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In seiner 1945 verfassten Rede 'Deutschland und die Deutschen' bescheinigte Thomas Mann seinen Landsleuten, dass ihnen immer wieder gerade das Beste zum Bösen ausgeschlagen sei - damit eine Betrachtung Goethes verschärfend, der das Klassische als das Gesunde, das Romantische als das Kranke einstufte. Gustav Seibt lässt sich von solchen Diagnosen anregen, indem er sich mit einem 'deutschen Sonderweg' auseinandersetzt: dem Philhellenismus, der Sehnsucht nach einem deutschen Arkadien. Mit ihrer schwärmerisch-melancholischen Tendenz, ihrem ästhetischen Radikalismus hat die Griechenliebe immer…mehr

Produktbeschreibung
In seiner 1945 verfassten Rede 'Deutschland und die Deutschen' bescheinigte Thomas Mann seinen Landsleuten, dass ihnen immer wieder gerade das Beste zum Bösen ausgeschlagen sei - damit eine Betrachtung Goethes verschärfend, der das Klassische als das Gesunde, das Romantische als das Kranke einstufte. Gustav Seibt lässt sich von solchen Diagnosen anregen, indem er sich mit einem 'deutschen Sonderweg' auseinandersetzt: dem Philhellenismus, der Sehnsucht nach einem deutschen Arkadien. Mit ihrer schwärmerisch-melancholischen Tendenz, ihrem ästhetischen Radikalismus hat die Griechenliebe immer wieder das Misstrauen der 'lateinisch-nüchternen' europäischen Nachbarn erweckt und insbesondere nach 1945 zum Nachdenken über ihren Anteil am nationalen Kulturhochmut der Deutschen herausgefordert. Dass die hellenisch-deutsche Wahlverwandtschaft nicht zwangsläufig Weltferne und Gegenwartsfeindschaft zur Folge haben muss, dass der Traum vom Klassischen und die historische Melancholie durchaus kraftvoll sein, dass Sonderwege den Eigensinn gegen totalitäre Gleichschaltung befördern können, davon erzählt Gustav Seibt in diesen - zuweilen leidenschaftlich intervenierenden, zuweilen ironisch-distanzierten - Essays.
Autorenporträt
Gustav Seibt, geboren 1959 in München, lebt heute in Berlin. Er war Redakteur bei der Frankfurter Allgemeine Zeitung, Autor der ZEIT und arbeitet seit 2001 für die Süddeutsche Zeitung.1995 wurde ihm der Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa, 1999 der Hans-Reimer-Preis der Warburg Stiftung, 2011 der Deutsche Sprachpreis und 2012 der Friedrich-Schiedel-Literaturpreis verliehen. Von ihm erschienen sind u. a. »Rom oder Tod. Der Kampf um die italienische Hauptstadt« (2001), »Goethe und Napoleon. Eine historische Begegnung « (2008) und bei zu Klampen »Canaletto im Bahnhofsviertel. Kulturkritik und Gegenwartsbewußtsein« (2005) sowie »Deutsche Erhebungen. Das Klassische und das Kranke« (2008). Bei zu Klampen veröffentlichte er »Canaletto im Bahnhofsviertel« (2005), »Deutsche Erhebungen« (2008) und »Goethes Autorität« (2013).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.04.2008

Höhenflüge, Abstürze
Von SZ-Autoren: Gustav Seibts Essayband „Deutsche Erhebungen”
Der deutsche Begriff für Revolution war lange die „Erhebung”, die so fragwürdig schillert zwischen idealischem Höhenflug und dumpfer Anmaßung. Den Krankheitskeimen im Klassischen gehen Essays nach, die Gustav Seibt, Mitarbeiter im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung, jetzt gesammelt hat. Aber auch dem fraglos Gelungenen wenden diese kulturhistorischen Stücke sich zu, beispielsweise dem Pazifismus Goethes in seinem Kriegsbuch zur „Campagne in Frankreich” oder dem Wörlitzer Arkadien im Gartenreich des Dessauer Fürsten Franz.
Ein zweiter Teil erinnert mit Porträts von Historikern und Publizisten wie Erwein von Aretin, Golo Mann und Karl Heinz Bohrer an den Sonderweg der politischen Vernunft, den Deutschland auch gekannt hat. Ein zorniger Nachruf auf die Humboldtsche Idee der Universität und heitere Betrachtungen zum Stand deutscher Erhobenheit in der Berliner Republik mit ihren Fußballsommern beschließen diese immer auch politischen Betrachtungen zur Kultur in Deutschland. SZ
GUSTAV SEIBT: Deutsche Erhebungen. Das Klassische und das Kranke. Verlag Zu Klampen, Springe 2008. 185 Seiten, 16 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.04.2008

Wie aus einem Traum ins Heute erwacht

Musterbeispiel für den überlegenen Eigensinn, mit dem Gustav Seibts Essays bestechen, ist dessen Abgesang auf die Universität als "Kadettenanstalt für die Akteure des Arbeitsmarktes".

