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Die »Oevelgönner Ausgabe« der Werke von Peter Rühmkorf startet mit den originellen literaturkritischen Essays des jungen Rühmkorf.Als erster Band der »Oevelgönner Ausgabe« erscheint ein Band mit allen frühen literaturkritischen Texten von 1953 bis 1962, u. a. aus der von Rühmkorf zusammen mit Werner Riegel herausgegebenen hektographierten Zeitschrift »Zwischen den Kriegen«. Später arbeitet Rühmkorf für den »Studentenkurier« und dessen Nachfolgeblatt »konkret«.Seit den frühen 1950er Jahren hat Peter Rühmkorf - pointiert bis aggressiv, aber immer originell - Texte zur Literatur seiner Zeit, zu…mehr

Produktbeschreibung
Die »Oevelgönner Ausgabe« der Werke von Peter Rühmkorf startet mit den originellen literaturkritischen Essays des jungen Rühmkorf.Als erster Band der »Oevelgönner Ausgabe« erscheint ein Band mit allen frühen literaturkritischen Texten von 1953 bis 1962, u. a. aus der von Rühmkorf zusammen mit Werner Riegel herausgegebenen hektographierten Zeitschrift »Zwischen den Kriegen«. Später arbeitet Rühmkorf für den »Studentenkurier« und dessen Nachfolgeblatt »konkret«.Seit den frühen 1950er Jahren hat Peter Rühmkorf - pointiert bis aggressiv, aber immer originell - Texte zur Literatur seiner Zeit, zu Vorgängern und Kollegen geschrieben. Er zeigt sich hier als ein junger Kritiker und Künstler, der sich Gehör verschafft und Anklage erhebt gegen die »Literaturbüttel, Mäkler, Prüdler, Nörgelinge, Schwatzkes«. So entwickelt er in Auseinandersetzung mit dem Literaturbetrieb von Anfang an seinen sehr eigenen und eindrucksvollen Stil.Band 12 der »Oevelgönner Ausgabe« umfasst auch die Monographie »Wolfgang Borchert in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten«, inklusive der faksimilierten Wiedergabe aller Abbildungsseiten der Monographie, und versammelt zum ersten Mal die polemische und gelehrte Reihe »Leslie Meiers Lyrik-Schlachthof«, in der Peter Rühmkorf die deutschsprachige Gegenwartslyrik seiner Zeit unerschrocken mustert und analysiert. Dazu kommen Texte zu Gottfried Benn, Hans Henny Jahnn, Arno Schmidt, Hans Magnus Enzensberger, Kurt Tucholsky u. v. a. m.
Autorenporträt
Peter Rühmkorf, (1929-2008), studierte zunächst Pädagogik und Kunstgeschichte, später Germanistik und Psychologie. Von 1951 bis 1956 gab er zusammen mit Werner Riegel die Literaturzeitschrift »Zwischen den Kriegen« heraus. Sein literarisches Debüt erfolgte mit dem Gedichtband »Heiße Lyrik«. Ab 1969 war er Gastdozent an zahlreichen Universitäten, er war Mitglied der Gruppe 47, des P.E.N. sowie der Akademie der Künste (Berlin) und der Freien Akdamie der Künste in Hamburg. Zu seinen bekanntesten Werken zählen »Irdisches Vergnügen in g« (1959), »Die Jahre, die Ihr kennt« (1972), »Der Hüter des Misthaufens. Aufgeklärte Märchen« (1983). Für seine Werke wurde er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. mit dem Annette-von-Droste-Hülshoff-Preis (1979), dem Arno-Schmidt-Preis (1986), dem Georg-Büchner-Preis (1993), dem Hoffmann-von-Fallersleben-Preises für zeitkritische Literatur (2000) und der Carl-Zuckmayer-Medaille (2000).
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Der Umfang der auf 21 Bände angelegten Werkausgabe von Peter Rühmkorfs Texten entspricht der Größe des Dichters, findet Rezensent Christian Metz. Rühmkorfs Einfluss als Lyrik-und Literaturkritiker betrachtend, sieht es der Rezensent nur als konsequent an, dass in den jetzt erschienenen Bänden 9 und 12 zunächst einmal Rühmkorfs publizistische und theoretische Arbeiten veröffentlicht werden. In Band 12 finden sich die Kritiken der Jahre 1953-1962, in Band 9 seine "Schriften zur Poetik", lesen wir. Metz genießt Rühmkorfs poetische Überlegungen in ihrer "literaturhistorischen Tiefenkenntnis". Der Dichter befand sich bei positiven Beurteilungen in einem regelrechtem "Begeisterungstaumel", konnte aber auch unerbittlich sein, wenn es um die Werke von Kollegen ging, weiß Metz. Sowohl der kompetente wissenschaftliche Kommentar überzeugen den Kritiker als auch der Aufbau der Ausgabe mit seiner "kompositorischen Eleganz".

