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Am 12. November 1938 - auf den Straßen lagen noch die Scherben der Pogromnacht - verließen Gretl Gallia, ihre Tochter Annelore und ihre Schwester Käthe ihre Heimatstadt Wien mit dem Ziel Australien - und retteten dabei die bedeutende Kunstsammlung ihrer Vorfahren, die zu den wichtigsten Mäzenen des Wiener Fin de siècle gehörten, mit ins Exil. Der Unternehmer Moriz Gallia und seine Frau Hermine waren bekannt mit Gustav und Alma Mahler, Carl Moll und Gustav Klimt. 1913 ließen sie sich ein Haus in der Wohllebengasse bauen und ihre weitläufige Wohnung von Josef Hoffmann einrichten. Tim Bonyhady,…mehr

Produktbeschreibung
Am 12. November 1938 - auf den Straßen lagen noch die Scherben der Pogromnacht - verließen Gretl Gallia, ihre Tochter Annelore und ihre Schwester Käthe ihre Heimatstadt Wien mit dem Ziel Australien - und retteten dabei die bedeutende Kunstsammlung ihrer Vorfahren, die zu den wichtigsten Mäzenen des Wiener Fin de siècle gehörten, mit ins Exil. Der Unternehmer Moriz Gallia und seine Frau Hermine waren bekannt mit Gustav und Alma Mahler, Carl Moll und Gustav Klimt. 1913 ließen sie sich ein Haus in der Wohllebengasse bauen und ihre weitläufige Wohnung von Josef Hoffmann einrichten. Tim Bonyhady, ein Urenkel, hat ihre packende Geschichte aufgezeichnet und das Soziogramm einer der jüdischen Familien erstellt, die einst das Wiener Leben prägten.
Autorenporträt
Tim Bonyhady, Jahrgang 1957, ist ein mehrfach ausgezeichneter Historiker, Kurator und Umweltanwalt. Er ist Direktor des Centre of Climate Law and Policy an der Australian National University und lebt in Canberra.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Diese Lektüre lohnt sich laut Martin Lhotzky schon allein aufgrund des Poträts eines gierigen Kunstsammlers, der es auf Gemälde der Familie des Autors abgesehen hatte. Die Familienerinnerungen Tim Bonyhadys, in Australien aufgewachsener Spross einer Wiener jüdischen Dynastie locken Lhotzky darüber hinaus mit akribischen, auf genauer Recherche basierenden Szenen aus der Wiener Kunstszene um 1900. Dass der Autor ihm selbst unbekanntes Terrain betritt, staunend, berührt, gereicht dem Buch laut Rezensent nicht immer zum Guten. Längen, Schwelgen im Teegeschirr und von Tanzabenden machen die Lektüre für Lhotzky zu einem verglichen mit Edmund de Waals Roman "Der Hase mit den Bernsteinaugen" eher anstrengenden Erlebnis. Begeistert hingegen lauscht der Rezensent Bonyhadys Schilderungen der Flucht und des Einlebens auf einem fernen Kontinent.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.11.2013

