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Die deutsche Wirtschaft wächst, die Welt bewundert Deutschland für seine Kraft, Stabilität und Weltoffenheit. Zugleich schrumpft die Mittelschicht, der Reichtum ist ungleicher verteilt als noch vor zwei Jahrzehnten. Jeder sechste Deutsche ist armutsgefährdet, die sozialen Aufstiegschancen sind so gering wie in kaum einem anderen westlichen Land. Die rechtspopulistische AfD erzielt bei Wahlen zweistellige Ergebnisse und sitzt nun im Bundestag. Ein großer Teil der Deutschen steht unter erheblichem Druck. Was bedeutet das für das Leben Einzelner und für das ganze Land? Anhand verschiedener…mehr

Produktbeschreibung
Die deutsche Wirtschaft wächst, die Welt bewundert Deutschland für seine Kraft, Stabilität und Weltoffenheit. Zugleich schrumpft die Mittelschicht, der Reichtum ist ungleicher verteilt als noch vor zwei Jahrzehnten. Jeder sechste Deutsche ist armutsgefährdet, die sozialen Aufstiegschancen sind so gering wie in kaum einem anderen westlichen Land. Die rechtspopulistische AfD erzielt bei Wahlen zweistellige Ergebnisse und sitzt nun im Bundestag. Ein großer Teil der Deutschen steht unter erheblichem Druck. Was bedeutet das für das Leben Einzelner und für das ganze Land? Anhand verschiedener Lebensgeschichten zeichnet die Journalistin Jana Simon ein differenziertes Bild Deutschlands, das die politische, soziale und wirtschaftliche Wucht der Veränderungen eindrücklich wiedergibt.

Einige Protagonisten sind: der frühere EZB-Direktor Jörg Asmussen, der heute Investmentbanker ist; ein Polizist aus Thüringen; eine alleinerziehende Krankenschwester; eine »Influencerin« und der AfD-Vorsitzende Alexander Gauland.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Autorenporträt
Simon, JanaJana Simon schreibt für die »ZEIT« über IS-Rückkehrer, die AfD und globale Friedensvermittler und hat den Fall Dieter Wedel, dem mehrere Frauen sexuelle Belästigung vorwerfen, mit aufgedeckt. Bekannt ist sie für ihre einfühlsamen Porträts und Reportagen, die durch ihre Intensität beeindrucken. Von 1998 bis 2004 war sie Reporterin beim »Tagesspiegel«. Seit 2004 ist Simon Autorin bei der »ZEIT« in Berlin. Für ihre Reportagen erhielt sie zahlreiche Preise, u.a. den Theodor-Wolff-Preis, den Axel-Springer-Preis und den Deutschen Reporterpreis 2015, 2018 und 2020. Vom medium magazin ist sie in der Kategorie »Reportage« zur Journalistin des Jahres 2018 gewählt worden. Ihr Buch »Sei dennoch unverzagt. Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf« (2013) war ein Bestseller.
Rezensionen
Jana Simon [...] ist dran geblieben an einer Zeit, die ein wenig frei dreht und man bekommt mögliche Erklärungsmuster an die Hand. Ich empfehle dieses Buch. Rainald Grebe WDR5 20200111

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.08.2019

Durch das Land der Einzelkämpfer
Keine Wir-schaffen-das-Zuversicht mehr: Die Reportagen von Jana Simon zeigen, wie in Deutschland die Zukunftsangst wächst

Weltweit verschärft sich die politische Polarisierung. Dass auch Deutschland sich "radikal" verändere, gar "eine allmähliche Zersetzung der Gesellschaft" stattfinde, schreibt Jana Simon im Vorwort ihres glänzend recherchierten Buchs "Unter Druck", das sich im weitesten Sinne der Mentalitätsgeschichte zurechnen ließe.