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.01.2023

Der letzte
Romantiker
Peter Rühmkorf kämpfte gegen die betuliche
Geschichtsvergessenheit der Nachkriegsliteratur.
Jetzt erscheinen seine gesammelten Interventionen
VON HILMAR KLUTE
Hamburg, Ende der Achtzigerjahre, also im vorletzten unbekümmerten Jahrzehnt der Nachkriegszeit. Stephan Opitz, Literaturwissenschaftler und Joachim Kersten, Rechtsanwalt, treffen sich mit Peter Rühmkorf in einem Restaurant in der City. Gutes Essen, Wein, dazu Schnaps, und Rühmkorf trägt den ganzen Abend lang Gedichte seines Geistesbruders Joachim Ringelnatz vor, am liebsten das schöne, fast rilkeanische über den Brunnen in Wimpfen („Du bist kein Du,/ Wasser.– hättest nicht Ruh/ Mich auszuhören“). Am nächsten Morgen bekommen Kersten und Opitz einen Anruf des Dichters mit der Bitte, seinen Nachlass zu verwalten, wenn Rühmkorf irgendwann „bei Bellman, Benn und Ringelnatz“ im Himmel sitzen würde. Im Juni 2008 nahm Peter Rühmkorf exakt dort Platz, und Kersten und Opitz erkannten plötzlich, was es heißt, Nachlassverwalter dieses Dichters zu sein, der sich selbst den Vorsatz zuschwindelte, „nicht von jedem Streifen Lokuspapier einen Durchschlag hinterlassen zu müssen“.
„Aber genau das hat er getan“, sagt Stephan Opitz in seinem Wohnzimmer in Kiel. Viele Jahre lehrte Opitz Neuere deutsche Literatur an der Christian-Albrechts-Universität. Nun hilft er dabei, den umfangreichsten Einzelnachlass, den je ein deutscher Schriftsteller produziert hat, zu ordnen. Denn Rühmkorf hat so ziemlich alles aufgehoben, auf dem ein Schriftzug von ihm steht. Stephan Opitz ist nun auch einer der Herausgeber der ersten umfassend edierten Rühmkorf-Gesamtausgabe, die sich der kühnste Verlag Deutschlands, Wallstein nämlich, vorgenommen hat. Populär gesprochen: Wer von der stilistischen Funkenschlägerei, der immensen poetischen Dauerflughöhe und der so unglaublich vergnüglichen Klugheit dieses großen Dichters und sternklaren Polemikers nicht genug bekommen kann, kriegt jetzt: alles.
Der erste von insgesamt zwölf Bänden eröffnet mit Rühmkorfs literaturkritischen Arbeiten aus der Zeitschrift Zwischen den Kriegen – Blätter gegen die Zeit, jenem an der Ästhetik des Expressionismus entlang edierten Periodikums, das zu den abenteuerlichsten Publikationen der Fünfzigerjahre zählte. Der Wallstein-Verlag hat vor zwei Jahren bereits einen dicken Wälzer mit sämtlichen Ausgaben in Faksimile herausgebracht – ein publizistischer Großzirkus, der vor allem von Rühmkorf und seinem Freund Werner Riegel peitschenknallend am Laufen gehalten wurde.
Die beiden waren, verteilt auf ein halbes Dutzend Pseudonyme, auch die Hauptartisten. Rühmkorfs Anmerkungen zur Poesie jener Jahre laufen unter den Namen Johannes Fontara, Lyngi und – dies vor allem – Leslie Meier, dessen „Lyrikschlachthof“ alles andere ist als kabarettistische Augenzwinkerei, nämlich eine Art ästhetische Abwehrzentrale gegen falsche Töne, schlechte Avantgarde und biederen Manierismus. Der Lyrikschlachthof-Meier hat seine großen Auftritte im Studentenkurier, aus dem