Marktplatzangebote
Ein Angebot für € 6,50 €
  • Gebundenes Buch

Wie aus Richard Engländer Peter Altenberg wurde - ein Bilderbogen aus frühen Briefen des Wiener Bohèmiens.Mit der Publikation seiner Skizzensammlung »Wie ich es sehe« im April 1896 verwandelte sich der Wiener Richard Engländer in den Dichter Peter Altenberg. Dieses Buch ist ein epochales Prosawerk des Fin de siècle, über das die damaligen Königsmacher der Literatur debattierten: Hermann Bahr, Moritz Heimann, Hugo von Hofmannsthal, Joseph Viktor Widmann und viele andere schrieben Rezensionen zu Altenbergs Debüt, die in diesem Band dokumentiert sind. Die Geschichte der Komposition und Revision…mehr

Produktbeschreibung
Wie aus Richard Engländer Peter Altenberg wurde - ein Bilderbogen aus frühen Briefen des Wiener Bohèmiens.Mit der Publikation seiner Skizzensammlung »Wie ich es sehe« im April 1896 verwandelte sich der Wiener Richard Engländer in den Dichter Peter Altenberg. Dieses Buch ist ein epochales Prosawerk des Fin de siècle, über das die damaligen Königsmacher der Literatur debattierten: Hermann Bahr, Moritz Heimann, Hugo von Hofmannsthal, Joseph Viktor Widmann und viele andere schrieben Rezensionen zu Altenbergs Debüt, die in diesem Band dokumentiert sind. Die Geschichte der Komposition und Revision von Altenbergs Erstling ist bis heute im Dunklen geblieben. In den hier vorgelegten Briefen an intime Freundinnen und die Familie sowie an Schriftstellerkollegen wie Karl Kraus und Arthur Schnitzler, erfindet sich der Dichter selbst. Richard Engländers Briefe befreien sich von ihren Adressaten und werden zu Bilderbögen des Peter Altenberg: die schöpferischen Obsessionen des Dichters, seine erotisch-romantischen Schwärmereien, seine diätischen Phantasien, seine passionierten literarischen Ur- und Vorurteile. Diese poetischen Briefe entführen den Leser in eine faszinierende, manchmal dunkle Innenwelt, die den Entstehungsort Wien um 1900 zum bloßen Vorwand genommen hat.
Autorenporträt
Peter Altenberg (eigtl. Richard Engländer, 1859-1919), jüdischer Kaufmannssohn und Bohèmien, war der populärste Kaffeehausliterat des Wiener Fin de siècle, ein »Genie der Nichtigkeiten« (Franz Kafka), ein »Afrikaforscher der Alltäglichkeit« (Anton Kuh).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.10.2009

