Schwarz fügt der aktuellen Diskussion eine zeithistorische Dimension hinzu. Er zeigt, wie die Konstruktionsfehler des Schengen-Raums und des EU-Flüchtlingsrechts die heutige Situation ermöglicht haben - und wie eine ziellose Politik des…mehr

Produktbeschreibung
Europas neue Herausforderung

Seit der Zuspitzung der Flüchtlingskrise im Herbst 2015 beherrschen die Themen Migration, Flüchtlingspolitik und Asylrecht die politische Agenda in Deutschland und Europa. Die EU steht vor einer Zerreißprobe. Doch die Krise kündigte sich schon seit längerem an. Der renommierte Historiker und Politikwissenschaftler Hans-Peter Schwarz fügt der aktuellen Diskussion eine zeithistorische Dimension hinzu. Er zeigt, wie die Konstruktionsfehler des Schengen-Raums und des EU-Flüchtlingsrechts die heutige Situation ermöglicht haben - und wie eine ziellose Politik des Improvisierens und Durchwurstelns sowie die Auflösungserscheinungen der Europäischen Union sie weiter verschärfen. Pointiert wie präzise analysiert Schwarz die Probleme dieser Jahrhundertaufgabe und entwirft fünf Leitlinien für einen neuen Kurs der Flüchtlingspolitik.

Autorenporträt
Schwarz, Hans-Peter§Hans-Peter Schwarz (1934-2017) zählte zu den angesehensten Politologen und Zeithistorikern in Deutschland und verfasste u. a. ein zweibändiges Standardwerk zu Konrad Adenauer (1986/91) sowie vielbeachtete Biographien zu Axel Springer (2008) und Helmut Kohl (2012). Schwarz lehrte in Hamburg, Köln und Bonn und wurde für sein Werk mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Historiker-Preis der Stadt Münster und dem Ernst-Robert-Curtius-Preis für Essayistik.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.03.2017

Ja, das Studium des Asylrechts ist schwer

Hans-Peter Schwarz blickt auf die Folgen der Migrationskrise für Europa und empfiehlt verschärfte gesetzliche Regelungen gegen die "Völkerwanderung".

Von Georg Paul Hefty

Hans-Peter Schwarz, seit Jahrzehnten einer der Weisen in der CDU, hat ein anregendes Buch geschrieben. Der emeritierte Bonner Professor für Politische Wissenschaft und Zeitgeschichte stellt angesichts einer neuen "Völkerwanderung nach Europa" den "Verlust politischer Kontrolle und moralischer Gewissheiten" fest. Den "Hauptfehler" sieht er im "EU-Flüchtlingsrecht", das "gutgemeint, doch aus der Zeit gefallen" sei.

Diese Erklärung darf bezweifelt werden. Stellen wir uns nur das bisher nirgends Vorgestellte vor: Im August/September 2015 wäre nicht Angela Merkel Bundeskanzlerin gewesen, sondern Horst Seehofer hätte in Berlin die Richtlinien der Politik bestimmt. Die folgenden zwölf Monate wären anders verlaufen - wie, das weiß niemand, aber dass sie einen anderen Verlauf genommen hätten, dies würde niemand bezweifeln. Dabei spielt dieser Gedanke nicht einmal mit der Möglichkeit, dass die Regierungsführung bei der heutigen Opposition gelegen hätte, sondern lediglich beim Vorsitzenden der CDU-Schwesterpartei CSU, die bisher schon zweimal den Kanzlerkandidaten (Franz Josef Strauß 1980 und Edmund Stoiber 2002) auch der CDU gestellt hat.

Es dürfte unstrittig sein, dass Seehofer rigoroser entschieden, zur Eigensicherung jedoch sowohl innenpolitisch als auch europapolitisch abgestimmter vorgegangen wäre. Es hätte einen ungeheuren Wirbel im Inland gegeben, etwa so wie in Zeiten des Nato-Nachrüstungsbeschlusses und des Machtkampfes zwischen Bundeskanzler Helmut Kohl und der von Kommunisten unterwanderten Friedensbewegung im Bonner Hofgarten. Außenpolitisch jedoch hätte Deutschland - wie unter Kohl - seine Stellung in Europa gestärkt, weil es die Zahl der Zuwanderer beschränkt und den Streit über nachträgliche Lastenteilung erübrigt hätte.