später die feingeistige Kampfpostille Konkret werden sollte. Man muss sich in diese scharf zubereiteten Ungnädigkeiten nicht lange einlesen, um zu begreifen: Hier ist einer dafür angetreten, den Literaturbetriebsfrieden empfindlich zu stören. Will man die Brisanz dieser Einspruchtorpedos begreifen, hilft es, sich die literarische Öffentlichkeit in jenen Jahren zu vergegenwärtigen. So war die Lage: Die deutschen Emigranten waren entweder nicht zurückgekehrt, in Vergessenheit geraten oder an den Rand gedrängt. Den Ton gaben Schriftsteller an, die – grob skizziert – einem humanistisch-christlichen Weltbild verpflichtet waren.
Männer wie Reinhold Schneider, Rudolf Alexander Schröder und der nach dem Krieg sehr erfolgreiche Werner Bergengruen stehen im Zentrum einer auf Biederkeit gekämmten und auf Geschichtstrübung getrimmten Besinnungsliteratur. Ihnen will Rühmkorf, das geht aus beinahe jedem der hier versammelten Texte von 1953 bis 1962 hervor, im Wortsinn das Handwerk legen. Es ist Peter Rühmkorf ernst damit, er möchte dem deutschen Nachkriegspublikum bis in die kleinste ausgekaute Allegorie hinein beweisen, dass ein Gros der seinerzeit umtriebigen Dichter tote Materie bewirtschaftet. Deshalb lesen sich manche seiner Aufsätze wie negative Gutachten, das gilt besonders für Arbeiten über Gottfried Benn und seine Epigonen. Die zehnte Ausgabe von „Leslie Meiers Lyrikschlachthof“ ist so etwas wie eine poesiepolizeiliche Gegenüberstellung gefälschter Benn-Tonproben (Bergengruen: „Sieh aus altem Vertrauten/ wächst ein Verborgenes empor“) mit den unverwechselbaren Strophen des Meisters („Was brütet das alte Werden/ unter den sterbenden Flügeln hervor.“)
Rühmkorfs lyrischer Soundcheck bezieht seinen Referenzton von Benn, dem unter den Kriegen hindurchgeschlüpften Expressionisten, der in den Fünfzigerjahren ein unerwartetes Comeback hatte. Er ist und blieb wohl auch bis zum Schluss Rühmkorfs Fixstern, den er selbst immer wieder von allen Seiten aus generalinspizierte, damit dem Lesepublikum auch die schmutzigen Stellen nicht entgehen. „Was ihn an Benn störte, war dessen Geschichtsvergessenheit“, sagt Stephan Opitz. Die gefällige Maximalforderung an den Menschen also, nicht mehr als ein „Klümpchen Schleim“ zu sein – damit lassen sich große Komplexe wie Schuld und Irrtum allzu bequem rechtfertigen.
Interessant ist, dass Rühmkorf, der später im nachkriegsdeutschen Literaturbetrieb durchaus matadorhaft aufging, in der Verteidigung der Poesie vor ihren Stümpern und Verhunzern keine Gefangenen gemacht hat. Peter Härtling wird mit seinen in der Tat schwer zumutbaren Gedichten um das lyrische Ich „Yamin“ gevierteilt, und der später von Rühmkorf eher gepriesene und ehrfürchtig porträtierte Karl Krolow als manieristischer Kitschier entlarvt.
Es ging um Trümmerbeseitigung und darum, zu verhindern, dass neues poetisches Billigmaterial auf den Markt kommt. Dazu zählt Rühmkorf auch die Texte von Ingeborg Bachmann („das Fräulein“), und Paul Celan („schmalspurig“), ohne jedoch bei Celan dessen „Gabe unverwechselbaren Gesangs“ zu unterschlagen. Rühmkorf vermisst bei diesen und wohl auch so gut wie allen anderen seiner Gedichte schreibenden Zeitgenossen, den „Reizwert“, die Entzündung poetischer Funken an der geschichtlichen Gegenwart.
