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Eine junge Frau kämpft sich durch ein Labyrinth aus Träumen, Erinnerungen und entgleitenden Gegenwarten, als sie versucht, die Wahrheit über das Verschwinden ihrer Schwester herauszufinden. Auf einer Insel, wo sie für ein Jahr studieren will, trifft sie auf eine Gruppe junger Leute, darunter Lázaro, in dessen Gegenwart Aziza unter merkwürdigen Hautverbrennungen leidet. Über ihn kommt sie auch in Kontakt mit den Guanchamánes, einer geheimen Organisation, die das Wesen der Träume erforscht. Als sie schließlich an einem ihrer Experimente teilnimmt, gerät sie in einen Strudel von…mehr

Produktbeschreibung
Eine junge Frau kämpft sich durch ein Labyrinth aus Träumen, Erinnerungen und entgleitenden Gegenwarten, als sie versucht,
die Wahrheit über das Verschwinden ihrer Schwester herauszufinden. Auf einer Insel, wo sie für ein Jahr studieren will, trifft sie auf eine Gruppe junger Leute, darunter Lázaro, in dessen Gegenwart Aziza unter merkwürdigen Hautverbrennungen leidet. Über ihn kommt sie auch in Kontakt mit den Guanchamánes, einer geheimen Organisation, die das Wesen der Träume erforscht. Als sie schließlich an einem ihrer Experimente teilnimmt, gerät sie in einen Strudel von Parallelwelten.

Sophie Steins Erstlingsroman ist ein Trip in die Riftzonen von Mythos und Schlaf, ein Text, dessen flimmernde Sprache unser Bild der Wirklichkeit in eine phosphoreszierende Schwebe versetzt.
Autorenporträt
Stein, SophieSophie Stein (_1995) studierte Literaturwissenschaft, Philosophie und Indologie. Sie lebt in Mainz.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.02.2021

Moderne Schamanen

In Sophie Steins Debüt "Amanecer" begibt sich eine Gruppe junger Leute auf die Suche nach den Rissen in der falschen Alltäglichkeit.

Die Literatur liebt ihre Kategorien auf eine seltsame Weise. Immer geht es den wirklich guten Schriftstellern darum, Genre- und Gattungsgrenzen einzureißen, das Zerstören von ästhetischen Erwartungen ist ihre Kür. Historisch wandte sich Lessing gegen die Regelpoetik, Klopstock gegen die Linearität im Gedicht, und Annette von Droste-Hülshoff wollte erst Romantikerin, dann Realistin sein. Der Schweizer Verlag Diaphanes hat dieses Prinzip zur Publikationsstrategie gemacht. Neuerdings erscheinen dort unter dem Oberthema "Forward Fiction" Bücher, die alles anders machen wollen. Ein "Post-Gothic-Roman" ist dabei, feministische "Flash Fiction" und nun auch Sophie Steins Debüt "Amanecer", ein schillerndes Hybrid aus Fantasy, psychologischer Allegorie und Coming-of-Age.

Ein solcher literarischer Eigensinn ist grundsätzlich charmant und anscheinend ja auch die Bedingung dafür, einmal in den Kanon aufgenommen zu werden. Aber so einfach ist es eben nicht.

Ein guter Roman kennt die Geschichte seines Genres in- und auswendig und kehrt ihr dann, wenn er will, vorsichtig den Rücken zu. Sophie Steins Roman weiß jedoch nicht genau, wo er hinwill, er ist von seinem Muttergenre, der phantastischen Literatur, gleichermaßen angezogen wie abgestoßen.

Phantastische Literatur lebt schon immer mit dem Verdacht, entweder populär, also zu unterhaltsam, oder zu romantisch, also altbacken zu sein. Das steht quer dazu, dass einige der großen kanonischen Autoren der deutschsprachigen Literatur wie Novalis oder später Alfred Kubin Phantasten waren. Wäre E.T.A. Hoffmann ein Autor der Gegenwart, würde er vermutlich unter "Fantasy" einsortiert und der ein oder andere Literaturwissenschaftler die Nase rümpfen.

Vielleicht ist es so schwierig, phantastische Literatur einzugrenzen, weil Phantasie kein Alleinstellungsmerkmal, sondern die Grundvoraussetzung von Literatur ist. Jean-Paul Sartre beschrieb einmal, dass es die genuine Aufgabe von Phantastik sei, über das Menschliche hinauszugehen und eine andere Welt zu schaffen. Das könnte man natürlich auch von einem Heldenepos, einem modernen Marionetten-Märchen oder einem postkolonialen Langessay sagen - womit das Spektrum der Buchpreis-Shortlist des vergangenen Jahres abgedeckt wäre.

