20,00 €
inkl. MwSt.
Versandkostenfrei*
Verlag / Hersteller kann z. Zt. nicht liefern
Melden Sie sich für den Produktalarm an, um über die Verfügbarkeit des Produkts informiert zu werden.

payback
0 °P sammeln
  • Gebundenes Buch

Ein Experiment, wie es die Welt noch nicht gesehen hat: eine Gesellschaft, errichtet von sich befreienden Arbeitenden.72 Tage trotzten die Aufständischen der Pariser Kommune nach dem Abzug der preußischen Truppen, die die Stadt im Winter 1870/71 eingekesselt hatten, der nationalen Restauration.Die Pariser Geschehnisse vom 18. März bis zum 28. Mai, die sich 2021 zum 150. Mal jähren, sind seitdem oft erzählt worden. In ihrem bahnbrechenden Essay Luxus für alle löst Kristin Ross sie aus ihrer ereignis- oder sozialgeschichtlichen Beschreibung und geht dem Unabgegoltenen des Pariser Aufstandes…mehr

Produktbeschreibung
Ein Experiment, wie es die Welt noch nicht gesehen hat: eine Gesellschaft, errichtet von sich befreienden Arbeitenden.72 Tage trotzten die Aufständischen der Pariser Kommune nach dem Abzug der preußischen Truppen, die die Stadt im Winter 1870/71 eingekesselt hatten, der nationalen Restauration.Die Pariser Geschehnisse vom 18. März bis zum 28. Mai, die sich 2021 zum 150. Mal jähren, sind seitdem oft erzählt worden. In ihrem bahnbrechenden Essay Luxus für alle löst Kristin Ross sie aus ihrer ereignis- oder sozialgeschichtlichen Beschreibung und geht dem Unabgegoltenen des Pariser Aufstandes nach: dem Vorstellungshorizont seiner Akteure und Akteurinnen und damit auch all jenem, das in der kurzen Dauer des Bestehens der Kommune keine Möglichkeit auf Verwirklichung bekam. Indem Ross den Blick weg von Revolte und blutiger Niederlage hin zur Reform des Bildungswesens, den Plänen zur Umgestaltung von Kunst und Handwerk und der Neuerfindung der politischen Willensbildung in Klubs und Volksversammlungen lenkt, wird die erstaunliche Modernität der Gedankenwelt der Kommunarden sichtbar: die Idee einer Weltrepublik, das Bemühen, die hierarchische Trennung von Kopf- und Handarbeit ebenso zu überwinden wie die Unterdrückung der Frau und nicht zuletzt die Vorstellung eines luxe communal als eines Luxus für alle.
Autorenporträt
Felix Kurz hat Soziologie, Philosophie und Geschichte in Freiburg und Sussex studiert. Seit 2007 übersetzt er wissenschaftliche Literatur, Essays und Sachbücher aus dem Englischen und Französischen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.03.2021

Signale von den Barrikaden

Rückblick auf einen Aufstand, der in Blut ertrank: Zum ersten Mal erscheinen Louise Michels Erinnerungen an die Pariser Kommune auf Deutsch, während Kristin Ross an die Motive einiger Akteure der Revolte anknüpfen möchte.

Von Sonja Asal

Am 18. März 1871 nahm in Paris ein sozialrevolutionäres Experiment seinen Ausgang, von dem Sebastian Haffner einmal sagte, dass mit ihm das zwanzigste Jahrhundert begann. In der offiziellen Gedenkpolitik der französischen Republik war es allerdings lange Zeit schwierig, einen Platz für die Pariser Kommune, ihre emanzipatorischen Hoffnungen wie ihre blutige Niederschlagung, zu finden. Noch zum hundertjährigen Jubiläum gab es keine nationale Veranstaltung, sondern war das Gedenken allein eine Angelegenheit verschiedener kommunistischer und linker Gruppierungen. Offenbar hatte man die Barrikaden des Mai 1968 noch zu deutlich vor Augen, als dass man an die des Mai 1871 hätte erinnern wollen.

Mit zunehmender zeitlicher Distanz beruhigten sich die Emotionen: Von der Kommune vertretene Anliegen wie die Gleichberechtigung der Frauen, Forderungen nach der Trennung von Staat und Kirche oder einer kostenlosen laizistischen Schulbildung machten eine Aussöhnung mit den republikanischen Idealen möglich. Nicht zuletzt begann man, den patriotischen Impuls der Kommune in den Vordergrund zu rücken. Immerhin hatte sich der Protest der Pariser Bevölkerung nicht unwesentlich aus der Empörung über die Kapitulation Frankreichs und die Preisgabe der Stadt Paris an den deutschen Feind gespeist.

