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Der US-Präsident will die Grenze zum südlichen Nachbarn abriegeln. Paul Theroux, bekannt für seine unermüdliche »Neugier auf die Menschen und ihr Leben in all seinen Facetten« (New York Times), nimmt das zum Anlass für einen ausgiebigen Roadtrip in ein zerrissenes Land. Täglich lesen wir die Schlagzeilen über Migrantenströme und Kartellmorde - und auch Theroux wird immer wieder gewarnt, dass er sich auf gesetzloses Territorium begibt, wo ein Menschenleben keinen Wert mehr hat. Wohl wissend, dass diese Schreckensbilder nur ein Teil der Wahrheit sein können, versucht er zu verstehen, wie sich in…mehr

Produktbeschreibung
Der US-Präsident will die Grenze zum südlichen Nachbarn abriegeln. Paul Theroux, bekannt für seine unermüdliche »Neugier auf die Menschen und ihr Leben in all seinen Facetten« (New York Times), nimmt das zum Anlass für einen ausgiebigen Roadtrip in ein zerrissenes Land. Täglich lesen wir die Schlagzeilen über Migrantenströme und Kartellmorde - und auch Theroux wird immer wieder gewarnt, dass er sich auf gesetzloses Territorium begibt, wo ein Menschenleben keinen Wert mehr hat. Wohl wissend, dass diese Schreckensbilder nur ein Teil der Wahrheit sein können, versucht er zu verstehen, wie sich in einem derart von Gewalt geprägten Land Herzlichkeit und Solidarität halten, Menschen sich widersetzen und an ein besseres Morgen glauben können. Dabei entdeckt er ein faszinierendes, vielgestaltiges Mexiko und hält so den Beschwörungen des US-Präsidenten ein tapferes Zeugnis der Aufklärung entgegen.
Autorenporträt
Theroux, PaulPaul Theroux, geboren 1941 in Medford, Massachusetts/USA, ist mit mehr als dreißig veröffentlichten Büchern einer der weltweit populärsten US-Gegenwartsautoren. Als Reiseschriftsteller erlangte er Weltruhm. Theroux ist seit 2013 Mitglied der American Academy of Science and Arts. Er lebt mit seiner Familie auf Hawaii und auf Cape Cod. Bei Hoffmann und Campe erschien zuletzt sein Sachbuch Auf dem Schlangenpfad. Als Grenzgänger in Mexiko (2019).

Ruetz, EricaErica Ruetz studierte Anglistik und Germanistik und war anschließend in München und Zürich als Verlagslektorin tätig. Heute lebt sie als freie literarische Übersetzerin in Berlin und Andalusien. Zu den von ihr übersetzten Autoren gehören neben Paul Theroux u. a. Lucy Ellmann und Sue Gee.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.11.2019

Neugierig auf
die Nachbarn
Der Amerikaner Paul Theroux lässt sich
auf ein mexikanisches Abenteuer ein
VON STEFAN FISCHER
Die Schatten des mächtigen Nachbarn im Norden reichen über mehr als zweitausend Kilometer bis ganz hinunter in den Süden Mexikos. Das wird speziell im Bundesstaat Oaxaca noch einmal deutlich: Der amerikanische Schriftsteller Paul Theroux reist gegen Ende seiner großen Durchquerung Mexikos in das Städtchen San Agustín Yatareni, das so etwas wie eine inoffizielle Partnerstadt von Poughkeepsie, New York, ist.
Mindestens ein Viertel der Bewohner San Agustín Yatarenis lebt in Poughkeepsie – eine Arbeiterstadt, die einen jahrzehntelangen Abstieg hinter sich hat. Als Western Publishing geschlossen wurde und IBM Tausende entlassen hat, zogen die Amerikaner fort. Gekommen sind Mexikaner, als Saisonarbeiter oder billige Arbeiter für die verbliebenen schlecht bezahlten Industriejobs. Als sie immer mehr wurden, eröffneten in der Main Street auch mexikanische Friseure, Klempner und Elektriker Läden, bald gab es mexikanische Restaurants. Ein Stück Heimat im Exil.
