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"Muslime unternehmen nichts gegen Extremismus in ihren eigenen Reihen"! So oder ähnlich klingen die Postulate vieler islamfeindlicher Gruppierungen. Um sich nicht des antimuslimischen Rassismus schuldig zu machen, wird zwar behauptet, es seien natürlich nicht alle Muslime Terroristen, doch befände man sich aufgrund der vermeintlich mangelnden Distanzierung letzten Endes doch im Kulturkampf mit dem Islam als solchem. Diese Arbeit bietet eine umfassende Analyse zeitgenössischer muslimischer Kritik am Salafismus anhand einer Diskursanalyse schriftlicher und audiovisueller Dokumente verschiedener…mehr

Produktbeschreibung
"Muslime unternehmen nichts gegen Extremismus in ihren eigenen Reihen"! So oder ähnlich klingen die Postulate vieler islamfeindlicher Gruppierungen. Um sich nicht des antimuslimischen Rassismus schuldig zu machen, wird zwar behauptet, es seien natürlich nicht alle Muslime Terroristen, doch befände man sich aufgrund der vermeintlich mangelnden Distanzierung letzten Endes doch im Kulturkampf mit dem Islam als solchem. Diese Arbeit bietet eine umfassende Analyse zeitgenössischer muslimischer Kritik am Salafismus anhand einer Diskursanalyse schriftlicher und audiovisueller Dokumente verschiedener sunnitischer Strömungen. Es wird aufgezeigt, weshalb Kulturkampftheorien mit Bezug auf die islamische Welt empirisch nicht haltbar sind.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.05.2020

Lebhafter und kontroverser Diskurs
Eine Analyse der innerislamischen Kritik am Salafismus

Salafisten tragen maßgeblich zum negativen Bild des Islams in der Öffentlichkeit bei. Das überrascht nicht. Denn ihre Ansichten zur Demokratie und den Menschenrechten, zum Rechtsstaat und zur Gleichberechtigung stehen im Gegensatz zum Grundgesetz. Außerdem haben die dem Dschihad verpflichteten Salafisten weite Teile der Welt mit Terror überzogen. Zudem beanspruchen die Salafisten, dass sie allein den "wahren Islam" vertreten. Das nehmen hierzulande (zu) viele für bare Münze, obwohl es falsch ist.

Daher ist es das Verdienst des Islamwissenschaftlers Hazim Fouad, dass er die deutschsprachigen Leser in die innerislamische Auseinandersetzung mit dem Salafismus einführt, die weitgehend auf Arabisch stattfindet. Dazu hat der Islamwissenschaftler, der sich im Bremer Landesamt für Verfassungsschutz auch praktisch mit dem Salafismus beschäftigt, Bücher und Predigten, Fernsehdiskussionen und Videovorträge der vergangenen Jahre ausgewertet.

Den Lesern präsentiert er einen lebhaften innerislamischen Diskurs. Eine Streitkultur wird sichtbar, die den Islam in seiner Vielfalt zeigt. Dazu stellt er Theologen und Religionswissenschaftler vor, die er als Traditionalisten, Sufis und Modernisten einteilt. Sie kritisieren den Salafismus theologisch und islamrechtlich, aber auch dessen Sicht auf die Geschichte und die Gesellschaften. Am Ende wissen die Leser: "Es existiert ein immenses, aus bekenntnisorientierter Perspektive formuliertes Korpus an Salafismuskritik." Ausführlich arbeitet der Autor die Kritik der traditionalistischen Gelehrten heraus. Ihnen zufolge bedarf es im Islam keinerlei grundlegender Veränderung oder Erneuerung. Den Salafisten werfen sie indes vor, sie seien unverhältnismäßig streng und rigide, kümmerten sich um Nebensächlichkeiten, und ihre Anführer seien theologisch unzureichend gebildet. Dadurch entstünden falsche Auslegungen. Beispielsweise nähmen sie einzelne Hadithe, also Taten oder Worte Muhammads, für sich allein und stellten sie nicht in einen Kontext. Die Folge seien verquere Ergebnisse, die das Leben der Menschen letztlich erschwerten anstatt, wie es das Ziel des Islams sei, dieses zu erleichtern.

