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Wie viele Akademiker brauchen wir? - Welche Berufe unsere Gesellschaft zusammenhalten
Es muss erst eine Pandemie ausbrechen, damit wir merken, was unsere Gesellschaft zusammenhält. Worauf es wirklich ankommt, was »systemrelevant« ist. Die tägliche Versorgung mit Lebensmitteln ist es, und die verlässliche medizinische Betreuung. Verkäuferinnen und Pflegekräfte - die neuen Helden des Alltags. So lange, bis sich dieser wieder normalisiert. Wir leben in einer Gesellschaft, in der kognitive, analytische Fähigkeiten am höchsten bewertet werden, höhere Bildung für möglichst viele ist erklärtes…mehr

Produktbeschreibung
Wie viele Akademiker brauchen wir? - Welche Berufe unsere Gesellschaft zusammenhalten

Es muss erst eine Pandemie ausbrechen, damit wir merken, was unsere Gesellschaft zusammenhält. Worauf es wirklich ankommt, was »systemrelevant« ist. Die tägliche Versorgung mit Lebensmitteln ist es, und die verlässliche medizinische Betreuung. Verkäuferinnen und Pflegekräfte - die neuen Helden des Alltags. So lange, bis sich dieser wieder normalisiert. Wir leben in einer Gesellschaft, in der kognitive, analytische Fähigkeiten am höchsten bewertet werden, höhere Bildung für möglichst viele ist erklärtes Ziel. An den Schalthebeln der Macht sitzen überwiegend akademisch Ausgebildete, sie bestimmen den Kurs stark nach ihren Interessen und Wahrnehmungen. Doch das hat seinen Preis: Eine Gesellschaft, die die Berufe der Hand und des Herzens, also Handwerk und soziale Berufe, geringschätzt und schlecht bezahlt, droht aus der Balance zu geraten. Der Kopf hat zu viel Einfluss erlangt, so David Goodhart. In seiner provozierenden Analyse zeigt er auf, warum das problematisch ist und wo wir ansetzen müssen, um die Gewichte zu verschieben.
Autorenporträt
David Goodhart, geboren 1956, ist britischer Journalist und Autor mehrerer Sachbücher zu aktuellen gesellschaftlichen Themen. Ende der achtziger und Anfang der neunziger Jahre war er Deutschlandkorrespondent der Financial Times. In seinem letzten Buch The Road to Somewhere. The Populist Revolt and the Future of Politics beschäftigte er sich mit den Gründen für das Erstarken des Populismus in westlichen Ländern.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Die Corona-Pandemie hat, lang überfällig, so einige gesellschaftliche Probleme ins Gespräch gebracht, darunter etwa die Geringschätzung sogenannter systemrelevanter Berufe bei gleichzeitiger Überschätzung akademischer Arbeit, so Rezensentin Nakissa Salavati. David Goodhart untersucht in seinem Buch unter anderem, welche Folgen dieses Ungleichgewicht in der Anerkennung von Arbeit für eine Gesellschaft hat. So sieht er beispielsweise Zusammenhänge zwischen dem Statusverlust der "Herz- und Hand-Berufe" mit dem Erfolg populistischer Kräfte. Diese These ist keineswegs neu, meint Salavati, doch Goodhart gehe darüber hinaus. Wirklich interessant wird es, wenn er sich den Ursachen zuwendet - der Frage, wann und weshalb die Lehrberufe abgewertet und das Studium aufgewertet wurden, wieso Care-Arbeit schlecht oder unbezahlt ist, und warum analytische Intelligenz mehr wert sein soll als emotionale Intelligenz. Dabei stützt sich Goodhart sowohl auf die Erfahrungen Einzelner als auch auf empirische Studien und historische Forschung, erklärt Salavati. Nicht ganz klar ist der Rezensentin, wo die Zuversicht des Autors in Bezug auf "das Korrektiv des Marktes" herkommt, zumal aus Salavatis Perspektive aktuell keine Besserung sichtbar ist. Goodharts teils abstrakte, teils recht konkrete Vorschläge für die Zukunft findet sie allerdings anregend und durchaus realistisch.

