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Die französischen Gelbwesten sind anders als die herkömmlichen sozialen Bewegungen. Sie kamen überraschend für alle anderen politischen Kräfte, einschließlich der französischen Linken. Auch ihre Aktionsformen und internen Strukturen unterscheiden sich in vielerlei von klassischen Protestbewegungen. Insgesamt sind sie Ausdruck der sozialen und politischen Krise des neoliberalen Kapitalismus. Dementsprechend wird die Bewegung auch massiv bekämpft, u.a. durch polizeiliche Repression und durch Diffamierung seitens staatstragender Politiker und Medien. Doch die Mehrheit der Bevölkerung…mehr

Produktbeschreibung
Die französischen Gelbwesten sind anders als die herkömmlichen sozialen Bewegungen. Sie kamen überraschend für alle anderen politischen Kräfte, einschließlich der französischen Linken. Auch ihre Aktionsformen und internen Strukturen unterscheiden sich in vielerlei von klassischen Protestbewegungen. Insgesamt sind sie Ausdruck der sozialen und politischen Krise des neoliberalen Kapitalismus. Dementsprechend wird die Bewegung auch massiv bekämpft, u.a. durch polizeiliche Repression und durch Diffamierung seitens staatstragender Politiker und Medien. Doch die Mehrheit der Bevölkerung sympathisiert trotz alledem mit ihren Zielen. Der Band vereinigt Beiträge deutscher und französischer Autorinnen und Autoren. Analysiert werden die soziale Zusammensetzung der Bewegung, ihr politisches Selbstverständnis, ihre Programmatik und ihre Aktionsformen. Die Reaktionen der Regierung und der anderen Akteure werden ebenso beleuchtet wie der Vorwurf, von rechts unterwandert oder gar antisemitisch zu sein. Schließlich werden die strategischen Probleme der Bewegung und ihre Chancen thematisiert.
Autorenporträt
Peter Wahl, 1948. Studierte Gesellschaftswissenschaften und Romanistik in Mainz, Aix-en-Provence und Frankfurt/M. Gründungsmitglied von Attac Deutschland, Sachbuchautor und Vorstandsvorsitzender der Nichtregierungsorganisation Weltwirtschaft, Ökologie & Entwicklung (WEED). Neben dem Herausgeber schreiben in dem Band: Christophe Aguiton, Thomas Coutrot, Patrick Farbiaz, Lothar Peter, Pierre Khalfa und Marie-Dominique Vernhes.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.10.2019

Warnsignale
von unten
Ein Sammelband beleuchtet
Frankreichs „Gelbwesten“-Protest
Nicht nur Bernd Riexinger, einer der beiden Vorsitzenden der Linkspartei, hielt die französische Protestbewegung „Gilets jaunes“ („Gelbwesten“) vorübergehend für eine vom rechtsextrem-nationalistischen Rassemblement National (RN), der Partei von Marine Le Pen, dominierte Protestbewegung. Mit dieser könne man, so Riexinger, keine „Kumpanei“ machen. Riexinger wurde wie viele zum Opfer einer – gelinde gesagt – einseitigen Information durch viele deutsche Medien. In diesen wurde der spontane Protest gegen Benzinpreiserhöhungen, an dessen Rändern auch Le Pen-Wähler agierten und in dessen Verlauf es vereinzelt antisemitische Übergriffe gab, etwa gegen den Philosophen Alain Finkielkraut, verkürzt als Aufruhr von rechts dargestellt.
Der verdienstvolle Sammelband von Peter Wahl mit fünf Beiträgen französischer Aktivisten und Sozialwissenschaftler sowie dem Bremer Emeritus Lothar Peter rückt die medial verzerrte Darstellung des Protests ebenso zurecht wie der Parteivorstand der Linkspartei am 8. Dezember 2018 seinen Ko-Vorsitzenden Riexinger mit der Erklärung korrigierte: „Die Linke solidarisiert sich mit den sozialen Protesten der Gelbwesten in Frankreich. Ihr Widerstand gegen den neoliberalen und autoritären Kurs des französischen Präsidenten ist berechtigt“. Den nicht genau bezifferbaren Anteil von „Gilets-jaunes“-Anhängern, die bei den Wahlen zum Europaparlament ihre Stimme RN-Kandidaten gegeben haben könnten, erklärt Peter plausibel mit dem Argument, das Hauptmotiv der „Gelbwesten“, dem Präsidenten Emanuel Macron zu schaden, habe diese zur schrägen Wahlentscheidung motiviert und nicht Sympathie mit den Rechten.
Dass die Protestbewegung, die im November 2017 begann, über ein halbes Jahr sehr stark war und dann an Bedeutung verlor, hat alle Beobachter überrascht, denn in der Regel geht solchen spontanen Bewegungen die Luft schneller aus. Die Meinung des Herausgebers, der Protest habe „die sozialpolitischen Verhältnisse nach links verschoben“, teilen nicht alle Autoren. Aber sicher hat der Protest die Beliebtheit von Präsident Macron und seiner neoliberalen Reformpolitik entscheidend geschwächt. Mit der aktuellen Rentenreform geht der Präsident deshalb auch viel langsamer und vorsichtiger ans Werk als mit der Arbeitsrechtsreform zu Beginn seiner Amtszeit.
Die „Gelbwesten“ haben nach wie vor kein Programm, keine fixierte Organisationsstruktur und keine ernannten oder selbsternannten Sprecher. Aber an ihren Forderungen und ihren Aktionsformen, die Patrick Farbiaz und Marie-Dominique Vernhes kenntnisreich beschreiben, sind drei Schwerpunkte ablesbar: der Wunsch nach mehr Steuergerechtigkeit, der nach einer Ergänzung der repräsentativen Demokratie durch plebiszitäre und deliberative Elemente („Referendum à l’Initiative Citoyenne“, RIC) sowie der nach einem Abbau von Privilegien der politischen Klasse. Diese drei Forderungen erklären auch, warum sich in Umfragen von Anfang an eine starke Mehrheit der Bevölkerung mit der „Sammlungsbewegung von unten“ (Patrick Farbiaz) solidarisierte, aber Parteien und Gewerkschaften eher unentschieden blieben in ihren Stellungnahmen.
Darin drückt sich ebenso das tiefe Misstrauen der Bevölkerung gegen die Institutionen und Praktiken der V. Republik aus wie schon bei der überraschenden Wahl des Quereinsteigers Macron zum Präsidenten. Diese Wahl Macrons wie kurz danach die Popularität der Protestbewegung gegen ihn sind Indizien für „die Verunsicherung“ (Peter Wahl), die das Land erfasst hat. Der schmale Band orientiert vorzüglich über eine unter- und vor allem falschbelichtete soziale Bewegung.
RUDOLF WALTHER
Protest in Paris: „Gelbwesten“-Aktivisten im März, im Hintergrund die Basilika Sacré-Cœur.
Foto: Kiran Ridley/Getty
Peter Wahl (Hg.):
Gilets jaunes. Anatomie einer ungewöhnlichen sozialen Bewegung.
PapyRossa Verlag,
Köln 2019.
135 Seiten, 12,90 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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