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Camanchaca heißt ein Nebel, der immer wieder Chiles Küste einhüllt. Es könnte auch der Nebel der Gefühle und Erinnerungen sein, durch den sich der Erzähler dieses Romans bei einer Autoreise in den Norden tastet. Ein junger Mann mit schlechten Zähnen und zu vielen Pfunden, auf der Küstenstraße unterwegs zu einem Ort an der peruanischen Grenze,wo Kleidung und Zahnärzte billig sind. Am Steuer der Vater, mit neuer Frau und neuem Kind. Zu Hause die Mutter, mit der sich Erinnerungen an nächtliche Gespräche verbinden; an Fußballspiele im Fernsehen, den Lebenstraum Reporter im Stadion. Die lakonische…mehr

Produktbeschreibung
Camanchaca heißt ein Nebel, der immer wieder Chiles Küste einhüllt. Es könnte auch der Nebel der Gefühle und Erinnerungen sein, durch den sich der Erzähler dieses Romans bei einer Autoreise in den Norden tastet. Ein junger Mann mit schlechten Zähnen und zu vielen Pfunden, auf der Küstenstraße unterwegs zu einem Ort an der peruanischen Grenze,wo Kleidung und Zahnärzte billig sind. Am Steuer der Vater, mit neuer Frau und neuem Kind. Zu Hause die Mutter, mit der sich Erinnerungen an nächtliche Gespräche verbinden; an Fußballspiele im Fernsehen, den Lebenstraum Reporter im Stadion. Die lakonische Poesie dieser Geschichte lässt offen, ob die Reise durch eine von Erinnerungen an Zärtlichkeit, Gewalt und Frömmigkeit vernebelte Landschaft auch ein Weg der Befreiung ist. Gute Literatur zeigt ihre Klassenicht zuletzt in dem, was sie vielsagend verschweigt. Dies ist ein Meisterwerk.
Autorenporträt
Diego Zúñiga, geboren 1987 in Iquique, Chile, ist Journalist und Autor von zwei Romanen. Er wurde mit dem Juegos Literarios Gabriela Mistral und dem Chilean National Book and Reading Council Award ausgezeichnet. 2017 wurde er in die Liste der 39 besten lateinamerikanischen Schriftsteller unter 40 Jahren aufgenommen, 2021 in »Granta: The Best of Young Spanish-Language Novelists 2«. Er lebt in Santiago de Chile.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Gebannt setzt Rezensent Rudolf von Bitter die Teile zusammen, die er in der Erzählung des chilenischen Diego Zúñiga wie ein Puzzle erahnt, ohne es vollständig zu erkennen. Ein zwanzigjähriger Ich-Erzähler berichtet von der katastrophalen medizinischen Lage im Land: Er muss ins benachbarte Dorf reisen, um sich die Zahnarztkosten leisten zu können. Pein verursachen ihm auch die Kommentare über seine Fettleibigkeit. Vor allem aber erzählt er die Geschichte einer zerrütteten Familie, resümiert von Bitter. In einem hervorragend von Luise von Berenberg übersetzten "trockenen Ton" werden Gefühle dabei weitestgehend verschwiegen, bemerkt der Rezensent. Erst wenn innige Momente mit der Mutter beschrieben werden, in denen sich Sohn und Mutter in einem Frage-Antwort Spiel ihre persönlichen Erinnerungen offenbaren, zeigt sich von Bitter "die ganze psychologische Tiefe". Zúñiga gilt nicht grundlos als "literarischer Hoffnungsträger seines Landes" lobt der Rezensent.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.04.2022

Besser ohne Gefühle
Hoffnungsträger der jungen chilenischen Literatur: Diego Zúñiga und sein Roman über den Weg eines Jungen aus der sozialen Benachteiligung
Ein Vater macht sich mit seinem zwanzigjährigen Sohn auf eine mehrtägige Reise von Santiago de Chile in den Süden von Peru, damit der Junge einen Zahnarzt besuchen kann. Im chilenischen Gesundheitssystem bleibt mangelhaft versorgt, wer kein Geld hat, der Zahnarzt im Nachbarland ist bezahlbar. Der Sohn erzählt die Geschichte, der nicht nur zahnkrank, sondern auch stark übergewichtig ist. Deutlich wird das vor allem an den Reaktionen der anderen, der Freunde, der Fremden, des Großvaters, die seine blutroten Zähne und seine Dickleibigkeit bestenfalls mit besserwisserischen Ratschlägen kommentieren. Als er in einem Fastfood-Restaurant all das isst, was ihm seinen Zustand eingebracht hat, bleiben die Passanten stehen und glotzen.
