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2015 stellte die Londoner Dulwich Picture Gallery ihre Besucher auf die Probe. Statt des 1769 entstandenen Ölgemäldes Porträt einer jungen Frau von Jean-Honoré Fragonard hängte sie eine für gerade einmal siebzig Pfund angefertigte Fälschung auf. Das Publikum war eingeladen, das fingierte Kunstwerk unter den Exponaten ausfindig zu machen. Das Ergebnis war erstaunlich: Zum einen erkannten gerade einmal zehn Prozent die Täuschung - zum anderen vervierfachten sich die Besucherzahlen.
Kunstfälschungen und das Interesse an ihnen haben Hochkonjunktur. Für den globalisierten Kunstbetrieb aber sind
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Produktbeschreibung
2015 stellte die Londoner Dulwich Picture Gallery ihre Besucher auf die Probe. Statt des 1769 entstandenen Ölgemäldes Porträt einer jungen Frau von Jean-Honoré Fragonard hängte sie eine für gerade einmal siebzig Pfund angefertigte Fälschung auf. Das Publikum war eingeladen, das fingierte Kunstwerk unter den Exponaten ausfindig zu machen. Das Ergebnis war erstaunlich: Zum einen erkannten gerade einmal zehn Prozent die Täuschung - zum anderen vervierfachten sich die Besucherzahlen.

Kunstfälschungen und das Interesse an ihnen haben Hochkonjunktur. Für den globalisierten Kunstbetrieb aber sind sie zur Herausforderung geworden. Massenhafte Fälschungen erzeugen nicht nur erheblichen finanziellen Schaden, sie führen auch immer wieder Museen und die Forschung auf peinliche Irrwege. Hubertus Butin zeigt, dass sich das Phänomen nicht auf einzelne Straftäter reduzieren lässt. Wie das Doping im Sport, so ist die Fälschung in der Kunst ein systemisches Problem. Anhand zahlreicher,zum Teil irrwitziger, auch bislang unbekannter Fallbeispiele geht Hubertus Butin den Ursachen nach, schildert das Vorgehen berühmter Fälscher wie Wolfgang Beltracchi und erläutert, wie wir uns besser gegen Betrug und Täuschung wappnen können.
Autorenporträt
Hubertus Butin, geboren 1964, arbeitete in den neunziger Jahren als Kunsthistoriker im Atelier Gerhard Richters in Köln. Er hat zahlreiche Aufsätze und Bücher zur zeitgenössischen Kunst und Kunsttheorie publiziert. Unter anderem gab er 2014 das Werkverzeichnis der Editionen Gerhard Richters heraus und das Begriffslexikon zur zeitgenössischen Kunst. Nebenbei organisiert er als Gastkurator Ausstellungen an internationalen Museen. Außerdem ist er als Gutachter weltweit für Sammler, Kunsthändler, Auktionshäuser und die Landeskriminalämter tätig. Hubertus Butin lebt und arbeitet in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.03.2020

Alles andere als Kavaliersdelikte

Wie Sammler, Auktionshäuser und Museen Betrügern aufsitzen: Hubertus Butin macht kenntnisreich mit allen Aspekten von Kunstfälschungen vertraut.

Von Rose-Maria Gropp

Der Kunstmarkt ist, darin dem Fußballplatz nicht unähnlich, ein Feld, auf dem sich anscheinend viel mehr Leute auskennen, als es je betreten haben. Die gepflegte starke Meinung paart sich gern mit weitgehender Kenntnisfreiheit. Dazu gesellen sich leicht durchschaubare psychologische Komponenten. Angeprangerter Besitzgier und Geltungsbedürfnis stehen genauso unschöne Motive gegenüber, bis hin zum banalen Sozialneid. Am einfachsten greifen solche Mechanismen beim Thema der Kunstfälschung. So wenn sich schadenfrohes Einverständnis, gar offene Sympathie für Fälscher breitmachen, denen noch dazu Anerkennung für ihre imitatorische Begabung gezollt wird.