Unter den Migranten herrscht ein reges Kommen und Gehen. Längst nicht alle Mexikaner, die es in den Norden geschafft haben, bleiben dauerhaft in den USA. Fortino Ruiz zum Beispiel ist im Alter von 35 Jahren aus seinem Heimatort San Dionisio, ganz in der Nähe von San Agustín Yatareni, in die USA gegangen. Heute, eineinhalb Jahrzehnte später, lebt er wieder zu Hause, als Sandalenmacher. „Die Leute gehen, weil sie sich etwas Bestimmtes vorgenommen haben. Sie wollen ein Haus bauen oder brauchen Geld, um hier ein Geschäft aufzumachen“, sagt Ruiz. „Und dann kommen sie zurück, weil hier ihre Familie ist. Und ihre Zukunft.“
Eine ganze Zeit lang waren diese Grenzwechsel für Mexikaner vergleichsweise einfach zu bewerkstelligen. Geändert hat sich das vor 25 Jahren, als Verbrechen, Drogenhandel und gewalttätige Kartelle eine strengere Abschottung erfordert hätten, so Theroux. 1994 haben Mexiko, die USA und Kanada das Nafta-Freihandelsabkommen geschlossen. In Mexiko hat es zu einer weiteren Prekarisierung der Bevölkerung beigetragen.
Paul Theroux ist nun also „Auf dem Schlangenpfad“ unterwegs, „als Grenzgänger in Mexiko“, wie der Untertitel seines Buches lautet. Um sich ein eigenes Bild zu machen von diesem Land und seinen Bewohnern, ohne die in seiner Heimat, den USA, etliche Dinge schlechter stünden für die angelsächsische Mehrheit – und die doch so wenig gelitten sind, dass eine Mehrheit der Amerikaner sie lieber hinter einer gut bewachten Grenze sieht.
Der erste Teil der Reise führt Theroux, der auch mit Mitte siebzig nach wie vor rastlos und unerschrocken ist, entlang der Grenze von West nach Ost, mal auf amerikanischer, dann wieder auf mexikanischer Seite. Zynisch bemerkt Theroux, dass es an dieser Grenze, die aus amerikanischer Perspektive „der Rand der bekannten Welt“ sei, zweierlei gebe, was Amerikaner elementar bräuchten: Drogen und spottbillige Arbeitskräfte. Hier, wo beide Staaten direkt aufeinandertreffen und die mexikanischen Gebiete von den Drogenkartellen beherrscht werden, die auch das Schleusergeschäft dominieren, ist die Reibung am größten. Zeigt sich auch die Absurdität dieser schwierigen Beziehung und einer pervertierten Wirtschaftsordnung ganz klar: Die amerikanische Landwirtschaft ruiniert durch ihre Größe und mittels Genmanipulation etliche mexikanische Kleinbauern und profitiert anschließend oft von deren Arbeitskraft, wenn sie sich als Erntehelfer zu Hungerlöhnen in den USA verdingen. Da braucht es dann nicht einmal Agrarsubventionen.
Die amerikanische Industrie wiederum profitiert von den mexikanischen Fachkräften: Gleich hinter der Grenze lassen amerikanische Betriebe produzieren, zu beschämend niedrigen Löhnen. Der westliche Wohlstand ist nur möglich durch die Ausbeutung der Nichtprivilegierten. Wobei die Löhne in Mexiko so niedrig sind, dass sich kein Mittelstand entwickelt entlang der Grenze und ein Leben in den USA als Illegale für viele auch gut Ausgebildete immer noch attraktiv erscheint. Wobei längst auch die Amerikaner selbst zu den Leidtragenden gehören, Paul Theroux hat das in seinem Buch „Tief im Süden“ (2015) geschildert: Die Industriearbeitsplätze, die unter anderem nach Mexiko verlagert worden sind, fehlen in Louisiana, Arkansas, Alabama, Georgia, South Carolina …
Einmal mehr, das zeichnet den Reiseschriftsteller Paul Theroux aus, ist er als Neugieriger unterwegs, nicht als Besserwisser. Er hat in seinem langen Leben und verstärkt in Vorbereitung auf diese Reise eine Menge Bücher gelesen, die hart ins Gericht gehen mit Mexiko, geschrieben von ausländischen Autoren ebenso wie von einheimischen. Theroux reist nicht als Kritiker, er ist ein geduldiger Beobachter, genau in seinen Schilderung. Weshalb die Dinge bei ihm für sich stehen, anstatt dass von ihm ein – womöglich gar unerbittliches – Urteil über sie verhängt wird.
