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Im Februar 1962 wird Hamburg von der größten Sturmflut seiner Geschichte heimgesucht. Man trifft sich wie immer in Novotnys Hafenkneipe; ein Korn kann bei dem Wetter nicht schaden. Hier in der "Kogge" hat der junge Karl Blomstedt seine halbe Kindheit zugebracht, weil seine Mutter die Köchin ist. Nun müsste er längst vom Hafen zurück sein, das Wasser steht schon drei Meter über Normalnull. Der Bücherverschlinger soll wie sein Vater Hafenarbeiter werden, obwohl er dafür nicht geeignet scheint; aber fürs Lesen hat man in der Welt der Schauerleute, Kaischuppen und Speicher nicht viel übrig. Die…mehr

Produktbeschreibung
Im Februar 1962 wird Hamburg von der größten Sturmflut seiner Geschichte heimgesucht. Man trifft sich wie immer in Novotnys Hafenkneipe; ein Korn kann bei dem Wetter nicht schaden. Hier in der "Kogge" hat der junge Karl Blomstedt seine halbe Kindheit zugebracht, weil seine Mutter die Köchin ist. Nun müsste er längst vom Hafen zurück sein, das Wasser steht schon drei Meter über Normalnull. Der Bücherverschlinger soll wie sein Vater Hafenarbeiter werden, obwohl er dafür nicht geeignet scheint; aber fürs Lesen hat man in der Welt der Schauerleute, Kaischuppen und Speicher nicht viel übrig. Die Ehe der Eltern, die Menschen rund um sie, die Hafengeschichten werfen verstörende Schatten auf Karl, just als er der ersten Liebe begegnet. Im sprichwörtlichen und metaphorischen Sinn brechen die Deiche ...
Wie kunstvoll und zugleich schlicht der Autor die Welt der Kogge mit der Katastrophennacht verwebt, ist ein literarisches Ereignis!
Das Romanmanuskript hat seinem Autor bereits mehrere Stipendien und die Teilnahme an der Autorenwerkstatt Prosa 2014 des Literarischen Colloquiums Berlin eingebracht.
Autorenporträt
Malte Borsdorf, 1981 in Reutlingen geboren, aufgewachsen in Tirol. Studierte in Innsbruck und Wien und lebt heute in Kiel, war Teilnehmer der Schreibwerkstatt der Jürgen Ponto-Stiftung im Herrenhaus Edenkoben und erhielt das Aufenthaltsstipendium im Künstlerhaus Schloss Wiepersdorf, ein Startstipendium des österreichischen Kulturministeriums und ein Literaturstipendium der Kunststiftung Baden-Württemberg.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.11.2019

Ab auf die Kogge
Malte Borsdorfs Roman "Flutgebiet"

Die Sturmflut vom Februar 1962 ist in Hamburg ein unvergessenes Ereignis. Mitten in der Nacht rollte von der Nordsee her eine gewaltige Flutwelle die Elbe hinauf und zerstörte die Deiche. 315 Menschen starben, Tausende verloren Hab und Gut, wurden obdachlos. Dabei traf es vor allem den Süden der Stadt, die ärmeren Viertel, in denen die Hafen- und Werftarbeiter lebten, besonders Wilhelmsburg. Davon erzählt Malte Borsdorf in "Flutgebiet". Auch für den Haupthelden des kleinen Romans, den fünfzehn Jahre alten Karl, ist die Flut ein einschneidendes Erlebnis. Er wird buchstäblich über die Sturmnacht hinweg zum Erwachsenen. Eigentlich soll er genau wie sein Vater im Hafen arbeiten, jedenfalls kann sich der Vater gar nichts anderes vorstellen. Borsdorf schildert diese Arbeit. Sie ist hart und schlecht bezahlt. Ein Teil des erarbeiteten Geldes wird immer gleich in die Kneipen getragen. Karl quält die Aussicht, jeden Tag dorthin zu müssen, auch wenn einmal über ihn gesagt wird, er habe dafür ein Naturtalent. Karl ist ein Büchernarr, er liest alles, was ihm unterkommt. In den Büchern, die er sich aus der Bibliothek holt, findet er manchmal - eine kleine feinsinnige Beobachtung des Autors - eine Werbung für "Pfandbrief und Kommunalobligation", ohne eine Ahnung, was das sein könnte. Karls Vater ärgert sich über die Bücher: "Verderben unsere Leute. Bibliotheken."

