Marktplatzangebote
10 Angebote ab € 4,80 €
  • Gebundenes Buch

1 Kundenbewertung

Im Wald ist es warm und dunkel, als Nicola zitternd das Gewehr auf seinen geliebten Bruder Lupo richtet. Er bittet um Verzeihung, dann schießt er. Der Erste Weltkrieg hat Serra de' Conti erreicht, ein Dorf in den italienischen Marken.An diesem Ort der Habenichtse zählt der Einzelne bloß, wenn er arbeitet, gehört keinem Bauern das Land, das er bestellt. In der Familie des Bäckers Ceresa überlebt kaum ein Kind, bald sind nur noch zwei Söhne übrig, so grundverschieden wie unzertrennlich: Nicola, der schwächliche Junge mit dem Prinzengesicht, und der aufsässige Lupo, der sich schon früh den…mehr

Produktbeschreibung
Im Wald ist es warm und dunkel, als Nicola zitternd das Gewehr auf seinen geliebten Bruder Lupo richtet. Er bittet um Verzeihung, dann schießt er. Der Erste Weltkrieg hat Serra de' Conti erreicht, ein Dorf in den italienischen Marken.An diesem Ort der Habenichtse zählt der Einzelne bloß, wenn er arbeitet, gehört keinem Bauern das Land, das er bestellt. In der Familie des Bäckers Ceresa überlebt kaum ein Kind, bald sind nur noch zwei Söhne übrig, so grundverschieden wie unzertrennlich: Nicola, der schwächliche Junge mit dem Prinzengesicht, und der aufsässige Lupo, der sich schon früh den Anarchisten anschließt. Unermüdlich beschützt Lupo den ängstlichen Bruder, kämpft gegen die Ungerechtigkeit der Mächtigen und die Märchen der Kirche. Doch zwischen den Brüdern steht eine Lüge, verborgen hinter Klostermauern.In wirkmächtigen Bildern von karger Schönheit erzählt Giulia Caminito »von unten« aus der Geschichte Italiens: von Malatestas Anarchisten, dem Ersten Weltkrieg und der Spanischen Grippe bis zum Aufstieg Mussolinis - ein Roman über zwei ungleiche junge Männer und über den unerschütterlichen Glauben an eine bessere Zukunft.
Autorenporträt
Giulia Caminito, 1988 in Rom geboren, wo sie politische Philosophie studierte. Sie hat zwei mehrfach preisgekrönte Romane geschrieben und betreibt mit vier Kolleginnen eine Verlagsagentur. »Ein Tag wird kommen« ist dem Andenken ihres Urgroßvaters gewidmet, einem in den Marken bekannten Anarchisten, dessen Spuren sich nach dem Ersten Weltkrieg in Deutschland verlieren.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs teilen sich der junge Lupo und sein Bruder in einem sehr armen italienischen Dorf die Verantwortung für ihre vom Unglück gebeutelte Familie und kämpfen mit ihren gegenseitigen Verpflichtungen, fasst Rezensentin Cornelia Geißler diesen Roman zusammen. Sie hat das Buch gerne gelesen, was vor allem an der Lebendigkeit der Figuren lag. Auch die Aktualität des Romans hat die Kritikerin begeistert: Zuletzt fällt die Spanische Grippe über das Dorf her, verrät sie.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.09.2020

Die kleine Welt
Giulia Caminitos Roman "Ein Tag wird kommen"

Don Camillo und Peppone haben es vorgemacht. Hemdsärmelig und rauhbeinig streiten der Priester und der Kommunist in den Erzählungen Giovannino Guareschis für ihre Überzeugungen. Beider kleine Welt liegt am Po, in der Emilia-Romagna, ihre Katzbalgereien tragen sie nach dem Zweiten Weltkrieg aus. Guareschis Humor wohnt Trost inne, der sich nie aus Naivität speist: Er wurde unter Mussolini verhaftet und im Nachkriegsitalien wegen Beleidigung des Staatspräsidenten verurteilt.

Die kleine Welt von Giulia Caminito, geboren 1988, liegt in einer Nachbarregion, den Marken. Bei ihr beharken sich Christen und Anarchisten, vor und während des Ersten Weltkriegs. Humor fehlt in ihrem Roman, oberflächlich auch jenes Versöhnungsangebot, das sich aus Toleranz speist. "Denn, wie man weiß: Die Erde bleibt, während die Menschen fortgehen." Ein fataler, gleichgültiger Anklang ist wohl nicht zu leugnen.

