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Schreiben bedeutet für Georges-Arthur Goldschmidt Überleben. Im Schreiben und Übersetzen entwirft er sich selbst, er wird zum Zeugen seines Ichs, das unter den Nationalsozialisten nicht sein durfte, aber schon immer einen großen Drang verspürt, etwas zu erschaffen und die Welt, Literatur, Malerei begeistert in sich aufzunehmen. In "Die Hügel von Belleville" spricht Goldschmidt, der als 10-Jähriger vor den Nationalsozialisten nach Frankreich floh, erstmalig darüber, was es bedeutete, 1953 als französischer Soldat in der Kaserne von Karlsruhe den Wehrdienst zu leisten. Eine Zeit der Unruhe, in…mehr

Produktbeschreibung
Schreiben bedeutet für Georges-Arthur Goldschmidt Überleben. Im Schreiben und Übersetzen entwirft er sich selbst, er wird zum Zeugen seines Ichs, das unter den Nationalsozialisten nicht sein durfte, aber schon immer einen großen Drang verspürt, etwas zu erschaffen und die Welt, Literatur, Malerei begeistert in sich aufzunehmen. In "Die Hügel von Belleville" spricht Goldschmidt, der als 10-Jähriger vor den Nationalsozialisten nach Frankreich floh, erstmalig darüber, was es bedeutete, 1953 als französischer Soldat in der Kaserne von Karlsruhe den Wehrdienst zu leisten. Eine Zeit der Unruhe, in der er über das Sprechen in zwei Sprachen zu sich selbst fand.
Autorenporträt
Georges-Arthur Goldschmidt, 1928 in Reinbek bei Hamburg geboren, musste als Zehnjähriger in die Emigration nach Frankreich gehen. Er lebt heute in Paris. Für sein umfangreiches Werk wurde er u.a. mit dem Bremer Literatur-Preis, dem Nelly-Sachs-Preis und dem Joseph-Breitbach-Preis ausgezeichnet. Im November 2013 erhielt er den Prix de L¿Académie de Berlin. Zuletzt erschienen seine Erzählungen »Der Ausweg« und »Die Hügel von Belleville«. Georges-Arthur Goldschmidt, 1928 in Reinbek bei Hamburg geboren, musste als Zehnjähriger in die Emigration nach Frankreich gehen. Er lebt heute in Paris. Für sein umfangreiches Werk wurde er u.a. mit dem Bremer Literatur-Preis, dem Nelly-Sachs-Preis und dem Joseph-Breitbach-Preis ausgezeichnet. Im November 2013 erhielt er den Prix de L¿Académie de Berlin. Zuletzt erschienen seine Erzählungen »Der Ausweg« und »Die Hügel von Belleville«.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.07.2018