Sein Olymp wird von den Größen des Barock und der Frühaufklärung verwaltet: Harsdörffer, Gryphius, Günther und Brockes, dessen „Irdisches Vergnügen in Gott“, also die, wie Heine später schrieb, Errichtung des Himmelreichs auf Erden ja auch das Programm von Rühmkorfs erster Gedichtsammlung („Irdisches Vergnügen in g“, 1959) ist. „Er war davon überzeugt, mit all diesen Leuten in einem spirituellen Gespräch zu stehen“, sagt Stephan Opitz. Es gibt wahrhaftig langweiligere Religionen als die Poesie.
Peter Rühmkorf, der 1929 geborene, im späten Hitler-Deutschland schon jugendliche und mit der „entarteten“ Literatur infizierte Poetologe, tritt mit weit geöffnetem, blitzendem Besteckkasten auf die bürgerlich behagliche Szene der Nachkriegslyrik. Er hört jeden falschen Ton gegen den Wind, weist Helmut Heißenbüttel und Franz Mon ihre als Avantgarde verbrämte Belanglosigkeit nach, erkennt in den Wispereien von Michael Guttenbrunner, W.H. Fritz und Johannes Poethen die Trostlosigkeit mangelnden Wagemuts.
Gewiss, es klingeln einem nach hundert Seiten rühmkorfscher Suada die Ohren und man ist froh, nicht vor seine Flinte geraten zu sein: „Ach, diese ausgeleierte Dialektik aus Stockkonservatismus und sogenannter Modernität, dieser Bauernskat mit dem bombensicheren Blatt, der weder von der Partner-, noch von der Gegnerschaft her interessant und weiterführend ist.“ Also nochmals: allesamt lyrische Rohrkrepierer und Nachflüsterer? Nein, denn es gibt noch den gleichaltrigen Mit-Debütanten von 1959. Sein Gedichtband heißt „Verteidigung der Wölfe“, sein Name: Hans Magnus Enzensberger, und er wird dafür gepriesen, „dass er heraustrat aus der Quarantäne literarischer Inzüchtigkeit“.
Die Distinktionen sind gesetzt, die Bündnisse geknüpft: aus den USA werden die laboratorischen Texte von E.E. Cummings begrüßt, Allen Ginsbergs etwas formloses „Geheul“ als lyrische Leidenschaft immerhin goutiert und mitten im Leseglück noch ein paar Schnepfen abgeschossen: „Eisgekühlte Ero-Schnulze, die spätestens auf Seite 108 langweilt.“ Viel mehr hat Rühm-korf zu Françoise Sagans „Bonjour Tristesse“ nicht anzumerken.
„Was die Kunst angeht“, sagt Stephan Opitz, „hatte Rühmkorf den bösen Blick.“ Er war unbestechlich in seinem Urteil, und er kannte keine Kompromisse, wenn es darum ging, der Kunst, der Dichtung vor allem, den Platz auf den ersten Rängen frei zu halten. Im Laufe der Fünfzigerjahre operierte Rühmkorf auch in den großen westdeutschen Blättern, der Süddeutschen Zeitung, der Zeit und der Welt. Er wurde immer besser, weil er nie sanfter wurde.
Der erste Band der Werkausgabe endet mit der 1961 bei Rowohlt erschienenen Biografie Wolfgang Borcherts, die Rühmkorf, der im Verlag als Lektor sein Geld verdiente, im Auftrag des Herausgebers der legendären Rororo-Monografien-Reihe, Kurt Kusenberg, geschrieben haben dürfte. Kusenberg, der auch als schnurriger Geschichtenerzähler einen Namen hatte, stand Rühmkorf übrigens als literarischer Scharfrichter in nichts nach: einen „Halbdichter“ nannte er Rühmkorf, immerhin im gleichen Atemzug mit dem Namen Celans.