Eine ähnliche Entwicklung lässt sich für eine der ikonischen Repräsentanten und ganz sicher die berühmteste Frauenfigur der Kommune beobachten, Louise Michel. Schon zu Lebzeiten rankten sich Legenden um sie. War sie für die einen die gute Louise oder eine rote Jeanne d'Arc, so geisterte andererseits das Bild der blutrünstigen Wölfin durch die Presse. In jüngerer Zeit hat sich nicht nur die Forschung der feministischen Pionierin intensiv angenommen und eine Vielzahl von Dokumenten zu ihrem Leben und Nachleben zum Vorschein gebracht. Mittlerweile wurde ihr Name so sehr zum Allgemeingut, dass er in einer Umfrage auf die Liste der zehn bedeutendsten Frauen der französischen Geschichte gelangen konnte - zusammen mit Simone Veil, Marie Curie und Jeanne d'Arc.

Alles andere als konventionell waren sie und ihr Lebensweg in jedem Fall. 1830 im Departement Haute-Marne als Tochter einer Gutsbediensteten geboren, ist bis heute unklar, wer ihr leiblicher Vater war, der Gutsbesitzer selbst oder dessen Sohn. Zumindest führte dies zu der ungewöhnlichen Konstellation, dass sie die gleiche an den Idealen der Aufklärung orientierte Erziehung erhielt wie ihre Halbgeschwister. Sie legte ihr Lehrerinnenexamen ab, verweigerte jedoch den Eid auf Napoleon III. 1856 zog sie nach Paris, wo sie an verschiedenen Schulen unterrichtete und politisch aktiv wurde. Man sah sie auf Versammlungen der französischen Frauenrechtsliga ebenso wie im Kreis von Blanquisten oder der Internationalen Arbeiterassoziation.

Im September 1870, nach der Niederlage bei Sedan und dem Zusammenbruch des Kaiserreichs, gehörte sie mit zu den Gründerinnen des Wachsamkeitskomitees von Montmartre, das sich am 18. März 1871 der Armee entgegenstellte. An der Kommune beteiligte sie sich als Krankenschwester, aber mehr noch als unerschrockene Barrikadenkämpferin. Regelrechte Berühmtheit erlangte sie durch ihr Auftreten im nachfolgenden Prozess, in dem sie sich zu ihrer Beteiligung an der Revolution bekannte und ihre Verurteilung zum Tod forderte: "Wenn Sie keine Feiglinge sind, so töten Sie mich!", will sie ihren Richtern entgegengerufen haben. Das Urteil lautete auf Deportation. Sieben Jahre, bis zur Generalamnestie von 1880, dauerte ihre Verbannung in Neukaledonien. Mit unerschütterlicher Energie baute sie auch dort eine Schule auf, interessierte sich für die Kultur der indigenen Bevölkerung, zeichnete und beschrieb die dortige Pflanzenwelt.

Nach ihrer Rückkehr wurde sie zu einer unermüdlichen Künderin des Anarchismus, zu dem sie sich mittlerweile bekannte - weil sie, wie sie sagte, eingesehen habe, dass "jegliche Macht verflucht" sei. 1890 floh sie schließlich ins Exil nach London, von wo aus sie nur noch für kurze Phasen nach Frankreich zurückkam. Entkräftet starb sie 1905 während einer Vortragsreise in Marseille an einer Lungenentzündung. Ihrem Sarg sollen in Paris mehr als hunderttausend Menschen gefolgt sein.

Eine von Michels Leidenschaften galt dem Schreiben. Mehr als zwanzig Bücher erschienen zu ihren Lebzeiten: Gedichte, Theaterstücke, Erzählungen und Romane sowie nicht zuletzt ihre Memoiren und ein Band zur Geschichte der Kommune. Dieser Band, der das Jahrzehnt von 1870 bis zu ihrer Rückkehr aus der Verbannung umfasst und 1895 abgeschlossen wurde, liegt nun erstmals in deutscher Übersetzung vor. Wie der Untertitel des französischen Originals besagt, bietet er gleichzeitig "Geschichte und Erinnerungen". Michel montiert zwar lange Passagen aus zeitgenössischen Dokumenten oder Briefen in ihre Darstellung, doch strebt sie alles andere als Neutralität an. Sie will die Erinnerung an die Kommune und die Hoffnungen, die mit ihr verbunden waren, weitertragen. Daher der pathetische Duktus mit Ausrufen und Beschwörungen, der die begeisterte Rednerin ahnen lässt, für die Lektüre jedoch zunächst etwas befremdlich wirkt. Allerdings wird er immer wieder durchbrochen von nüchternen Beschreibungen, ironischen Kommentaren und gelegentlich fast idyllischen Schilderungen, und so liest sich das Buch als ein mitreißendes Zeitdokument, das die Motivation und die Stimmung unter den Kommunarden hautnah vermittelt. Wer gerne mehr Informationen zur historischen Einordnung hätte, wird allerdings enttäuscht. Das beigefügte Glossar bemüht sich, wichtige Namen und Begriffe zu erläutern, kann aber eine Einleitung nicht ersetzen, die Louise Michels Schilderungen um neuere Erkenntnisse zur Geschichte ihres Lebens und der Kommune ergänzt hätte.

