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Die Sehnsucht nach einer "konservativen Revolution" zieht sich durch die gesamte deutsche Nachkriegsgeschichte. Immer wieder forderten Nationalkonservative und Rechtsradikale die liberale Demokratie heraus. Doch seit der "Flüchtlingskrise" hat sich die Sprengkraft ihrer Argumente enorm verstärkt: Viele Positionen von AfD, Pegida und der Neuen Rechten sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen und das Verlangen nach einer heilen Geschichte heizt die Stimmung weiter an. Sind das noch die Deutschen, die glaubten, ihre Vergangenheit mustergültig "bewältigt" zu haben? Präzise führen die Autoren…mehr

Produktbeschreibung
Die Sehnsucht nach einer "konservativen Revolution" zieht sich durch die gesamte deutsche Nachkriegsgeschichte. Immer wieder forderten Nationalkonservative und Rechtsradikale die liberale Demokratie heraus. Doch seit der "Flüchtlingskrise" hat sich die Sprengkraft ihrer Argumente enorm verstärkt: Viele Positionen von AfD, Pegida und der Neuen Rechten sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen und das Verlangen nach einer heilen Geschichte heizt die Stimmung weiter an. Sind das noch die Deutschen, die glaubten, ihre Vergangenheit mustergültig "bewältigt" zu haben? Präzise führen die Autoren vor Augen, was derzeit auf dem Spiel steht - und wie es dazu gekommen ist.
Autorenporträt
Frei, NorbertProf. Dr. Norbert Frei lehrt Neuere und Neueste Geschichte in Jena und leitet das Jena Center Geschichte des 20. Jahrhunderts.

Maubach, FrankaDr. Franka Maubach ist Historikerin an der Universität Jena und schreibt derzeit an einer Arbeit über die Deutung des "deutschen Sonderwegs".

Morina, ChristinaPD Dr. Christina Morina lehrt Neuere und Neueste Geschichte Deutschlands in Europa an der Universität Amsterdam.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.03.2019

Das rechte
Kontinuum
Vier Historiker erklären
Deutschlands trübe Seiten
Der Erfolg der AfD kommt nicht aus dem Nichts. Nationalistische und rechtsextreme Bewegungen waren in Deutschland nie verschwunden, auch nicht in der DDR. Die gern erzählte Erfolgsgeschichte vom stabilen, sensiblen Rechtsstaat, der seine Lehre aus dem Nazi-Regime gezogen hat, ist mindestens unvollständig, wenn sie die Penetranz völkischer und rassistischer Umtriebe ausblendet. Schlussstrich-Rufer gab es zu allen Zeiten. Rechten Terror auch.
In einem lesenswerten Buch rollen Historiker der Universität Jena die trüben Seiten der deutschen Geschichte nach 1945 auf. Die Wissenschaftler hyperventilieren nicht. Sie suggerieren nicht, Berlin sei Weimar. Sie leugnen nicht die erreichte zivile Ordnung. Aber sie zeigen die Rückfälle und Widersprüche in dieser Ordnung – und die erschreckende Kontinuität in den Angriffen von rechts.
Das Buch schlägt einen Bogen von der unvollkommenen Entnazifizierung zu den vielen Versuchen, die Vergangenheit abzuschütteln oder den Holocaust rundheraus zu leugnen. Es rekonstruiert die Höhenflüge der NPD in den Sechzigerjahren, den Türkenhass und die Ausländerfeindlichkeit der Siebziger- und Achtzigerjahre und die brutalen Pogrome nach der Wiedervereinigung. Vieles davon ist im Prinzip bekannt, den Autoren gelingt es aber, die Geschichte so zu ordnen und zu verdichten, dass klar wird: Die AfD ist kein Betriebsunfall der deutschen Demokratie. Sie ist Ausdruck tiefsitzender, nicht überwundener Konflikte und Mentalitäten.
Jüngere Provokationen wie Alexander Gaulands „Vogelschiss“-Rede oder Alexander Dobrindts Aufruf zu einer „konservativen Revolution“ werden in dem Buch gut eingeordnet. Das Gerede der Gegenwart mag seine Dummheit oder Perfidie behalten, durch die abgeklärte historische Perspektive verliert es immerhin seine vermeintliche Originalität – und ein Stück seiner Kraft.
Der DDR und ihrem zur Schau getragenen Antifaschismus attestieren die Autoren einen instrumentellen, wenig differenzierten Umgang mit der Geschichte. Das „Volk“ sei in der DDR ein national und ethnisch aufgeladenes Konzept geblieben. Dazu sei im Schatten der offiziellen Rhetorik ein „kleindeutscher Regionalismus“ getreten, dessen Heimatliebe die neue Rechte nun ausschlachtet.
Auf beiden Seiten der Mauer sei in den Achtzigerjahren „ein gefährlicher Mix von politisch forcierter Integrationsabwehr und einem selbstermächtigten Ausländerhass entstanden“. In den Neunzigerjahren brach sich dieser Hass dann, angeheizt durch die damalige Asyldebatte, weiter Bahn. Die Autoren verfolgen die unterschiedlichen Entwicklungspfade in BRD und DDR, zeigen und betonen jedoch auch das Zusammenwirken ost- und westdeutscher Prozesse und vermeiden so einen belehrenden Fingerzeig von der einen auf die andere Seite: „Die hitzige Asyldebatte im Westen traf auf die Tradition einer selbstermächtigten Gewalt gegen Ausländer im Osten, der etablierte Rechtsradikalismus auf eine bewegungsförmige rechte Subkultur.“
Die Autoren zeigen überzeugend, dass „die vermeintlichen Randprobleme auf der Rechten die bundesdeutsche Geschichte kontinuierlicher durchzogen und stärker geprägt haben als vielfach angenommen: Ende der Vierzigerjahre hob im Westen die bis heute anhaltende Rede vom ‚endlich‘ nötigen Schlussstrich unter die NS-Vergangenheit an, während man im Osten begann, diese Vergangenheit unter den großen Teppich des Antifaschismus zu kehren.“
Anders als der Untertitel nahelegt, ist das Buch weniger als flammende Streitschrift angelegt denn als erklärender Essay. Die Autorenschaft auf vier Personen zu verteilen ist riskant, aber geglückt: Die Kapitel sind gut aufeinander abgestimmt und der angenehm lesbare Stil sehr kohärent. Der Rechtsruck der vergangenen Jahre verliert durch die hier geleistete Kontextualisierung nicht seinen Schrecken. Er wird aber besser begreifbar. So kommt das Buch tatsächlich zur rechten Zeit.
TANJEV SCHULTZ
Altes Phänomen im neuen Gewande: Pegida-Anhänger.
Foto: Carsten Koall / Getty
Norbert Frei,
Franka Maubach,
Christina Morina,
Maik Tandler:
Zur rechten Zeit.
Wider die Rückkehr
des Nationalismus.
Ullstein Verlag,
Berlin 2019.
256 Seiten, 20 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.05.2019