Die europäischen Nachbarn - im Westen wie im Osten - wären dafür dankbar gewesen. Denn es wäre - damit kehren wir zu Hans-Peter Schwarz zurück - nicht zu dem gekommen, was bei den Partnern noch lange nicht vergessen ist: "Das Umverteilungskonzept, das man in Berlin mit erstaunlicher Chuzpe als ,europäische Lösung' bezeichnet, ist nichts als ein ziemlich unverfrorener Versuch, die Gesamtheit der Mitgliedsländer der EU für einen schwer begreiflichen eigenen Fehler in Mithaftung zu nehmen."

Das Gedankenspiel Merkel/Seehofer ist für die von Schwarz zitierte "Betrachtung der Wirklichkeit" letztlich wesentlicher als die im Buch zahlreich verstreuten Kritiken an "der EU" - etwa dass sie der "Kontrolle der Mittelmeergrenze" wenig Beachtung geschenkt habe. Ein ausgiebigerer Blick auf Österreich mit seinem jungen Außenminister Kurz und dem Kanzlerwechsel von Faymann zu Kern hätte deutlicher werden lassen, dass Politik - gerade in Ausnahmesituationen - mehr von Personen als von Strukturen bestimmt wird. Dann hätte sich auch eine solche Qualifizierung erübrigt: Die Reformen in der EU "pflegen sich nicht rational, sondern politisch zu vollziehen, das heißt: ruckweise, improvisiert, nur partiell und mit schwer vorhersehbaren Ergebnissen". Wie jedoch erwarten gerade die Verteidiger nationalstaatlicher Souveränität - zu denen auch Schwarz gehört, indem er die EU nicht als Bundesstaat, sondern als Staatenbund sehen will -, dass es unter 28 (oder gleich wie vielen) Mitgliedstaaten "rational" statt "politisch" zugeht? Was wäre "rational", wenn sich Souveräne unterschiedlichster Größe und Lage zwischen Atlantik und Russland Jahr für Jahr, von Wahl zu Wahl um das richtige Verhältnis von Nationalinteresse und Gemeinschaftsinteresse balgen? Schon die Demokratie selbst, also die Wählermehrheiten verhindern eine übergreifende, den Augen der Wissenschaftler standhaltende Rationalität - denn sie gaben im selben Moment in Griechenland dem Sozialisten Alexis Tsipras, in Ungarn dem Nationalkonservativem Viktor Orbán und in Deutschland der christlich-liberalen Angela Merkel (und nicht einmal im Traum Horst Seehofer) den Auftrag zum Regieren.

Es ist üblich, Bücher zur Migrationskrise mit politischen und rechtlichen Empfehlungen abzuschließen. Doch das scheint kein ertragreiches Feld für Professoren zu sein, weder für Herfried Münkler ("Die neuen Deutschen") noch für Hans-Peter Schwarz. Warum reicht der Mut nur zu Kapitelüberschriften (und den entsprechenden Aussagen über mehrere Seiten) wie diese: "Überfällig, aber immer noch tabuisiert - eine Reform des europäischen Asylrechts"? Dieselbe Fassung könnte Pro Asyl verbreiten, auch wenn dort das Allerweltswort Reform die gegensätzliche Bedeutung hätte. Schwarz empfiehlt eine Verschärfung - das wäre der allgemein verständliche Ausdruck - der Asylregelungen, rät jedoch nicht zu Einzelheiten, über die gestritten werden könnte, sondern zum Studium des Asylrechts "außereuropäischer Demokratien" - wobei in Zeiten eines amerikanischen Präsidenten Trump es nicht genügen dürfte, in die Gesetzestexte zu schauen.

Die Stärke des Buches liegt in der detailreichen, umsichtigen und tiefgreifenden Darlegung eines zweifellos weltpolitischen Geschehens. Am 29. Juni 1998 hatte Bundesarbeitsminister Blüm auf einem Kongress der CDU/CSU in Eisenach vor einer "Völkerwanderung" von Ost nach West in einer erweiterten Europäischen Union gewarnt. Das Wort dürfte ihm längst leidtun, es ging lediglich um die Arbeitnehmerfreizügigkeit für EU-Bürger.