© Perlentaucher Medien GmbH…mehr

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.05.2021

Sinnlose
Zertifikate
In „Kopf, Hand, Herz“ erklärt David Goodhart, welche
Berufe dringend mehr Anerkennung brauchen
VON NAKISSA SALAVATI
Was wissen Studierte noch aus ihrem Studium? Studien jedenfalls zeigen, dass kaum jemand noch besonders viel davon weiß, was er oder sie sich jahrelang in Seminaren und Vorlesungen angehört hat. Akademiker zu sein, bedeutet eben nicht unbedingt, im Studium erworbene Kenntnisse im Beruf anwenden zu können. Akademiker zu sein, bedeutet Zugang. Zugang zu Berufen, Jobs und Milieus. Umgekehrt heißt das: Wer eine Lehre macht, hat diese Chancen nicht. Aber warum eigentlich? Und weshalb glaubt diese Gesellschaft so sehr, sie brauche möglichst viele Studierte? Wenn die Pandemie etwas gezeigt hat, dann doch, dass Schreibtischmenschen maßlos überschätzt sind. Menschen, auf die es wirklich ankommt, arbeiten als Pflegerinnen und Pfleger in Krankenhäusern, oder bei der Müllabfuhr und in Handwerksbetrieben.
Herz- und Hand-Berufe nennt der britische Autor und Journalist David Goodhart diese Arbeit in seinem Buch „Kopf, Hand, Herz – das neue Ringen um Status“. Er ist überzeugt: Die Leistungsgesellschaften der Industrieländer haben den analytischen Kopf-Berufen in den vergangenen Jahrzehnten zu viel Gewicht gegeben. Wer nach Status und Anerkennung fragt, begibt sich direkt in die Selbstreflektion: Wem und was misst eine Gesellschaft Wert bei und warum? Und schon ist man tief in der Ungleichheitsdebatte. Die Folgen, glaubt Goodhart, ließen sich bis ins politische Machtgefüge ablesen: Wer an Status verliere, weil „fleißige Arbeit“ nichts mehr zähle, verliere auch seine Identität und fühle sich politisch nicht vertreten. Es sei also nicht verwunderlich, dass populistische Politik in den USA und Europa deutlich mehr Anhänger finde.
Nun klingt das etwas verkürzt und ist keine neue These. Vom Statusverlust der eigenen Arbeiter-Eltern hat etwa bereits der französische Soziologe Didier Eribon in „Rückkehr nach Reims“ erzählt. Goodhart schafft es aber, über das Populismus-Argument hinauszublicken: Er liefert kluge und detaillierte Einblicke, wann und warum die Gesellschaften der Industrienationen begonnen haben, Lehrberufe abzuwerten und das Studium als wichtigsten Zugang zu Aufstieg und Einfluss anzuerkennen.
Dafür nutzt er sowohl statistik-basierte und historische Argumente, als auch anekdotische Erzählungen von Experten und Betroffenen. So berichtet er von einem Büroangestellten, der seine Arbeit gerne und zuverlässig erledigte – bis er den Job verlor, weil für die Stelle ein akademischer Abschluss Voraussetzung wurde. Je mehr Menschen studieren, so Goodhart, desto mehr von ihnen arbeiten in Positionen, für die ein Studium nicht notwendig wäre – ja noch nicht mal nützlich. Auch der Zugang zu Führungspositionen wurde verbaut.
Heute, so zeigen es auch die Zahlen, sei ein Studium Kriterium, und nicht, ob sich der- oder diejenige im Betrieb auskenne und mit Menschen umgehen könne. Seinen Fokus richtet Goodhart auf Großbritannien und die USA, weitet den Blick aber auf andere Industrienationen wie Deutschland – und anerkennend auf die deutsche duale Ausbildung – zumal sich viele Entwicklungen vergleichen lassen.
Goodhart geht es nicht um Bildung als humanistisches Ideal, die kritischen Geist fördert – was er allerdings bezweifelt – und quasi Selbstzweck ist. Er betrachtet vor allem die Ausbildung, die sich anwenden lässt. Dabei erkennt er an, wie wichtig die Demokratisierung der akademischen Bildung im vergangenen Jahrhundert war: „Wirtschaft und öffentlicher Sektor benötigten mehr Köpfe und weniger Hände“. Mehr Studierte seien heute aber „weder wirtschaftlich noch gesellschaftlich vernünftig.“