Die eleganten Essays der kleinen Sammlung sind fast alle aus konkretem, aktuellem Anlass entstanden, sie werden aber verbunden durch einen ihnen allen gemeinsamen Grundton. Nicht nur, dass sie anscheinend von einem klugen und, ja doch, gebildeten Verfasser stammen, sondern insbesondere von jemandem, der bei, ja doch, konservativer Weltsicht seine eigenen Wege geht und vor allem seine eigenen Urteile hat. Nicht umsonst entsprachen die drei bedeutenden Historiker, auf die wir hier Nachrufe aus der Feder von Gustav Seibt lesen können, genau diesem Bild: Golo Mann, Joachim Fest und Arno Borst. Beispielsweise war ja bei Golo Mann schon immer zu beobachten, dass seine Urteile keineswegs voraussehbar waren und mit großer innerer Freiheit gefällt wurden. Dasselbe Grundmuster dann auch in Seibts Rede auf Karl Heinz Bohrer zur Verleihung des Heinrich-Mann-Preises und der Nachruf auf Erwein von Aretin, den NS-Gegner als Innenpolitikchef der konservativen Münchner "Neuesten Nachrichten".

Die erste Abteilung des Buches hat klassische Orte, Gegenstände und Personen der deutschen Geschichte und Geistesgeschichte zum Gegenstand: das Brandenburger Tor, den Wörlitzer Park und seinen Schöpfer Friedrich Franz von Anhalt-Dessau, Goethes Campagne in Frankreich, die deutsche Michelangelo-Rezeption, die deutsche Abkehr von der römischen und Hinwendung zur griechischen Antike, die jetzt vollendete Zerstörung der deutschen Universität sowie ein emphatisches Bekenntnis zu Rudolf Borchardt. Einige punktuelle Hinweise: Der Leser ist entzückt darüber, wie Seibt das Wörlitzer Gartenreich "wie aus einem Traum" aufsteigen lässt und damit das Goethe-Wort "Wie ein leises Traumbild" selbständig abwandelt; der Michelangelo-Essay wagt es, den sonst der damnatio memoriae verfallenen Josef Weinheber zu zitieren sowie weiterhin zutreffend darauf hinzuweisen, dass Klassizismus auch immer Zurückdrängung, ja Repression von anderem bedeuten konnte; man nimmt erleichtert zur Kenntnis, wie Seibt die deutsche Griechen-Rezeption ohne die sonst häufige Beckmesserei über die Abkehr von der sozusagen westeuropäischen Vorherrschaft des Lateinischen beschreibt und den Text mit dem Wort "Freiheit" beschließt.

Der bisher noch nicht veröffentlichte Abgesang auf die deutsche Universität und deren durch Wilhelm von Humboldt geprägte Idee ist ein Musterbeispiel des überlegenen Eigensinns, der diese Texte und ihren Verfasser charakterisiert. Selten wurde in wenigen Worten so deutlich der endgültige Ruin einer intellektuellen Lebensform beschrieben, die jetzt zu einer "Kadettenanstalt für die Akteure des Arbeitsmarktes" geworden sei. Selten wurde aber auch gleichzeitig so wahrheitsgemäß beschrieben, wie Humboldts Vorstellung einer an den Universitäten "absichtslos" betriebenen Wissenschaft durch die objektiven äußeren Bedingungen immer schwerer geworden war.

Freilich, und hier spricht nur der Rezensent: Die gesamte bisherige Universität mit ihren immer noch bestehenden Freiheiten zugunsten eines reglementierten Schulbetriebs oder einer Art Aktiengesellschaft einfach abzuschaffen, das schuf neue Missstände, die nun festgeschrieben sind. Und das Erschütterndste ist, dass sich an den Universitäten kein Widerstand regte.

Die beiden letzten Stücke tragen die Überschrift "Erwachen ins Heute". Das eine ist eine veritable Lettre Persane, weil dort ein fiktiver Einwohner Ozeaniens beschreibt, wie ihm als Mitglied einer Reisegruppe das neue Berliner Regierungsviertel vorgeführt wird - wundervoll. Das andere schildert zwei Bielefelder Semester des damaligen Studenten Seibt 1983/1984. Einerseits gab es bis heute weiterwirkende intellektuelle Anregungen, vor allem durch Koselleck, Luhmann und Bohrer. Andererseits aber wallte und waberte gerade an der Universität Bielefeld die Antiraketen-Hysterie - an Seibts "Heimatuniversität Konstanz" übrigens nicht oder kaum merklich -, für deren Beschreibung Seibt Ausdrücke wie "Gefühlskitsch einer welterlösenden Betroffenheit" findet; allerdings eben auch das Gegenbild von der "privatistischen Angestelltenrede der Konservativen".

Aber nun muss zur Kritik übergegangen werden, die am Schluss allerdings mit einer erlösenden Beobachtung enden wird. Seibt verspottet ganz zu Recht evangelische Pastoren, die 1983 in einem "Die-in" von Pershing-Raketen-Gegnern einen Friedensgottesdienst abhielten, wobei auch "Hunderte von Menschen regungslos auf dem Pflaster" des Bielefelder Rathausplatzes lagen, um die angeblich nahende Todesdrohung plastisch vorzuführen. In diesem Kontext ist der Spott über solche Gottesmänner berechtigt.