Diesmal reist die Bundeskanzlerin schon nach Ägypten, um die Quellgebiete und Durchgangsländer der "neuen Völkerwanderung" (nach der von Schwarz in Erinnerung gerufenen alten, die das damalige Imperium Romanum schließlich zerstörte) aufzusuchen. Darin aber steckt das Dilemma jedes Wissenschaftlers, der sich dieses Thema vornimmt. Ist es tatsächlich eine Völkerwanderung im historischen Sinne, also nicht auf Zuflucht, sondern auf Eroberung und Landnahme ausgelegt, dann ist es letztlich nicht ausschlaggebend, ob das Asylrecht liberal oder streng, die Integration über Kurse oder Nachbarschaftshilfe, die Facharbeiterausbildung dual oder gewerblich gestaltet werden und ob Angela Merkel, Martin Schulz, Katja Kipping oder Frauke Petry samt ihren Partei-Erben die absehbaren Wahlen gewinnen. Schon ein Begriff wie Willkommenskultur hat sich als zu groß erwiesen, um politisch durchgehalten zu werden. Wie wollte man dann eine "Völkerwanderung" mit den Mitteln der nationalstaatlichen Demokratie politisch einhegen? Nur eine den Kontinent umfassende Macht hätte Aussicht auf Erfolg.

Hans-Peter Schwarz:

Die neue Völkerwanderung nach Europa. Über den Verlust politischer Kontrolle und moralischer Gewissheiten.

Deutsche Verlagsanstalt, München 2017. 256 S., 19,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.03.2017