Vertriebene Mäzene
Von Wien nach Sydney: Tim Bonyhady erzählt die Geschichte seiner Familie
Als Tim Bonyhady mit 13 Jahren das erste mal nach Wien kam, nahm ihn seine Mutter mit zu den Schätzen des Kunsthistorische Museums und in den legendären Eislaufverein, wo sich bis heute an verschneiten Sonntagen die bessere Wiener Gesellschaft auf Schlittschuhen trifft. Er kostete, das erste Mal in seinem Leben, Kaiserschmarrn und ging mit seinem Bruder in die Oper. Bohyhady fand die Metropole aufregend, doch er kam „mit schwerem Gepäck aus der Vergangenheit“.
  Denn Wien war auch jene Stadt, in der einst seine sagenhaft reiche Familie gelebt hatte, in der seine Urgroßeltern und Großeltern mit Glühstrümpfen ein Vermögen verdient und sich als Kunstsammler und Mäzene hervorgetan hatten, in der sie Bälle besucht und Soireen veranstaltet hatten – und aus der sie 1938 vertrieben worden waren. Seine Großmutter, Großtante und Mutter flüchteten nach dem Anschluss nach Australien, sie konnten dank einer glücklichen Fügung den größten Teil ihrer Kunstsammlung mitnehmen. Gemälde, Möbel, Silber und Geschirr fanden ihre zweite Heimat in Sydney, zusammengeschoben und gestapelt in einer Wohnung, die sechs Mal kleiner war als das 700-Quadratmeter-Wohnhaus in der Wohllebengasse im vierten Wiener Bezirk, aus der sie ursprünglich kamen.
  Nach dieser Wohllebengasse hat der australische Umweltanwalt und Kunstkritiker Tim Bonyhady nun sein Buch benannt. Dass es – in Inhalt und Intention – stark an einen anderen Bestseller, an den „Hasen mit den Bernsteinaugen“ von Edmund de Waal erinnert, ist kein Zufall. Denn beide Männer wollten ihren bedeutenden, entrechteten, verfolgten jüdischen Familien ein Denkmal setzen. Bonyhady selbst sagt, er habe seine jahrelangen, aufwendigen Recherchen vor allem für seine Mutter Anne betrieben. „Ich wollte ihrem Leben jenen Wert geben, den sie ihm selbst nicht zugeschrieben hatte.“
  Die Geschichte der Familie Gallia, aus der seine Mutter stammte, hat der Sohn mühsam zusammengetragen. In Australien war Wien, war die Vergangenheit kein Thema gewesen. Und doch war sie immer in Sichtweite: die Vitrinen voller Schmuck und Kleider, die Möbel aus den legendären Wiener Werkstätten, die Entwürfe von Josef Hoffmann, überwiegend Unikate, für die Familie Gallia gearbeitet, Uhren, Glas, Emailarbeiten, Vasen, Porzellan-Menagerien, Gemälde von Gustav Klimt.
  Ein Gesamtkunstwerk stand da in dunklen, überfüllten Räumen, herübergeschafft aus einer untergegangenen Welt, der Tim Bonyhady nun zu neuer Aufmerksamkeit verhelfen will. „Als ich die Good Living Street (so der Originaltitel) schrieb, wendete sich mein Interesse Zentraleuropa und Wien zu – und der Frage, wie Kunst, Religion, und Identität sich in einer Vielgenerationenfamilie verbinden“.
  Die Gallias, Moriz und Hermine, waren wohlhabende Wiener Juden gewesen, Konvertiten, wie die meisten in ihrem Bekanntenkreis. „Karrieretaufe“ nannte man das damals herablassend, obwohl etwa Hermine und später auch ihre Tochter vom Katholizismus tatsächlich „berührt“ waren, wie Bonyhady schreibt. Ohnehin habe das Judentum in der assimilierten Familie keine Rolle gespielt, eher schon machte man sich selbst lustig über „jüdischen Protz“.
   Hermine und Moriz Gallia wollten Teil der Gesellschaft sein, wollten dazugehören; ihr Vehikel: Geld und Kunst. Hermine wurde unsterblich, als sie sich vom damals noch skandalumwitterten, aber angesagten Jung-Künstler Gustav Klimt porträtieren ließ; zu seiner ersten großen Ausstellung in der Secession pilgerte das Ehepaar, um sich – im Lichte der kühnen Entscheidung – als Mäzene feiern zu lassen.