Einmal, als Karl kurze Zeit im Gefängnis sitzt und kein Buch dabeihat, gibt ihm sogar die im Spind befestigte Anstaltsordnung Halt im völlig durcheinandergewirbelten Leben. Karl ist in die Haftanstalt Hahnöfersand gekommen, weil sein Vater bei einem Zwischenfall starb. Karl gilt zunächst als sein Mörder, die Sache klärt sich auf. Der Junge kehrt aus der Haft nach Wilhelmsburg zurück. Während der Sturmflut hatte er ein Mädchen kennengelernt, jetzt sieht er es wieder. Zwischen beiden bahnt sich etwas an. Was genau, das lässt Borsdorf offen, aber in der Enge der Wilhelmsburger Welt, so fühlt der Leser, ist jeder Ausgang willkommen.

"Flutgebiet" tarnt sich als Katastrophenroman, der im Hamburger Proletariermilieu spielt. Wer die Tarnung erkennt und sich nicht abschrecken lässt, erlebt auch für sich eine Sturmflut. Die Welle des Erzählens trägt einen davon. Das liegt vordergründig daran, dass die Geschichte spannend ist. Sie ist aber alles andere als ein Krimi. Unerbittlich genau schildert Borsdorf das Wilhelmsburger Milieu, vor allem eine Kneipe namens "Kogge". Bier, Schnaps und Zigaretten gehören zur Grundausstattung, dazu die gelallten Geschichten betrunkener Männer aus der Kriegs- und der Nachkriegszeit, nicht zu vergessen der Sparschrank. Es gibt Soleier, die gegen den Kater helfen sollen. Karls Mutter kocht, meist gibt es Suppe. Leider hat die Kneipe noch keinen Fernseher, so dass sie sich leert, wenn "Familie Hesselbach" läuft.

Nach der Flut aber sammelt die zufällig unversehrt gebliebene Kneipe das menschliche Strandgut ein. Das Hinterzimmer erweist sich als bislang abgetrennter Teil eines Saales. Jetzt öffnet sich die Weite des Raumes, um Platz für alle zu schaffen. Die Flut spült hinweg, was war, im Wortsinn wie im übertragenen Sinn. Symbolische Bilder gibt es immer wieder bei Borsdorf, aber nie aufdringlich. Dass das so gelingt, hat mit seiner Sprache zu tun. Sie ist ganz schlicht, aber doch so kunstvoll, dass sich der Dauerregen am Anfang darin wiederfindet, dann der Sturm und schließlich die Stille nach dem Sturm und das Taghell, das den Blick auf die Verwüstungen freigibt. Borsdorfs Dialoge sind lebendig. Karl hat in einer zerfledderten und flutfeuchten Ausgabe Heinrich Bölls "Ansichten eines Clowns" in einem Rutsch durchgelesen. In der "Kogge" folgt dann dieses Gespräch: ",Kennen Sie Heinrich Böll?', fragte Karl. Oke starrte in die Luft. ,Nein', sagte er, ,der ist mir nicht bekannt.' Er kratzte sich am Kinn. ,Arbeitet der bei uns?'" Die namensgebende Kogge hängt über dem Tresen. Nur jene, die wirklich dazugehören, wissen, was das Schiffsmodell enthält: eine Flasche mit dem besten Korn des Hauses. Am Schluss darf Karl den Korken aus der Kogge ziehen und kriegt ein Glas ab: "Hoch die Tassen!" Es ist eines der fesselnden Bücher, in denen die Welt der Literatur es schafft, scheinbar mühelos stärker zu sein als die wirkliche.

FRANK PERGANDE

Malte Borsdorf: "Flutgebiet". Roman.

Müry Salzmann Verlag, Salzburg und Wien 2019.

234 S., geb., 19,- [Euro].

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