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In dieser rechtsphilosophischen Arbeit im Grenzbereich zur Soziologie und zur Politikwissenschaft setzt sich die Autorin mit der derzeitigen Renaissance rechten Denkens und dessen gleichheitskritischer Rechts- und Gerechtigkeitsauffassung in den politischen und rechtlichen Diskursen der Bundesrepublik auseinander. Sie entwickelt dabei eine anerkennungstheoretisch fundierte Theorie über die Attraktivitätsgründe dieses Denkens, welche dessen Erfolg als Resultat der Herausforderungen, Schwierigkeiten und Zumutungen moderner Anerkennungsstrukturen charakterisiert. Nach einem einleitenden…mehr

Produktbeschreibung
In dieser rechtsphilosophischen Arbeit im Grenzbereich zur Soziologie und zur Politikwissenschaft setzt sich die Autorin mit der derzeitigen Renaissance rechten Denkens und dessen gleichheitskritischer Rechts- und Gerechtigkeitsauffassung in den politischen und rechtlichen Diskursen der Bundesrepublik auseinander. Sie entwickelt dabei eine anerkennungstheoretisch fundierte Theorie über die Attraktivitätsgründe dieses Denkens, welche dessen Erfolg als Resultat der Herausforderungen, Schwierigkeiten und Zumutungen moderner Anerkennungsstrukturen charakterisiert.
Nach einem einleitenden historischen Überblick gleichheitskritischen Denkens arbeitet sie zunächst die Eigenart seiner zeitgenössischen Variante heraus. Dies ist der Ausgangspunkt zum einen für eine Diskursanalyse radikal rechten Denkens; zum anderen für eine Untersuchung konservativen Staatsrechtsdenkens - aus einer nicht-normativen Perspektive an den Beispielen grundrechtsdogmatischer Positionen zur Rechtfertigung der "Rettungsfolter" und des Abschusses von Renegade-Flugzeugen.
Die Arbeit zeigt, warum und inwiefern sich gleichheitskritisches Denken - auch intellektuell - keineswegs erledigt hat. Seine Attraktivität beruht auf den Schwächen der Anerkennungsstruktur einer bürgerlich-liberalen Gesellschaftsordnung, der es das Gegenmodell einer gleichheitskritischen Anerkennungsstruktur entgegensetzt. Somit greift die Arbeit sozialwissenschaftliche Diskurse darüber auf, warum Menschen denken, wie sie denken, und verknüpft sie mit jenen über die Bedingungen der intersubjektiven Selbstbildung in der Moderne - mit dem Ziel, auf diese Weise nicht nur die grundrechts-dogmatischen Debatten über die "Rettungsfolter" und das Luftsicherheitsgesetz mit ihrem rechtstheoretisch und politisch relevanten Ruf nach der Abwägbarkeit der Menschenwürde einem nicht juristisch versierten Publikum zugänglich zu machen, sondern vor allem die Grundzüge einer Anerkennungsstruktur im "Zeitalter der Gleichheit" herauszuarbeiten, welche gerade nicht am Ideal allgemeiner Menschengleichheit anknüpft.
Autorenporträt
Rosenstock, Julika
Julika Rosenstock, Dr. iur., Promotion an der Humboldt Universität zu Berlin, Studium der Religionswissenschaft, Soziologie und Ethnologie an der Freien Universität Berlin und Universität Leipzig. Die Autorin arbeitet als Wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur. Sie ist Fellow am Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.07.2015

Was Linke wie Rechte am Liberalismus stört
Am Ziel vorbei: Julika Rosenstock spannt konservatives Staatsrecht mit rechtsradikalen Positionen zusammen

Was haben das Aktionsprogramm der NPD und die Grundsätze des Kampfbundes Deutscher Sozialisten mit den Überlegungen konservativer Staatsrechtsdenker wie Josef Isensee, Otto Depenheuer und Christian Hillgruber gemeinsam? Man möchte vermuten, die Antwort könne nur lauten: nichts. Damit unterschätzte man jedoch die Reizwirkung, die von dem Umstand ausgeht, dass die genannten Positionen allesamt rechts vom intellektuellen Mainstream angesiedelt sind. Für Julika Rosenstock ist dies Anlass genug, nach einer sie verbindenden Klammer zu suchen. Sie findet diese in einer gemeinsamen Gegnerschaft der "Rechten" zu dem Leitwert allgemeiner Menschengleichheit.

In der rechtsradikalen Literatur wird die Autorin dabei ohne weiteres fündig. Der Annahme, dass allen Menschen, allein weil sie Menschen sind, die gleiche Würde zukomme - eine Würde, die weder verdient werden muss noch verspielt werden kann -, stellen rechtsradikale Programmentwürfe ein Menschsein auf der Basis seinsgebundener Verschiedenheit entgegen. Der Unordnung einer Gesellschaft ohne Hemmungen, ohne Anstand und ohne Statussicherheit lässt sich danach nur durch die Etablierung einer hierarchisch gegliederten Gesellschaft wehren, die jedem seinen naturgewollten und deshalb seinsadäquaten Platz anweist: dem Mädel wie dem Burschen, dem Arbeiter der Stirn ebenso wie dem Arbeiter der Faust. Die Attraktivität derartiger Konzeptionen erblickt Rosenstock darin, dass sie Erlösung von der Spannung versprächen, die modernen Gesellschaften eigen sei. Zwar bemühten diese sich einerseits mehr und mehr um die Durchsetzung von Gleichheit in der Sphäre des Rechts und in der Wertschätzung von Lebensstilen, andererseits aber muteten sie ihren Bürgern immer mehr Ungleichheit der materiellen Ressourcen und der sozialen Wertschätzung ihrer Leistungsfähigkeit zu. Eine Wertegemeinschaft, die auf der Überzeugung beruhe, dass jedermann nur seinen Anteil leisten, seine Aufgabe im großen Ganzen ordnungsgemäß erfüllen müsse, eröffne dem Einzelnen demgegenüber die Möglichkeit, Anspruch auf Unterstützung und soziale Wertschätzung schon allein wegen dieser Leistung einzufordern. Die Überzeugung, in der Volksgemeinschaft nicht mit anderen zu konkurrieren, sondern gemeinsam mit ihnen zu dienen, entlaste ihn von den Risiken und Nebenwirkungen einer spätmodernen Existenz.