Eigen ist der phantastischen Literatur vor allem, dass sie selbst die Bedingungen ihres Wahrseins festlegt und deswegen ein Abgleich mit der Realität abwegig ist. Wenn Prinzessinnen mit Drachen kämpfen, dann hat es wenig Sinn, auf die faktische Unmöglichkeit der Koexistenz von Adligen und Flugsauriern hinzuweisen. Doch sauber getrennt sind phantastischer Raum und Realität trotzdem nicht. E.T.A. Hoffmanns Nachtstücke beziehen den Grusel aus der Verankerung in einer vertrauten Realität und daraus, dass sie beständig auf zwei Ebenen zu lesen sind: Entweder wird dort Phantastisches erlebt oder Erlebtes umphantasiert, immer aber werden die gängigen Grenzen zwischen Subjekt und Objekt, belebter und unbelebter Natur, wahr und imaginär durch die Inszenierung einander ausschließender Welten unbarmherzig eingerissen.

So weit ist "Amanecer" ein Vorzeigeexemplar phantastischer Literatur, bei dem schon der Titel, der mit Dämmerung übersetzt werden kann, auf die halbschattige Plazierung zwischen Tag und Nacht hinweist. Erzählt wird aus der Perspektive der Berlinerin Aziza, die zur Selbstfindung und Verbesserung ihrer Spanischkenntnisse ein Auslandssemester auf Navaria, einer fiktiven Vulkaninsel, verbringt. An der Universität ist es ihr zu öde, so dass sie sich stattdessen einer Gruppe junger Insulaner anschließt, die in einer Art reformökologischem Geheimbund, den "Guanchamánes", organisiert sind, Phantasiewesen als Tätowierungen tragen, sich in Pflanzenkunde üben und mit Tieren reden.

Verletzen sie sich einmal, fangen sie ihr Blut auf, um damit Moskitos zu füttern, "wir kümmern uns gerne um Lebewesen", ist ihre Parole. Die Einzelgängerin Aziza, die aufs intensivste (und bis ins Manische) verbunden ist mit ihrer Umwelt, die Muscheln atmen hören, Baumgeister sehen und Energieflüsse spüren kann, ist erleichtert, endlich Gleichgesinnte gefunden zu haben. Die Schamanentruppe studiert in einer "Art universeller Suche nach Sinn und Spiritualität" Mythen sowie Flora und Fauna der Insel, tägliche Aufgaben sind Meditationen und Wanderungen in der Natur.

Natürlich kann Sophie Stein nichts dafür, dass man momentan an querdenkende Impfgegner denken muss, wenn man von anthroposophisch angehauchten Sinnsuchern der Natürlichkeit liest. Interessant ist es aber doch, dass selbst in der fiktiven Welt Navarias die spirituelle Suche zwingend in einem Geheimbund unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden muss. Man fragt sich, welche Einsicht denn diese bewusste Form des Pariatums zutage fördern soll. Handelt es sich um eine ökologische, eine technikskeptische, vielleicht eine fortschrittsnegierende Kritik an der Gesellschaft, welche die Hobbyschamanen üben wollen?

Den Bezug zu einer größeren Dimension des Naturverhältnisses stellt die Geschichte nicht her. Sie verbleibt ganz in der Perspektive der von transzendenten Erfahrungen übersprudelnden Aziza, die vor allem etwas über sich selbst lernen möchte. Kann es sein, dass es verschiedene Dimensionen der Welt gibt, in denen Parallelleben geführt werden, und dass sie selbst, Aziza, in all diesen Dimensionen unterwegs ist? Küchenpsychologisch würde man sagen, Aziza fehle ein Reizschutzsystem - und küchenpädagogisch, sie verharre in einer Phase des kindlichen Egozentrismus.

Alles, was sie umgibt, die Pflanzen, die Tiere, selbst jeder Mensch, scheint direkt zu ihr zu sprechen, jedes Objekt will sich ihr mitteilen und erregt in ihr einen drastischen Wechsel der Gemütszustände. Wenn die Hügel rufen, die Schildkröten ihr zumurmeln, selbst das unaufhaltsame Auseinanderdriften der nordamerikanischen und der eurasischen tektonischen Platten für sie spürbar ist, gerät Aziza in emotionalen Aufruhr: "An manchen Tagen schneidet mir das Schäumen des Ozeans durch die Gehörgänge wie nicht von dieser Welt stammende Schreie."

Überhaupt ist das Meer eine der überstrapazierten Metaphern dieses Buches. Ständig begegnet die Erzählerin dem Ozean, morgens, mittags, abends, fühlt sich hingezogen oder abgestoßen, ertrinkt beinahe und zieht sich beim Schwimmen mysteriöse Verbrennungen hinzu. Ihre Hypernervosität findet in der überbordenden Stilistik, der erzählerischen Überstrukturiertheit, einen starken Widerhall - und eine Entsprechung im konsequent durchgehaltenen Terror der Metaphern. Aziza vermutet, dass es nicht nur diese eine Welt gibt, sondern viele, dass sich im Hier und Jetzt überall Zeichen für die Existenz anderer Welten finden lassen. Als Spurenleserin will sie diese brüchige Wirklichkeit, diese "Eierschalenrisse" unserer Realität auftun, widmet sich also einem potentiell manischen Projekt.

