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Maurice Blanchots Rolle innerhalb der rechtsextremen Presse der 30er-Jahre ist in Frankreich spätestens seit seinem Tod 2003 Gegenstand zahlreicher Auseinandersetzungen. 2017 wurden seine Beiträge erstmals in einem Band versammelt. Bis dahin waren sie, nicht zuletzt durch sein eigenes Zutun, in den Archiven verblieben. Michel Surya unternimmt den Versuch, aus Blanchots Schweigen, seinen Aussparungen und Verschleierungen, Schlüsse zu ziehen für unser Denken und für unser Denken über Blanchot. In seinem hellsichtigen Essay folgt Surya der Frage, wie derjenige, der der Sprache mit dem höchsten…mehr

Produktbeschreibung
Maurice Blanchots Rolle innerhalb der rechtsextremen Presse der 30er-Jahre ist in Frankreich spätestens seit seinem Tod 2003 Gegenstand zahlreicher Auseinandersetzungen. 2017 wurden seine Beiträge erstmals in einem Band versammelt. Bis dahin waren sie, nicht zuletzt durch sein eigenes Zutun, in den Archiven verblieben. Michel Surya unternimmt den Versuch, aus Blanchots Schweigen, seinen Aussparungen und Verschleierungen, Schlüsse zu ziehen für unser Denken und für unser Denken über Blanchot. In seinem hellsichtigen Essay folgt Surya der Frage, wie derjenige, der der Sprache mit dem höchsten Anspruch und der größten Strenge begegnete, dies im Umgang mit seinem eigenen Schreiben missen lassen konnte.
Autorenporträt
Surya, MichelMichel Surya, 1954 geboren, Schriftsteller und Philosoph, hat neben seiner einschlägigen Biografie zu Georges Bataille (Georges Bataille: la mort à l'oeuvre) zwei Romane sowie mehrere Erzählungen und philosophische Essays veröffentlicht. 1987 rief er die Zeitschrift Lignes ins Leben, deren Herausgeber er bis vor Kurzem gewesen ist.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Maximilian Gillessen beobachtet, wie Michel Surya die Tag- und die Nachtseite des Denkens und Schreibens von Maurice Blanchot erkundet, seinen "rhetorischen Progressismus" wie seine rechtsextreme Publizistik. Die "unheimliche Kontinuität" der Denkfiguren bei Blanchot zwischen den 30er und den 60er Jahren kann der Autor dem Rezensenten überzeugend darlegen. Entscheidende Tatsachen, wie Blanchots Einsatz für die Rettung seiner Frau vor der Deportation, und Blanchots literaturtheoretisches Werk scheinen Gillessen im Buch jedoch zu wenig Beachtung zu finden.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.09.2020

Nichts als Sprache
Kein Rückblick: Michel Surya geht mit Maurice Blanchot ins Gericht

Mit seiner Auffassung der Literatur als Ort der Zerstreuung des Sinns und damit vom Verschwinden des Autors als Bedingung des Werks ist Maurice Blanchot zu einem der wichtigsten Vorgänger der Dekonstruktion geworden. Blanchots Verweigerung der Biographie bleibt jedoch angesichts seiner eigenen Vergangenheit zweideutig. Spätestens seit Mitte der siebziger Jahre ist seine rechtsextreme Publizistik der Vorkriegs- und Besatzungszeit bekannt. Aus den Hunderten von Artikeln, die mittlerweile von David Uhrig herausgegeben wurden ("Chroniques politiques des années trente", Gallimard 2017), ergeben sich die Züge eines jungen monarchistischen Anhängers der Action française, der die Wiedererlangung der einstigen Größe Frankreichs durch eine nationale Revolution propagierte.