Im April folgt die nächste Lieferung der Oevelgönner Werkausgabe mit Essays zur Poetik, irgendwann werden dem Leser auch die Tagebücher (TABU) Rühmkorfs vor Augen rücken, jene glasklaren, an analytischer Komik und gewitzter Indiskretion reichen Zeitnotizen, deren bislang fulminantester Band die Wendejahre 1989/90 betrifft. Rühmkorf hat seine Aufzeichnungen weitergeführt, es gibt ein unveröffentlichtes Tagebuch, das aber selbst vom wagemutigen Chronisten mit dem Vermerk „auf 50 Jahre gesperrt“ versehen wurde.
Glücklich die Generation, die ihn dereinst lesen wird. Nicht weniger glücklich all jene, die jetzt schon Zugriff haben auf die Gedichte, Essays und Capricen Rühmkorfs, deren poetischer Verstand wie gelesenes Rauschkraut wirkt. Denn hier schrieb einer ohne, wie es heute viel zu oft geschieht, verschämt die Hand vor den Mund zu halten. Einer, der sich um Kopf und Kragen schrieb und der doch wusste, dass wer seinen intellektuellen Standpunkt gegen jeden Gegenwind behauptet, weder das eine noch das andere einbüßen muss. Seinem Nachlassverwalter sagte Peter Rühmkorf einmal: „Stephan, ich bin eigentlich ein Romantiker.“ Mag sein, dass er der letzte wirklich große war.
Hier ist einer angetreten,
den Literaturbetriebsfrieden
empfindlich zu stören
Es ging um Trümmerbeseitigung
und darum, neues poetisches
Billigmaterial zu verhindern
Peter Rühmkorf:
Essays und Monographien 4. Literaturkritik (1953-1962).
Oevelgönner Ausgabe, Bd. 1/12. Hrsg. von Stephan Opitz und Barbara Potthast. Wallstein Verlag,
Göttingen 2022.
548 Seiten, 29 Euro.
Sein Olymp wird von den Größen des Barock und der Frühaufklärung verwaltet, an ihnen musste sich die Gegenwart messen: der Dichter Peter Rühmkorf im Jahr 1999.
Foto: picture-alliance / dpa/dpaweb
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»Wer von der stilistischen Funkenschlägerei, der immensen poetischen Dauerflughöhe und der so unglaublich vergnüglichen Klugheit dieses großen Dichters und sternklaren Polemikers nicht genug bekommen kann, kriegt jetzt: alles.« (Hilmar Klute, Süddeutsche Zeitung, 11.01.2023) »der wichtigste Lyriker der Nachkriegszeit, ein allzeit wacher Chronist der Zeitläufe« (Ralf Stiftel, Westfälischer Anzeiger, 01.02.2023) »Schon Peter Rühmkorfs erste literaturkritische und essayistische Schriften der frühen 50er Jahre überraschen die heutigen Leser:innen durch ihre Frische und ihren sprachlichen Detailreichtum« (Ulrich Klappstein, literaturkritik.de, 04.04.2023) »die Kommentierung (ist) akribisch( ), aber nie aufgesetzt (...). (D)ie Gestaltung der Ausgabe, verantwortet von Friedrich Forssman, überzeugt in ihrer Übersichtlichkeit und kompositorischen Eleganz absolut. (...) Was für eine wunderbare Weitsicht und Offenheit nimmt hier Raum, die den literaturkritischen Dichter von jetzt an zu seiner unbestreitbaren historischen Größe tragen wird.« (Christian Metz, FAZ, 01.06.2023)

