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In diesem Band mit vier bisher unveröffentlichten großen Erzählungen der bekannten Autorin werdendie Leser wieder einmal in eine Welt schaurig-spannender, psychologisch reizvoller Beziehungen befördert. Auslöser sind Vorfälle, die jedem von uns geläufig sind, sei es aus persönlicher Erfahrung oder durch Medienberichte. Da ist der Telefonanruf eines Fremden - soll ich den Anruf annehmen oder besser nicht? -, eine zugelaufene, herumstreunende Katze - kann sie die Rettung sein? -, die Beziehung einer jungen Studentin zu ihrem Mentor oder ein ungeklärter Selbstmord. In jeder dieser Erzählungen…mehr

Produktbeschreibung
In diesem Band mit vier bisher unveröffentlichten großen Erzählungen der bekannten Autorin werdendie Leser wieder einmal in eine Welt schaurig-spannender, psychologisch reizvoller Beziehungen befördert. Auslöser sind Vorfälle, die jedem von uns geläufig sind, sei es aus persönlicher Erfahrung oder durch Medienberichte. Da ist der Telefonanruf eines Fremden - soll ich den Anruf annehmen oder besser nicht? -, eine zugelaufene, herumstreunende Katze - kann sie die Rettung sein? -, die Beziehung einer jungen Studentin zu ihrem Mentor oder ein ungeklärter Selbstmord. In jeder dieser Erzählungen entspinnt sich zwischen den Protagonisten ein psychologisches Geflecht, das Vergangenheit und Gegenwart, Gedanken und Handlungen miteinander verflicht. Im Zentrum stehen bei Oates die bedrohlichen Erlebnisse junger Frauen, die sich in der Gegenwart mit Geschehnissen aus ihrer Vergangenheit auseinandersetzen müssen. Mit dieser Zusammenstellung ist es dem US-Verleger in einem geschickten Schachzug gelungen, Oates' Herzensanliegen - nämlich aufzuzeigen, wie Frauen in einer häufig psychisch und körperlich brutalen Männerwelt bestehen - in einem kompakten, inhaltlich stringenten Erzählband auf den Punkt zu bringen. Die Erzählungen sind spannend, überraschend, bemerkenswert. Die roten Fäden, die sich vom ersten Satz bis zur endgültigen Auflösung auf der letzten Seite durch die Geschichten ziehen, sind sprachlich fein durchdacht und auf höchstem literarischen Niveau.
Autorenporträt
Joyce Carol Oates, geboren 1938, schrieb mehrere US-Bestseller, wie "We were the Mulvaneys", "Blonde" und "The Falls". Oates studierte Englisch und Philosophie und lehrt seit 1978 in Princeton. Für ihre Romane, Erzählungen, Gedichte und Theaterstücke erhielt sie zahlreiche Preise, u. a. den National Book Award. 2020 wurde sie für ihr Lebenswerk mit dem internationalen Cino del Duca Preis ausgezeichnet. Bei Osburg erschien im Frühjahr 2020 ihr Roman "Verfolgung".
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.06.2021

Wer hat Angst vor der weißen Katze?
Auf der Suche nach sich selbst mit dem Messer unter dem Herzen: Vier bisher unveröffentlichte Erzählungen von Joyce Carol Oates

Eine junge Frau um die dreißig, sie heißt Claire Seidel, wurde als Waise erst im Alter von knapp drei Jahren von einem älteren kinderlosen Ehepaar in Minnesota adoptiert. Sie lebt jetzt in Bryn Mawr, ist Postdoktorandin am dortigen College, arbeitet als Kunsthistorikerin im Fotografie-Archiv des Philadelphia Museum of Art. Es erreicht sie ein Anruf, auf dem Festnetz, das sie eigentlich nicht mehr benutzt, in ihrer Einzimmermietwohnung. "Das Telefon klingelt. Unerwartet" - eine Verheißung ist das. Ein Anwalt in der (fiktiven) Stadt Cardiff, by the Sea in Maine sagt, sie habe geerbt, von ihrer Großmutter, deren Namen sie nie kannte. Die Begegnung mit den Überlebenden ihrer leiblichen Familie führt Claire in ein Geflecht von Verkennung und Grausamkeit, das im ersten Kapitel, einem Omen gleich, anklingt: "Somit steht es fest. Im Spinnennetz darf sie weiterleben." Wer weiß das schon.

