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Edvarts Virza (1883-1940) schuf mit dem Prosapoem "Straum ni" eine Hymne auf das bäuerliche lettische Leben. Er beschreibt ein Jahr auf dem zemgalischen Gehöft Straum ni Mitte des 19. Jahrhunderts, verknüpft Kindheitserinnerungen mit Erzählungen seiner Großeltern und folgt dem Takt der Natur. Nicht ein einzelner Bewohner, sondern der Hof selbst wird zur Hauptfigur des berückenden Buches. Jedes Mitglied der Hausgemeinschaft hat seine zugewiesene Aufgabe zu verrichten, und die Erfüllung birgt eine eigene Schönheit und verleiht Lebenssinn. Im Einklang mit den Jahreszeiten wird im Frühjahr…mehr

Produktbeschreibung
Edvarts Virza (1883-1940) schuf mit dem Prosapoem "Straum ni" eine Hymne auf das bäuerliche lettische Leben. Er beschreibt ein Jahr auf dem zemgalischen Gehöft Straum ni Mitte des 19. Jahrhunderts, verknüpft Kindheitserinnerungen mit Erzählungen seiner Großeltern und folgt dem Takt der Natur. Nicht ein einzelner Bewohner, sondern der Hof selbst wird zur Hauptfigur des berückenden Buches. Jedes Mitglied der Hausgemeinschaft hat seine zugewiesene Aufgabe zu verrichten, und die Erfüllung birgt eine eigene Schönheit und verleiht Lebenssinn. Im Einklang mit den Jahreszeiten wird im Frühjahr gepflügt und gesät, im Sommer bewirtschaftet und herangereift, im Herbst geerntet und geschlachtet, schließlich im Winter eingelagert und sich häuslich eingerichtet - und immer auch Feste wie Mittsommer, Erntedank oder Weihnachten gefeiert. Unausgesprochen ist im harmonischen Idealjahr jedoch auch eine Trauernote enthalten, ein Schmerz darüber, dass dieses Ideal unwiederbringlich verloren ist, ja eigentlich niemals bestanden hat.

Die Sprache, in der Virza das voranschreitende Jahr beschreibt, enthält alles, was auf dem Hof vor sich geht. Da summt und raschelt es, knistert, duftet und klingt es in den Wörtern - ein Sprachstrom, der unaufhaltsam voranstrebt wie der Fluss Lielupe, der sich durch die Wiesen um Straum ni schlängelt. Berthold Forssman stimmt in seiner Übersetzung ein in die Melodie der zemgalischen Landschaft und des ländlichen Lebens. Er schöpft aus dem Reichtum der deutschen Sprache, aus Begriffen und Beschreibungen, die schon vergessen scheinen und eine ganze Welt in die Sinne und vor Augen rufen.
Autorenporträt
Edvarts Virza (1883-1940) wurde als ältestes von neun Bauernkindern unter dem Namen Jekabs Eduards Liekna auf dem zemgalischen Land bei Iecava geboren. Nach einem höheren Schulabschluss begann er 1902 in Riga ein technisches Studium. Schon nach kurzer Zeit zog es ihn nach Moskau, wo er juristische Vorlesungen besuchte. Als 1905 die Russische Revolution ausbrach, kehrte er zurück nach Lettland und veröffentlichte 1907 seinen ersten Gedichtband »Bikeris«. Während des Ersten Weltkriegs wurde seine Familie aus dem heimatlichen Zemgale vertrieben, Virza wurde zur Armee eingezogen. Ab 1918 arbeitete er für Zeitungen und Zeitschriften und setzte sich für die Unabhängigkeit Lettlands ein. 1920/21 leitete Virza das lettische Pressebüro in Paris, zurück in Lettland trat er dem Bauernverband, der lettischen Bauernpartei, bei und verantwortete bis zu seinem Tod den Literaturteil der Parteizeitung »Briva Zeme«. Außerdem leitete er einige Jahre das Daile-Theater in Riga. Während der Sowjetzeit fielen seine Schriften der Zensur zum Opfer, dennoch überdauerte sein Ruhm vor allem wegen »Straumeni«, das er 1933 verfasst hatte. Nur wenige Monate vor der Sowjetischen Okkupation Lettlands starb Virza im März 1940 in Riga.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.03.2020

Harmonie der Jahreszeiten

Wenn die Ewigkeit auf der Kippe steht: Edvarts Virza erzählt im Roman "Straumeni" von einem versunkenen Lettland.

Kein Held findet sich auf diesen Seiten, kein Konflikt und keine Handlung, weshalb sie auch nicht gesteigert werden kann oder einer Lösung zustrebt. Menschen gibt es zwar in dem seltsamen Buch "Straumeni" des lettischen Autors Edvarts Virza. Aber sie tragen meist keinen Namen und treten nicht hervor aus der Gemeinschaft eines Gutes, zu der auch die Tiere und die Pflanzen um sie herum gehören, die domestizierten nicht weniger als die wilden. Auf den ersten Blick könnte man "Straumeni" als lettische Avantgarde aus dem Jahr 1933 missverstehen, die über den Menschen hinauswill. Auf den zweiten Blick erweist sich "Ein altes Zemgaler Gehöft im Jahresverlauf", so der Untertitel, als rhapsodische Beschwörung erfüllten, keinesfalls nur menschlichen Lebens, erfüllt durch seine Verbundenheit mit allem. Virza erschafft mit dem Blick aufs Kleine und Typische einen Kosmos.

