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... Aber deswegen musst du dich doch nicht gleich tot stellen, Leonhard«, hatte sein Klavierlehrer einmal gesagt.Silvester verbringt der achtzehnjährige Leonhard allein im Haus seiner Eltern. Am Neujahrsmorgen kommt das Leben dann einfach zu ihm: Eine fremde Frau schläft auf dem Boden in der Diele. In der nächsten Nacht schläft Leonhard mit ihr im Gästezimmer. Emilie und Maria hingegen, beide über siebzig, sind unternehmungslustig, wenn auch den Ereignissen auf ihrer Reise in ein tschechisches Kurhotel nicht mehr ganz gewachsen. War es wirklich ein Klavierlehrer, der sie dorthin fuhr, und hat…mehr

Produktbeschreibung
... Aber deswegen musst du dich doch nicht gleich tot stellen, Leonhard«, hatte sein Klavierlehrer einmal gesagt.Silvester verbringt der achtzehnjährige Leonhard allein im Haus seiner Eltern. Am Neujahrsmorgen kommt das Leben dann einfach zu ihm: Eine fremde Frau schläft auf dem Boden in der Diele. In der nächsten Nacht schläft Leonhard mit ihr im Gästezimmer. Emilie und Maria hingegen, beide über siebzig, sind unternehmungslustig, wenn auch den Ereignissen auf ihrer Reise in ein tschechisches Kurhotel nicht mehr ganz gewachsen. War es wirklich ein Klavierlehrer, der sie dorthin fuhr, und hat er tatsächlich betrunken die Nacht im Bett zwischen den alten Damen verbracht? In einem Reigen aus elf Episoden erleben Judith Kuckarts Figuren Unerhörtes. Es gibt ihrem Leben eine unerwartete Wendung und dem Leser eine Ahnung, dass alles zusammengehört: Lust und Schrecken, Liebe und Tod, Schuld und Glück.
Autorenporträt
Judith Kuckart, geboren 1959 in Schwelm (Westfalen), lebt als Autorin und Regisseurin in Berlin und Zürich. Sie veröffentlichte bei DuMont den Roman ¿Lenas Liebe¿ (2002), der 2012 verfilmt wurde, den Erzählband ¿Die Autorenwitwe¿ (2003), die Neuausgabe ihres Romans ¿Der Bibliothekar¿ (2004) sowie die Romane ¿Kaiserstraße¿ (2006), ¿Die Verdächtige¿ (2008), ¿Wünsche¿ (2013), ¿Dass man durch Belgien muss auf dem Weg zum Glück¿ (2015) und ¿Kein Sturm, nur Wetter¿ (2019). Judith Kuckart wurde mit zahlreichen Literaturpreisen und Stipendien ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.10.2015

Schwachstelle Seele
Angst vor Leben: Judith Kuckarts Reigenroman

Die Beiläufigkeit, mit der sich das Leben ins Leben einzuschleichen vermag, ist manchmal ebenso atemberaubend wie das Tempo, mit der es einem wieder durch die Lappen geht. Umso gewöhnlicher sind die Menschen, von denen die in Berlin und Zürich lebende Autorin Judith Kuckart, deren Texten man immer anzumerken meint, dass sie über das Tanzen zum Schreiben fand, in ihrem Roman "Dass man durch Belgien muss auf dem Weg zum Glück" erzählt.

Kuckart stellt uns einen blassen VWL-Studenten vor, der am liebsten seelenlos wär' - weil die Seele "eine ewige Schwachstelle" ist. Zwei alternde Lehrerinnen, die darauf setzen, dass der Tag ihrer Begegnung vom "großen Radiergummi im Kopf" als "letzter ausradiert" wird. Eine Bäckerei-Aushilfe, die ein Staubsaugervertreter als Gesicht der Aktion "Runter vom Gas" erkennt. Oder den Vertriebsleiter eines Fachverlags, der an eine Frau denkt, die Selbstmord beging. In ihrem Abschiedsbrief stand "dies und das", und "dass jemand bitte noch die Pfandflaschen zurückbringen soll". Es sind alles Figuren, die sich nach Poesie und Körperlichkeit sehnen. Und doch bekommen die wenigsten von ihnen den Alltag mit seinen Routinen, die Banalitäten des Daseins und ihre Ängste aus dem Kopf. Das hemmt sie selbst beim Sex, der sich mal ereignet und mal nicht. Nur das Kino macht tatsächlich frei.