Alle Schotten dicht
Hans-Peter Schwarz hat ein erstaunlich einseitiges Buch über die „Flüchtlingskrise“ verfasst. Es offenbart die Verunsicherung der deutschen Konservativen
Hans-Peter Schwarz gehört zu den Großen seines Faches: ein scharf denkender Zeithistoriker und Politikwissenschaftler, ein Analytiker der Macht, ein Chronist der „alten Bundesrepublik“ und der Weltpolitik, zu Recht gerühmt wegen seiner Biografien über Konrad Adenauer und Helmut Kohl. Schwarz hat sich nie gescheut, gegen den angeblich so „linken“ Zeitgeist anzuschreiben – und das in einer fein gedrechselten, oft bissig-ironischen Sprache, die auch diejenigen schätzten, die nicht seiner Meinung waren. Doch sein neues Buch über die Ursachen und Folgen der „Flüchtlingskrise“ dürfte weniger als nachdenklicher Beitrag zur bundesrepublikanischen Gegenwart in Erinnerung bleiben denn als zeithistorische Quelle für einen erschreckend verunsicherten, hart gewordenen Konservativismus, der keine Hemmungen vor polemischer Vereinfachung hat.
Seine Geschichte der „neuen Völkerwanderung nach Europa“ trägt das Problem bereits im Titel. Natürlich weiß Schwarz um die Assoziationen, die mit dem Begriff verbunden sind: all die abendländischen Untergangsszenarien, die Geschichten kulturellen Verfalls und der „Überfremdung“, der vermeintlichen Notwendigkeit, die Nation vor den „Fremden“ zu schützen, um das eigene Überleben zu retten. Hunnen und Barbaren – wohin das Auge reicht. Und dennoch bedient er solche Stereotype beinahe auf jeder Seite. Aus den Flüchtenden der Jahre 2015 und 2016 werden dann „Elendsmigranten“, die die deutschen Grenzen überrennen, die „Vorhut“ womöglich „weiterer Millionen perspektivloser junger Leute“, die sich auf dem Weg ins gelobte Land machen würden. Die deutsche Reaktion, die Politik Angela Merkels und weiter Teile der politischen Eliten, hält Schwarz zwar für moralisch nachvollziehbar, aber auch für den Ausdruck von „fehlender Härte“ und eines „mangelnden Gefahreninstinkts“ – eine Form der Barmherzigkeit, die sich Europa und Deutschland in dieser Form nicht leisten könne.
Sicher wird man über das Krisenmanagement im Herbst 2015 streiten können, auch über Handlungsspielräume von Politik, mögliche Kontrollverluste und Entscheidungen, deren Folgen man nicht abzuschätzen vermochte. Und doch wird man all die Prämissen, die Schwarz setzt, auch gänzlich anders sehen können. Schwarz suggeriert Eindeutigkeit, wo die Verhältnisse komplex sind. Deutschland ist in der Flüchtlingsfrage – anders, als es die Untergangsszenarien beschwören – nicht der Nabel der Welt. Die Mehrheit beispielsweise der afghanischen Flüchtlinge sucht Schutz in Pakistan oder Iran. Und der Großteil der syrischen Flüchtlinge lebt nicht etwa in Bayern oder im Rheinland, sondern in der Türkei und Jordanien. Die Staaten des globalen Südens haben die große Mehrheit aller registrierten Flüchtlinge aufgenommen. Deutschland und die EU haben in den vergangenen 20 Jahren vieles dazu unternommen, damit Europa eben gerade nicht das Ziel aller globalen Migrationsbewegungen wird, und dafür erhebliche Mittel und massiven Druck insbesondere auf die Länder Afrikas eingesetzt. Ganz so freundlich und naiv-offen, wie Schwarz die europäische Asylpolitik zeichnet, war sie ganz sicher nicht, schon gar nicht für die in den unwürdigen Lagern an den EU-Außengrenzen gelandeten Flüchtenden selbst.
Die Geschichte der Einwanderung streift Schwarz in groben Zügen – und lässt dabei außen vor, wie lange sich die Bundesrepublik mit Vehemenz dagegenstemmte, ein Einwanderungsland sein zu wollen. Die Ausländerpolitik vor 1989 wollte eben gerade keine wie auch immer geartete „Integration“. Sie setzte auf Abschottung und legte die Hürden gerade für diejenigen Migranten hoch, die sich in Deutschland um eine dauerhafte Perspektive bemühten. Seine Deutung der „Generation Brüssel“, die Schwarz inzwischen an den Schalthebeln des Politikbetriebs sieht und die schon lange in postnationalen Kategorien die Geschicke der Welt lenke, hat sicher einiges für sich – nur klingt sie bei ihm eher als Irrweg, der letztlich zum Ausverkauf nationaler Interessen führe. Für einen so stark durch die Westbindung geprägten Intellektuellen wie Schwarz ist das doch mehr als erstaunlich.
In seine Kritik bezieht er nicht nur Helmut Kohl, sondern auch dessen ungeliebte „Stieftochter“ Angela Merkel, aber auch die deutschen Außenpolitiker wie Joschka Fischer und Frank-Walter Steinmeier mit ein. Am Schengen-Vertragswerk lässt Schwarz kein gutes Haar, und schon gar nicht an der Asylpolitik der EU, deren Grundpfeiler, die UN-Flüchtlingskonvention von 1951 und damit der Rechtsanspruch auf die Prüfung eines Asylrechtes oder befristeten Aufenthaltsrechts, „sich als eine letztlich unhaltbare Einladung zur Masseneinwanderung herausgestellt“ habe.