Medienschelte ist kein ganz neues Phänomen
Rechte Traditionen: Vier Autoren möchten eine historische Darstellung mit eingreifender Zeitanalyse verbinden

Herauszufinden, "wie es eigentlich gewesen" ist, so beschrieb Leopold von Ranke einst die genuine Aufgabe des Historikers. Aktuelle politische Tagesfragen gehören demnach nicht zu seinem Geschäft. Von diesem strengen Diktum abzuweichen gehört mittlerweile zum guten Ton vieler Historiker, die sich, so scheint es, bereitwillig von der allgemeinen Politisierungswelle anstecken lassen. Dazu zählen auch Norbert Frei, Franka Maubach, Christina Morina und Maik Tändler. Gemeinsam haben sie ein Buch geschrieben, das im doppelten Sinne des Wortes "zur rechten Zeit" kommen will und schon im Titel ihr Sendungsbewusstsein ausdrückt: "Wider die Rückkehr des Nationalismus". Der selbstgewählte Auftrag ist damit umrissen. Die Autoren schreiben gegen ein Phänomen der Gegenwart an: die erstarkende nationalistische, rechtspopulistische Bewegung. Bloß situativ soll die Analyse nicht ausfallen, und das kann sie, glauben die Autoren, kraft ihrer historischen Verortung auch gar nicht - im Unterschied zu den Sozialwissenschaften.

Kritisch wäre hier schon zu fragen, wie eine Gegenwartsanalyse denn anders als situativ sein kann. Denn das, was jetzt ist, können selbst Historiker nicht historisieren. Ähnlich ungenau ist die darauf folgende Feststellung, die derzeit dominante Form nationalistischer Politik sei der Populismus. Gibt es eine nationalistische Politik, die nicht populistisch ist?

