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Tara ist noch ein Teenager, als ihre alleinerziehende Mutter beschließt, die Tochter sei ohne sie besser dran. Die Mutter verschwindet und überweist monatlich Geld. Die Tochter kämpft und überlebt. Sie sucht nach Liebe in Paris, findet so etwas wie eine Familie beim Milchmann am Stadtrand, pinkelt auf Geldscheine der Mutter, lässt sie auf der Heizung trocknen und bezahlt damit im Supermarkt ihre Brötchen. Magdalena Jagelke verblüfft mit ihrem kunstvollen, klaren Sound und mit einer Geschichte, die uns hadern lässt: Kann das Verlassen des eigenen Kindes ein gutes Verbrechen sein?

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Produktbeschreibung
Tara ist noch ein Teenager, als ihre alleinerziehende Mutter beschließt, die Tochter sei ohne sie besser dran. Die Mutter verschwindet und überweist monatlich Geld. Die Tochter kämpft und überlebt. Sie sucht nach Liebe in Paris, findet so etwas wie eine Familie beim Milchmann am Stadtrand, pinkelt auf Geldscheine der Mutter, lässt sie auf der Heizung trocknen und bezahlt damit im Supermarkt ihre Brötchen. Magdalena Jagelke verblüfft mit ihrem kunstvollen, klaren Sound und mit einer Geschichte, die uns hadern lässt: Kann das Verlassen des eigenen Kindes ein gutes Verbrechen sein?
Autorenporträt
Magdalena Jagelke, 1974 in Polen geboren, lebt seit 1986 in Deutschland. Sie hat Amerikanistik studiert und danach einen Master der Bibliotheks- und Informationswissenschaft erlangt. Veröffentlichungen in Print und elektronisch. Mutter eines Sohnes
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.11.2018

Weißraum für die Einsamkeit
Camus lässt grüßen: Magdalena Jagelkes Novelle "Ein gutes Verbrechen"

Dieses Buch wird von Figuren heimgesucht, die sich aus dem Staub gemacht haben. Tara, seine Ich-Erzählerin, ist so etwas wie eine Halbwaise - ein Kind mit zwei halben Eltern. Ihr Vater, ohnehin wenig einfühlsam, ist als Soldat in einer Kaserne stationiert, und ihre Mutter verkündet eines Tages, dass Tara, noch keine achtzehn, nun alt genug sei, um allein zu leben. Fortan sendet sie regelmäßig, aber kommentarlos Geld; zum Überleben reicht es, zu mehr nicht. "Hätte Mutter mir zwischendurch etwas geschickt", sagt Tara später, "Worte, die Mut machen, hätte ich vielleicht nicht so viel Angst gehabt." So aber dominieren die Absenzen: die "Liebe, diese Sache mit den füreinander zitternden Herzen"; die phantomhafte Mutter; das Selbstwertgefühl der Protagonistin, die auch Jahre später den Ekel vor der eigenen Machtlosigkeit nicht loswird.

Die Welt, die Tara tatsächlich umgibt, bleibt derweil nur spärlich beleuchtet, wie skizziert. In lyrisch-lakonischer Prosa beschreibt Magdalena Jagelke das deprimierende Vorstadtleben dieser jungen Frau, die sich nicht von ihrer Vergangenheit losreißen, nie richtig "abnabeln" kann, wie es eine kühle Familienanwältin an einer Stelle formuliert. Die kurzen Sätze und Absätze lassen dabei das Gefühl des Ungesagten entstehen, als erführe man nur, was sich gerade noch in Worten schildern lässt. Eine mysteriöse Bekanntschaft mit einem Milchmann etwa, dessen Produkt bei aller Güte die mütterliche Lücke nicht schließen kann; oder ein verzagter Ausflug nach Paris, bei dem nur noch mehr Einsamkeit entsteht. Protokollähnliche Sätze wie "Es kam zu Zärtlichkeiten" deuten unterdessen auf eine sprachlose Tiefe hin.