Der Kunsthistoriker Hubertus Butin, ausgewiesen neben anderen Publikationen durch den Catalogue Raisonné von Gerhard Richters "Editionen 1965-2013" (mit Stefan Gronert), räumt damit gründlich auf. Zunächst differenziert er den Überbegriff "Fälschungen" in Abgrenzung zu Kopien und Verfälschungen, und er leuchtet die "Grauzonen" der Originale aus; das ist äußerst hilfreich. Vor diesem Hintergrund seziert Butin das Vorgehen der Fälscher, so kühl wie kenntnisreich und meinungsstark. Auf fast fünfhundert Seiten entfaltet sich ein klar gegliedertes Panorama, das alle möglichen Fälle von Fälschungen - samt deren Ermöglichungsbedingungen - in zwölf Kapiteln durcharbeitet. Butin scheut sich nicht, Ross und Reiter zu nennen, wo er seiner Belege sicher ist. Und so darf gelegentlich durchaus gestaunt werden.

"Das sind keine guten Aussichten: Gemeinsam mit den Alchemisten sitzen die Fälscher in der Hölle." So beginnt die Einführung, und so sah es jedenfalls Sandro Botticelli um 1480 auf einem Blatt seines Zeichnungszyklus zu Dantes "Göttlicher Komödie". In der Hölle sitzen die Fälscher aber längst nicht mehr, sondern sie spreizen sich eher in Talkshows, "eine erstaunliche Entwicklung vom Verbrecher zum Medienstar", so findet Butin mit Recht. Angespielt ist damit natürlich auf den hierzulande notorischen Wolfgang Beltracchi mit seinem gelinden Größenwahn. Allerdings auch auf die Mitwirkung der Öffentlichkeit an dessen zweifelhaftem Ruhm: Sie lässt sich gern Fälschergeschichten als "glamouröse Skandale" vorsetzen, Karrieren von "Meisterfälschern" wie Han van Meegeren, Elmyr de Hory, Eric Hebburn oder Edgar Mrugalla.

Genau das macht Butin nicht: Biographien von Fälschern kulinarisch aufbereiten. Und schon gar nicht stilisiert er sie zu Heroen. Er ordnet auf allen Ebenen ein, buchstäblich von der Antike an, was sie einzig können: mehr oder minder geschickt nachahmen, was Künstler geleistet haben. Entsprechend handelt er im fünften Kapitel, "Fälscher", kaum von den Akteuren, sondern setzt sich mit Einschätzungen zum Thema auseinander, wie der folgenden eines Kunsttheoretikers: "Was spricht gegen den Anspruch eines Malers, das OEuvre eines Künstlers wie das von Max Ernst oder Heinrich Campendonk um weitere Werke zu bereichern, als die bloße Tatsache, dass sie mit einem falschen Namen, falscher Provenienz und irrenden Gutachten versehen wurden?" Es braucht schon arg viel Naivität, um solche Verbrechen wie Urkundenfälschung, Betrug und vorsätzliche Täuschung als - wie hier geschehen - vernachlässigbare Kleinigkeiten zu behandeln.

Butin wird nicht müde, darauf hinzuweisen, was darüber hinaus noch gegen Fälschungen spricht: Es ist zumal die nachhaltige Verfälschung von Werkzusammenhängen einzelner Künstler, entsprechend von deren Werkverzeichnissen, was am Ende bis in die Museen hineinwirkt, die bei aller ausgewiesenen Expertise auch nicht gefeit sind vor jedem Betrug. Denn es handelt sich ja nicht um Kavaliersdelikte, mit denen ein paar vermögenden Menschen Geld aus der Tasche gezogen wird; allein diese Sicht ist schon üble Verharmlosung. Sondern es geht um eine Kunstgeschichtsschreibung, die unser aller kulturelles Erbe mitbestimmt. Wem egal ist, ob diese auf zuverlässigen Daten aufruht, der hat überhaupt nicht begriffen, was die Ubiquität von fake in der Gesellschaft anrichtet.

Butin liefert zahlreiche Beispiele, auch im Fall von Arbeiten Gerhard Richters. Zu ihnen zählt die Identfälschung, also Fälschung nach einem existierenden Bildmotiv, eines Blatts aus Richters Edition "Kerze III" von 1989. Sie kam aus einer bekannten Sammlung und tauchte 2016 in einem New Yorker Auktionskatalog auf, mit einer Schätzung bis 80 000 Dollar versehen. Butin benennt die "groben Fehler" des Betrügers - inklusive der zittrigen Signatur auf der Rückseite. Dennoch war bei den Experten kein Zweifel an der Echtheit aufgekommen. Das Bild wurde erst kurz vor der Auktion, aufgrund eines Hinweises, aus dem Angebot entfernt.