Bei dieser Rahmung handelt es sich zwar ein Stück weit um eine Prämisse im Sinne von "Framing", auch um eine geschickte Zweitverwertungsstrategie (drei der sechs Langzeitreportagen lagen Artikel für das "Zeit-Magazin" zugrunde), aber die Aussage ist vom Material her tatsächlich gedeckt. Fünf der Protagonisten nämlich nehmen im Laufe der mehrjährigen Gespräche die Situation im reichen, demokratischen Deutschland immer stärker als Krisenszenario wahr. Sorgen und Ängste bestimmen zunehmend das Bild; ein Kollaps scheint ihnen möglich.

In einem Fall werden solche Sorgen und Ängste ganz gezielt stimuliert, denn die mit Abstand meisten Seiten werden einer fünf Jahre überspannenden Nahaufnahme Alexander Gaulands eingeräumt. Simon fragt sich selbstkritisch, ob sie dessen Ansichten damit zu viel Raum gebe, zumal es an Texten über den AfD-Parteivorsitzenden, der Medienvertreter gern nah an sich heranlässt, nicht mangelt - erwähnt sei nur das aufschlussreiche Buch von Olaf Sundermeyer aus dem Jahr 2018. Auch hat man Gaulands gezielte Provokationen von der "Entsorgung" türkischstämmiger Politikerinnen in Anatolien bis zur Relativierung des Nationalsozialismus als "Vogelschiss" oft genug gehört.

Dennoch war es richtig, den Text aufzunehmen, nicht nur, weil der Blick nach rechts in ein solches Buch unbedingt gehört, sondern vor allem, weil diese Langzeitbeobachtung sehr schön zeigt, wie der einst liberale Konservative, der sich stets als souveräner, unabhängiger Geist inszeniert, seinerseits zum Getriebenen wurde. Weil Gauland anders als viele andere Mitgründer der Alternative für Deutschland nicht von dem politisch schnell entgleisten Zug abspringen wollte, radikalisierte er sich immer weiter. Mit kontinuierlichen Verschiebungen der Grenzen des Sagbaren bestimmt und vergiftet er heute den Diskurs. Simons Urteil: "Am Ende bedeutet alles auf jede erdenkliche Art sagen zu können, eben auch jegliche Achtung, jeglichen Respekt vor den Andersdenkenden zu verlieren."

Das Porträt kann als komplexe Tragödie einer Verhärtung gelesen werden, die Simon aber nicht wie Sundermeyer vornehmlich auf eine Kränkung durch die CDU, Gaulands langjährige politische Heimat, zurückführt, sondern lediglich konstatiert. Dabei lässt sie ihrem Gegenüber die routinierten Ausreden freilich nicht durchgehen: Ob der Mut von Wehrmachtssoldaten durch Mitterrand oder Gauland hervorgehoben werde, sei "nicht dasselbe": Mal "Geste der Versöhnung", mal Brandrede. Unter Druck sieht Gauland übrigens nicht nur Deutschland (ganz AfD-konform durch Flüchtlinge und "Altparteien"), sondern - trotz allen Wahlerfolgen - auch die eigene Partei, die Anfang dieses Jahres zum Prüffall für den Verfassungsschutz wurde und durch den erstarkenden Rechtsaußen-Flügel bald vor der Spaltung stehen könnte. Wer die Geister des Umsturzes ruft, wird sie nicht mehr los.

Der Ökonom Jörg Asmussen, der als wichtigster Finanzpolitiker der SPD im Bundesfinanzministerium Karriere machte und führend an der Euro-Rettung beteiligt war, bevor er in die Wirtschaft wechselte, kann in vielerlei Hinsicht als Gegenteil von Gauland gelten: Seine Auskünfte vermeiden einfache Lösungen, er wirbt für die Integration von Migranten, die europäische Einheit und den Euro. Aber erstaunlicherweise wird auch Asmussen, dem wir im Buch erstmals im Sommer 2013 als Troika-Vertreter in Griechenland begegnen - "für überholte, ineffiziente Systeme hat er grundsätzlich kein Verständnis" -, schließlich im Jahr 2018 und wohl ebenfalls parteipolitisch gekränkt zu der düsteren Aussage finden, "das ganze System" in Deutschland drohe zu "eruptieren", weil die Politik ein leerer "Betrieb" sei, der zu Fragen wie Migration, Klima oder Pflege keine Antworten biete.