Wie sein Erzähler ist der Autor ganz im Norden von Chile, in Iquique, geboren und zog im Jahr 2000 als 13-jähriger nach Santiago. Ein Blick auf das Autorenfoto erlaubt den Schluss, dass es sich bei der Beleibtheit um ein autobiografisches Element handelt, das Zúñiga offenbar einsetzt für seinen Roman. Desto reduzierter ist sein Text. Aus Fragmenten, die kaum mal eine Seite füllen, konstruiert Diego Zúñiga das Seelenleben eines Jungen, dem das Schicksal lauter Nachteile zugedacht hat, und der sich hinter Nüchternheit verschanzt.
Der Vater hat ihn und die Mutter im Stich gelassen für eine jüngere. Die Mutter ist arm, sie hat ihre Zähne bereits verloren, und übergewichtig ist auch sie. Wegen der Heizkosten teilt er mit ihr das Bett. Auf der Straße fällt er jugendlichen Schlägern zum Opfer. All das erzählt Zúñiga in einem bemerkenswert trockenen Ton, den die Übersetzerin nachdrücklich abbildet. Die Stimme, die hier spricht, klammert weitestgehend aus, was Gefühle bedeuten könnte.
Wenn der Vater auf der Fahrt schwadroniert, was für Leistungen er für den Sohn erbracht habe, steckt der sich seine Kopfhörer in die Ohren. Vom Selbstmord eines näheren Bekannten erinnert er weder einen Grund noch weitere Umstände, aber das Geräusch der Knochen beim Aufschlag. Auch bei seinem Bemühen um Stipendien bleibt die Erfolgsmeldung emotionslos: „Zum Glück bekam ich sie alle.“
Um so ergreifender sind die Momente der Innigkeit mit der Mutter. Der Sohn möchte Sportreporter werden und übt vor stummgeschalteten Sportberichten im Fernsehen. Dann fängt er an, seine Mutter über ihr Leben zu interviewen. Ihre Antworten lassen familiäre Katastrophen erahnen: mal von der Mutter, mal vom Vater im Stich gelassene Familien, ein getöteter Onkel, die tragische Einsamkeit, die das Leben der Mutter ausmacht. Doch „während eines der Interviews würde sie mir sagen, es sei besser, sich an nichts zu erinnern.“
Die Situation bekommt eine Wendung, als die Mutter ihren Sohn auffordert, seinerseits auf ihre Fragen zu antworten, die seine Kindheit betreffen. Aus dem Frage- und Antwort-Spiel ergibt sich die ganze psychologische Tiefe, die ein konventioneller Roman in Rückblicken zu erarbeiten hätte: Wie es war, als die Eltern sich trennten, die Baseballspiele mit Nachbarskindern, die Abende, als er allein zuhause war und auf seine Mutter wartete.
Für dieses Buch, 2009 in einem kleinen Verlag in Chile erschienen und 2012 vom großen Verlag Random House übernommen, hat Zúñiga zu Recht einen Preis erhalten. Sowieso zählt er zu den literarischen Hoffnungsträgern seines Landes. Eine Jury wählte ihn auf die Liste der aussichtsreichsten jungen Autoren Lateinamerikas, auf der ebenfalls die hierzulande bereits bekannte Samanta Schweblin zu finden ist.
Zúñiga selbst bezeichnete seinen Text als eine Etüde im Kindheiterzählen. Ganz wie die Wirkung der Camanchaca des Titels, nämlich des Nebels, der sich abends vom Meer aus über das Land breitet, so dass die Landmarken unsichtbar werden, an denen man sich hätte orientieren können, so deutet er das Puzzle einer zerfallenen Familie mehr an, als dass er es ausbuchstabiert.
RUDOLF VON BITTER
Diego Zúñiga:
Camanchaca. Roman.
Aus dem Spanischen von Luise von Berenberg. Berenberg Verlag,
Berlin 2022. 120 Seiten, 22 Euro.
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