In den zentralen Kapiteln - zu "Kunstboom", "Sammlern und Sammlerinnen" und "Spekulanten" - läuft der Autor zu Hochform auf bei der Vivisektion jener unguten Verhältnisse, die von einer zunehmend rabiaten Ökonomisierung des Kunstmarkts, des Kunstsystems überhaupt, befördert werden. Vielleicht lässt sich sagen, dass die Funktion von Kunst als Prothetik sozialer Geltung derzeit einen Höhepunkt erreicht hat. Zu lernen ist, aus historischer Perspektive, allerdings auch, dass diese Entwicklung wirklich nicht brandneu ist, sondern in Abwandlungen wiederkehrt.

Sich selbst, und damit den Lesern, erspart Butin eine pauschale Verurteilung des Kunsthandels, zumal der Auktionshäuser. Er beschreibt deren Schwachpunkte in einem eigenen Kapitel, ohne sie unter Generalverdacht zu stellen, allerdings mit klarem Urteil über die Ursachen für die Nachlässigkeiten im Umgang mit Fälschungen. Der scharfe Wettbewerb, Zeitdruck und gelegentlich nicht ausreichende Kompetenz der angestellten Experten gehören dazu. Aber selbst wenn eine Fälschung vor der Auktion aus dem Verkehr gezogen wird, ist sie nicht unschädlich gemacht. Die Motive liegen auf der Hand: Die Häuser haben kein Interesse, ihre Kunden zu verprellen, meistens werden die falschen Werke einfach zurückgegeben. Und die einmal Gelackmeierten wollen ihrerseits oft nicht den doppelten Schaden haben.

Eng verquickt ist das Kapitel zu "Sachverständigen, Gutachtern und Experten" mit jenem zur Funktion der "Öffentlichen Medien". Diese Verbindung untersucht Butin auch anhand der Rolle, die dem entscheidenden Gutachter bei den Machwerken Beltracchis zukam, und mittels der Position, die der getäuschte Kunsthistoriker in der Causa um die Fälschung von Galileo Galileis "Sidereus Nuncius" einnahm, welche der italienische Bibliothekar Marino Massimo De Caro hergestellt hatte. Neben der so erzielten Breitenwirkung für das betrügerische Vorgehen - und womöglich einem gewissen Respekt vor dieser "Leistung" - wird noch etwas klar: Es ist ein Irrtum, dass ein Werk - wie alt, wie neu oder wie scheinbar entlegen, ob Buch oder Bild, Zeichnung oder Skulptur - schon nicht gefälscht sein wird, weil sich das nicht lohnen würde. Und hier ließe sich ergänzen, dass gerade auch Beltracchi Künstler gefälscht hat, wie etwa Johannes Molzahn, die nicht zum Hochpreissegment zählen, womit er leicht eine für vermeintlich günstige Käufe empfängliche Klientel bespielen konnte.

All die genannten Faktoren zusammengenommen befördern ein für Fälscher nachgerade günstiges Klima. Es ist Butins ceterum censeo, auf die drei Komponenten hinzuweisen, die zur Abklärung bei Zweifeln an der Echtheit eines Werks gemeinsam beitragen müssen: Zunächst sollte seine Provenienz, die Herkunft also, lückenlos nachvollziehbar sein. Dafür sind zumal die Rückseiten eines Gemäldes mit den Aufklebern von Galerien oder Sammlungen wichtig; solche Hinweise werden oft mitgefälscht. Hinzu kommt die materialtechnische Untersuchung, am besten in unabhängigen Speziallabors. Diese Methode kann zum Beispiel Leinwände oder Farben identifizieren, die zum Zeitpunkt der angeblichen Entstehung eines Gemäldes noch gar nicht existierten. Endlich ist da die Expertise unabhängiger Gutachter. Sie sollten freilich kein "Monopol" auf einen bestimmten Künstler haben und idealerweise bei einer Authentifizierung im Team arbeiten. Was so einleuchtend klingt, ist in der Realität keinesfalls die Regel; sei es aus finanziellen Gründen, aus Zeitersparnis - oder weil schlicht der Wille zum genauen Wissen fehlt.