Es mag aber daran erinnert - oder überhaupt erst zur Kenntnis gebracht(?) - werden, dass es in Deutschland noch viele andere evangelische Pastoren gab, die etwa zu derselben Zeit ebenfalls Friedensgruppen ins Leben riefen - und das, anders als ihre westdeutschen Amtsbrüder, unter wirklichen Gefahren. Das geschah in der DDR. Diese Friedensgruppen waren eine der Keimzellen für die Herbstrevolution 1989, und diese Pastoren haben sich unendliche Verdienste um den Sturz der Parteidiktatur erworben; Joachim Gauck ist nur der bekannteste von ihnen. Es wäre an der Zeit, dass das allmählich in das gesamte deutsche Geschichtsbewusstsein rückte.

Es gibt noch mehr Anzeichen dafür, dass Gustav Seibt zwar in Berlin wohnt, dass ihm aber manches aus der jüngsten Geschichte des Ostens noch fremd ist. Der Beitrag über das Brandenburger Tor zeigt es besonders deutlich. Seibt entrollt eine eindrucksvolle, kulturhistorisch gesättigte Geschichte dieses Bauwerks, die in dankenswerter Weise zeigt, dass das Tor auch Symbol für düsterste Tiefpunkte der deutschen Geschichte ist. Das sollte einen davor bewahren, die heutige wiedererstandene Pracht für normal und selbstverständlich zu halten.

Es gibt aber offensichtliche Fehler in nicht unwichtigen Details. Wenn bei der Wiederherstellung der im Krieg zerschossenen Quadriga durch die DDR - noch vor dem Mauerbau - im Westen Empörung über die Restaurierung herrschte, dann nicht darüber, dass Eisernes Kreuz und Preußenadler fehlten, sondern darüber, dass die DDR vollständige Wiederherstellung zugesichert hatte. Nur unter dieser Bedingung waren die Abgüsse aus dem Westen zur Verfügung gestellt worden, und es war der Bruch dieser Vereinbarung, der erbitterte.

Weiter ist es nicht so, dass das Brandenburger Tor zwar im Westen Ziel von Staatsbesuchen war, aber "im Osten peinlich gemieden" worden sei. Auch dort gab es ein Podest, auf das wichtige Besucher geführt wurden und die vorbildliche Grenzsicherung besichtigen konnten. Noch Gorbatschow war da und nannte in seiner Eintragung in ein dortiges Gästebuch die Grenzsoldaten "Helden". Und schließlich sollte es einem nicht unterlaufen, die Betriebskampfgruppen, die am 13. August 1961 das Tor absperrten, "Betriebskampftruppen" zu nennen. Nur statt des t ein g, aber ein wichtiges.

Etwas anderes aber macht einiges wieder gut. Der Essay beginnt mit der Schilderung, wie der niederländische Schriftsteller Cees Nootebohm am Abend des 9. November 1989 im Autoradio eines Taxis vom Mauerfall hörte und sofort zum Brandenburger Tor fuhr. So sagt Seibt das aber nicht, sondern er verwendet ein Wort mit einem merkwürdig bürokratischen Beiklang, das sonst nicht zum Stil dieses Autors passt, und daher stolpert man beim Lesen darüber. Er schreibt nämlich, Nootebohm sei "unverzüglich" zum Brandenburger Tor gefahren. Aber dann merkt man die Anspielung. Dieses Wort war kurze Zeit vorher am selben Abend in einem anderen Zusammenhang gefallen und hatte Weltgeschichte gemacht. Was nämlich antwortete das Mitglied des Politbüros des ZK der SED Günter Schabowski auf der direkt im Fernsehen übertragenen Pressekonferenz, als er nach dem Inkrafttreten der Reiseerleichterungen gefragt wurde? "Sofort, unverzüglich." Wir konnten ja schon an anderer Stelle beobachten, dass Seibt versteckte Zitate liebt.

WOLFGANG SCHULLER

Gustav Seibt: "Deutsche Erhebungen". Das

Klassische und das Kranke. Essays. zu Klampen! Verlag, Springe 2008. 183 S., geb., 16,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Charakterisch für diese Essays ist für Wolfgang Schuller nicht zuletzt der "überlegene Eigensinn" des Autors, die darin sich ausdrückende "konservative Weltsicht" bei "großer innerer Freiheit". Wie Gustav Seibt Orte, Personen und Gegenstände der deutschen (Geistes-)Geschichte in den Blick nimmt, hat Schuller sichtlich imponiert. Entzückt sogar zeigt er sich darüber, wie Seibt den Wörlitzer Park auferstehen lässt, die deutsche Griechen-Rezeption beschreibt (ohne Beckmesserei) oder einen Abgesang auf das Humboldtsche Universitätswesen verfasst. Die ein oder andere Blickverengung oder Unrichtigkeit in der Darstellung (etwa der Querelen um die Restaurierung der Quadriga auf dem Brandenburger Tor) ärgert den Rezensenten zwar, aufs Ganze dieser Sammlung betrachtet aber scheint er sie dem Autor durchgehen zu lassen.

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