Dass der sozialrevolutionäre Impuls, der von der Kommune ausging, mitnichten bloß Geschichte ist, zeigt die Studie der New Yorker Literaturwissenschaftlerin Kristin Ross. Sie will dezidiert keine Ideengeschichte bieten, die den Einflüssen eines Louis-Auguste Blanqui oder Pierre-Joseph Proudhon auf das Denken der Kommunarden nachgeht. Ross' Anliegen ist es, die Kommune gleichzeitig aus zwei ihrer Aneignungen zu befreien, nämlich auf der einen Seite durch die republikanische Erzählung und auf der anderen durch die offizielle kommunistische Geschichtsschreibung, in der sie als Vorläuferin späterer, erfolgreicher Revolutionen figuriert.

Damit ist ihr Buch ein Beispiel für die libertäre, antiautoritäre Interpretation der Kommune, die sich im Umfeld von 1968 Bahn brach. Der Buchtitel verweist auf den zentralen Stellenwert, den Ross in ihrer Deutung der Kommune der Kunst zuschreibt. Die Formel vom "luxe communal" ist dem Künstlermanifest vom April 1871 entnommen, das dafür eintritt, die Kunst in den Alltag zu integrieren und die Trennung von Kunst und Handwerk aufzuheben. Für Ross bleibt dies in der gegenwärtigen ökologischen Situation aktuell als Vision, ein neues Verhältnis zu den Materialien und dem Produktionsprozess selbst zu finden. "Luxus" hat dann nichts mehr mit der Herstellung überflüssiger Waren zu tun, sondern ist das Stichwort für umfassende menschliche Entfaltungsmöglichkeiten. Dazu greift Ross Vorstellungen von Solidarität und Gemeinschaftlichkeit auf, wie sie von Anarchisten wie Élisée Reclus, William Morris oder Pjotr Kropotkin formuliert wurden. In welcher Weise die Kommune "in den Gestaltungsmöglichkeiten der Gegenwart wieder lebendig" wird, wie Ross einleitend formuliert, erläutert sie allerdings nicht explizit. Die Antwort liegt wohl in der ungewöhnlichen Konstellation, in die sie die genannten Anarchisten mit der Pariser Kommune und mit Marx bringt.

Wer an einer neuen Gesamtdarstellung der Pariser Kommune interessiert ist, kann übrigens zur einer französischsprachigen Neuerscheinung greifen ("La Commune de Paris 1871: Les acteurs, l'événement, les lieux", hrsg. von Michel Cordillot, Éditions de l'Atelier). Sie umfasst mehr als fünfhundert biographische Einträge und über einhundert thematische Artikel, in denen der neueste Stand der Forschung wiedergegeben und die Kommune von ihren Mythen befreit werden soll. Das Interesse daran scheint groß zu sein: Die erste Auflage ist jedenfalls schon ausverkauft.

Louise Michel: "Die Pariser Commune".

Aus dem Französischen von Veronika Berger. Mandelbaum Verlag, Wien 2020. 415 S., geb., 28,- [Euro].

Kristin Ross: "Luxus für alle". Die politische Gedankenwelt der Pariser Kommune.

Aus dem Englischen von Felix Kurz. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2021. 204 S., geb., 20,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur FAS-Rezension

Rezensent Cord Riechelmann empfiehlt ein Buch der amerikanischen Literaturwissenschaftlerin Kristin Ross, weil es eine Geisteshaltung einzufangen versucht, die ihm aktuell erscheint. Wenn Ross sich dem Thema Demokratie zuwendet und ihn mit den Anliegen der Pariser Kommune von 1871 verbindet, weiß Riechelmann zwar, wie wenig den Kommunarden der Begriff passte, dass und wie die Autorin ihn dennoch in der Kommune vorgebildet fand, in "gemeinschaftlichen Bedürfnissen" etwa, scheint ihm aber dennoch des lesenden Nachvollzugs wert.

© Perlentaucher Medien GmbH