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Die große Geschichte einer kleinen Insel
Helgoland, ein rauer Felsen in der Nordseebrandung und zugleich seit knapp 200 Jahren Symbol und Kampfplatz deutscher wie englischer Historie. Hierhin zog sich Heinrich Heine zurück und hier schrieb Hoffmann von Fallersleben die deutsche Nationalhymne. In seinem Buch zeigt der Historiker Jan Rüger Helgoland als Spiegelbild und Mikrokosmos einer großen europäischen Geschichte.
Rüger erzählt das Große im Kleinen: Deutschland und Großbritannien, zwei Großmächte im Gerangel um die Vorherrschaft, im Taumel des Nationalismus und zugleich im fruchtbaren
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Produktbeschreibung
Die große Geschichte einer kleinen Insel

Helgoland, ein rauer Felsen in der Nordseebrandung und zugleich seit knapp 200 Jahren Symbol und Kampfplatz deutscher wie englischer Historie. Hierhin zog sich Heinrich Heine zurück und hier schrieb Hoffmann von Fallersleben die deutsche Nationalhymne. In seinem Buch zeigt der Historiker Jan Rüger Helgoland als Spiegelbild und Mikrokosmos einer großen europäischen Geschichte.

Rüger erzählt das Große im Kleinen: Deutschland und Großbritannien, zwei Großmächte im Gerangel um die Vorherrschaft, im Taumel des Nationalismus und zugleich im fruchtbaren geistigen Austausch. Schon 1807 hatten die Briten Helgoland eingenommen, um von hier den Kampf gegen Napoleon zu organisieren. Durch den sogenannten Helgoland-Sansibar-Vertrag ging die Insel an Preußen und verwandelte sich zur Seefestung. Im 20. Jahrhundert wurde Helgoland umkämpfter Schauplatz in beiden Weltkriegen und erlebte 1947 durch die Briten die größte nicht atomare Sprengung der Geschichte. Das Buch zeigt Helgoland jenseits der Nationen, jenseits der Völker als einen Ort der historischen Vielfalt und als Mahnmal für einen dauerhaften europäischen Frieden.
Autorenporträt
Rüger, JanJan Rüger, Jahrgang 1972, ist Professor für Geschichte am Birkbeck College der University of London. Er studierte in München und London und promovierte in Cambridge. Sein Arbeitsschwerpunkt liegt auf den deutsch-englischen Beziehungen des 19. und 20. Jahrhunderts. Rüger veröffentlichte im Englischen neben zahlreichen Aufsätzen bereits das Buch "The Great Naval Game. Britain and Germany in the Age of Empire" (2007).

Siber, Karl HeinzKarl Heinz Siber arbeitet seit Ende der 1970er Jahre als Sachbuch-Übersetzer aus dem Englischen. Er übersetzt vorwiegend zeitgeschichtliche Bücher, aber auch Biographien von Naturwissenschaftlern und Musikern.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.2017

Eigensinnige Friesen haben nur ein Ziel

Für die Briten war Helgoland immer deutsch, für die Deutschen britisch. Jan Rüger hat die Geschichte der Insel erkundet, die vor allem eines war - schwer zu regieren.

Die Geschichte Helgolands - muss man über sie etwas wissen? Dass Hoffmann von Fallersleben das "Lied der Deutschen" dort schrieb, als die Insel noch britisch war, davon hat man schon gehört. Im übrigen dürften die meisten von uns recht ahnungslos sein, und das ist auch nicht gerade ein Unglück. Aber mehr über diesen Gegenstand zu wissen, das muss nicht bloße Vielwisserei sein. Der Historiker Jan Rüger, der am Londoner Birkbek College unterrichtet, hat in "Helgoland. Deutschland, England und ein Felsen in der Nordsee", einem originellen, lebhaft erzählten Buch, jedenfalls eine Menge sprechender Details mitzuteilen über die letzten zwei Jahrhunderte, das deutsch-britische Verhältnis, Nationalismus, Regionalismus und Kolonialismus oder Fremdenverkehr und Massentourismus.

Rüger setzt ein mit der napoleonischen Zeit. Als Napoleon 1806 Preußen besiegte, rechneten die Briten damit, dass er auch Dänemark unterwerfen und das dänische Helgoland zu einem Stützpunkt in der Nordsee ausbauen werde. Da griffen sie lieber selbst zu; im September 1807 musste die dänische Besatzung die Insel kampflos den Briten übergeben. Die neue Kolonie, die kleinste des Empire, sollte sich als höchst wertvoll erweisen.

Über Helgoland unterhielt England Kontakte mit dem Kontinent, schickte Subsidien und Waffen. Und vor allem ging über Helgoland der Schmuggel, mit dem die Kontinentalsperre unterlaufen wurde. Bis zu dreihundert Schiffe legten täglich an und ab; die tüchtigen heimischen Seeleute schlängelten sich durch die französischen Sperrlinien. Vor allem waren es Kolonialwaren, die gehandelt wurden, mit märchenhaften Gewinnspannen. Zwischen 1809 und 1811 wurden via Helgoland mehr als 86 Millionen Pfund umgesetzt, das war mehr als der britische Staatshaushalt für 1811.

