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So viel Aufbruch, Durchbruch, Ausbruch in wenigen Jahren hat es nie zuvor gegeben. Vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg erlebte die Welt Veränderungen in schwindelerregender Dichte. In Gesellschaft, Wissenschaft, Kultur wurden Grenzen gesprengt - und viele Komponisten waren Seismografen und Katalysatoren zugleich. Pelléas et Mélisande, Salome, Pierrot Lunaire, Le Sacre du Printemps sind nur einige der Werke, die uns immer noch herausfordern. Zwei höchst unterschiedliche Protagonisten führen uns in Flammen in den Alltag, in private und politische Dramen, in die Klänge dieser…mehr

Produktbeschreibung
So viel Aufbruch, Durchbruch, Ausbruch in wenigen Jahren hat es nie zuvor gegeben. Vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg erlebte die Welt Veränderungen in schwindelerregender Dichte. In Gesellschaft, Wissenschaft, Kultur wurden Grenzen gesprengt - und viele Komponisten waren Seismografen und Katalysatoren zugleich. Pelléas et Mélisande, Salome, Pierrot Lunaire, Le Sacre du Printemps sind nur einige der Werke, die uns immer noch herausfordern.
Zwei höchst unterschiedliche Protagonisten führen uns in Flammen in den Alltag, in private und politische Dramen, in die Klänge dieser Jahre: Claude Debussy, der in Frankreich eine neue Musiksprache schuf, und die Britin Ethel Smyth, die nicht nur komponierte, sondern auch für das Frauenwahlrecht ins Gefängnis ging, die Aktivistin Emmeline Pankhurst liebte und sich in Wien, Berlin, Paris, London zu Hause fühlte. Auf den Wegen der beiden begegnen wir Genies wie Schönberg und Strauss, folgen Mahler zu Sigmund Freud und Debussy zu Strawinsky. Als diese beiden am Klavier den noch unvollendeten Sacre spielten, ging es den Zuhörern so, wie es allen gehen kann, die sich heute in jene Zeit begeben: «Wir waren niedergestreckt wie von einem Orkan.»

«Buch des Jahres 2022» der Kritikerinnen- und Kritikerumfrage der Opernwelt

Autorenporträt
Volker Hagedorn, geboren 1961, lebt als Autor und Musiker in Norddeutschland. Für seinen Bestseller 'Bachs Welt' erhielt er den Gleim-Literaturpreis 2017, 'Der Klang von Paris' wurde von der internationalen Jury der Zeitschrift Opernwelt 2019 als 'Buch des Jahres' ausgezeichnet. 2015 war Hagedorn Preisträger der Ben-Witter-Stiftung, 2018 Stipendiat der Fondation Jan Michalski. Hagedorn studierte Viola an der Hochschule für Musik und Theater in Hannover und war bis 1996 Feuilletonredakteur der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung sowie Musikredakteur der Leipziger Volkszeitung. Seither arbeitet er als freier Autor für u.¿a. Zeit, Deutschlandfunk Kulturund VAN; Projekte mit Text und Musik gestaltete er für SWR Symphonieorchester, Oper Hannover, Musiktage Hitzacker, Musikfest Weimar und die Festspiele Mecklenburg-Vorpommern. Als Barockbratscher machte Volker Hagedorn zahlreiche Aufnahmen und Tourneen, vor allem mit Cantus Cölln.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.09.2022

Der alte Giftmischer war nicht leicht abzuservieren
Mit Tempo und Freude am Detail: Volker Hagedorn erzählt vom europäischen Musikleben der Jahre 1900 bis 1918

