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Dem preußischen Beamten und Reformer, dem Verfasser unzähliger Denkschriften und Initiator epochemachender Sozialgesetze, dem Logistiker des antinapoleonischen Kriegs, dem Wissenschaftsorganisator wurde seit vielen Jahrzehnten keine umfassende Biographie auf wissenschaftlicher Grundlage mehr gewidmet. Der Mainzer Historiker Heinz Duchhardt verleiht, auch im Rückgriff auf ungedrucktes Quellenmaterial, neben dem Beamten und Staatsmann, neben dem politischen Partner von Königen und Kaisern, erstmals aber auch dem privaten Stein Konturen: dem Familienvater und Gutsherrn, dem Reisenden und Mäzen,…mehr

Produktbeschreibung
Dem preußischen Beamten und Reformer, dem Verfasser unzähliger Denkschriften und Initiator epochemachender Sozialgesetze, dem Logistiker des antinapoleonischen Kriegs, dem Wissenschaftsorganisator wurde seit vielen Jahrzehnten keine umfassende Biographie auf wissenschaftlicher Grundlage mehr gewidmet. Der Mainzer Historiker Heinz Duchhardt verleiht, auch im Rückgriff auf ungedrucktes Quellenmaterial, neben dem Beamten und Staatsmann, neben dem politischen Partner von Königen und Kaisern, erstmals aber auch dem privaten Stein Konturen: dem Familienvater und Gutsherrn, dem Reisenden und Mäzen, dem persönlichen Netzwerk. Der Rezeptionsgeschichte, in deren Verlauf Stein geradezu zum Deutschen schlechthin stilisiert wurde, wird entsprechend Aufmerksamkeit geschenkt. Am Beginn des Stein-Gedenkjahrs ein Buch, das neue Maßstäbe setzt.
Autorenporträt
Heinz Duchhardt, geb. 1943, ist Professor für Neuere Geschichte und Direktor des Instituts für Europäische Geschichte in Mainz.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.07.2008

War da wer? Eine Symbolfigur gar?

Heinz Duchhardt hat sich für den Freiherrn vom Stein mit einer Biographie ins Zeug gelegt - allerdings derart korrekt und skrupulös, dass kein gerundetes Bild entsteht.

Einst war er das Vorbild schlechthin: als Politiker und Patriot, der nach 1806, in der tiefsten Erniedrigung Preußens, mit unerschütterlichem Mut jene Reformen durchsetzte, die den Staat freiheitsfähig machten; als Vorläufer Bismarcks im Streben nach nationaler Einheit; als Vordenker kommunaler Autonomie, den man im Westen und, als Schöpfer der Bauernbefreiung, den man in der DDR verehrte; als europäischer Staatsmann und als Begründer der modernen Mittelalterforschung. Auch und gerade das schönste Buch über den Freiherrn vom Stein, Gerhard Ritters "Politische Biographie", ist ein solcher Versuch, den Helden zeitpolitisch zu aktualisieren. Zwei Fassungen gibt es. Die erste, 1931 publiziert, war das Werk eines überzeugten Deutschnationalen, der gegen die Radikalismen der späten Weimarer Republik sein Ideal eines guten Politikers entwarf: keinen Parteimann, sondern einen redlichen "Charakter", der mit Vernunft und Courage für ein liberaleres, besseres Preußen kämpft. Auch die zweite, gestraffte Version von 1958 sah in Stein "das Ideal des freien, aufrechten Mannes, der unbeirrbar seiner Überzeugung folgt, der ohne persönlichen Macht- und Geltungsdrang allein im Bewußtsein sittlicher Verantwortung für das Gemeinwohl kämpft", klang aber deutlich kühler, sachlicher, bundesrepublikanischer. Nach zwei Weltkriegen, bemerkte Ritter, blicke man "mit größerer Nüchternheit" auf Stein und seine Zeit.

Seither sind über Stein nur noch Spezialstudien und populäre Kurzfassungen von Ritters Werk erschienen. Es schien unschlagbar - es sei denn durch eine radikale Umwertung. Für die Einführung moderner, also egalitärer Prinzipien in Politik und Gesellschaft nämlich, so bemängelte man in Bielefeld und anderswo, habe Steins Nachfolger Hardenberg mehr getan als er. Und dass ein konservativer Großordinarius wie Ritter ihn lobte, sprach seit den Siebzigern zusehends gegen ihn.

Nun hat Heinz Duchhardt Steins Leben neu geschrieben - auf Bitten des Münsteraner Aschendorff-Verlags, der dem westfälischen Oberpräsidenten und Schlossherrn von Cappenberg zum 250. Geburtstag eine Huldigung erweisen wollte. Das ist ein Glücksfall. Denn der Chef des Mainzer Instituts für europäische Geschichte ist ideologischen Eifers unverdächtig, ein führender Kenner frühneuzeitlicher Diplomatiegeschichte, ein bewährter Handbuchautor, der den Absolutismus als Historiker ebenso energisch bestreitet, wie sein Held ihn als Politiker bekämpfte.