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.06.2023

Der Metzger vom Lyrik-Schlachthof
An der Reibung wächst die eigene Stimme: Die ersten Bände der Peter-Rühmkorf-Werkausgabe

Falls eine Werkausgabe das Format eines Autors sichtbar macht, dann lässt sich im Fall von Peter Rühmkorfs auf 21 Bände angelegte Studienausgabe folgende Größenordnung ablesen: Sieben der insgesamt einundzwanzig Bände seiner "Sämtlichen Werke" umfassen seine literarischen Texte, da sind seine autobiographischen Schriften bereits eingerechnet. Die übrigen vierzehn Bände versammeln alle seine zu Lebzeiten publizierten oder als vollständige Texte im Nachlass vorgefundenen Arbeiten zur Literaturkritik, die Schriften zur Poetik, zu Politik, Film, Musik, Kunst und obendrauf noch die Gespräche und Interviews. Rühmkorf war zwar kein Eindrittel-, sondern ein Vollblutdichter, aber er hinterließ ein schmales, ausgesuchtes, dafür gewichtiges literarisches Werk, spektakulär überbaut von Beiträgen stetiger Selbst- und Fremdreflexion, die gestatten, Rühmkorf als literarischen, vor allem aber lyrischen Seismographen zu bezeichnen. Zwischen seinen Publikationen aus dem Jahr 1953 und seinen letzten 2007 konnte kein Vers auch nur den leichtesten Riss aufweisen, ohne dass es dem poetischen Pannenprüfer Rühmkorf zum Anlass scharfsichtiger Kritik geworden wäre.

Gemessen am Umfang und an der Bedeutung von Rühmkorfs kritischen Arbeiten, ist es nur konsequent, dass die Werkausgabe zuerst (mit Band 12) die Literaturkritiken aus den Jahren 1953 bis 1962 und als Zweites (mit Band 9) die "Schriften zur Poetik" präsentiert, die zwischen 1953 und 1967 entstanden sind. 1953 war Rühmkorf noch ein ambitionierter Niemand. Doch wie wird er zum Autor? Indem er gemeinsam mit Werner Riegel in Hamburg die Zeitschrift "Zwischen den Kriegen - Blätter gegen die Zeit" gründet und damit ein Forum für die eigenen Gedichte wie für die Kritik und poetische Reflexion schafft. Bis 1956 bestand die Zeitschrift, die sich als Sprachorgan des selbsternannten "Finismus" inszenierte. Im Willen zur Selbsttheoretisierung lautete so das Etikett, das Rühmkorf und Riegel ihrer Kunst verliehen. Finalismus vereinte in sich "den jugendlichen Aufbruch mit dem Abstiegsmotiv, das Progressive und niederdrückende Schwermut als die gleichzeitig tragenden Temperamente". Pointierter konnte man die Fünfzigerjahre - aus der Perspektive eines 1929 Geborenen - kaum fassen. Autoren wie Wolfgang Borchert oder Wolfgang Bächler fallen einem als Verwandte im Geiste sofort ein. Und doch ist dem ausgelobten "Finismus" eine literaturgeschichtliche Großkarriere versagt geblieben.