Im Nachwort formuliert Butin den Kern seiner These noch einmal bündig, dass nämlich "die Fälschung in der Tat nicht mehr nur als marginale Erscheinung oder als bloßes Skandalon der Kunstwissenschaft betrachtet werden sollte. Sie muss vielmehr als systemisches Problem begriffen werden, das von komplexen gesellschaftlichen Strukturen bedingt wird. Es wäre fatal, wenn die im gesamten Kunstbetrieb zunehmende Anzahl von Fälschungen nicht als ernste Herausforderung angenommen würde." Zudem, so lässt sich ergänzen, wirken die Fälschungen in die Gesellschaft zurück, und das erst recht, wenn sie als lässliche Verfehlungen vermeintlich gewitzter Zeitgenossen behandelt werden.

Nicht zuletzt in dieser Hinsicht ergeht ein moralischer Appell, der ins Mark des gesellschaftlichen Selbstverständnisses, weit über die Kunst hinaus, trifft. Er wird vorgetragen von einem Autor, der nicht Thesen arrangiert, sondern seine Ausführungen mit Belegen untermauert. So ist Hubertus Butins Buch zugleich packende Lektüre - und als Bericht zur Lage das aktuell gültige Standardwerk.

Hubertus Butin: "Kunstfälschung". Das betrügliche Objekt der Begierde.

Suhrkamp Verlag, Berlin 2020. 476 S., geb., 28,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.03.2020