Vor der Kaserne wartet die Frau im grünen Mantel
Wehrdienst in jenem Land, in dem man ihn wenige Jahre zuvor vernichten wollte – Georges-Arthur Goldschmidts Erzählung „Die Hügel von Belleville“
Viele große Schriftsteller schreiben an einem einzigen Buch. Sie verdichten und überarbeiten, verbergen und übersetzen, um ihrem Ur-Trauma eine Form zu geben, es vielleicht weniger zu bewältigen als vielmehr magisch zu bannen, ohne damit aber jemals zu einem Ende zu kommen.
Im Falle des deutsch-französischen Autors und Übersetzers Georges-Arthur Goldschmidt, der in diesem Frühjahr 90 Jahre alt wurde, lässt sich das Trauma genau benennen: „Kaum ein Tag vergeht“, sagte Goldschmidt in seiner Vorstellungsrede für die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, „ohne daß mir bei ein wenig grauem aber lichtem Himmel der 18. Mai 1938 wieder ins Gedächtnis komme. Mein ganzes Leben hat sich um dieses Datum herum aufgebaut, es ist der Tag, an dem ich meine buchenrauschende Heimat für immer verlassen mußte. Alles was ich schreibe, ist aus diesem Bruch in meiner persönlichen Geschichte entstanden, aus dem Schrecken der Verfolgung, aber auch aus dem Erstaunen des Daseins.“
Goldschmidt wurde am 2. Mai 1928 als Sohn zum Protestantismus konvertierter Juden in Reinbek bei Hamburg unter dem Namen Jürgen-Arthur geboren. Der Vater, Oberlandesgerichtsrat, war hellsichtig genug, ihn zusammen mit seinem älteren Bruder 1938 zunächst nach Italien zu schicken. Als es dort immer gefährlicher wurde, brachte man den Jungen in ein katholisches Internat in Savoyen; der Bruder kämpfte schließlich im französischen Widerstand. In Frankreich überlebte Goldschmidt, versteckt von den Internatsvorstehern und Bauern, den Holocaust. Von dieser Zeit erzählt er in seiner Autobiografie „Über die Flüsse“ und in seinen „autofiktionalen“ Romanen, immerzu neu ansetzend, immerzu neu die ihn leitenden und begleitenden Motive aus Scham, Furcht und sexueller Konfusion variierend.
Arthur Kellerlicht heißt das Alter Ego Goldschmidts, das durch die Prügelstrafen im Internat einen verwirrend erotischen Strafgenuss verspürt. Scheu und Heimweh, Angst und Hoffnungsfreude sind bei ihm untrennbar verknüpft. Goldschmidt umkreist in seinen teils auf Französisch, teils auf Deutsch geschriebenen Büchern die Routinen, die Demütigungen, die sein früheres Ich lustvoll über sich ergehen lässt. Durch den Schmerz, darin besteht die Perversität der Züchtigung, spürt er sein Dasein. Ihn hat man nicht abgeholt, also kann er noch empfinden. Und so fragt sich der 17-Jährige in „Die Befreiung“ einmal, „ob das alles nicht ein Weg zur Selbstentdeckung, zum Kennenlernen seiner selbst, eine Art Triumph sein könnte“. In einem Leben, das keinen Halt mehr hat, gibt das Internat die „Form“ vor, in die sich Arthur einfügen kann.
Eine formgebende Disziplinierungsinstitution ist auch das Militär. 1953 wird Arthur Kellerlicht, inzwischen Mitte zwanzig, einberufen. Goldschmidt schildert diese Zeit in seiner Erzählung „Die Hügel von Belleville“, die 2015 im französischen Original erschien und die er nun selbst ins Deutsche gebracht hat. In den Krieg nach Indochina geschickt zu werden, ist das Schreckgespenst der jungen Rekruten dieser Jahre. Kellerlicht entgeht dem Grauen, wird stattdessen in Karlsruhe einkaserniert, in Deutschland also, wo man ihn noch vor wenigen Jahren vernichten wollte.
Wie so oft bei Georges-Arthur Goldschmidt beginnt es mit einer peinigenden Bahnfahrt, die Arthur ins Ungewisse führt: Vom Gare de l’Est in Paris schlängelt sich der Zug um Strasbourg herum nach Deutschland, und der Gedanke drängt sich ihm auf, dass dieser Zug „auch genauso gut von Drancy“ hätte abfahren können – jener Stadt nordöstlich von Paris, von wo aus Zehntausende Juden mit der Eisenbahn in die Vernichtungslager transportiert worden waren. Die eigene Geschichte, die Zerrissenheit, das fragile Bewusstsein von der eigenen Identität begleiten Kellerlicht. Als Zeuge seiner selbst weiß er um seine „Seinsscham“ als „Trittbrettfahrer des Lebens“. Unter den französischen Kameraden schämt er sich seiner deutschen Herkunft, vor den Einheimischen gibt er sich als Deutscher, „damit man ihn entschuldige, immer noch zu existieren und dann auch noch Franzose geworden zu sein“.
Es sind beunruhigende Eindrücke, die sich Kellerlicht in diesem Nachkriegs-deutschland aufdrängen. Der Schatten des Dritten Reiches liegt weiterhin über den Gebäuden, über den Gedanken der Menschen, über der eigenen Familie, aus der Kellerlicht herausgefallen ist. Der Nazi-Geist ist allgegenwärtig, Hitler scheint nicht verschwunden, sondern nur kurz abwesend zu sein. Bei einer Einladung ins Haus einer Karlsruher Familie – eine völkerverbindende Geste soll das sein – überkommt ihn stechendes Heimweh, das rasch von der grotesken Szenerie gemildert oder gar gänzlich abgetötet wird. „Die Gastgeber erzählten ihm von den so schweren Zeiten, und er in seiner Einfalt glaubte, dass sie von Adolfs Zeiten sprachen, aber gar nicht, von den fürchterlichen Jahren der Nachkriegszeit war die Rede, als man so gelitten und verzweifelt etwas zu essen gesucht hatte.“
Die Fünfzigerjahre sind für Kellerlicht auch eine Phase der Sprachfindung. Ihm werden die Unterschiede zwischen dem Französischen und dem Deutschen bewusst. Es gibt in „Die Hügel von Belleville“ Passagen, die an Goldschmidts sprachkritische Essays anschließen. Es ist die Rede von der „erstaunlichen Genauigkeit“ der deutschen Sprache: „Alles, wovon sie redet, ist irgendwo im Raum vorhanden“, sie „zählt jede Kleinigkeit auf“, alles ist „scharf abgegrenzt“, „wo das Französische sich mit Anspielungen begnügt, da es doch jeder versteht, bevor man zu Ende geredet hat“. Die eine Sprache verweist auf die andere. Kellerlicht ist in beiden zu Hause, und doch scheint es, als sei er „zu den deutschen Sachen bestimmt“.
Die Sprache Eichendorffs und Himmlers hält ihn fest, zugleich ist das Deutsche für ihn die „Lösung“ nach dem Ende der Militärzeit. Kellerlicht wird wie sein Autor Gymnasiallehrer, unterrichtet die Sprache der Mörder, die auch die Sprache Heines und Celans ist. Und er verliebt sich in jene junge Frau im grünen Mantel, die auf der letzten Seite von „Ein Wiederkommen“ ihren ersten Auftritt hatte. Sie verfügt über die „Liebeskraft“, ihn möglicherweise mit seinen Dämonen aussöhnen und vom Exil heilen zu können. Das Buch endet mit einer zärtlichen, unbeschwerten Liebeserklärung an die „Wunderbare“ und „Unersetzliche“.
Es ist schade, dass der Fischer-Verlag diese grandiose Fortschreibung eines Lebensbuchs in seiner Taschenbuchreihe ein wenig versteckt. Zumal einen bei der Lektüre das Gefühl nicht loslässt, dass Georges-Arthur Goldschmidt zwar über die Vergangenheit schreibt, aber zugleich die Gegenwart im zunehmend nach rechts driftenden Deutschland im Sinn hat. In seinem Vorwort, verfasst im Oktober 2017, heißt es: „Wir sind noch ein paar unerwünschte Zeugen aus der Zeit zwischen 1933 und 1945; uns, die wir auf der falschen Seite geboren wurden, dürfte es eigentlich nicht mehr geben, aber wie man weiß, Unkraut vergeht nicht.“
ULRICH RÜDENAUER
Durch den Schmerz, darin besteht
die Perversität der Züchtigung,
spürt er sein Dasein
Die Sprache Eichendorffs
und Himmlers
hält ihn fest
Georges-Arthur Goldschmidt: Die Hügel von Belleville. Eine Erzählung. Aus dem Französischen von Georges-Arthur Goldschmidt. S.-Fischer-Verlag, Frankfurt am Main 2018. 174 Seiten, 12 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.03.2019