Genau 26 Ausgaben erlebte die Zeitschrift, bevor sie mit Werner Riegels Tod ihre Pforten schließen musste. Liest man die Liste der beteiligten Autoren, staunt man, wie zahlreich sich die (in diesem Fall durchweg männliche) Jugend damals offenbar für Lyrik begeisterte. Im Blatt schrieben in atemberaubender Höchstfrequenz unter anderen die Herren Kefer, Leu, Scharbock, Frieder und Riegel sowie Leslie Meier, Johannes Fontara oder eben Peter Rühmkorf. Doch eigentlich waren es eben nur zwei Personen, "die unter zahlreichen Pseudonymen ihren unterschiedlichen Intentionen Ausdruck gaben". Mit Riegel verstarben fünf Autoren auf einen Streich. Das Ende des Anfangs: "Die Zeitschrift ,Zwischen den Kriegen', die fünf ihrer Autoren verloren hat, ist nicht mehr zu halten", gab Rühmkorf bekannt.

"Schizographie" nannten er und Riegel diese schriftliche Unterhaltung mit sich selbst. Sie trug zur Geburt des Autors Peter Rühmkorf auch deshalb entscheidend bei, weil jenseits des gepflegten Selbstgesprächs - so war der Eindruck der jungen Autoren - niemand da war, mit dem zu reden wäre. Die schizographische Methode führte ihrerseits zu kuriosen Szenen. Wenn der in Hamburg arbeitende Rühmkorf etwa "Leslie Meier in Paris", der er in Personalunion war, überschwänglich lobte. Oder wenn Hans Bender, der gemeinsam mit Walter Höllerer 1952 die Literaturzeitschrift "Akzente" gründete, davon berichtet, wie er und sein Mitjuror, Ferdinand Lion, 1958 für den Hugo-Jacobi-Dichter-Preis exakt zwei Autoren nominierten. In direkter Konkurrenz traten an: Peter Rühmkorf und Leslie Meier. Als Sieger konnte sich Rühmkorf durchsetzen.

Schnell hatte Rühmkorf jede Form literarischer Neuerscheinungen im Blick, von Hans Henny Jahnn bis zum heute weithin vergessenen Lyriker und Essayisten Georg Maurer, der mit "Ich sitz im Weltall auf einer Bank im Rosental" jüngst ein kleines Comeback feiern konnte. Rühmkorf zeigte sich so begeisterungsfähig, als ginge es an Weihnachten konsequent darum, statt einzelner Kerzen immer gleich den ganzen Baum anzuzünden. Von Arno Schmidts "Das steinerne Herz" hingerissen, zückt er gleich mal die Denkfigur der Zäsur: "Ich betone: hier ist nicht mehr zu loben wie seine dichtenden Altersgenossen gelobt wurden, hier hat ein Ereignis stattgefunden, das neue Maße herausfordert, hier ist das erste Buch, das die Generation rechtfertigt, der Schmidt angehört."

Im Begeisterungstaumel bleibt sogar noch Restenergie für Kollegenschelte: "Die deutsche Literaturkritik hat einen Brocken vorgesetzt bekommen, dem die aufgeweichte Diskussionsterminologie, der Kastratenknigge von 1956 kaum gewachsen sein dürfte." Polemik konnte und liebte er. Weil es bestes Feuilleton ist.

"Das ist alles so verquirlt wie herausgegurgelt", urteilt Rühmkorf an anderer Stelle, um hinterherzuschieben: "und doch vermißt man starke und durchschlagende Formeln". Eindrücklich zeigen die beiden Bände, wie der Schriftsteller in der Reibung mit anderen künstlerischen wie kritischen Positionen seine eigene Stimme profiliert. Die Grundstimmung dieser gnadenlosen Selektionsarbeit ist grimm. Seine Kritiken erschienen in der Rubrik "Leslie Meiers Lyrik-Schlachthof". Da weiß man, wo der Weg hinführt und dass es nur in systematisch nicht vorgesehenen Ausnahmefällen überhaupt ein Überleben geben kann. Obgleich Rühmkorf ja, das zeigt ein Blick in seine Schriften "Über die Künstler und die anderen" sowie in "Wie ein Gedicht entsteht", sich zu Beginn selbst als ein bedrohter Dichter versteht.