Die Jahre vor dem Ersten Weltkrieg sind auch in der Musik die Zeit einer kaum fassbaren Talentexplosion: Werke wie Debussys "Pelléas et Mélisande", Strauss' "Salome" und "Elektra", Mahlers Symphonien, Strawinskys frühe Ballette oder Schönbergs "Pierrot lunaire" entstehen im Abstand weniger Jahre. Die Komponisten wissen voneinander, sie agieren und reagieren über Landesgrenzen und vormals ehern festgehaltene Traditionen hinweg. Die ausgebaute Verkehrsinfrastruktur, die Möglichkeiten des visafreien Reiseverkehrs und der beschleunigten Kommunikation tun ein Übriges. Interpreten, Kritiker und Impresarios begegnen einander im Konzert, auf Musikfesten, Botschafterempfängen oder Ozeandampfern. Der europäische Raum mitsamt seinen kolonialen Außenposten ist in einer Weise hellhörig gestimmt wie nie zuvor und selten danach. Die "Ballets Russes" aus Sankt Petersburg etwa, mit denen Strawinsky seine Welterfolge feiert, sind mitnichten eine urrussische Angelegenheit. Neben der glanzvollen "Saison russe" in Paris geben sie Gastspiele in halb Europa, das Ensemble selbst besteht zu einem erheblichen Teil aus polnischen und englischen Tänzerinnen.

Dies ist der Schauplatz von Volker Hagedorns jüngstem Buch, einer "europäischen Musikerzählung", die sich kapitelweise (mit kleineren Unterbrechungen) den Jahren 1900 bis 1918 widmet. Die formale Gleichzeitigkeit und die Engführung mit Politik und Zeitgeschichte zwingen Heterogenes zusammen, die rasante Urbanisierung etwa und die gleichzeitige Vorliebe für Märchenopern - schon das kann ja erhellend sein. Sie schafft aber auch Raum für überraschende Ausblicke und Verschränkungen: Gustav Mahler unternimmt einen "analytischen Spaziergang" mit Sigmund Freud; die englische Komponistin und Generalmajorstochter Ethel Smyth ist zugleich glühende Frauenrechtlerin; die berühmten Skandalkonzerte in Wien und Paris sind ein Gradmesser der Erregung auch im politischen Raum, etwa im Zuge der Balkankriege.

Hagedorn rückt mit Claude Debussy und Ethel Smyth zwei denkbar verschiedene Protagonisten in den Mittelpunkt, um die herum weitere Personen und Begebenheiten gruppiert werden. Auch weniger bekannte Akteure wie der polyglotte Musikhistoriker und Debussy-Freund Louis Laloy oder der Mahler-Impresario Emil Gutmann haben ihren Auftritt.

Im Falle Debussys gelingt Hagedorn ein subtiles Porträt des von privaten Sorgen und Geldnöten umstellten Komponisten, der von jungen "Ultramodernisten" aufs Schild gehoben wird, aber ängstlich um seine Unabhängigkeit bemüht bleibt. Lange nach "Pelléas", in Frankreich als Überwindung Wagners gefeiert, arbeitet er sich weiter am "alten Giftmischer" ab. Noch im Krieg, von einer tödlichen Krebserkrankung gezeichnet, führt er seinen bitteren Kampf gegen die so empfundene Hegemonie deutscher Musik (und lässt sich sein deutsches Klavier, einen Bechstein, in "französische Stimmung" versetzen).

Ethel Smyth, europaweit bis in höchste Kreise vernetzt, verbürgt als komponierende Frau und politische Aktivistin einige besonders bewegte Episoden. Für ihre Teilnahme an militanten Aktionen wird sie 1912 zu einer zweimonatigen Haftstrafe verurteilt. Zu Beginn der Erzählung noch selber im Banne der Märchenoper - "Der Wald" wird 1902 in der Berliner Hofoper uraufgeführt -, durchläuft sie auch kompositorisch eine rasche Entwicklung. Markante Stationen bilden "The Wreckers" (1906), ihr wohl bedeutendstes Bühnenwerk, und der zur Hymne der Frauenbewegung avancierte "March of the Women" (1911). Aufführungen und Drucklegungen eigener Werke - bei der Universal Edition, dem Verlag Mahlers und der Wiener Schule - setzt sie gegen alle Widerstände durch.