Entstanden ist ein grundsolides, informatives Buch. Sorgfältig arbeitet sich der Verfasser anhand der Akten- und Quelleneditionen voran. Kundig fügt er Archivmaterial zu Steins konfliktreichem, aber unspektakulärem Privatleben hinzu. In gleichbleibend temperiertem Ton erzählt er dessen Leben von Geburt an: die Jugend in Nassau, die Göttinger Studienzeit, die frühen Amtsjahre im preußischen Westen, die dramatische Reformzeit bis zur Ächtung durch Napoleon 1808, die Flucht nach Böhmen und Russland, die Rückkehr im Gefolge des siegreichen Zaren 1813, die Aktivitäten auf den Friedenskongressen 1814/15 und dann - dies ist der Teil des Buches, der über Ritter hinausgeht - die späten Jahre, als der Enttäuschte, politisch Gescheiterte von Cappenberg aus jene Sammlung deutscher Geschichtsmonumente ins Leben rief, deren gewaltige Bände bis heute die Grundlage der Mediävistik bilden. Man lernt den ganzen Stein kennen, bis in einzelne Schriften hinein, denn Duchhardt zögert nicht, wichtige Akten Absatz für Absatz zu referieren. Schade ist nur, dass der Verlag es versäumt hat, jene zahllosen sprachlichen Schludrigkeiten zu bereinigen, die auch Profis unterlaufen, wenn sie unter Zeitdruck, zwischen Sitzungen, Reisen und Verwaltungspflichten, 500-Seiten-Bücher diktieren müssen. Als Erzähler jedenfalls, das muss man leider sagen, bleibt Ritter konkurrenzlos.

Das ist aber nicht der einzige Grund dafür, dass Ritters luzider, souverän treffsicherer, den Leser energisch vorwärtsdrängender Stil bei Duchhardt sonderbar verlangsamt, verbreitert, verunsichert klingt. Denn auch inhaltlich tritt der Verfasser als Antipode seines großen Vorgängers auf (dessen Werk er nur in der ersten Fassung zu kennen scheint). Zwar teilt er dessen Ein- und Hochschätzung Steins. Auf gar keinen Fall aber möchte Duchhardt Stein nationale Ziele zuschreiben und eigentlich gar keine langfristigen Ziele - wo immer er solche Versuche bei Ritter findet, tadelt er ihn harsch. Er selbst nämlich, bekennt der Verfasser, glaube "nicht an das Konstrukt eines Lebensentwurfs, also eines ideologischen Gebäudes und klar fixierten Ziels und entsprechender Entschlossenheit, dieses Gebäude umzusetzen". Das aber führt ihn je länger, je mehr dazu, schlechthin alles zu relativieren, was die ältere Forschung in Stein sehen wollte: dass er ein patriotischer Visionär gewesen sei, ein Anwalt politischer Freiheit, ein führender Reformer, ein souveräner Planer, ein genialer Organisator, ein beeindruckender Charakter. Nichts davon war Stein, nur ein bulliger kleiner Mann, dessen Tatkraft teils enthusiasmierte, teils enervierte und der in Erregung in einen "rapiden und stürzenden" Redefluss zu verfallen pflegte. Eine Mischung aus Hartmut Mehdorn und Hans Moser also. Aber muss man ihn dann noch kennen?

Kein Zweifel: Heinz Duchhardt hat ein eminent zeitgemäßes Buch geschrieben. Denn auf seine ruhige, gewissenhafte Art macht er Ernst mit der Lieblingsidee der Dekonstruktivisten, dass letztlich alles zufällig, kontingent, sinnlos sei. Dass ihm eine so markante politische Symbolfigur wie der Freiherr vom Stein in tausend Mosaiksteinchen zersplittert, die kein gerundetes Bild mehr ergeben: dass der einstige Held zum allenfalls interessanten Alltagstyp schrumpft, ist das Ergebnis hoher kritischer Wahrhaftigkeit - aber auch der authentische Ausdruck einer akademischen Geschichtskultur, die vor theoretischen Skrupeln und politischer Korrektheit auf dem besten Wege ist, sich selber abzuschaffen.

GERRIT WALTHER

Heinz Duchhardt: "Stein". Eine Biographie. Aschendorff Verlag, Münster 2007. 530 S., geb., 29,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Höchst interessant, was Gerrit Walther dieser Biografie des Freiherrn vom Stein von Heinz Durchhardt entnimmt. Walther erkennt das Buch als Versuch, über Gerhard Ritters erzählerisch "souveräne", lange unangefochtene Studie hinauszugehen, die Stein als großen, Preußen verpflichteten Politiker zeigte. Zwar traut Walther dem Autor dergleichen durchaus zu und sieht hier ein "grundsolides, informatives" Buch vor sich, das den ganzen Stein, auch dessen späte Jahre der Enttäuschung, wie Walther schreibt, vorstellt. Doch empfindet der Rezensent Durchhardts Kritik an der Stein-Forschung und an Stein selbst bald als Problem. Der alles relativierende Gestus des Autors erweckt in ihm die Frage, was denn an Stein eigentlich so bemerkenswert gewesen sei. Ein derart dekonstruktivierter Stein erscheint ihm zwar zeitgemäß, das Buch von "hoher kritischer Wahrhaftigkeit", doch auch als Zeichen für eine Geschichtskultur, die dabei ist, "sich selber abzuschaffen".

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