Ins Intimste der Deutschheit
Georges-Arthur Goldschmidts Rückkehr als französischer Soldat

Das Leben Georges-Arthur Goldschmidts ist in seinen Büchern, sein literarisches Werk eine Vermessung der Schuld und Seele eines Überlebenden. Alles, das war der Eindruck der Leser anlässlich seines 90. Geburtstags im vorigen Jahr, hat dieser Schriftsteller zwischen zwei Sprachen und Nationen in seinen einzigartigen Büchern erzählt und nichts ausgelassen: Seine gerade noch rechtzeitige Abschiebung als Kind, die Zeit im französischen Internat, die Strafen und die Lust an der Züchtigung, den Anfang nach der Befreiung und ein Leben als "Schwarzfahrer des Schicksals". In dieser Odyssee gibt es eine Etappe, die einen Wendepunkt markiert hat: Es ist die Rückkehr nach Deutschland als Soldat der französischen Armee 1953. Goldschmidt beschreibt diese Monate in "Die Hügel von Belleville". Die Erzählung ist vor vier Jahren bei Actes Sud erschienen, der Autor selbst hat sie danach ins Deutsche übertragen.

Lange hatte Kellerlicht, der Protagonist, gefürchtet, dass ihn Frankreich in den Krieg nach Indochina schicken würde. Aber Deutschland? Auf der Fahrt dorthin wird er von Gedanken an die Deportationszüge heimgesucht. Am zweiten Weihnachtstag sind die französischen Soldaten bei einheimischen Familien eingeladen: "Es war sonderbar, so ins Intimste der Deutschheit zurückgeführt zu werden, es war, als sollte er die Gesten, die Geräusche, die Gerüche und Farben seiner Kindheit wiederfinden." Die Gastgeber klagen, wie schlimm die Zeiten waren, aber sie sprechen dabei nicht vom Krieg, sondern vom Nachkrieg, "als man so gelitten und verzweifelt etwas zu essen gesucht hatte". Sie sprechen über den Hunger ihrer Kinder, obwohl "sie wussten, dass man die sogenannt schwachsinnigen Kinder im Dritten Reich euthanasiert hatte". Schon 1938 hätten es "alle gewusst". Kellerlicht erzählt ihnen von der "Weißen Rose".

