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Irgendwann in unserem Leben wird uns bewusst, dass wir eines Tages sterben werden. Wir können dieses Wissen vielleicht verdrängen, teure Anti-Aging-Produkte kaufen, uns liften lassen, regelmäßig zur Vorsorgeuntersuchung gehen, mehr Gemüse essen und uns in Religion oder Spiritualität vertiefen. Das verschafft uns die Illusion von Kontrolle. Aber die eigentliche philosophische Herausforderung - und das Thema dieses Buchs - ist, wie man gut lebt - und die eigene Sterblichkeit akzeptiert. Ausgehend von persönlichen Erfahrungen, soziologischen Trends, Popkultur, aktueller wissenschaftlicher…mehr

Produktbeschreibung
Irgendwann in unserem Leben wird uns bewusst, dass wir eines Tages sterben werden. Wir können dieses Wissen vielleicht verdrängen, teure Anti-Aging-Produkte kaufen, uns liften lassen, regelmäßig zur Vorsorgeuntersuchung gehen, mehr Gemüse essen und uns in Religion oder Spiritualität vertiefen. Das verschafft uns die Illusion von Kontrolle. Aber die eigentliche philosophische Herausforderung - und das Thema dieses Buchs - ist, wie man gut lebt - und die eigene Sterblichkeit akzeptiert. Ausgehend von persönlichen Erfahrungen, soziologischen Trends, Popkultur, aktueller wissenschaftlicher Literatur, von Interviews mit Experten und Wissenschaftlern, Fitness-Coaches und Ethikberatern erkundet Barbara Ehrenreich, wie wir als Gesellschaft von unseren Körpern und unserer Gesundheit, vom Tod besessen sind.Alt genug zu sein, um zu sterben, ist eine Leistung, und die Freiheit, die diese mit sich bringt, ist es wert, gefeiert zu werden. Das ist die Botschaft dieses klugen, analytischen und philosophischen Buchs, das von Lebenserkenntnis und Witz sprüht, das keine Ratschläge und Tipps bereithält, außer dem, das verbleibende Leben zu genießen und es loszulassen, wenn es soweit ist.
Autorenporträt
Barbara Ehrenreich, geb.1941, studierte Physik und promovierte in Biologie. Nach einer kurzen wissenschaftlichen Karriere arbeitete sie als Journalistin für u.a. TIME, die New York Times, Mother Jones und The Atlantic Monthly und als Buchautorin. Ihre Bücher waren Bestseller, von ihrer investigativen Reportage Arbeit Poor wurden über eine Million Exemplare verkauft. "Die Angst vor dem Absturz. Das Innenleben der Mittelklasse" hat nichts an Aktualität verloren. Zuletzt erschienen: "Smile or Die. Wie die Ideologie Positiven Denkens die Welt verdummt." und "Wollen wir ewig leben? Die Wellness-Epidemie, die Gewissheit des Todes und unsere Illusion von Kontrolle". Barbara Ehrenreich ist am 1. September 2022 an den Folgen eines Schlaganfalls gestorben.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.04.2018

Wenn es genug ist
Warum Barbara Ehrenreich den Tod nicht mehr fürchtet

Es waren die Makrophagen, die das Weltbild der Autorin ins Wanken brachten. Weiße Blutkörperchen. Sie erkennen beschädigte Zellen und körperfremde Stoffe, umfließen und verdauen sie. Die längste Zeit, so schreibt die Biologin und Journalistin Barbara Ehrenreich, habe sie das Immunsystem als eine Art warmen Mantel betrachtet, der den Körper schützend umhüllt, und den Körper selbst als ein System angesehen, dessen Teile zwecks Erhaltung des großen Ganzen harmonisch zusammenarbeiten. Bis um die Jahrtausendwende Studien zeigten, dass die Makrophagen sich keineswegs an Tumoren zusammenrotten, um diese zu bekämpfen, sondern sie, ganz im Gegenteil, "ermuntern, ihren reproduktiven Amoklauf fortzusetzen".

Makrophagen und Krebszellen reizen sich demnach gegenseitig zu mehr Wachstum an. Sind die Tumore dann so groß, dass ihnen der Platz knapp wird, hebeln Makrophagen ihren Ablegern Durchgänge zwischen den Körperzellen auf, sodass diese sich im Körper ausbreiten können.