Eine Kommunikationsform kam für Rühmkorf übrigens zu keinem Zeitpunkt infrage: die literaturwissenschaftliche. Quellenangaben oder exakte Zitate sind seine Sache nicht. Das zeigt zugleich, welche enorme wie grundlegende Arbeit jetzt die wissenschaftliche Kommentierung der Studienausgabe zu leisten hat. Was ihr mit ihrem akribischen, aber nie aufgesetzten Apparat in schönstmöglicher Form gelingt. Denn die Gestaltung der Ausgabe, verantwortet von Friedrich Forssman, überzeugt in ihrer Übersichtlichkeit und kompositorischen Eleganz absolut.

Am nachhaltigsten aber wirken Rühmkorfs poetische Reflexionen dort, wo sie durch versierte Lektüre und literaturhistorische Tiefenkenntnis brillieren. In wenigen Sätzen fasst er spezifische Verfahren (Denaturierung, Reduzierung der Natur auf geometrische Muster) der Nachkriegsmoderne. Hellsichtig markiert er die Verlegenheit der Lyrik, nach der Avantgarde um 1900 abermals mit einem engen Bildmaterial das Nichts umkreisen zu wollen (oder zu müssen). Um im nächsten Augenblick anzuerkennen, dass Celan genau dies auf faszinierende Weise gelinge. Solche in die Kritiken und Reflexionen gestreuten Passagen triumphieren auch noch über den essayistisch vorgetragenen Ratschlag, die Finger von Mondgedichten zu lassen, obwohl gerade dieser Beitrag nachweislich auf Autoren wie Rolf Dieter Brinkmann gewirkt hat.

Zum literaturkritischen Autor gereift - die Werkausgabe reicht uns den spektakulären Erfolg des "Irdischen Vergnügens in g" ja noch nach - zeigt Rühmkorf sich mit den beiden Monographien, welche die Bände jeweils abschließen. In der Literaturkritik widmet er sich in einer Rororo-Biographie Wolfgang Borchert, dem Autor "Der Generation ohne Abschied"; der "Jugend ohne Jugend" fühlte sich Rühmkorf aufs Engste verbunden. Einerseits, denn andererseits zeigt Rühmkorfs "Über das Volksvermögen", mit dem die "Schriften zur Poetik" schließen, wie weit und wagelustig sich der selbsternannte "wilde Denker" Mitte der Sechzigerjahre von den Nachkriegsleiden gelöst hat.

Die kommentierte Sammlung geläufiger Umgangspoesie - von Abzählreimen bis zum Schlagertext - zeigt Rühmkorfs sprühende Provokationslust und kompositorische Leichtigkeit, und das nicht erst, wenn der Autor in seinem Nachwort doch noch einen Toilettenspruch in seine Sammlung einschmuggelt. Was für eine wunderbare Weitsicht und Offenheit nimmt hier Raum, die den literaturkritischen Dichter von jetzt an zu seiner unbestreitbaren historischen Größe tragen wird. CHRISTIAN METZ

Peter Rühmkorf:

"Sämtliche Werke". Bd. I/12: Literaturkritik (1953 -1962).

Hrsg. von Stephan Opitz und Barbara Potthast. Wallstein Verlag, Göttingen 2022. 548 S., Abb., geb., 29,- Euro.

Peter Rühmkorf:

"Sämtliche Werke". Bd. I/9: Schriften zur Poetik (1953 -1967).

Hrsg. von Hans-Edwin Friedrich. Wallstein Verlag, Göttingen 2023. 532 S., Abb., geb., 34,- Euro.

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