Ihrem Selbstmitleid und Vergessen steht Kellerlichts Selbstbezichtigung gegenüber. Er gibt sich als Deutscher aus, "damit man ihn entschuldige, immer noch zu existieren, und dann auch noch Franzose geworden zu sein". Aber sie durchschauen ihn: Ein französischer Soldat, der so gut Deutsch spricht, konnte nur ein Jude sein, der seine Bestimmung verraten hatte. An den Fluch dieser Herkunft will auch der "Rest seiner Familie" nicht erinnert werden. Kellerlicht besucht sie während eines Urlaubs von der Armee, die ihm "sogar den Schlafwagen" spendiert. "Hier fängt Asien an", sagt ihm der Schaffner an der Grenze zur DDR. "Dank Hitler", kommt es "wie geschossen aus Kellerlicht". Bis Hamburg wechseln sie kein Wort mehr. Von hier war er als Zehnjähriger vom "letzten Gleis an der Nordseite des Bahnhofs" weggefahren.

Es ist nicht das erste Mal seit dem Krieg, dass Kellerlicht zu seinen Angehörigen fährt. Willkommen war er nie; er störte und verstörte sie. Sie mussten dann beim Bäcker zwei Brötchen mehr kaufen. Sie hatten von den Wiedergutmachungszahlungen für "die bittere Pille einiger Millionen Vergaster" profitiert und "an seiner Statt einige bescheidende sechstausend DM kassiert, nachdem sie ihn schon um den Rest betrogen hatten". "Die Hügel von Belleville" sind ein Porträt der jungen Bundesrepublik, deren Stimmung Goldschmidt mit unerbittlichem Erinnerungsvermögen beschreibt: "Der Nationalsozialismus hatte derart die Geister geprägt, dass die Leute die Wirklichkeit für eine bloße Erscheinung hielten. Der Führer war nur vorläufig abwesend." Der Autor zitiert auch spätere Quellen mit Informationen, die zum Zeitpunkt des Besuchs noch nicht bekannt waren.

Am 20. Juli 1954 - mit der Unterzeichnung des Waffenstillstands nach der Niederlage der Franzosen in Dien Bien Phu - bekommt Kellerlicht die Gewissheit, dass er nicht nach Indochina muss. Nie hatte er an Desertion gedacht. Die Armeezeit war für Kellerlicht, "der in Frankreich ein Ausländer gewesen war", eine Emanzipation: Sie vermittelte seiner jungen französischen Staatsbürgerschaft "etwas Senkrechtes, fest Eingepflanztes". Vor allem: "Er war nicht mehr einer aus Deutschland." Später, beim Besuch der Familie, wird "die französische Uniform in einem Land, das seine Heimat gewesen war", zum Schutzanzug vor einem "möglichen Rückfall".

Am Ende der Dienstzeit, anlässlich der Rückkehr nach Frankreich, zeichnet sich eine Zukunft ab. Von einem Leben als dichtender Volksschullehrer ist die Rede, von der Sammlung "Schriftsteller von heute" und von der Muttersprache Französisch. Kellerlicht träumt wie Charlie Chaplin in "Moderne Zeiten": "Er wohnte über dem Klassenraum, die Kinder schlafen und die Gattin strickt", aus der Phantasie entsteht eine Chronik der späteren Wirklichkeit. "Nach drei Jahren Hin- und Herfahren" bekommt er eine feste Stelle. Sie gibt ihm die Gewissheit, dass er nun ein Zugehöriger geworden ist und nie mehr den Satz hören wird: "Sie sind keiner von uns."

JÜRG ALTWEGG

Georges-Arthur

Goldschmidt: "Die Hügel vom Belleville".

S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2018. 174 S., br., 12,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Die Erzählung 'Die Hügel von Belleville', kann als Geschenk gelesen werden - an die deutsche Sprache und diejenigen, die sie nicht lediglich 'beherrschen' wollen. Marko Martin Deutschlandfunk Kultur 20180502