Für Ehrenreich folgt aus diesen Erkenntnissen eine andere Sicht auf das Leben: Zuerst einmal gibt es keinen harmonischen Organismus, sondern ein Konglomerat ganz unterschiedlicher Systeme, die jeweils ihre eigene Agenda verfolgen, auch wenn sie damit das Ganze in Gefahr bringen. Um dies zu belegen, trägt Ehrenreich weitere Belege zusammen, etwa die Konkurrenz von Mutter und Fötus um den Zugang zu Nährstoffen. Selbst die weibliche Menstruation könnte ein Ergebnis einer solchen Auseinandersetzung sein, so die Autorin: die Schleimhaut der Gebärmutter verdicke sich vielleicht, um nur den kräftigsten Embryonen überhaupt die Chance zu geben, sich einzunisten.

Ehrenreich durchkämmt die einschlägige wissenschaftliche Literatur und konstatiert: Nichts Genaues weiß man nicht. Die Auseinandersetzungen der Subsysteme im Körper gehen gut, solange sie gutgehen, auf die Dauer enden sie auf jeden Fall tödlich. Das heißt vor allem: Wir haben es nicht in der Hand. Es sei eine Illusion zu meinen, mit Vorsorgeuntersuchungen, Diätplänen, Achtsamkeit und Fitnessprogrammen sei man auf der sicheren Seite.

Von dieser Überlegung ausgehend, nimmt sich die Autorin die aktuellen Praktiken von Medizin und Lifestyle vor. Sie beklagt die oft schmerzhaften, entwürdigenden und teuren Vorsorgeuntersuchungen, zu denen das Gesundheitssystem rät, und trägt Studien zusammen, die deren Nutzen relativieren. Sie vergleicht die moderne Medizin mit magischen Praktiken. Tragikomisch erzählt sie die Geschichten von selbsternannten Gesundheits- und Fitnessgurus, die in jungen Jahren durch Krebs, Autounfälle oder Herzschlag beim Sport aus dem Leben schieden, nachdem sie jahrelang verkündet hatten, Gesundheit und ein langes Leben stünde in der Verantwortung und Reichweite des Einzelnen.

Schließlich weitet die Autorin den Blick ins Philosophische: Eine neue Sicht der Welt zeichne sich ab, basierend auf der Einsicht, dass auf allen Ebenen des Seins zwar nicht bewusstes Handeln, aber "Handlungsmacht" am Werke sei, dass auch auf zellulärer Ebene "Entscheidungen" getroffen würden - die Autorin setzte den Begriff selbst in Anführungszeichen -, die wir nicht verstehen und zumeist auch nicht vorwegnehmen und nicht beeinflussen können.

Ehrenreich hat sich entschieden, auf Vorsorgeuntersuchungen zu verzichten, zu essen, was ihr schmeckt, und nicht mehr Sport zu treiben, als ihr Spaß macht. Eventuelle Konsequenzen will sie tragen: Es sei die Unfähigkeit, das eigene Ich aufzugeben, die uns das Leben und insbesondere das Wissen um den eigenen Tod so schwer mache, und sie sei, so schreibt sie, bereit zu sterben. Allerdings hat die Autorin vielen anderen eines voraus: Sie ist Mitte siebzig und hat, wie sie schreibt, genug gelebt. Einer Dreißigjährigen, deren Makrophagen die Seite gewechselt haben und nun für die Ausbreitung ihre Tumore sorgen, dürfte eine solche Lebensklugheit schwererfallen. Zweifelhaft ist auch ihre Versicherung, wer Krankheiten ihren Lauf lasse, auf "heroische" Maßnahmen zur Verlängerung des Lebens verzichte und sich stattdessen an die Möglichkeiten der Palliativmedizin halte, müsse den Prozess des Sterbens nicht fürchten.

Es ist ein eklektisches Buch: Mikrobiologie und persönliche Erfahrungen mit den Auswüchsen des Gesundheitswesens, philosophische Reflexion und Experimente mit psychoaktiven Pilzen zur zeitweiligen Auflösung des Ichs finden sich eher locker verknüpft, manches, etwa der Zusammenhang von ADHS-Diagnosen mit der Verbreitung von Handys und anderem Daddelgerät, klingt zwar gut, wird aber nicht belegt. Als Essay über die Illusion, das Leben durch Disziplin oder auch Selbstquälerei in den Griff bekommen zu können, und als Anregung, darüber nachzudenken, wann man selbst bereit wäre zu sagen, man habe genug gelebt, lohnt es sich trotzdem.

MANUELA LENZEN

Barbara Ehrenreich: "Wollen wir ewig leben?" Die Wellness-Epidemie, die Gewissheit des Todes und unsere Illusion von Kontrolle.

A. d. Engl. von Ursel Schäfer u. Enrico Heinemann. Antje Kunstmann Verlag, München 2018. 255 S., geb., 22,- [Euro].

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