Mit federleichten, jeden Anflug von Pathos verscheuchenden Sätzen baut Judith Kuckart dabei eine Episode nach der anderen vor uns auf. Dass sie lose zusammenhängen, wird uns klar, als wiederholt von einem attraktiven Klavierlehrer die Rede ist. Nur wie? Eine Weile ist die gewählte Reigenform sicher einnehmend. Allerdings führt sie dazu, dass man das variantenreich dahintänzelnde, von minzfrischen Dialogen, lakonischen Beobachtungen und philosophischen Dehnübungen getragene Buch nur liest, um es nach der letzten Seite (und einem Verbrechen, das ebenfalls nur gestreift wird) wegzulegen, als ob nichts gewesen wäre. Wie schwer zu fassen doch selbst das Leseglück ist.

math.

Judith Kuckart: "Dass man durch Belgien muss auf dem Weg zum Glück". Roman.

DuMont Buchverlag, Köln 2015. 220 S., geb., 19,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.12.2015

Der gläserne Gast
Judith Kuckarts neuer Roman geht mit Glückssuchern ins Kino
Mit der Wange auf den Knien am Bordsteinrand sitzen, während in der Sommerhitze eines Sonntagnachmittags die Zeit verdampft, Kettenkarussell fahren in Begleitung eines Erwachsenen, der im Flug Geborgenheit schenkt: Bilder kindlichen Glücks durchziehen den neuen Roman von Judith Kuckart. „Dass man durch Belgien muss auf dem Weg zum Glück“ ist ein Bilder- und Figurenreigen, dessen Hauptpersonen nur locker miteinander verbunden sind. Auch wenn solche „Short Cuts“ formal nicht mehr neu sind – seit Robert Altmans Verfilmung der Shortstorys von Raymond Carver kommen sie auch in der deutschen Literatur ziemlich häufig vor –, erfüllen sie doch ihren Zweck.
  Alles wirkt zufällig und absichtslos, obwohl die Autorin viel konstruiert haben muss, um die Figuren zusammenzuführen. Wie ein Kopfkino aus verschiedenen Filmen hat sie ihren Roman gebaut. Dass er dennoch nicht disparat wirkt, liegt am starken Fluidum seiner Atmosphäre. Etwas Verwischtes, Sehnsüchtiges, Schlaf-trunkenes umgibt die Figuren, auch wenn sie noch so unterschiedlich sind.
  Kindliches Glück auf der einen Seite, Kinderlosigkeit auf der anderen, das sind die Pole, die dem Roman seine innere Spannung geben. Die weiblichen Hauptfiguren sind davon geprägt, dass sie keine Kinder haben. Es ist das, was sie verbergen wollen, das, wofür sie sich schämen, das, was so fest in ihrem Unbewussten sitzt, dass es selbst nach einem Hirnschlag das erste ist, was ihnen einfällt, auch wenn sie den eigenen Mann nicht mehr erkennen: „Scheiß Kinderlosigkeit“, flucht Wanda, als sie aus dem Koma erwacht. Vor Jahren ist sie von Dresden nach Berlin gezogen, sie arbeitet in einer Charlottenburger Bäckerei und betreut einen Jungen als Ersatz-Oma. Dort trifft sie auf Katharina. Sie war Schauspielerin in Basel und schlägt sich nun mit Gelegenheitsjobs durch. Mühelos erfindet sie Geschichten über eine zehnjährige Tochter namens Ronja, „sobald sie sich vor Gott, der Welt und sich selbst wegen ihrer Kinderlosigkeit schämte“.
  In der ersten von insgesamt elf Episoden befreit sie einen achtzehnjährigen Stu-denten von seiner Jungfräulichkeit. Danach schafft es Leonhard, endlich von zu Hause auszuziehen. Seine Familie wohnt in derselben Bungalowsiedlung in Stuttgart-Frauenkopf wie Katharinas Schwester Bea, eine arbeitslose Grafikerin, die sich mit ihrem Mann, dem Polizisten Sven, das Haus in der wohlhabenden Gegend nur wegen einer Erbschaft leisten kann. Das kleinste Zimmer haben sie für ein Kind reserviert, das einfach nicht kommt.