Weil jedes Objekt in ihrer Welt die metaphorische Repräsentation einer anderen Welt sein könnte, ist auch alles bedeutsam. Für sie. Aber auch für die Leserin. Das ist erschöpfend, denn schon auf halber Strecke ist klar, dass die überbordenden allegorischen Konfigurationen auf keine sensationelle mehrdimensionale Weltenspaltung hindeuten, sondern allenfalls auf Azizas hartnäckigen Unwillen, sich mit dieser einen Welt zufriedenzugeben. Ein grundsätzliches Kategorienproblem dieser Geschichte ist der Status der Figur Aziza. Wofür steht die Frau mit dem Palindrom-Namen in diesem Roman? Ist sie die Personifikation unnachgiebiger Wissenschaftsskepsis oder eher adoleszenter Alltagsangst?

Reizvoll und ansteckend ist sie schon, diese hochkonzentrierte Erwartung tieferer Bedeutungsschichten. Kann es wirklich eine Unaufmerksamkeit sein, dass in der Geschichte einer Autorin namens Sophie Stein derart häufig eine Steinmetaphorik vorkommt? "Mein Warten ist geduldig wie das Warten von Steinen." Oder: "Mein Herz ist ein sonnengewärmter Stein." Das sind nur zwei der zahlreichen geologischen Metaphernschichten. Schon ist die Skepsis geweckt. Wer ist sie, diese Sophie Stein? Debüts kommen selten aus dem Nichts, die Autorinnen treten zumindest mit kurzen Texten in Literaturzeitschriften oder auf Lesungen in Erscheinung. Sophie Stein hat noch niemals veröffentlicht, sie ist unbekannt, nahezu ein publizistischer Geist. Der Verlag will dazu, fernab von einem Geburtsjahr (1995) und einer Stadt (Mainz), keine Auskunft geben. Die Suche nach der verborgenen Bedeutungsschicht einer seltsamen Koinzidenz ist damit beendet.

Der Literaturwissenschaftler Tzvetan Todorov hat das Geheimnis der Phantastik damit beschrieben, dass ihr ästhetischer Modus einer der Unsicherheit sei. Diese Unsicherheit aber entspringt einem besonderen Fingergefühl beim Weglassen, beim Nichtsagen, beim Streichen. Der produktive Grusel steckt im Unsichtbaren, nicht im Ausgeleuchteten.

Von einem Debütroman wird das Gegenteil erwartet, er soll alles zeigen, was in der noch jungen Autorin steckt. Es wäre zu wünschen gewesen, wenn sich in dieser Geschichte der Bewährungsdruck nicht so stark zwischen die Zeilen gedrängt hätte, wenn die eine oder andere überbordende Metaphorik gestrichen worden wäre, um den Blick dafür zu öffnen, dass Stein neben der Übertreiberei der Bildlichkeit durchaus eine ungewöhnlich reiche, pralle und fordernde Sprache beherrscht. Auch ein Covermotiv, das nicht an Skizzen aus dem Waldorfkindergarten erinnert, und eine Schrift, die in ihrer Fettheit die Geschichte nicht unterdrückt, sondern trägt, wären diesem Debüt zu wünschen gewesen, damit das Spiel mit den Genregrenzen nicht zum Selbstzweck wird.

MIRYAM SCHELLBACH

Sophie Stein: "Amanecer", Roman. Diaphanes, 192 Seiten, 18 Euro

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur FAS-Rezension

Rezensentin Miryam Schellbach scheint überfordert von Sophie Steins Debütroman aus dem Fach der fantastischen Literatur. Die Geschichte um eine junge Aussteigerin, die auf einer fiktiven Vulkaninsel die Bekanntschaft mit einem reformökologischen Geheimbund und der Sprache der Flora und Fauna macht, leidet laut Schellbach gehörig unter Metaphernüberfluss. Ozean- und Steinmetaphern, wo die Rezensentin das Buch auch aufschlägt, und nicht viel mehr dahinter als die spezielle Sichtweise der Protagonistin, deren Motivation für Schellbach zudem rätselhaft bleibt. Schade, findet die Rezensentin, denn die Sprache der Autorin erscheint ihr durchaus "reich".

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»Amanecer ist einer der interessantesten Versuche der vergangenen Monate, der Literatur mehr abzuverlangen als die mimetische Abbildung einer Realität, deren sinnstiftende Grundfesten längst rissig geworden sind.« Insa Wilke, WDR 3

»Amanecer ist einer der interessantesten Versuche der vergangenen Monate, der Literatur mehr abzuverlangen als die mimetische Abbildung einer Realität, deren sinnstiftende Grundfesten längst rissig geworden sind.« Insa Wilke, WDR 3