Die Traditionalisten werfen den Salafisten vor, dass sie an die Stelle eines flexiblen islamischen Rechts ein starres Regelwerk setzen sowie die Auslegung der heiligen Texte mit hermeneutischen Methoden und dem Verstand ablehnen. Ein Beispiel dazu ist der Dschihad. Traditionalisten argumentieren, zwar habe der Dschihad im 7. Jahrhundert seine Berechtigung gehabt, denn damals sei ja der Krieg der Normalzustand zwischen den Völkern gewesen. Heute sei hingegen eher Frieden die Norm, und der Islam könne mit Mitteln der modernen Kommunikation friedlich verbreitet werden. Für Traditionalisten sind demnach Rechtsurteile, also Fatwas, nach Ort und Zeit - damit auch in Abhängigkeit der naturwissenschaftlichen Forschung - wandelbar. Demgegenüber halten Salafisten an einmal gemachten Interpretationen fest, solange sie in ihrem Sinne sind.

Weit über die Traditionalisten gehen die modernistischen Theologen hinaus. In den klassischen Lehreinrichtungen der islamischen Welt spielen sie kaum eine Rolle, ihr wichtigstes Medium sind Talkshows im Fernsehen. Von Religion fordern sie zeitgemäße Antworten auf Fragen des alltäglichen Lebens. Den Islam wollen sie in Einklang mit modernen Staaten bringen, mit der Demokratie, den Menschenrechten, dem Konzept der Staatsbürgerschaft und der humanistischen Ethik. Für eine breitere Rezeption ihrer Botschaften sei hinderlich, dass sie, vor allem in der westlichen Diaspora, für die meisten Muslime zu abgehoben seien, schreibt der Autor.

Die Modernisten greifen die Traditionalisten und deren Reformunwilligkeit ebenso an wie die Salafisten, denen sie vorwerfen, ihr - andere ausschließendes - Islamverständnis sei für die Rückständigkeit und die Gewalt im Nahen Osten verantwortlich. Radikal akzeptieren die Modernisten nur den Koran als heilige Schrift. Meinungen früherer Gelehrter, die in einem völlig anderen Kontext Koran und Hadithe ausgelegt hätten, dürften als Denkverbot heute nicht im Wege stehen, und bei der Auslegung des Korans müsse heute der eigene Verstand Vorrang haben.

Bei der Lektüre wird schnell klar, dass der Salafismus theologisch und islamrechtlich im sunnitischen Islam eine Randerscheinung ist. Der Autor attestiert dem Salafismus jedoch eine Attraktivität, die er mit der Formel "WWGGG" zusammenfasst: Dieser vermittle mit Wissen die "reine" Wahrheit, er fordere Gehorsam, biete Gemeinschaft und stille das Verlangen nach Gerechtigkeit.

Den Salafismus, wie er uns heute begegnet, definiert der Autor als eine Synthese der rigiden Theologie des wahhabitischen Islams Saudi-Arabiens mit dem politischen Aktivismus der Muslimbruderschaft. Entstanden sei die Synthese in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Es trifft zu, dass der Salafismus nicht nahtlos an eine lange historische Linie anknüpft, auch wenn es einzelne prägende Vorläufer gegeben hat. Die Definition des Autors greift jedoch zu kurz. Außer Acht lässt er die schrittweise Radikalisierung im Ägypten des 20. Jahrhunderts, die teils in der Auseinandersetzung mit den eigenen Regimen erfolgte, teils mit "äußeren Feinden".

Anfangs wollte ein reformorientierter Salafismus das islamische Erbe intellektuell wiederbeleben. Dann rief Hasan al Banna, der Gründer der Muslimbruderschaft, zur gesellschaftlichen Mobilisierung auf, um den Werteverfall zu stoppen. Einen Schritt weiter ging Sayyid Qutb, als er eine zur Gewalt bereite Avantgarde aufforderte, die politische Herrschaft der "Gemeinschaft der Gläubigen" herzustellen. Darauf erhob Abd al Salam al Farag den Dschihad zur Pflicht, sie solle eine islamische Revolution ermöglichen. Den Boden schlossen der Ägypter Ayman al Zawahiri von Al Qaida und der "Islamische Staat", die zuletzt der Welt mit dem dschihadistischen Salafismus den Krieg erklärt haben, um eine islamische Ordnung zu errichten.

Die Monographie zeigt jedoch eindrucksvoll, dass dem Westen nicht "der" Islam feindlich gegenübersteht, sondern lediglich eine islamische Strömung, zu der sich bloß eine - wenn auch lautstarke - Minderheit der Muslime bekennt. Deren Islamverständnis stellt die große Mehrheit der Muslime aber substantiell in Frage. Bedauerlich, dass der Verlag bei einer exzellenten Monographie, die von einer Vielzahl von Personen und Querbezügen lebt, auf einen Namensindex verzichtet hat.

RAINER HERMANN

Hazim Fouad: Zeitgenössische muslimische Kritik am Salafismus. Eine Untersuchung ausgewählter Dokumente.

Ergon Verlag, Baden-Baden 2019. 389 S., 38,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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