Dieser erfahrene Reisende lässt sich nicht einwickeln, er dringt tief genug vor, um sich nicht von ersten Eindrücken in die Irre leiten zu lassen. Klischees interessieren ihn ohnehin nicht. Aber er weiß auch, dass es die eine Wahrheit nicht gibt, sondern verschiedene Sichtweisen. Und dass auch eine monatelange Reise ihm nicht alles enthüllt, er immer ein Fremder sein wird, dem bestimmte Zusammenhänge verschlossen bleiben.
Umso akribischer recherchiert er, umso aufgeschlossener reist er. In einem späten Exkurs denkt Paul Theroux darüber nach, wie viel man wohl aus der Literatur über ein Land und eine Gesellschaft lernen kann – das ist nicht zuletzt eine Selbsthinterfragung. Er unterscheidet dabei nicht zwischen Sachbüchern und Belletristik, weil auch die Mittel der Fiktion der Wirklichkeitsbeschreibung dienen. Woraufhin er schließlich fulminant mit dem magischen Realismus abrechnet, der auch in Mexiko als literarische Strömung relevant ist: Theroux nennt ihn eine „Literatur der Ausflüchte und Mätzchen“, „ein banales Blendwerk“ und „vorsätzliche Abkehr von der Realität“.
Das Gegenteil macht Theroux, er wendet sich den Menschen und ihrer Realität zu. Sie und nicht Landschaften sind das Essenzielle auf einer wahrhaften Reise. Ihn beeindruckt der familiäre Zusammenhalt, er ergebe „den gesellschaftlichen Kitt, der nötig ist, damit das Leben auch in bösen Zeiten weitergeht“, so Theroux. Vieles von dem, was er erlebt und erfährt, ist niederschmetternd. Das liegt – die Amerikaner tragen keinesfalls die Hauptschuld – vor allem an der korrupten Elite des Landes.
Die Menschen aber müssen existieren, trotz aller Widrigkeiten und realen Bedrohungen. Wie sie das anstellen, fasziniert den Amerikaner. Er trifft auf Mut, Engagement und eine beharrliche Lebensfreude. Theroux macht hinreißende Bekanntschaften, schließt sogar Freundschaften. Don Pablo, wie er mitunter genannt wird, fühlt sich außerordentlich lebendig in Mexiko, das betont er mehrmals.
Über Donald Trump indessen reden die Mexikaner ihm gegenüber eigentlich nur, wenn er sie auf ihn anspricht. „Der kennt uns doch gar nicht“, sagt ein älterer Mann. „Und er will uns auch nicht kennen.“
Amerikaner und Mexikaner sind
stärker voneinander abhängig,
als beiden Seiten lieb ist
Paul Theroux:
Auf dem Schlangenpfad.
Als Grenzgänger in Mexiko.
Aus dem amerikanischen
Englisch von Erica Ruetz.
Verlag Hoffmann & Campe,
Hamburg 2019.
432 Seiten, 24 Euro
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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»Einmal mehr, das zeichnet den Reiseschriftsteller Paul Theroux aus, ist er als Neugieriger unterwegs, nicht als Besserwisser. Theroux reist nicht als Kritiker, er ist ein geduldiger Beobachter, genau in seinen Schilderungen.« Stefan Fischer Süddeutsche Zeitung, 26.11.2019