Schwarz macht konkrete Vorschläge, wie die Probleme gelöst werden könnten: Im Zentrum steht die Rückkehr zu einem starken, restriktiven nationalen Asylrecht; also weniger EU, mehr Nation. Er spricht das nicht unmittelbar aus, aber ohne eine umfassende Militarisierung der deutschen Grenzen ist das alles nicht denkbar. Er verneint keineswegs eine humanitäre Verantwortung Europas – dafür schwebt ihm außer einer Politik der geschlossenen Grenzen eine wachsende finanzielle Unterstützung all derjenigen Regionen in Afrika und Asien vor, die die Flüchtenden von ihrer Reise nach Europa abhalten sollten. Kontingentlösungen für besonders betroffene Gruppen und akute Krisen hält er ebenso für sinnvoll wie einen starken Ausbau der Hilfe für internationalen Organisationen, die sich vor Ort um die Versorgung der Flüchtenden kümmern – das sicher ist ein ernsthafter, wenngleich nicht ganz so neuer Vorschlag, der viel für sich hat.
Die Betroffenen erscheinen in Schwarz’ angstgepeinigtem Traktat nur als abstrakte „Masse“ und als „Flüchtlingsströme“, als großes kollektives Problem, nie aber als Individuen mit unterschiedlichen Biografien. Bei ihm klingt es dann so: „Der Massenzuzug von kinderreichen Familien aus vielfach gering qualifizierten Schichten fremder Kulturen in die Sozialsysteme und die Aufnahme von Heerscharen junger Männer aus dem muslimischen Krisenbogen oder aus Afrika, die für die europäischen Arbeitsmärkte größtenteils ungeeignet sind und das wohl auch bleiben werden, überfordert schon heute viele Gemeinden. In der Mehrheitsgesellschaft wächst die Besorgnis, dass den europäischen Eliten die Individualrechte von Migranten wichtiger sind als die Wünsche und Rechte der Bürger in den einzelnen Mitgliedsstaaten.“ Wer einmal Flüchtlingsheime von innen gesehen hat, weiß, wie wohlfeil ein solcher Satz ist.
Dass Schwarz von Barmherzigkeit immer im Gestus der Schwäche spricht, deutet zudem auch auf jenen inneren Konflikt des deutschen Konservativismus hin, der sich bereits seit Anfang der 1990er-Jahre im Umfeld der Debatten um das Kirchenasyl gezeigt hat. Damals hatten einige Gemeinden abgelehnten Asylbewerbern Unterschlupf gewährt, weil die Asylverfahren offenkundig fehlerhaft waren. Der Konflikt ging tatsächlich ans Eingemachte, und auch viele, die in anderen weltanschaulichen Fragen weiterhin auf Seiten der Union standen (und stehen), fühlten sich doch damals von der bürokratischen Kühle befremdet. Die Kontroverse um das Kirchenasyl markiert eine Sollbruchstelle im Verhältnis der Kirchen zum Staat. Standen die Kirchen außerhalb des Rechts? Wann gebot eine staatliche Politik, die ganz offenkundig nicht alle Fakten berücksichtigte, eine Form der Opposition, die den Flüchtenden Zeit und Öffentlichkeit verschaffte, ihren Fall noch einmal neu zu verhandeln – oft übrigens dann mit dem Ergebnis, dass es den Behörden tatsächlich an rechtsstaatlicher Sorgfalt gemangelt hatte. Die Auseinandersetzung um „den anderen“ berührte offenkundig auch solche Gemeindemitglieder, die sich sonst nicht an der Spitze der Protestbewegung fanden.
Von hier aus führt eine wichtige Spur zur Geschichte der Hilfe, wie wir sie an vielen Orten im Herbst 2015 erlebten und die so manchen eher konservativen Bischof zum leidenschaftlichen Streiter für eine liberale Flüchtlingspolitik und scharfen Kritiker der CSU werden ließ. Die Kirchen jedenfalls tauchen in Schwarz’ Überlegungen kaum auf. Das mag angesichts seiner kritischen Analyse einer „liberalen“ Flüchtlingspolitik auch Teil vornehmer Zurückhaltung sein – und doch könnte man den Begriff der „Barmherzigkeit“ und der „Solidarität“ auch ganz anders buchstabieren, als dies der Bonner Emeritus macht. Man staunt jedenfalls nicht schlecht, wie vehement diese konfessionellen Verbindungslinien als wichtige Inspirationsquelle des deutschen Konservativismus gekappt worden sind. Was nur, mag sich mancher deshalb leicht irritiert fragen, ist aus den deutschen Konservativen geworden?
DIETMAR SÜSS
Die Politik Angela Merkels basiert
für den Bonner Emeritus auf
„mangelndem Gefahreninstinkt“
Die Rolle der Kirchen
jedenfalls taucht in den
Überlegungen kaum auf
Hans-Peter Schwarz:
Die neue Völkerwanderung nach Europa.
Über den Verlust politischer Kontrolle und moralischer Gewissheiten.
DVA München 2017,
256 Seiten, 19,99 Euro.
E-Book: 16,99 Euro.
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»Ein anregendes Buch«. Frankfurter Allgemeine Zeitung