Zum Nationalsozialismus bewahrte Blanchot, anders als Pierre Drieu la Rochelle oder Robert Brasillach, dank seiner antideutschen Affekte eine kritische Distanz. Dennoch scheute er in seinen hasserfüllten Invektiven gegen die sozialistische Regierung Blum keineswegs vor antisemitischen Klischees zurück. Noch 1940 feiert er die Machtübernahme Pétains, leitet die Literaturabteilung der von Vichy finanzierten Kulturorganisation "Jeune France" und nimmt bis zuletzt in Kauf, dass seine literarischen Essays im "Journal des débats" neben Reden von Hitler und Goebbels erscheinen.

Öffentlich geäußert hat sich Blanchot zu dieser Phase seines Lebens nie. Er beließ es bei Briefen an die engsten Freunde, späte Rechtfertigungen und Selbststilisierungen, ohne die eigentliche Frage - seine Autorschaft am einst Geschriebenen - auch nur zu berühren. In diesem Unwillen Blanchots, sein journalistisches und sein literarisches Werk, das "Schreiben des Tages" und das "Schreiben der Nacht", zusammenzudenken, erblickt Michel Surya die "wesentliche Inkonsequenz" des Autors.

Mit Blick auf Heideggers politische Verstrickungen hatte Blanchot schon früh erklärt, auf dem Denken des Philosophen laste fortan ein Verdacht. Surya wendet diesen Maßstab unter Ausblendung aller Unterschiede, die beide Fälle voneinander trennen, auf Blanchots eigenes Denken an und schildert dessen Weg von "einem kriecherischen Traditionalismus zu einem rhetorischen Progressismus". Unter Letzteren fallen für ihn offenbar ebenso Blanchots Engagement gegen den Algerien-Krieg wie seine - freilich schwärmerische - Begeisterung für den Mai 1968.

Diesen beiden Phasen der politischen Passion lässt Surya eine dritte des endgültigen Abschieds von der Politik zugunsten eines "büßerischen Philosemitismus" folgen, in der sich Blanchots Nähe zu seinem langjährigen Freund Emmanuel Levinas in "Bauchrednerei" verwandelt habe: "Durch diese ,Konversion' erreicht er mit einem Sprung den Rang der Opfer, ohne je das Risiko getragen zu haben, mit ihnen oder für sie den Preis dafür zu zahlen."

Trotz der bisweilen unheimlichen Kontinuität der Denkfiguren, die Surya zwischen den Texten der dreißiger und der sechziger Jahre aufzeigen kann, ist diese Einschätzung ungerecht. Wenn seine Behauptung, aus Levinas' Schriften fänden sich bei Blanchot "bis in die 70er Jahre höchstens zwei oder drei Zitate", schlicht falsch ist, so bleibt unverständlich, warum er eine entscheidende Tat Blanchots während des Zweiten Weltkriegs lediglich beiläufig erwähnt: Wie Levinas Ende der achtziger Jahre berichtete, hatte Blanchot seine Frau vor der Deportation gerettet.

Ein Blick auf das literaturtheoretische Werk hätte Surya zudem vor die Frage gestellt, ob die Vernichtung der Juden Blanchots Denken der Nachkriegszeit, das unablässig um die Motive von Schreiben, Tod und Überleben kreist, nicht von Anfang an heimgesucht hat. Wie aber ließe sich dann das Schweigen über seine Vergangenheit erklären? Eine mögliche Antwort, die Surya nicht in Erwägung zieht, könnte lauten, dass Blanchot auf eine viel radikalere Weise als seine poststrukturalistischen Nachfolger die Konsequenzen aus den Prämissen seines Denkens gezogen hat: Wo jede außerhalb der Sprache verbürgte Einheit des Subjekts fehlt, gibt es keine Verantwortung mehr. Das einmal Geschriebene, im Rückblick Fremdgewordene ist dann nur noch lesbar als das Werk eines anderen.

MAXIMILIAN GILLESSEN.

Michel Surya: "Der andere Blanchot". Das Schreiben des Tages, das Schreiben der Nacht. Aus dem Frz. von J. Sörös und D. Rupp. Matthes und Seitz Verlag, Berlin 2020. 204 S., br., 22,- [Euro].

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