  Auch sonst machten die Gallias, aber auch die nächste Generation, Gretl, Käthe, Lene und Ernst, alles mit, was um die Jahrhundertwende populär war: Isodora Duncan, Gustav und Alma Mahler, die Sommerfrische in Bad Aussee, das erste Auto. Ihr Haus ließen sie von Franz von Krauß entwerfen, die Einrichtung von Josef Hoffmann, komplett. „Das Haus in der Wohllebengasse war die bedeutendste Manifestation des Reichtums von Moriz und Hermine. Es war der deutlichste Ausdruck ihres gesellschaftlichen Ehrgeizes, ihres Bestrebens, in einer der exklusivsten Gegenden Wiens zu leben und als großzügige, opulente Gastgeber zu gelten“, schreibt der Urenkel. Das Ergebnis: „die Avantgarde der Mode“; die Wohnung erregte Interesse in deutschen und österreichischen Designerkreisen, Zeitschriften berichteten darüber.
   Wie so viele assimilierte Familien, die ihre Söhne in den Krieg und ihre Töchter auf die besten Schulen geschickt, die ihr Geld in das Land investiert, für soziale Zwecke gespendet und sich in Kunst und Kultur engagiert hatten, konnten auch die Gallias nicht glauben, dass die Nazis sie nach dem „Anschluss“ aus ihrer Heimat vertreiben würden. Als die SS vor der Tür steht, ruft Bonyhadys Großtante Käthe die Polizei, sie will sich beschweren über diesen rüpelhaften Umgang der neuen Herren mit alteingesessenen, unbescholtenen Damen. Stattdessen landet sie in Haft.
  Die Beschaffung der Visa, die Verpackung der Einrichtung, der Abschied – alles muss nun schnell gehen. Als Anne mit ihrer Mutter und ihrer Tante in Australien ankommt, muss sie ihre Herkunft erst neu zuordnen, neu lernen. Sie kennt – ein kleines Beispiel dafür, dass eine skeptische Selbstverortung zuvor nie nötig gewesen war – das Wort „Goi“ nicht, sie liest erst während des Zweiten Weltkriegs, als sie längst im Exil ist, erstmals Literatur über den jüdischen Glauben.
  Bonyhady beschränkt sich an keiner Stelle nur auf Äußerlichkeiten und Kunsthistorisches, er versucht sich am Soziogramm einer untergegangenen Gesellschaft und ihrer Zeit. Die Auswertung der Tagebücher von Großmutter Gretl, Briefe, Kostenvoranschläge, Quittungen, Briefe, Erinnerungen von Zeitzeugen, Dokumente aus Wiener Archiven – das alles hat er zusammengetragen und, parallel zur historischen Chronologie, dem Fin de Siecle, dem Ersten Weltkrieg, der Zwischenkriegszeit bis zum Einmarsch der Deutschen, zu einer detailreichen Beschreibung von Lebenswelten und Emotionen zusammengefügt. Welche Tänze waren populär, wie wurde eine Verlobung angebahnt, wie ging man mit dem Tod um, welche Rolle spielten Liebe und Sex, wie stand es um Ehe und Gleichberechtigung – der Autor gibt kein Detail verloren, keine Beobachtung wird verschenkt.
  Das macht sein Werk streckenweise schwer lesbar. Zu viel Liebe, zu viel Ehrfurcht, vielleicht auch zu viel Sachverstand stecken in diesem eindrucksvollen Buch, und ein entschiedeneres Lektorat samt Kürzungen hätten ihm zweifelsohne gut getan. Andererseits: Die US-Ausgabe konzentriert sich vorwiegend auf die Wiener Hochkultur um 1900, Bonyhady beklagt, dass er viel autobiografisches Material habe streichen müssen. Er halte das für eine „Schande“. Interessant für den europäischen Markt ist indessen vor allem auch der letzte Teil, in dem der Urenkel der Gallias vom Ausverkauf der Schätze durch seine Mutter berichtet, er tut das unter der Kapitelüberschrift „Auflösung“.
  In den 70er Jahren, mitten im Klimt-Revival, entschließt sich Anne, den Inhalt der Wohnung an der Botany Bay zu verkaufen. Einen Teil erwerben australische Museen, der Rest geht nach Europa. In einem Wettstreit zwischen Wolfgang Fischer in London und dem Wiener Sammler und Augenarzt Wolfgang Leopold siegt der Wiener. Leopold umgarnt und manipuliert Anne, besucht die alte Dame sogar in Sydney, und erwirbt einen Teil ihrer Sammlung schließlich, so Bonyhady, mit einem Trick: Als Fischer aus London anruft, um sein Gebot zu erhöhen, sei Leopold in Sydney ans Telefon gegangen und habe den Konkurrenten in dem Glauben gelassen, er sei ein Hausangestellter. Die Botschaft, so der Autor, wird nie ausgerichtet.
CATHRIN KAHLWEIT
  