Unsichtbare
Hände
Zwei Bücher zeigen, wie Fälscher und Verbrecher
von den Mechanismen des Kunstmarkts profitieren
VON JENS BISKY
Die drei Herren in weißen Kitteln fielen nicht auf, als sie an einem Montagmorgen im August 1911 aus der Kammer kamen, in der Malutensilien aufbewahrt wurden. Der Louvre hatte geschlossen, und die Angestellten, mit den Reinigungsroutinen beschäftigt, achteten nicht weiter darauf, als die drei Herren Leonardo da Vincis „Mona Lisa“ von der Wand nahmen und durch einen Seiteneingang hinausspazierten. Zwei Jahre lang suchten Polizei und Privatdetektive erfolglos nach dem Gemälde. Sie entdeckten es erst, als Vincenzo Peruggia, der im Louvre als Glaser gearbeitet und den Diebstahl organisiert hatte, nach Florenz fuhr und die Mona Lisa über einen Galeristen dem Direktor der Uffizien anbot. Am Tag der Übergabe, im Dezember 1913, wurde er verhaftet. Nur zu bereitwillig glaubte ihm die Öffentlichkeit, dass er das Bild, dessen Ruhm mit dem Diebstahl ins Grenzenlose wuchs, lediglich zurück nach Italien, in seine und da Vincis Heimat, habe bringen wollen.
Peruggias Auftraggeber blieb unbekannt, bis der Journalist Karl Decker ihn interviewte. Eduardo de Valfierno handelte in Buenos Aires mit gefälschter Kunst, vor allem mit Murillo-Gemälden. Es gebe, prahlte er, dank seiner Aktivitäten in Argentinien inzwischen mehr Murillos als Kühe. Er verließ sich darauf, dass die betrogenen Käufer ihn nicht anzeigen würden, da sie dann auch hätten zugeben müssen, einen Kunstraub beauftragt zu haben. So plante er es auch im Fall der Mona Lisa. Sein Kumpan hatte Kopien des Gemäldes angefertigt, die Valfierno nach dem Diebstahl und den ausführlichen Berichten darüber, in den USA als echte Da Vincis verkauft haben will.
Die Geschichte vom Kunstraub, der die Fälschungen beglaubigen sollte, steht am Anfang des Buches „Kunst und Verbrechen“, in dem die beiden Journalisten Stefan Koldehoff und Tobias Timm das Panorama heutiger Kunstkriminalität zeichnen, von der Geldwäsche über den illegalen Handel bis hin zum Betrug. Manche der Fälle, die sie behandeln, haben für Schlagzeilen gesorgt: der Raub der 100 Kilogramm schweren Goldmünze aus dem Berliner Bode-Museum, die Fälschung einer Ausgabe von Galileis „Sidereus Nuncius“, der Prozess gegen den Kunstberater Helge Achenbach. Aber Koldehoff und Timm lassen nicht nur die vielen Verbrechen im Umkreis der Kunstwelt Revue passieren, sie fragen, was diese ermöglicht, erleichtert, und wie sie zu verhindern wären.
Dieses Interesse teilen sie mit dem Kunsthistoriker Hubertus Butin, der in seiner Studie über Kunstfälschungen ebenfalls auf den Markt zu sprechen kommen muss, der das Geschäft mit Fälschungen so lukrativ und oft auch recht einfach macht. In beiden Büchern geht es um das Zusammenspiel von krimineller Energie, Legenden, Geldgier und Leichtfertigkeit. Die Öffentlichkeit neigt immer wieder dazu, den erfolgreichen Fälscher zu glorifizieren. Spielt er nicht mit dem trüben Kult des Originals wie viele große Künstler? Schädigt er nicht bloß Superreiche? Muss man nicht sein handwerkliches Geschick bewundern? So mag argumentieren, wer Heiratsschwindler für Kritiker des Patriarchats und Diebe für antikapitalistische Aktivisten hält. In beiden Büchern finden sich die richtigen Gegenargumente.
Und durch beide Bücher lässt sich viel lernen. Man erfährt etwa, warum besondere Skepsis angebracht ist, wenn Werke der sowjetischen Avantgarde oder Druckgrafiken und Skulpturen Salvador Dalís in den Handel kommen und wie der Modigliani-Mythos Fälschungen begünstigte. Über einen anderen, gern gefälschten Künstler sagte schon 1936 ein französischer Kunsthistoriker, Camille Corot sei der „Urheber von 3000 Gemälden“ gewesen, „von denen 10 000 in Amerika verkauft wurden“.
Vor allem aber liefern beide Bücher viel Material, kuriose und dramatische Geschichten, um den Kunstmarkt der Gegenwart besser zu verstehen. Er sei, schreiben Koldehoff und Timm, „die reinste Form der Markwirtschaft“, da mit Unikaten gehandelt werde, „deren Wert nicht objektiv bestimmt werden kann“. Allein Angebot und Nachfrage führen zu einem Preis.
Weit über sechzig Milliarden Dollar werden Jahr für Jahr auf dem internationalen Kunstmarkt umgesetzt, 2018 waren es 67,4 Milliarden. Drei Länder sind dabei ausschlaggebend: mit einem Anteil von 44 Prozent die Vereinigten Staaten, gefolgt von Großbritannien mit 21 Prozent und China mit 19 Prozent. Deutschland war trotz der hohen Zahl der Vermögenden mit nur einem Prozent beteiligt.
Der Markt ist einerseits global, andererseits ungeheuer intransparent. Auch größere Summen werden gern bar bezahlt, oft einigt man sich mündlich und per Handschlag. Ein Banker meinte, die Gepflogenheiten seien so geheimnisvoll wie sonst nur auf dem Diamantenmarkt, aber dort könne man sich wenigstens leicht darauf einigen, was ein Diamant wert sei. Die wirklich teuren Kunstwerke dagegen werden inzwischen auch oder überwiegend als Investment erworben, wobei der Mark weit weniger reguliert ist als die Börse. Keine Aufsichtsbehörde geht gegen Insiderhandel und Manipulationsversuche vor.