Von diesen sechs Stücken hört man meist nur das Erste
Ein Band mit Briefen und Dokumenten zeigt, wie der Dichter Peter Altenberg sich selbst erfand
Peter Altenberg: Das war sicher die farbenprächtigste Figur unter der an schillernden Persönlichkeiten nicht eben armen Wiener Moderne der letzten Jahrhundertwende. Kauz, Schnorrer, Hypochonder, diätetischer Lebensreformer und enthusiastischer Verehrer der unverstandenen Frauenseele – niemand, der je eine Seite von ihm gelesen hat, wird ihn mit irgendeinem anderen Schriftsteller verwechseln, und sei es nur darum, weil Altenberg auf dieser Seite mehr Gedankenstriche und Ausrufezeichen verbraucht als andere Autoren in einem ganzen Buch.
Als nicht ganz einfach jedoch erweist es sich, aus der Selbst- und Fremdstilisierung die reale Gestalt zum Vorschein zu bringen. Insbesondere die Anfänge seiner literarischen Tätigkeit, zu der er erst verhältnismäßig spät kam, im Alter von gut über dreißig Jahren, liegen dick unter einer persönlichen Mythologie vergraben. Eines Tages, so hat er selbst es mitgeteilt, saß er nichtsahnend vor sich hin kritzelnd in einem Wiener Kaffeehaus, da kamen sie zufällig alle herein, Hofmannsthal, Schnitzler, Salten und wer sonst noch so zum Jungen Wien gehörte, rissen ihm das Blatt aus den Händen, fanden allerliebst, was dieses voraussetzungslose Naturkind da aufgeschrieben hatte, und von nun an nahm seine Karriere ihren Lauf.
Dass dies zumindest eine stark komprimierende Version bedeutet, stellt nun Leo A. Lensing klar, der einen Band von Briefen und Dokumenten der entscheidenden Jahre 1892 bis 1896 ediert und ihm ein ausführliches Nachwort mitgegeben hat. Der amerikanische Germanist hat schon öfters mit detektivischem Spürsinn Quellen erschlossen, die ein neues Licht auf anscheinend so erschöpfend dokumentierte Biographien wie zum Beispiel die von Karl Kraus warfen. Nun wendet er sich dem Zeitraum zu, in dem aus dem empirischen Wiener Bürger Richard Engländer der Paradiesvogel Peter Altenberg wurde. Nicht ohne leisen Spott nennt Lensing sein Buch „Die Selbsterfindung eines Dichters”. Und es wird deutlich, dass dieser keineswegs ohne Vorbilder und Vorläufer aus dem Nichts sprang, sondern dem Schreiben ein langes Lesen zeitgenössischer Literatur vorausging.
Hutschen mit der Achtjährigen
Er begann mit einem heute verschollenen Essay über Ibsen, den er mehrfach überarbeitet, und grämt sich, dass dieser nicht gedruckt wird – keine Spur von der behaupteten Sorglosigkeit, um deren Produkte sich andere kümmern sollen. Dass Hofmannsthal von ihm die Wendung von den „süßen, warmen, geschälten Mandeln” übernimmt, verdrießt Altenberg sehr. In einer literarischen Kultur, die Andacht zur Nuance hatte, war so etwas auch wirklich unverzeihlich. Seine Laune hebt sich erst wieder, als Annie Holitscher, seine wichtigste Briefpartnerin, in ihrer Antwort Hofmannsthal als einen „Mandeldieb” bezeichnet. (Erhalten hat sich diese Antwort so wenig wie irgendeine andere, denn Altenberg besaß keinen archivarischen Ehrgeiz und verstreute seine Spuren, wo er ging und stand.)
In den Briefen, die den Kernbestand des Buchs ausmachen, zieht ein unglaublicher Reigen von Personen vorüber, der einen Eindruck davon gibt, wie stark die dichte Atmosphäre dieser Stadt und dieser Epoche sich durch Geselligkeit und persönliche Bekanntschaft vermittelt hat. In vielen Fällen hat nicht einmal Lensing die Identität der Genannten herausfinden können; und das will bei der Ausdauer dieses Forschers etwas heißen. Dafür hilft dem Leser der sorgsame Anmerkungsapparat, rätselhafte Stellen wie diese zu begreifen: „(. . .) sonst kommt der Tag, wo man sich für 6 fl 50 kr bei Leopold Gasser ein kleines Instrument kauft, das 6 Stücke spielt, von denen man aber meistens nur das erste zu hören bekommt.” Das ist kein Musikalienladen, sondern bei jenem Instrument handelt es sich um einen sechsschüssigen Revolver, eine Aufklärung, die ins Plauderhafte einen Ton jähen Entsetzens mischt.
Der Leser wundert sich, mit was Altenberg durchkam. An Karl Kraus schreibt er: „Lieber Karl. Warum kommen Sie nicht herüber?! Sind Sie in den Banden der süßen blonden Kuh?! (…) Ihre blonde Kuh muß gut riechen, man möchte sie auf die rosigen Bruströschen küssen.” Es scheint das Verhältnis zu Kraus, der später bei Taktlosigkeiten gegenüber Frauen mit äußerster Schärfe durchgriff, nicht belastet zu haben; Lensing fragt sich, ob Kraus’ Begleiterin möglicherweise den auch sonst im Wien der Zeit belegten Familiennamen „Kuh” führte oder ob Kuh hier, nun ja, einfach Kuh heißt. Was Altenberg aber heute, wo eine hysterische Furcht vor allem herrscht, was nach Pädophilie aussieht, vermutlich in ernste Schwierigkeiten brächte, das ist sein Hang zu sehr kleinen Mädchen, deren Nähe er unablässig sucht. Gleich einer seiner ersten Texte, den Lensing im Faksimile druckt, handelt davon, dass er eine Achtjährige zum „Hutschen” einlädt, zum Fahren in einer großen Volksfestschaukel. „Dann sah ich ihre Knie, den Saum ihrer weißen Höschen... (…) Aber mit Anna möchte ich schaukeln auf dem wilden Ocean des Lebens... Hinauf! Herunter!” Nein, das ginge heute definitiv nicht mehr. Unsere Epoche hält sich viel auf ihre Toleranz zugute. Aber dieser Exzentriker, das fühlt man, flöge bei seinen Rotationen aus dem verhaltensunauffällig gewordenen Kreis der Gegenwarts-Schriftsteller in hohem Bogen hinaus. BURKHARD MÜLLER
PETER ALTENBERG: Die Selbsterfindung eines Dichters. Briefe und Dokumente 1892-96. Hrsg. und mit einem Nachwort von Leo A. Lensing. Wallstein Verlag, Göttingen 2009. 209 Seiten., 22,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Großen Respekt bezeugt Burkhard Müller dem amerikanischen Germanisten Leo A. Lensing, der als Herausgeber dieses Bandes mit Briefen und Dokumenten des Schriftstellers Peter Altenburg Licht ins Dunkel von dessen meisterhafter Selbststilisierung bringt. Der Rezensent bewundert hier nicht nur den "detektivischen" Spürsinn, mit dem der Herausgeber neue Quellen auffindet, durch die sich insbesondere den durch Altenbergs eigene Legenden verschleierten Anfang seiner Schriftstellerkarriere nachvollziehen lassen. Daneben hilft er mit Fußnoten ansonsten absolut kryptische Briefstellen aufzuklären, wie etwa ein Briefzitat, in dem von Instrumenten und 6 Stücken die Rede ist, es in Wahrheit aber um Suizid geht, wie Müller beeindruckt mitteilt.

© Perlentaucher Medien GmbH