  
Tim Bonyhady: Wohllebengasse. Die Geschichte meiner Wiener Familie. Deutsch von Brigitte Hilzensauer. Zsolnay, Wien 2013. 448 Seiten, 26,60 Euro. E-Book 18,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.11.2013

Und dann gingen wir tanzen zu Großmutter Gretl

Tim Bonyhady ist ein australischer Historiker und Urenkel einer großen jüdischen Familie, die das Leben in Wien um die Jahrhundertwende prägte, ehe sie vertrieben wurde. In "Wohllebengasse" erzählt Bonyhady uns ihre Geschichte - und kann sich nicht immer kurz fassen.

In Wien war es unter den Nationalsozialisten schlimmer als irgendwo in Deutschland. Soeben erinnerten daran wieder einige Überlebende der nationalsozialistischen Terrorzeit im Rahmen des Projektes "Die letzten Zeugen" im Wiener Burgtheater. An mehreren Abenden anlässlich des fünfundsiebzigsten Jahrestags der vom Regime gegen Juden und ihre Geschäfte, Einrichtungen und Synagogen organisierten Ausschreitungen in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 traten sie vor das Theaterpublikum und erzählten, unterstützt von Ensemblemitgliedern der Burg. Bis auf den großen "Stadttempel" in der Seitenstettengasse gingen damals alle Bethäuser und Synagogen sowie zahlreiche jüdische Geschäfte in Flammen auf, wurden verwüstet oder in die Luft gejagt.

Doch schon am 11. März jenes Jahres, einen Tag bevor deutsche Truppen in den austrofaschistischen Ständestaat einmarschierten, ja noch bevor am Abend dieses Freitags Bundeskanzler Schuschnigg seinen Rücktritt erklärte und die österreichischen Truppen aufforderte, die Nachbararmee ohne Gegenwehr einrücken zu lassen, zog die Polizei bereits mit Hakenkreuzarmbinden auf, gab es in jeder Straße Wiens junge Männer in SA-Uniformierung. Juden wurden gezwungen, die Straßen mit Scheuerbürsten, oft auch nur Zahnbürsten, und mit die Hände verätzenden Chemikalien von Parolen für eine noch von Schuschnigg geplante Volksabstimmung über die Unabhängigkeit Österreichs zu säubern. Am Samstag, als die Deutschen in Wien einzogen, von vielen lautstark bejubelt, begannen sofort Enteignungen, die erst von den neuen Machthabern unterbunden wurden. Freilich nicht aus moralischen Beweggründen, vielmehr sollte alles geregelt ablaufen.

Auch Großtante Käthe wurde für längere Zeit inhaftiert, um die Überschreibung ihres nicht unbeträchtlichen Vermögens zu erpressen. Akribisch schildert Tim Bonyhady, Historiker und Direktor des australischen Centre for Climate Law and Policy, was er über dieses Kapitel seiner Familiengeschichte in jahrelanger Recherche herausfand. Die Familien Gallia und Hamburger, jene Vorfahren, auf die sich Bonyhady hauptsächlich bezieht, zählten durch die für einen Großteil von ihnen geglückte Emigration zu den Privilegierten. Zuvor waren sie binnen einer Generation zu beachtlichem Reichtum und Ansehen gelangt. Vor allem nach dem Ende des Deutschen Bundes 1866 und der österreichischen Niederlage gegen Preußen musste sich die Monarchie um Unterstützung im Inneren bemühen. Im Dezember 1867 wurde ein Staatsgrundgesetz, das Bürgerrechte, unter anderem die freie Wohnsitzwahl für alle Bürger Österreichs (nicht Ungarns) gestattete, erlassen.

Moriz Gallia brachte es durch Geschäftstüchtigkeit und unternehmerisches Risiko zu Wohlstand. Zusammen mit seiner Ehefrau Hermine, geborene Hamburger, zählte er zu den Förderern der blühenden Wiener Kunstszene im Fin de Siècle. Gustav Klimt porträtierte Hermine, Josef Hoffmann richtete den neu erbauten Familiensitz in der Wohllebengasse ein, der Bonyhadys Buch den Titel lieh, und in der Wiener Werkstätte, deren Teilhaber und später Vorstandsmitglied Moriz Gallia wurde, kaufte man allerlei Nippes wie Tintenfässchen, Aschenbecher oder Essbesteck. Der Sohn Erni diente als Offizier im Ersten Weltkrieg, die älteste Tochter Gretl, Bonyhadys Großmutter, rebellierte gegen die ihr zugedachte Rolle als Hausfrau durch eine eilige Hochzeit und baldige Trennung. Die Zwillingstöchter Käthe und Lene gehörten zu den ersten Frauen, die in Wien als Chemikerinnen promoviert wurden.