Wer sich erinnert, mit welchen rhetorischen Eskalationen Lobbyisten des Kunsthandels in Deutschland auf das 2016 in Kraft getretene Kulturgutschutzgesetz reagiert haben, das in erster Linie EU-Beschlüsse in deutsches Recht umsetzte, wird skeptisch sein, ob sich eine stärkere Regulierung durchsetzen ließe. Wie so oft, wenn es um Kunst geht, werden im Streit darüber Werte und Haltungen wie Unkonventionalität, Kreativität, Aufgeschlossenheit und dergleichen mehr beschworen.
Dabei sollte sich langsam herumsprechen, dass der Besitz eines Kunstwerkes an sich nicht mehr über Charakter und Status eines Sammlers aussagt als die Oldtimer in der Garage und die Goldbarren im Tresor. Auch die Diktatorengattin Imelda Marcos hat viel Kunst, viel moderne Kunst zusammengerafft. Die entscheidende Frage ist, wie einer mit den Kunstwerken, die ihr gehören, umgeht.
Hubertus Butin mustert in seiner gründlichen Studie das gesamte Kunstsystem, beschäftigt sich kunsthistorisch und juristisch informiert mit Fälschern, Sammlern, Auktionatoren, Galeristen, Verkäufern im Internet, mit Sachverständigen, Gutachtern, Experten und mit der Rolle der Medien wie der Museumsdirektoren. Er benennt den ästhetisch produktiven Zweifel an der Vorstellung vom genialischen Schöpfer und Ausnahmekünstler, ohne deswegen das Problem der Fälschungen zu verniedlichen. Butin stellt sich vielmehr dieser Spannung. Er zitiert Roy Lichtenstein („Ich möchte jede Handschriftlichkeit vermeiden“), Robert Rauschenberg („Ich will nicht, dass ein Gemälde ein Ausdruck meiner Persönlichkeit ist“) und Andy Warhol („Ich will nicht, dass meine Kunst einen Stil hat“; „der Grund dafür, dass ich in dieser Art male, ist, dass ich eine Maschine sein möchte“). Zugleich schlüsselt er auf, wie Fälscher falsche Tatsachen vorspiegeln, sich der Urkundenfälschung schuldig machen und oft auch Urheberrechte verletzen.
Besonders interessant ist Butins letztes Kapitel über „das betrügliche Objekt der Begierde“. Es zeigt, wie Künstler mit dem Problemen von Echtheit, Originalität und mit Fälschungen umgehen. Dass sie versuchen, sich gegen Betrüger zu wehren, liegt nahe. Aber auch einige Künstler haben Werke anderer gefälscht, Vasari berichtet derlei über Michelangelo, Fernand Léger hat in großer Not Gemälde von Camille Corot gefälscht. Manche haben aufgedeckte Fälschungen autorisiert, andere „humorvolle Schwindel auf Kosten des Kunstbetriebs“ fabriziert oder das Thema in eigenen Werken grundsätzlich reflektiert.
Gerhard Richter etwa signierte 1988 Exemplare des Offsetdrucks „Kerze I“ auf besondere Weise, „mit einer äußerst großflächigen Signatur, die er mit schwarzer Pastellkreide quer über das bildnerische Motiv einer brennenden Kerze schrieb“. Nicht am Rand des Blattes, wie es sich eigentlich gehört, unterschrieb er, sondern übergroß, das Bildmotiv in den Hintergrund drängend: „Die auratische Verbindung von Hand und Name wird demonstrativ zum sich aufdrängenden Fetisch“. Aber Gerhard Richter ging noch weiter und versah ein Exemplar der Grafik mit „Joseph Beuys“, ein anderes mit „Georg Baselitz“.
Im Jahr 2005 gelang es Banksy, ein kleines Werk in das British Museum zu schmuggeln, ein Felsenfragment mit einer prähistorisch anmutenden Zeichnung darauf. Sie stellt ein mit Pfeilen erlegtes Tier und einen Höhlenmensch dar, der einen Einkaufswagen schiebt. Da daneben eine Tafel mit erläuterndem Text hing, fiel die Täuschung anfangs nicht auf. Wenig später präsentierte Banksy das Werk in einer Ausstellung in London als „Leihgabe vom British Museum“.
Angesichts der großen Summen, die auf dem Kunstmarkt verdient werden können, wird er wohl noch lange Kriminelle anziehen: Fälscher, Betrüger, Erpresser. Koldehoff, Timm und Butin unterbreiten einige Vorschläge, wie man ihnen durch Sorgfalt, Dokumentation, Regulierung das Leben schwer machen kann. Das zu tun liegt im Interesse der vielen ehrlichen, professionellen Händler und erst recht all der Millionen Kunstfreunde.
Hubertus Butin: Kunstfälschung. Das betrügliche Objekt der Begierde. Suhrkamp Verlag, Berlin 2020. 476 S., 28 Euro.
Stefan Koldehoff, Tobias Timm: Kunst und Verbrechen. Galiani Berlin, Berlin 2020. 320 S., 25 Euro.
Wer war Camille Corot?
Ein Künstler, „der
3 000 Gemälde gemalt hat,
von denen 10 000 in
Amerika verkauft wurden“.
@europeanspaceagency, empfohlen von
Cemile Sahin („Taxi“)
„Ich komme von der
Luftfahrt, etwas
anderes macht nicht
so viel Sinn.“
Angesichts der Milliardenumsätze
wird der Kunstmarkt wohl
noch lange Kriminelle anziehen
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»... überaus kenntnisreich und mit besonderer Akribie.« Annegret Erhard DIE WELT 20200509