So sind einige Seiten des Buches auch bloß zu ungefähr einem Drittel bedruckt, auf einigen steht sogar nur ein einziger Satz. Es geht, das kündigt schon das Epigraph, ein Couplet aus Paul Verlaines "Gaspard Hauser chante", an, um die unkommunizierbare Gefangenschaft im eigenen Kopf: "Suis-je né trop tôt ou trop tard? / Qu'est-ce que je fais en ce monde?" (Bin ich zu früh oder zu spät geboren? / Was tue ich auf dieser Welt?) Wo dieses schmale Büchlein Weißraum bietet, ist buchstäblich Platz für Alleinsein - ein Leben als Ellipse, in aller Stille. Entsprechend kommt Jagelke auch ohne extravagante Adjektive und komplizierte Syntax aus. Stattdessen arbeitet sie mit Bildern. "Ich sah meine Seele sterben", erinnert sich Tara an das Verschwinden ihrer Mutter, "doch Engel bastelten mir schon eine neue. Erst wenn Engel aufhören zu basteln, geht es mit allem wirklich zu Ende."

Ein wenig erinnert diese dunkle Sachlichkeit an Albert Camus' "Der Fremde". Nüchtern und distanziert bewegt sich die vom Schicksal getroffene Hauptfigur durch ihren Alltag, so wie der Büroangestellte Meursault, der Protagonist, seinerseits ein Ich-Erzähler, von Camus' 1942 erschienenem Roman, der mit den befremdlichen Worten beginnt: "Heute ist Mama gestorben. Vielleicht auch gestern, ich weiß nicht." Jagelkes Novelle setzt ebenso unvermittelt und mit ähnlich schonungsloser Todesnähe ein: "Mein Name ist Princesse, und das ist die Wahrheit. Ich habe meinen Selbstmord überlebt." Der Unterschied besteht darin, dass Princesse (ein Kosename, wie wir später erfahren, den Tara von einer gescheiterten Liebe erhält) sehr wohl an der Abwesenheit ihrer Mutter leidet. Und anders als Meursault zeigt sie diese Gefühle auch - wenn nicht ihren Mitmenschen, so doch zumindest dem Leser. Nur, das genügt ihr nicht.

Camus' Meursault begeht schließlich einen Mord; als Leser erlebt man die versehentliche Komplizenschaft mit dem Verbrecher. Taras Versuch der Selbstbefreiung ist nicht minder bestürzend, jedoch weniger explizit: "Jede Nacht derselbe Tod. Man wundert sich . . . Dem Wesen in mir wachsen Hände. Mein wildes Seelentier." Dieses Tier greift an, aber die Tat, in der die Geschichte gipfelt, wird dann gar nicht so recht ausgesprochen - vielleicht, weil sie unsagbar ist. Am Ende weiß man selbst nicht mehr genau, wer nun die Verbrecherin ist: Mutter oder Tochter? Geht es um die Überwindung des Traumas oder um seine Einverleibung? So verwischt wie diese Linie ist die ganze Erzählung - ein Buch wie eine Bleistiftzeichnung: zerbrechlich, in gewisser Hinsicht schon zerbrochen. Wer lesen will, wie sich Einsamkeit anfühlt, wohne dem Verbrechen bei.

CORNELIUS DIECKMANN

Magdalena Jagelke:

"Ein gutes Verbrechen".

Verlag Voland & Quist,

Dresden und Leipzig 2018. 120 S., geb., 16,- [Euro].

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"Camus lässt grüßen ... ein Buch wie eine Bleistiftzeichnung: zerbrechlich, in gewisser Weise schon zerbrochen." Frankfurter Allgemeine Zeitung "Reale Momente vermischen sich mit poetisch-fantastischen, die Sprache sinnt nicht auf psychologische Ausleuchtung, viel mehr auf Verdichtung, Assoziation, Bildhaftigkeit" taz "Ein beklemmender, aufrichtiger Roman." Buchkultur "Es sind diese Fragen nach der Existenz an sich, nach den Gefühlen und Seinszuständen der Ich-Erzählerin, die Magdalena Jagelke unglaublich kunstvoll in lyrisch-lakonische, vielfach unbekannte Sprachbilder fasst." SR 2 Kulturradio