Das Familienvermögen überstand das Ende der Monarchie und die folgende Währungskrise ziemlich unbeschadet. In religiösen Dingen war die Familie gespalten. Einige ließen sich katholisch taufen, andere blieben dem jüdischen Glauben treu, manche bekannten sich zu gar keiner Religion, irgendwelche Onkel und Tanten waren protestantisch, einige, etwa Bonyhadys Mutter Anne, wechselten gleich mehrfach das Bekenntnis. Freilich nutzte das alles nichts, als auch auf sie die verbrecherischen Nürnberger Rassegesetze angewandt wurden.

Für Österreicher sollten das keine neuen Erkenntnisse sein. Für den in Australien geborenen Tim Bonyhady war das alles aber wohl unbekannt, erschreckend, ungeheuer aufregend und berührend. Ausgehend von den wenigen erhaltenen, aber offenbar sehr ausführlichen Tagebüchern seiner Großmutter und angespornt durch die zahlreichen in die neue Heimat mitgenommenen Einrichtungsgegenstände - in der Wohnung in Cremorne, einem Vorort Sydneys, lebte es sich wie in einem zu engen Museum, schreibt er -, rekonstruiert er die Geschichte der Familie. Seine 2003 gestorbene Mutter hatte ihm mit ihren Erinnerungen geholfen, wenn auch anfangs nur zögerlich.

Das starke Eigeninteresse, soll heißen: die persönliche Betroffenheit, ist vermutlich auch die Erklärung für einige nur schwer erträgliche Längen des Buches, das zudem sehr an den ungleich gelungeneren Roman "Der Hase mit den Bernsteinaugen" von Edmund de Waal erinnert. Absatzweise werden da frühere Besitztümer bis hin zu Teegeschirr aufgezählt, Details aus den Geschäften des Urgroßvaters wiedergegeben, werden wenig interessante, weil letztendlich ins Nichts führende Schwärmereien und Beschreibungen von Tanzabenden aus den Aufzeichnungen der Großmutter Gretl ausgebreitet. Aber - und das ist ein gewichtiges "Aber" - die entscheidenden Kapitel sind spannender als mancher Kriminalroman. Das betrifft nicht nur die Schilderung der Vorbereitung zur Emigration nach Australien, sondern auch das Einleben in der neuen Heimat und nicht zuletzt den Blick auf die alte Heimat Wien.

Ein Glanzstück an durch Understatement ausgezeichnete tiefste Abneigung bildet etwa die Episode um die Bemühungen des 2010 verstorbenen Sammlers Rudolf Leopold, weit unter Wert an einige Gemälde der Familie zu gelangen. Man darf annehmen, dass Tim Bonyhady als Jurist weiß, wie weit hier er gehen konnte, ohne eine Klage wegen übler Nachrede zu provozieren. Schon allein dafür lohnt sich die Lektüre dieses in der zweiten Hälfte gar nicht mehr sperrigen Werks.

MARTIN LHOTZKY

Tim Bonyhady: "Wohllebengasse". Die Geschichte meiner Wiener Familie. Aus dem Englischen von Brigitte Hilzensauer. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2013. 448 S., geb., 24,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Ein Stück Zeitgeschichte - und spannende Lektüre obendrein."
Michael Freund, Der Standard, 30.09.13

"Der gelernte Historiker Bonyhady versteht es, in kleinen Exkursen die wirtschaftlichen, sozialen und zeitgeschichtlichen Komponenten des Jahrhundertwende-Wiens atmosphärisch leuchten zu lassen." Paul Jandl, Die Welt, 19.10.13

"Eine Biografie dreier starker Frauen." Stefan Templ, Neue Zürcher Zeitung, 02.11.13