Mia, ein Mädchen, vielleicht vierzehn Jahre alt, rettet ein weißes Kätzchen, nachdem eine urbane Wildnis hinter ihrem Wohnhaus planiert wurde, die einer räudigen Rotte verwilderter Katzen als Rückzugsort gedient hatte. Deren Nähe hatte Mia immer wieder gesucht. Sie fühlt sich unsicher, verfolgt von pubertierenden Jungen um sie herum, während sie selbst mit ihrem beginnenden Frauwerden kämpft. Sie tauft das kleine Tier "Miao Dao", nach seinem leisen Schreien. Darin klingt auch ihr Name an, und so hieß das schärfste der japanischen Messer ihres Vaters, der die Familie verlassen hat.

Die Studentin Alyce fällt dem jungen Poetikdozenten Simon an ihrer Universität auf; "Wie ein Geist: 1972" heißt die Erzählung aus einer Zeit meist ungeahndeter Übergriffigkeit. Hineingeraten in die gefühlskalte Liaison - "Das war doch Liebe, oder? Ganz arglos wollte sie glauben, Das ist ein Versprechen. Die Liebe wird kommen." - wird sie von ihm schwanger. Ein bekannter alternder Schriftsteller, der an der Universität als Gast weilt, nimmt sich ihrer an, ohne zunächst von der Schwangerschaft zu wissen; er stellt Alyce, deren Name nicht zufällig gleich klingt wie der jener "Alice in Wonderland", für die Ordnung seiner Papiere bei sich an. Sie übernimmt diese Aufgabe, ohnehin aus ihrem Lebensplan geworfen.

Eine junge Frau, Elisabeth, Akademikerin auch sie, heiratet Alexander, den vermögenden Witwer von N. K., einer umschwärmten, so egomanischen wie verantwortungslosen Dichterin, die ihre kleine Tochter mit in ihren Suizid genommen hat. Der nur wenig ältere Sohn, Stefan, blieb verschont, unter ungeklärten Umständen; er ist "Das Kind, das überlebte". Das elegante Haus in Massachusetts wird zum Ort eines subtilen Horrors, für Elisabeth und für Stefan: "Scharf wie eine Glasscherbe schneidet ein Gedanke in ihr Herz - Ich werde ihn lieben. Ich werde ihn retten. Ich bin es." Elisabeth und der verstörte Junge werden zu Gefährten.

Mehr ist kaum zu sagen, um die ungeheure Spannung, die sich so jedes Mal in Leib und Seele aufbaut, spürbar zu machen. Und diese Angstlust am thrill sei hier keinesfalls verdorben. Unter dem Titel "Cardiff, by the Sea" sind 2020 bei The Mysterious Press in New York vier bisher unveröffentlichte Erzählungen von Joyce Carol Oates erschienen, in denen sie ihre ganze Meisterschaft ausspielt. Wann sie entstanden sind, ist nicht angegeben, aber es ist anzunehmen, dass sie jüngeren Datums sind. Jetzt liegen sie als "Cardiff am Meer", so zugleich der Titel der ersten Geschichte, auf Deutsch vor. Übersetzt hat sie Ilka Schlüchtermann, die jede Wendung darin aufnimmt, sorgfältig bedacht auf die Eigenheiten des Stils der Autorin.

Es sind sämtlich "Mystery Stories", wenngleich verankert in der Wirklichkeit, rätselhaft bleiben ihre Ausgänge. Eine Auflösung, ein Ende gar, ist für keine von ihnen zu haben. Das ist der unvergleichliche Trick von Joyce Carol Oates dabei. Sie erzählt mit, im Wortsinn, unheimlicher Präzision, an der Oberfläche nachvollziehbar, voller an den handelnden Personen anscheinend psychologisch nachvollziehbarer Deutungsangebote. Dabei trägt doch sie selbst, die alles zu wissen scheint aus dem Off, gewissermaßen "das Messer unter dem Herzen" geborgen, das zweimal seine Rolle spielt. Und dafür agiert sie, für ihre Gewandtheit berühmt, ständig auf drei Ebenen.