Mit den Niederlagen Napoleons endete die Schmugglerherrlichkeit Helgolands, aber nicht der Status als britische Kolonie; im Vertrag von Kiel 1814 trat Dänemark die Insel rechtsförmig an Großbritannien ab. Unter nun ruhigeren Verhältnissen mussten sich die Briten mit der Inselbevölkerung ins Benehmen setzen, und die erwies sich als zäh und klug. London garantierte den Fortbestand aller Privilegien einschließlich der ungeschriebenen, und wie weit diese reichten, das wussten die Helgoländer natürlich besser als ihre Gouverneure. Helgoland zu regieren erwies sich als heikel. Hier war je nach Fall deutsches, englisches, dänisches, römisches oder kanonisches Recht anzuwenden. Und die Bevölkerung trat den neuen Herren nicht so nahe, wie sie es von anderen Besitzungen kannten. So entwickelte sich der Eindruck, Helgoland sei eher deutsch als britisch, auf Dauer schwer zu halten.

Als das Deutsche Reich 1890 die Insel von den Briten übernahm - im Gegenzug machte es kolonialpolitische Zugeständnisse -, da entwickelte sich bald ein umgekehrtes Misstrauen: die Deutschen glaubten, ihre neuen Landsleute seien eher britisch gesinnt. Tatsächlich dachten die Inselbewohner vor allem praktisch, auf ihren ganz persönlichen Vorteil bedacht. Nationale Erwägungen, die Briten und Deutsche selbstverständlich voraussetzten, waren ihnen gleich. Versuche Berlins, die Inselbewohner "zu Deutschen zu machen", fruchteten wenig, sie fühlten sich eher als Friesen.

Es gehört zu den vielen schönen Einzelheiten, die man bei Rüger findet, dass Königin Viktoria ganz unwillig war, Helgoland abzutreten, unter anderem, weil es doch gegen den Willen der Ansässigen geschehe. Das war richtig, aber ein Argument, das für eine Kolonialmacht kaum Bedeutung haben konnte. Rüger stellt den Herrschaftswechsel auf Helgoland dar und vergleicht ihn mit dem in Ostafrika, wo die Deutschen im Gegenzug die Herrschaft über Witu an die Briten übergaben. Zweimal Herrschaftsübergang, doch unter völlig andersartigen Bedingungen. In Ostafrika spielt der Wille der Bevölkerung, der auf Helgoland von Briten wie Deutschen zumindest informell immer bedacht wurde, nicht die geringste Rolle.

Im Ersten Weltkrieg beklagte die englische Öffentlichkeit, Helgoland abgetreten zu haben. Die militärischen Fachleute sahen es anders. Eine Insel so dicht vor der deutschen Küste zu verteidigen wäre schwer gewesen, und die Seeblockade ließ sich auch aus der Distanz aufbauen. Die Deutschen umgekehrt glaubten, dass Helgoland ihnen die Seeverteidigung erleichtere, weil es die Einfahrt in Weser und Elbe schütze. Als Ausgangspunkt für einen Angriff auf die britische Flotte ließ sich die Insel nicht nutzen. Ähnliches wiederholte sich im Zweiten Weltkrieg. Die groß ausgebauten Hafenanlagen und Befestigungen spielten kaum eine Rolle, die U-Boote gingen von den französischen Häfen aus auf Feindfahrt.

Mit Kriegsende 1945 wollten die Briten gleichwohl der Existenz Helgolands als vorgeschobenem Posten der Deutschen ein Ende setzen. Die Insel wurde evakuiert, die Befestigungen der NS-Zeit gesprengt, der verlassene Flecken zum Übungsgelände für die Bomber der Air-Force. Mehr als hundert Jahre hatten die Helgoländer sich den nationalen Avancen Englands und Deutschlands verweigert und eigensinnig auf den Interessen ihrer kleinen Gemeinschaft beharrt. Noch 1918 hätten sie wohl für die Zugehörigkeit zum Vereinigten Königreich gestimmt, in Kalkulation der Vorteile. Nun, nachdem nationale Motive diskreditiert waren wie nie zuvor, wurde der Kampf um Helgoland auch für sie eine nationale Sache.

Mit ihnen kämpften die buntesten Gruppierungen darum, dass Helgoland Deutschland zurückgegeben werde. Nicht lange dauerte es, da war klar, dass Großbritannien würde nachgeben müssen, vor allem, weil Ost-Berlin sich eingeschaltet hatte und die antiimperialistische mit der nationalen Karte spielte. Wollten die Westalliierten die Bundesrepublik für ihre Sache gewinnen, musste Helgoland wieder deutsch werden, die Insel war zu einer Prestigefrage für die Regierung Adenauer geworden. 1952 wurde wieder die deutsche Flagge aufgezogen.

Der fünfundsiebzigste Jahrestag der Übertragung Helgolands an das Deutsche Reich wurde 1965 mit großem diplomatischen Aufwand begangen, um die guten Beziehungen der Bundesrepublik und Großbritanniens zu würdigen, der hundertste Jahrestag stellte 1990 ähnliche Aufgaben. Fünfundzwanzig Jahre später blieb alles ruhig. Helgoland war keine Frage mehr.

STEPHAN SPEICHER

Jan Rüger: "Helgoland". Deutschland, England und ein Felsen in der Nordsee.

Aus dem Englischen von Karl-Heinz Siber. Propyläen Verlag, Berlin 2017. 528 S., geb., 26,- [Euro].

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