Diese Deutung ist durchaus anregend, denn wie alle funktionalistischen Analysen unterläuft sie die Konstruktion ideologischer Gegensätze durch den Nachweis verborgener Gemeinsamkeiten. So lässt sie erkennen, dass es zwischen rechter und linker Liberalismuskritik substantielle Überschneidungen gibt. Vor allem aber lässt sie die Annahme als trügerisch erscheinen, dass der Rechtsradikalismus ein Residuum vormoderner Verstocktheit darstelle, das sich im Zuge des sozialen Fortschritts auflösen werde. In Rosenstocks Lesart erweist sich der Rechtsradikalismus vielmehr als ein durch und durch modernes Phänomen. Als ein Kind dessen, wogegen er protestiert, wird er der Moderne auch künftig erhalten bleiben.

Aber was hat all dies mit dem konservativen Staatsrechtsdenken zu tun? Zur Untermauerung ihrer These von der generellen Distanz "rechten" Denkens gegenüber der Präsumtion allgemeiner Menschengleichheit untersucht Rosenstock zunächst die Debatte über die Rettungsfolter. Diejenigen Autoren, die die Androhung und den Einsatz willensbrechender Mittel im äußersten Notfall nicht von vornherein ausschließen, stellen zur Begründung entscheidend auf die Verantwortungsdifferenz zwischen dem Tatverdächtigen und seinem Opfer ab. Für Rosenstock läuft dies auf die Annahme hinaus, "dass letztlich ein Mensch offenbar verpflichtet ist, sich so zu verhalten, dass der Staat nicht gezwungen ist, ihn zu foltern". Darin liege ein Bruch mit dem Leitwert der Würdegleichheit aller Menschen.

Mit dieser allzu holzschnittartigen Deutung wird die Autorin der von ihr dargestellten Position allerdings nicht gerecht. Deren Vertreter verstehen sich keineswegs als Kritiker des Gedankens der Menschenwürdegleichheit, sondern als dessen wahre Verfechter. Der herrschenden Gegenauffassung werfen sie vor, bei ihrer Problemexposition die Menschenwürde des Opfers unter den Tisch fallen zu lassen, dem Opfer die gleichberechtigte Berücksichtigung seiner rechtlichen Belange also gerade abzusprechen. Eine konsequent am Gleichheitsgedanken orientierte Konfliktanalyse komme demgegenüber nicht umhin, in den heiklen Fällen eine Kollision von Würdeansprüchen festzustellen. Diese Kollision unter Rückgriff auf das beispielsweise aus dem Notwehrrecht bekannte Verantwortungsprinzip aufzulösen sei nicht willkürlich, sondern systemkonform. Auch der letztgenannte Argumentationsschritt hat mit der rechtsradikalen Gleichheitskritik nichts zu tun, sondern stellt eher die Ausweitung einer genuin liberalen Begründungsfigur dar. Dies bedeutet nicht, dass man diese Position gutheißen müsste. Es zeigt aber, dass Rosenstock sich den falschen Beurteilungsmaßstab ausgesucht hat.

Das Gleiche gilt für die zweite von der Autorin analysierte Diskussion: die Kontroverse über die Befugnis zum Abschuss entführter Flugzeuge. Die Befürworter einer solchen Befugnis machen der vom Bundesverfassungsgericht angeführten Gegenauffassung wieder eine unvollständige Situationsbeschreibung zum Vorwurf. Nicht nur die Würde der unschuldigen Flugpassagiere verdiene Berücksichtigung, sondern auch die der Menschen am Boden. Diesen Konflikt zuungunsten der ohnehin todgeweihten Passagiere aufzulösen sei ebenso wenig willkürlich wie die Hintanstellung der Belange des Entführers gegenüber derjenigen des Entführten, sondern entspreche einer weitverbreiteten moralischen Intuition. Auch dieser Gedankengang mag anfechtbar sein, wiederum aber nicht unter dem von Rosenstock hervorgehobenen Gesichtspunkt.

Rosenstocks Versuch, rechtsradikale Pamphlete unter dem Stichwort der Gleichheitskritik mit den Arbeiten konservativer Staatsrechtslehrer zusammenzuspannen, schlägt demnach fehl. Ernstzunehmendes konservatives Staatsdenken versteht sich heute hauptsächlich als Aufklärung über Aufklärung, das heißt als Versuch, die Implikationen der aufklärerischen Freiheitsverheißung bis zum Ende zu durchdenken, statt sich mit politisch leichter verdaulichen argumentativen Verkürzungen zufriedenzugeben. Vom Rechtsradikalismus, der statt einer solchen Aufklärung zweiter Stufe eine "Befreiung von der Befreiung" (Rosenstock) anstrebt, ist dieses Denken durch eine tiefe Kluft geschieden. Aber vermutlich ist dies ein zu uncooler Befund, um zum Gegenstand einer wissenschaftlichen Untersuchung gemacht zu werden.

MICHAEL PAWLIK

Julika Rosenstock: "Vom Anspruch auf Ungleichheit". Über die Kritik am Grundsatz bedingungsloser Menschengleichheit.

Verlag Velbrück Wissenschaft, Weilerswist 2015. 364 S., geb., 39,90 [Euro].

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