Ungeachtet dieser punktuellen Unschärfe gelingt es den Historikern aber, die Geschichte der rechten Bewegung in Deutschland seit Ende des Zweiten Weltkrieges bis heute kurz und bündig nachzuerzählen. Keine rechte Ideologie, auch das zeichnen die Autoren nach, ist in diesem Land denkbar, ohne auf die deutsche NS-Vergangenheit und die Phasen ihrer Aufarbeitung Bezug zu nehmen. Die Autoren wählen dabei eine gesamtdeutsche Perspektive, die nicht bloß, wie sonst häufig, die westdeutsche Vergangenheitspolitik in den Blick nimmt, sondern sich auch kritisch mit dem postulierten Antifaschismus der DDR auseinandersetzt. Sie verabschieden sich von der verbreiteten Manier, die Geschichte der Bundesrepublik als reine Erfolgsgeschichte zu erzählen und die Ursachen rechter Denktraditionen vor allem im Osten des Landes zu suchen. Folgerichtig sprechen sie dann auch von "Vereinigungsrassismus".

Sichtbar wird mit diesem Längsschnitt durch die jüngere deutsche Geschichte, dass viele Methoden und Themen der radikalen Rechten eine lange Tradition haben und nicht, wie man angesichts aktueller Streitthemen wie der "Flüchtlingskrise" seit 2015 annehmen könnte, ein bloßes Produkt unserer Zeit sind. Die Medienschelte etwa war schon in den sechziger Jahren ein beliebtes Kampfmittel, wenn auch nicht unter dem Begriff der "Lügenpresse". Der mit diffusen Heimatgefühlen aufgeladene Begriff der Identität erfreut sich in Kreisen der Neuen Rechten schon seit Jahrzehnten ungebrochener Beliebtheit. Dass eine Große Koalition das Erstarken der politischen Ränder begünstigt, ließ sich ebenfalls schon vor nun bald sechzig Jahren beobachten, und nicht die unter Strafe gestellte Leugnung, aber doch die Relativierung der nationalsozialistischen Verbrechen ist ein Motiv, das nicht erst die AfD in die Schlagzeilen gebracht hat.

Sich all das in Erinnerung zu rufen ist durchaus interessant, und doch lässt dieser Zugriff zwei zentrale Einwände außer acht. Vergeblich sucht man in dem Buch wirklich neue Erkenntnisse. Die gesamtdeutsche Perspektive ist klug gewählt - aber was ist darüber hinaus nicht längst bekannt? Zu sagen, die Bewegungen von heute seien ohne ihre Vorgeschichte nicht zu verstehen, reicht für die Behauptung einer neuen Perspektive nicht aus, wenn die Vorgeschichte doch eigentlich hinlänglich bekannt ist. Das führt zum zweiten Problem des Buches. Es ist fraglich, ob der hier gewählte Ansatz richtig ist, nach dem historische Kenntnis zur Lösung aktueller Probleme beitrage. Was nützt uns das historische Wissen, wenn es etwa darum geht, den wachsenden Zulauf zur AfD zu unterbinden? Denn genau das ist ja das Ziel der Autoren: die Rückkehr zum Nationalismus auf dem Weg eines "kontextualisierten und tiefenscharfen" historischen Erkennens zu verhindern. Zweifel sind angebracht, ob es überhaupt Aufgabe der Historiker ist, auf eine politische Haltung derart erzieherisch hinzuwirken, selbst wenn sie keine expliziten Handlungsempfehlungen aussprechen und, wie die Autoren, sogar bestreiten, eine "Streitschrift" vorgelegt zu haben.

So plausibel es auch ist, historische Kontinuitäten der Neuen Rechten freizulegen, so sehr verliert das Buch immer dann, wenn die moralisierende Absicht der Autoren zu sehr durchscheint. Besonders entbehrlich ist die Sortierung in Gut und Böse, die sie im Schlusskapitel implizit vornehmen. Natürlich stehen sie auf der Seite der Guten, und natürlich ist alles, was in die Nähe von Rechtspopulisten gerät, das Böse. Das mag ja moralisch sogar so sein - aber es erklärt, und das ist für ein wissenschaftliches Buch durchaus problematisch, nichts. Wenn die Autoren am Ende dann auch noch pathetisch die Rückkehr zum Verfassungspatriotismus ausrufen, wirkt das fast schon altbacken. Auf diese Weise verfehlt dieses gutgemeinte und in der historischen Darstellung eigentlich gelungene Buch sein Ziel.

HANNAH BETHKE

Norbert Frei/Franka Maubach/Christina Morina/Maik Tändler: "Zur rechten Zeit". Wider die Rückständigkeit des Nationalismus.

Ullstein Verlag, Berlin 2019, 256 S., geb., 20,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"So geht zeitgemäße Geschichtsschreibung: Norbert Frei und seine Kollegen zeichnen die Genese rechten Denkens nach 1945 - in Ost und West. Und legen klar dar: eine einfache Unterscheidung in Gut und Böse gibt es nicht. Eher viel Grau auf beiden Seiten." Jana Hensel twitter 20190506