Das Gehöft im vom Zaren beherrschten Gouvernement Kurland heißt Straumeni nach dem Hausherrn Janis Straumens. Es liegt allein inmitten seiner Felder, der Besitz reicht über den Horizont hinaus, den holzreiche Wälder begrenzen. Die Lielupe fließt hindurch und überflutet im Frühjahr Felder und Hofgebäude, fruchtbaren Schlamm zurücklassend. Zwanzig, vielleicht fünfundzwanzig Knechte und Mägde leben und arbeiten auf dem Gut zusammen mit Pferden, Kühen, Gänsen und Hühnern. Sie bauen Weizen, Gerste, Hafer und Flachs an, versorgen sich selbst aus einem großen Garten und danken am Sonntag in der Stube, angeleitet von Straumens, dem Herrn für die Gaben, die er ihnen geschenkt hat. Den Geistern, die älter sind als der Herr und aus der lettischen Volksmythologie stammen, gedenken die spät Christianisierten auch. Ein jedes Wesen unter der Sonne ist es wert.

Straumeni ist allerdings versunken in der Tiefe der Zeit. Edvarts Virzas Beschwörung des Gutes erscheint 1933, und im ersten Kapitel stellt sich sein Erzähler als Dichter vor, der eine Himmelsleiter herablasse in das Reich der Erinnerung und den längst Hingeschiedenen die Stimme zurückgebe. Virza lädt ein hinabzusteigen in die Mitte des 19. Jahrhunderts, in eine strenge, unveränderlich erscheinende Ordnung des Daseins - auch wenn bereits eine Maschine existiert, die die Dreschflegel abgelöst hat und den Älteren auf dem Hof nicht gefällt. Denn Roggen und Weizen haben seitdem nicht mehr die rechte Reife, das Brot duftet nicht nach Getreide wie früher. Die Ewigkeit steht in der vorindustriellen Zeit bereits auf der Kippe.

Virzas Erzähler tritt nach der Einführung zurück, und dann übernehmen die Jahreszeiten. Sie bringen nacheinander Hitze und Kälte, Regen und Eis, Überschwemmung und Trockenheit, Sturm und Stille, Mühsal und Labsal, Schweiß und Tanz, und am Ende ist ein Jahr vergangen und das Buch endet. Aber sicher ist: Es beginnt alles wieder von vorn. Die Menschen sind mit den Tieren und den Pflanzen um sie herum eingespannt ins Rad der Jahreszeiten. Diese, nicht die Menschen bestimmen den Fortgang der Arbeit, an der es fast nie fehlt. Nur im Winter kommt zuweilen Langeweile in den Stuben auf, in die der Frost die Menschen zwingt.

Die meisten der ländlichen Tätigkeiten dürften schon den Lesern der Jahre nach 1933, als "Straumeni" bis zur Okkupation Lettlands durch die Rote Armee Ende 1942 zehn Auflagen erlebte, größtenteils unvertraut gewesen sein; heutigen Lesern sind sie es sicher. Staunend verfolgen sie Ernte, Dreschen und Pflügen, Flachsbrechen und Schlachten. Dazu ziehen Vögel weg oder herbei, kommt Nebel oder Sturm auf, grünen Blätter oder fallen ab, färben sich die Balken der Ställe schwarz und kriechen die Heuschrecken hinter dem Ofen hervor, wenn Brote gebacken werden. Alles ist miteinander in Bewegung, und in der zyklischen Veränderung liegt sein Sinn. "Straumeni" liest sich heute als Nature writing, als genau beobachtete, kein Detail auslassende Beschreibung der Natur, zu der die Menschen natürlich gehören. Nicht einmal zum Erzählen kommen sie. Es fehlt ihnen dafür nicht nur die Zeit, auch Besucher treffen von benachbarten Höfen nur zu Festtagen ein, und eigentlich braucht es kaum Geschichten: Das Dasein erklärt sich selbst.

Warum Edvarts Virza dieses harte Landleben ausmalt, scheint anfangs ein wenig rätselhaft, und auch das kenntnisreiche Nachwort des Übersetzers Berthold Forssman weiß keine einfache Antwort. Rückwärtsgewandt ist der Lette, doch eine Idylle entwirft er nicht: Von Schweiß und Mühsal ist oft die Rede. Allerdings zeigt "Straumeni" eine ideale Gemeinschaft: Krankheit und Tod sind in ihr ohne Schrecken, Leidenschaften und Sinnlosigkeiten scheinen nicht zu existieren. Vergleiche muss die Gemeinschaft nicht fürchten, Straumeni ist sich selbst genug: Angesichts der ungeheuren Weite des Meeres kehren Hausherr und Knecht, zum Verkauf in die Stadt gereist, verängstigt um.

"Straumeni" soll offenbar die zarte Seele des der Zarenherrschaft entkommenen, seit 1918 unabhängigen Staates stärken. Edvarts Virza greift bei seiner Suche nach lettischer Identität beeindruckenderweise nicht auf patriotische oder nationalistische Versatzstücke zurück. Sein Ideal ist der geschlossene Kosmos einer Schöpfung, in der auch die Jahreszeiten als Lebewesen erscheinen.

JÖRG PLATH.

Edvarts Virza: "Straumeni".

Aus dem Lettischen und mit einem Nachwort von Berthold Forssman. Guggolz Verlag, Berlin 2020. 334 S., geb., 25,- [Euro].

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