"Flammen" (benannt nach einem Einakter von Franz Schreker) ist temporeich, streckenweise brillant geschrieben und mit sichtlicher Freude am Detail recherchiert. Die Belege im Anhang umfassen nicht weniger als fünfzig Seiten und verzeichnen auch entlegenere Fachliteratur. Obwohl dem fachlich versierten Leser weniges vollkommen neu sein wird, ist ein musikalisches Zeitporträt dieser Art gewiss innovativer und riskanter als das etablierte Format der Komponistenbiographie. Problematisch ist allerdings die Neigung des Autors, die Handlung manchmal zu fiktiven Szenen und Dialogen zu verdichten: Gustav Mahler mit Gattin im Eisenbahnabteil, Erik Satie zu Besuch bei den Debussys, Richard Strauss oder Ethel Smyth bei der Zeitungslektüre. Hagedorn vertraut darauf, dass O-Töne ohne Quellennachweis als Konstruktionen des Autors erkannt werden (wiewohl selbst hier "echte" Zeitungsmeldungen oder an anderer Stelle überlieferte Aussagen eingebaut werden). Es berührt aber doch seltsam, wenn er sich einerseits solche Freiheiten nimmt und andererseits die Abfahrtszeiten von Expresszügen oder die Farbe der Waggons recherchiert. Wer es genau wissen will, kommt aus dem Blättern zwischen Hauptteil und Anhang nicht heraus.

Auch suggeriert Hagedorns Stil eine Nähe, die es nach über hundert Jahren nicht geben kann und die manche Erkenntnis gerade verstellt. Das Ausmaß an kunstreligiöser Emphase um 1900, die mentale Distanz zwischen Deutschland und Frankreich oder die heute befremdliche Sexualisierung weiter Ausdrucksbereiche entziehen sich gerade der Identifikation. Auch manche Werkentstehung ist nicht so durchsichtig, wie es eine quasi filmische Handhabung der Materialien darzustellen erlaubt.

Andererseits ist es dem Autor hoch anzurechnen, dass er dem Gegenstand selbst, der musikalischen Erfahrung und ihrem literarischen Ausdruck nicht ausgewichen ist: Proben und Aufführung von Mahlers achter Symphonie, vierhändige Durchspielprobe des "Sacre du printemps" bei Laloy - solche Szenen sind Anlass für kleine Kabinettstückchen der Kunst, in wenigen Worten den richtigen Ton zu treffen und Präsenzeffekte zu erzielen, die an anderer Stelle im Buch entbehrlich wären. ANDREAS MEYER

Volker Hagedorn: "Flammen". Eine europäische Musikerzählung 1900 -1918.

Rowohlt Verlag, Hamburg 2022. 448 S., Abb., geb., 32,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Andreas Meyer liest Volker Hagedorns musikalisches Zeitporträt der Jahre 1900 bis 1918 mit gemischten Gefühlen. Einerseits erschließt ihm der Autor anhand von umfangreicher Recherche Politik, Kultur und Zeitgeschichte, verbindet mit teils "brillanter" Schreibe Mahler und Freud und zeichnet aufschlussreiche Porträts auch entlegener Figuren der Musikgeschichte wie Emil Gutmann oder Louis Laloy. Andererseits kommt der Autor seinen Figuren mitunter allzu nahe, indem er Gespräche und Situationen imaginiert (Satie auf Besuch bei Debussy), die ihm nicht geläufig sein können, wie Meyer sich sicher ist. Eindringliche Szenen musikalischer Ereignisse bietet der Band gleichwohl, so der Rezensent.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Flammen" (benannt nach einem Einakter von Franz Schreker) ist temporeich, streckenweise brillant geschrieben und mit sichtlicher Freude am Detail recherchiert. Andreas Meyer FAZ.NET 20220902