In der Tat stützt die erste Hälfte des Romans diesen Eindruck. Caminito beginnt mit einer Szene im Wald. Zwei Brüder stehen einander gegenüber, Nicola und Lupo. Der eine soll auf den anderen schießen, daraus bezieht der Roman seine Spannung. Wie Caminito ihre Leserschaft dann aber in die Familie Ceresa einführt, wie sie den anarchistischen Großvater Giuseppe, die verschwundene rebellische Schwester Nella, den starrsinnigen und sozialrevolutionären Lupo, den kränklichen lesekundigen Nicola und die ansonsten christliche Familie vorstellt, hätte etwas durchdachter sein können. Es ginge zu weit zu behaupten, sie wollte durch Unverständlichkeit Spannung im Roman erzeugen, doch die Gefahr der Wirrnis ist nicht fern.

Ökonomisches Erzählen war ja einmal ein großes Schlagwort, und es ließe sich trefflich darüber streiten, ob Generosität oder gar Prasserei der Literatur abträglich ist. Bei Caminito wäre aber etwas sprachlicher Geiz bei den Vergleichen ratsam gewesen. Der Wald, in dem die Brüder stehen, ist "klein wie sie, die sie Nadeln im Heuhaufen waren", Lupo mit "Rabenblick, reglos wie eine Gewissheit", Nicola mit den "grauen Augen wie der Boden einer Metallwanne", und wer die alten Regeln nicht befolgt, geht ein "wie Quitten, wenn man ihnen den Saft entzieht".

Wer die Monotonie solcher Vergleiche schluckt und ein wenig durchhält, kann indes beobachten, wie sich eine Lesart auftut, die dem Eindruck der ersten Seiten widerspricht. Zur Darstellung der "christlichen Seite" wählt Caminito zwei Figuren, den bigotten Don Agostino und Suor Clara, für die La Moretta Patin stand, die schwarze Äbtissin des Klosters Serra de' Conti. Hier gelingen Caminito schnörkellosere, eindrücklichere Passagen, vor allem wenn sie Suor Clara beschreibt, die von arabischen Sklavenhändlern aus dem Sudan entführt wurde. Anschaulich schildert sie, was das italienische Klima für Haut- und Haarpflege dieser Frau bedeutet, aber auch wie die Menschen im Dorf reagieren, als sie erstmals eine Schwarze sehen.

Ihre Figuren werden nun differenzierter und greifbarer. Ein wenig Fontane schimmert auf: "Unanfechtbare Wahrheiten gibt es überhaupt nicht, und wenn es welche gibt, so sind sie langweilig." Ein Mensch ist nicht mit seiner Stimmabgabe in der Wahlkabine umrissen, nicht mit seinem Rosenkranz . . .

"Ein Tag wird kommen" ist nach "La Grande" von 2016 der zweite Roman Caminitos. Beide sind historisch angelegt - "La Grande" spielt teils in den italienischen Kolonien -, beide sind von der eigenen Familiengeschichte inspiriert: Caminitos Vater stammt aus Eritrea, ihr Urgroßvater Nicola Ugolini ist ein Anarchist aus den Marken gewesen.

In ihren zweiten Roman webt Caminito nun aufkeimenden Faschismus, Missbrauch, revolutionäre Bewegungen, die Rolle der Frau, die Unterdrückung von Bildung und vieles mehr ein. Moderne Themen also. Doch siehe da, es treffen sich die relativ junge Frau aus dem 21. und der alte Mann aus dem neunzehnten Jahrhundert. Fontane legt seinem Dubslav im "Stechlin" die Worte in den Mund: "Ich gehöre zu denen, die sich immer den Einzelfall ansehn." Das hat Giulia Caminito getan. Literarisch vielleicht nicht durchgängig überzeugend, aber doch anregend genug, um über Prinzipienreiterei nachzudenken.

CHRISTIANE PÖHLMANN

Giulia Caminito: "Ein Tag wird kommen". Roman.

Aus dem Italienischen von Barbara Kleiner. Wagenbach, Berlin 2020. 272 S., geb., 23,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.09.2020