So ist schon das auffällige Schriftbild ein Hinweis bei den agonalen Begegnungen auf Leben und Tod. Es sind diese Passagen in Kursivierung, die den flüchtigen Gedanken von Claire, Mia, Alyce und Elisabeth gelten - zugleich den Einlassungen der Autorin, wo sie die unerhörten Geschehnisse bündelt, solidarisch mit ihren Protagonistinnen; oder stellvertretend, wo die es nicht mehr selbst können. Und immer wieder eröffnen Klammern im Text (Möglichkeits-)Räume, die nicht ausgefüllt werden; wie in der zweiten Geschichte "Miao Dao" um Mia und ihre Katze: "Ihr Vater (der gerade zwölf Tage lang unterwegs gewesen war, dienstlich, hatte man ihr gesagt) würde jetzt für immer ausziehen, weg von der Familie. Aber warum?" Gleich Regieanweisungen aus den Kulissen für ein Drehbuch lenkt Oates den unausweichlichen Fortgang des Geschehens, ohne Antworten zu geben, ohne einzugreifen. Mias Stiefvater, der inzwischen im Haus mit der Mutter und den zwei kleineren Brüdern lebt, wird sich dem scheuen Mädchen auf ekelerregende Weise nähern. Das von Mia gerettete weiße Kätzchen wächst sich indessen zu einer unbezähmbaren Kätzin mit schwarzen Augen aus.

Die vier Geschichten sind in einer subkutanen Spur verbunden, ohne miteinander zusammenzuhängen. Einer überkommenen Idee der sänftigenden Wirkung von Blutsverwandtschaft misstraut Oates zutiefst. Jede ihrer jungen Frauen wird mit einer ungeahnten Wendung des Schicksals konfrontiert, die an ihrer fragilen Identität angreift, an der heikelsten Frage überhaupt, der nach Eltern- und Kindschaft, nach Herkunft und Zukunft.

Joyce Carol Oates, Jahrgang 1938, die unermüdlich schreibende, vielfach prämierte und bis heute immer wieder als Kandidatin für den Literaturnobelpreis genannte große Schriftstellerin, beweist in diesen Prosastücken einmal mehr ihr ganzes Können. Sie tut das so verführerisch, wie es aus der Tradition der Gothic Novel heraus nur sein kann; so aufregend, wie die Mise en Scène unterdrückter Gefühlswelten, die im Mythos präfiguriert sind, nur Gestalt gewinnen kann; und so hellsichtig, wie Blutsbande und ihre Verstrickungen bis in die Gesellschaft unserer Gegenwart hineinwirken. Deshalb hier noch, als Warnung - oder gefährliche Hoffnung: Zu wem sich eines Nachts, bei einem spaltbreit geöffneten Fenster, geschmeidig eine muskulöse weiße Kätzin gesellt, sich sanft anschmiegt, der hat verstanden, von welcher widerständigen Kraft Joyce Carol Oates dennoch erzählt.

ROSE-MARIA GROPP

Joyce Carol Oates: "Cardiff am Meer". Erzählungen.

Aus dem Englischen von Ilka Schlüchtermann.

Osburg Verlag, Elmsbüttel 2021. 380 S., geb., 24,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensentin Rose-Maria Gropp steht noch ganz im Bann dieser, wie sie findet, meisterhaften "Mystery Stories" von Joyce Carol Oates. Spannung heißt hier laut Gropp, oberflächlich ganz realistisch und präzis zu erzählen, aber bei Schluss und Auflösung zu knausern und ganz nebenher das Unerhörte hereinzulassen. Wie Oates die Tradition der Gothic Novel fortschreibt, die Geschichten "subkutan" miteinander verbindet und verborgene, dem Mythos entstammende Gefühlswelten erschließt, scheint Gropp verführerisch, aufregend.

© Perlentaucher Medien GmbH