  Zwischen Stuttgart, Dresden und Berlin spannt Kuckart die Fäden der Handlung. So zieht Joseph, Beas und Leonhards Klavierlehrer, von Stuttgart nach Dresden, ausgerechnet in das Haus, in dem auch der erste Mann von Wanda lebt, der älteren Frau mit dem Hirnschlag. Und dieser Albert Abraham landet sogar zufällig zur gleichen Zeit wie sie im gleichen Berliner Krankenhaus, weil man seine Adresse bei Joseph fand, der nach einem Motorradunfall schwer verletzt dort eingeliefert wurde. Jenny, seine Freundin, ist gefahren. Die dreiunddreißigjährige Friseuse kam bei dem Unfall ums Leben, kurz nachdem sie sich entschlossen hatte, Joseph zu verlassen, weil sie Kinder wollte.
  Die Bildwelt des Romans ist stark von Kino und Theater geprägt, etwa von Anspielungen auf Carol Reeds „Der dritte Mann“, Hitchcocks „Fenster zum Hof“, auf Filme von Tarkowski oder Jim Jarmusch . Die Protagonisten werden gern mit Schauspielern verglichen. Katharina haben wir uns wie eine jüngere Version von Tilda Swinton vorzustellen, Joseph als Mischung aus Horst Buchholz und Anthony Perkins. Die Handlung dient dazu, starke Bilder zu erzeugen. Oft zwischen Traum und Albtraum angesiedelt, umfasst ihre Stimmung eine Bandbreite von Else Lasker-Schülers „Wupper“ bis zu den Filmen eines David Lynch.
  Das Unglück geschieht wie nebenbei, etwa wenn Sven, dem Polizisten, während einer Stammtisch-Runde dämmert, dass sich hinter dem grausigen Fund einer Brandtoten, von dem die Kollegen erzählen, seine Geliebte verbirgt. Sie trank zuviel, rauchte zuviel, aber sie hatte einen Namen, der ihn anzog: Marilyn. Manchmal wird das Vage dann doch prätentiös und das Sehnsuchtsvolle kitschig in diesem Roman, in dem Belgien die grundsätzliche Bedrohtheit des Glücks verkörpert. Für Viktor, den Vertriebsleiter eines juristischen Verlags, der einmal Schriftsteller werden wollte, ist das Glück ein „gläserner Gast“. Als Kind huschte er an einem Sommertag von der Eifel über die grüne Grenze nach Belgien. Das Mädchen, das ihn begleitete, hat sich als erwachsene Frau unter einen Zug gelegt, der nach Belgien fuhr.
  Die Unglücksfälle und Katastrophen, die in diesem Roman zuhauf geschehen, kann der Leser ungerührt an sich vorüberziehen lassen: wie Kinobilder, die er längst kennt. Anders verhält es sich mit der Spur von Verletzlichkeit, die den Roman durchzieht. „Dass man durch Belgien muss auf dem Weg zum Glück“ erzählt vom Schmerz der Kinderlosigkeit, von der Verblüffung, wie hartnäckig er sein kann und wie schwierig es ist, ihn zu verbergen. Als Schutzmantel des Themas leuchtet die Ästhetik des Vagen durchaus ein.
MEIKE FESSMANN
  
  
  
Judith Kuckart:
Dass man durch Belgien muss auf dem Weg zum Glück. Roman. DuMont Buchverlag, Köln 2015.
219 Seiten, 19,99 Euro.
E-Book 15,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Zur Spurenleserin wird Martina Läubli beim Lesen von Judith Kuckarts Roman, der für Läubli eigentlich ein Erzählband ist. Lauter Geschichten von mehr oder minder traurigen Menschen in Stuttgart, Berlin oder Dresden, die doch noch das Glück finden oder mit den kalten Gleisen vorlieb nehmen. Sehnsucht scheint Läubli das Schlüsselwort. Es gibt noch weitere Bezüge zwischen den Figuren und Geschichten, Gepäckstücke oder das Land Belgien, und fast fühlt sich die Rezensentin in einer kriminalistischen Angelegenheit unterwegs. Dass die Autorin kein lückenloses Netz zwischen den Erzählungen knüpft, findet sie recht raffiniert.

© Perlentaucher Medien GmbH