Italienische Gewürzmischung
Die junge Römerin Giulia Caminito hat etwas zu viele Themen und Handlungsstränge in ihren zweiten Roman gepackt
Das Donnergrollen ist schon im Prolog nicht zu überhören. Ein finsterer Wald, ein armseliges Dorf, ein Gewehr, das der Bäckerssohn Nicola auf seinen älteren Bruder Lupo richten soll, obwohl der zarte Junge sich dagegen sträubt. Doch Lupo selbst befiehlt es ihm. Schließlich ein Schuss. Treffer? Das bleibt im Dunkeln, aber nicht nur das Sujet, auch der Erzählton beschwört eine archaisch entrückte Epoche. Wiederholungen rhythmisieren den Satzbau, poetische Vergleiche geben der Szene einen beinahe mythischen Anklang. Nicola, ein Schwächling ohne „Kruste“, der „nicht einmal für Brotsuppe“ taugt, sieht an diesem Nachmittag sein Leben fortlaufen wie „ein Rinnsal Süßwasser“. Mit derartig expressiven Bildern einen Roman zu eröffnen, ist ein Wagnis.
Giulia Caminito lässt sich in „Ein Tag wird kommen“, ihr zweites Buch und zugleich ihr deutsches Debüt, mit großer Unbefangenheit auf dieses Risiko ein. Der Kain-und-Abel-Effekt des Anfangs ist wohl kalkuliert und soll Spannung schüren, was aber angesichts der sich überstürzenden Schicksalsschläge, von denen Caminitos Romanfamilie Ende des 19. Jahrhunderts in den Marken heimgesucht wird, fast in Vergessenheit gerät. Zunächst einmal trägt die Autorin die Genealogie nach, und erklärt, dass der Vater Luigi Ceresa, „grob und rau wie die Kruste seines Brotes, hart wie Roggen, unverdaulich für die vielen, die er nicht liebte“, aus Verzweiflung über die zahlreichen Totgeburten seiner schon fast erblindeten Frau Violante eines Tages ein fremdes Kind an die Brust legte, eben jenen hellhäutigen Nicola, der wie aus der Art geschlagen wirkt. Oder, um es mit Caminito zu sagen: „wie eine Blume im Stall“. Der kluge Junge steht schon als Kleinkind unter dem Schutz des kräftigen, aufmüpfigen Lupo, der ihm die Schule bezahlt und ihn vor den Übergriffen des Vaters verteidigt. Lupo verdankt seinen Namen dem Heiligen Lupus, aber auch die wortwörtliche Bedeutung schwingt mit – er ist unerschrocken wie ein Wolf. Dass er einen Begleiter an seiner Seite hat, der ein gezähmter Wolf ist und sinnfälliger Weise „Cane“, also Hund genannt wird, soll seinen Charakter auf motivischer Ebene unterstreichen, wirkt aber zu forciert, wie so vieles an diesem Roman.
Weil die älteste Schwester Nella vor Lupos Geburt ins Kloster verbannt wurde und dann noch ein Priester mit wohlfeilen Ratschlägen aufwartet, ahnt der familiendramengestählte Leser Böses. Und dies ist nur der Haupthandlungsstrang. Rückblenden katapultieren uns in den Sudan, wo ein schwarzes Mädchen entführt wird, das just im Kloster des armseligen Dorfes in den Marken landet, zu einer allseits verehrten Äbtissin heranwächst und Nella in ihre Obhut nimmt. Drumherum beginnt dann auch noch die Weltgeschichte zu explodieren: Anarchistische Erhebungen, bei denen Lupo mitmischt, Streikwellen, die Italien erschüttern, der Erste Weltkrieg, das Gemetzel an der Front, die Spanische Grippe, Mussolini, der in den Startlöchern sitzt. All das soll irgendwie verwurstet werden, und es verstärkt sich der Eindruck, dass Giulia Caminito viel zu viele Gewürze in die Roman-Suppe schüttet. Zu viele sterbende Geschwister, zu viele Schauplätze, die nur angerissen werden, eine stolpernde Dramaturgie und dann noch die Fülle der historischen Ereignisse. Die Autorin kann sich nicht entscheiden, welches die prägenden Ereignisse für ihre Figuren sein sollen. Mit ihrer bildhaften Sprache und den lyrischen Vergleichen setzt Giulia Caminito einen eigenen Akzent, aber durch übermäßigen Gebrauch verschleißt sich ihr Stilmittel, der geheimnisvolle Ton verliert an Kraft.
Dass die römische Schriftstellerin, die 1988 geboren wurde und Philosophie studiert hat, nicht einen der üblichen postadoleszenten, lakonischen Entwicklungsromane geschrieben hat, ist ihr dennoch hoch anzurechnen. Sie knüpft mit ihrem Rückgriff auf regionale Geschehnisse an eine Traditionslinie der italienischen Literatur an, wie es Michela Murgia mit einem vitalisierenden Effekt in dem ebenfalls bei Wagenbach vorliegenden Roman „Accabadora“ vor zehn Jahren tat. Aber im Unterschied zu Murgia, die sehr überzeugend mündliche Erzählformen variierte, bleibt Caminito die agrarische Welt doch fremd. Eines stellt Giulia Caminito in ihrem deutschen Debüt aber unter Beweis: Sie traut sich etwas. Vielleicht muss sie sich nur entscheiden, welche Geschichte sie wirklich erzählen will.
MAIKE ALBATH
Giulia Caminito: Ein Tag wird kommen. Roman. Aus dem Italienischen übersetzt von Barbara Kleiner. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2020. 272 Seiten, 23 Euro.
Um das Familiendrama
explodiert dann auch noch
die Weltgeschichte
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
…mehr
»Giulia Caminitos Sprache ist einfach, stark, vollkommen - sie erschafft Figuren, die bleibende Freunde unserer Phantasie werden: eine Ausnahmeerscheinung der italienischen Literatur.« Il Manifesto