Ein höherer Akademikeranteil bedeute schließlich nicht mehr, dass auch die Produktivität steige. Zumal es auch nicht so sei, dass, wenn immer mehr Menschen studierten, diese anschließend zwangsläufig gebildeter seien. Die Universitäten würden zu Massen-Unis, die Qualität sinke, die Anforderungen ebenfalls, schreibt Goodhart. Viele Studiengänge „sind kein Nachweis einer wie auch immer gearteten kognitiven Befähigung“. Es sei eine schlechte Investition, die die Gesellschaft da tätige, weil „wir zu viel für sinnlose Zertifizierungen ausgeben und nicht genug für berufliche, handwerkliche, technische und andere Ausbildung (...), wie sie unsere Gesellschaft dringender bräuchte“.
Interessant wird das Buch vor allem, wenn Goodhart die Gründe aufschlüsselt, warum Gesellschaften bestimmte Wege einschlagen. So wertschätzen Industrienationen, was messbar ist, etwa in Kategorien wie Einkommen oder auch Dienstleistungs- und Warenwert. Das erklärt zum Teil, warum das Bruttoinlandsprodukt unbezahlte Arbeit wie Kindererziehung oder Hausarbeit nicht einbezieht. Auch professionelle Care-Arbeit ist nur bedingt produktiv: Man kann eben nicht immer mehr Menschen in kürzerer Zeit gesund pflegen. Ebenso lässt sich die Frage, wer eigentlich als intelligent gilt, mit der Messbarkeit analytischer Fähigkeiten erklären. Soziale und emotionale Intelligenz sind schwerer zu erfassen, ihr Stellenwert in Leistungsgesellschaften deutlich geringer.
Nun ist das Problem, das Goodhart schildert, ein bekanntes, die Rede vom „Fachkräftemangel“ alltäglich, ohne dass Politik und Gesellschaft das Problem wirklich bekämpfen. Goodhart entmutigt das nicht. Er glaubt, dass schneller Wandel möglich ist, und verweist darauf, wie innerhalb kurzer Zeit Klimaschutz zur politischen Priorität wurde. Außerdem glaubt er an das Korrektiv des Marktes: Eine alternde Gesellschaft benötige schlicht mehr Pflegekräfte.
Woher er diesen Optimismus nimmt, wird nicht ganz klar, ist doch die Nachfrage nach Pflege bereits riesig – das Angebot allerdings bleibt aus. Schon überzeugender ist sein Argument, dass Automatisierung in den sozialen Berufen nur ergänzend einsetzbar ist, der Bedarf an menschennaher, emotional intelligenter Arbeit sogar steigt. Anspruchslos-analytische Arbeit hingegen, also die Jobs mittelmäßiger Akademiker, könne Software übernehmen. Auch da liegt Goodhart wohl richtig.
Szenarien für eine wünschenswerte Zukunft entwirft er selbstverständlich auch. Manche mögen sehr originelle Gedankenexperimente sein, inspirierend sind sie dennoch. Und anderes ist dann doch sehr konkret. So fordert er, häusliche Pflege ins Bruttoinlandsprodukt einzubeziehen, um die Arbeit in Familien anzuerkennen. Er glaubt an das identitätsstiftende Signal: „Wir haben Mobilität belohnt (...). Vielleicht sollten wir nun diejenigen belohnen, die zu Hause bleiben.“ Er fordert Gehältertransparenz und klügere Besteuerung und, ach ja, Liebe. Die Liebe zu den Kindern, die man Lesen lehrt, die Liebe zum Handwerk, das man ausführt.
Klingt nach romantischen Schwärmereien von Menschen, die hobbymäßig imkern? Ja, allerdings hat Goodhart einen wichtigen Punkt auf seiner Seite: Bullshit-Jobs, die niemanden glücklich machen, gibt es schon genug. Und wenn Pflegekräfte wirklich pflegen könnten, statt Alte und Kranke im Minutentakt unter die Dusche wuchten zu müssen, dann hätten sie vielleicht sogar Zeit für ein bisschen Liebe.
Immer mehr Menschen haben
studiert, die für ihren Job nicht
wirklich ein Studium bräuchten
Dringend gebraucht, gering geschätzt: Intensivpfleger auf der Intensivstation des Krankenhauses Bethel Berlin bei einer an Covid-19 erkrankten Patientin.
Foto: Kay Nietfeld / dpa
David Goodhart: Kopf, Hand, Herz – Das neue Ringen um Status. Warum Handwerks- und Pflegeberufe mehr Gewicht
brauchen. Penguin,
München 2021.
400 Seiten, 22 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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»Faszinierende Gesellschaftsanalyse zum Verhältnis von Kopfarbeit, Handwerk und sozialen Berufen ... Was etwas fad klingen mag, birgt jede Menge Pfeffer in sich.« NZZ, Martin Beglinger