Noch mehr Zukunftspessimismus begegnet dem Leser in den beiden Reportagen über einen aufgrund des NSU-Prozesses bekannten Polizisten aus Jena, der sich zwischen Rechten, Linken und mangelnder Unterstützung für die Polizei aufgerieben fühlt ("Ein Staatsschützer, der am System zweifelt"), und über eine ursprünglich aus Polen stammende Frau, die bedrückend von nahezu dysfunktionalen Verhältnissen im deutschen Gesundheitswesen berichtet. Am härtesten sei es im unterbezahlten Bereich der Pflege, auch für die Patienten: "Es ist schlimm, in Deutschland . . . alt und krank zu sein".

Sozialneid wird hier zum Thema; die Pflegerin wählt "ein bisschen rechts". Und selbst im Mittelstand blickt man in den Boomjahren nicht frohgemut nach vorne, jedenfalls nicht als gefragter Ingenieur in der Automobilbranche im Bereich Abgasreinigung. Dabei verdient der Porträtierte mehr als hunderttausend Euro im Jahr, hat Frau und Kinder. Das Gehalt aber werde aufgezehrt für ein Eigenheim in Stuttgart, und der Druck bei der Arbeit nehme kontinuierlich zu.

Verzichtbar wäre der nichtssagende Beitrag über eine junge Berliner Mode-Influencerin gewesen, der zwar zeigt, dass diese Art der pseudoauthentischen Markenkommunikation einer entfremdeten Form von Prostitution ähnelt, mit dem Rahmenthema des anschwellenden Krisengefühls aber wenig gemein hat. Die übrigen Texte jedoch verdichten sich zu einem Panorama der Politikskepsis, befeuert durch Abstiegsängste und Bedrohungsgefühle. Was fehlt, ist eine tiefergehende Analyse, woher diese Wahrnehmung kommt und wie sie mit neuen Kommunikationsformen, dem Neoliberalismus, der Demographie, gesellschaftlichen Umbrüchen oder dem Klima-Endzeitbewusstsein zusammenhängt. Auch hoffnungsvolle Ausblicke im Sinne des konstruktiven Journalismus bietet die Autorin nicht.

Irritierend ist zudem ein blinder Fleck in Bezug auf die eigene Profession, wenn Simon die gewachsene Journalistenabscheu mit einer Erfahrung belegen möchte, die sie nach dem Absturz der Germanwings-Maschine im Frühjahr 2015 am von Reportern überrannten "Wohnort des Todespiloten" machte. Bei dessen ehemaligem Grundschullehrer traf sie auf ein Fernsehteam, das den Gastgeber drängte, für die Kamera eine "Bild"-Zeitung (mit eindeutigem Titelbild) zu kaufen. Die Frau des Lehrers sagte daraufhin, die "Bild" lese man nicht: "Das ist für uns die Lügenpresse." Sich von dieser übergriffigen Form des emotionalen Boulevard-Journalismus abzugrenzen hat aber nichts mit genereller Pressefeindschaft zu tun.

Simon, die ihre Aufgabe als Reporterin in der Beobachtung sieht - und sie ist eine hervorragende Beobachterin -, beschränkt sich also auf einen Statusbericht. Der freilich ist so detailgesättigt und nah am Alltag der Porträtierten, dass es uns vorkommt, als sähen wir Deutschland hier zum ersten Mal in solcher Deutlichkeit als Land der verzweifelten Einzelkämpfer, dem das Selbstvertrauen und die Wir-schaffen-das-Zuversicht ausgegangen sind.

OLIVER JUNGEN

Jana Simon: "Unter Druck". Wie Deutschland sich verändert.

S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2019. 336 S., geb., 20,- [Euro].

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