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Die Geschichte des Gettos Litzmannstadt (Lodz) aus der Perspektive der Eingeschlossenen.»Viele Schrecknisse gerieten in Vergessenheit. Viele Schrecknisse (Schandtaten) hatten keine Zeugen. Viele Schrecknisse waren derart, daß ihre Darstellung keinen Glauben fand. Aber sie sollen in der Erinnerung leben bleiben.« Oskar Rosenfeld schrieb diese Zeilen im Mai 1942 angesichts der Deportation von Juden aus dem Getto Litzmannstadt (Lodz) in das Vernichtungslager Kulmhof (Chelmno) in sein Tagebuch. Zahlreiche Juden hielten das Erlebte fest, damit Leben und Sterben im Getto nicht in Vergessenheit…mehr

Produktbeschreibung
Die Geschichte des Gettos Litzmannstadt (Lodz) aus der Perspektive der Eingeschlossenen.»Viele Schrecknisse gerieten in Vergessenheit. Viele Schrecknisse (Schandtaten) hatten keine Zeugen. Viele Schrecknisse waren derart, daß ihre Darstellung keinen Glauben fand. Aber sie sollen in der Erinnerung leben bleiben.« Oskar Rosenfeld schrieb diese Zeilen im Mai 1942 angesichts der Deportation von Juden aus dem Getto Litzmannstadt (Lodz) in das Vernichtungslager Kulmhof (Chelmno) in sein Tagebuch. Zahlreiche Juden hielten das Erlebte fest, damit Leben und Sterben im Getto nicht in Vergessenheit geraten würden. Die jüdische Gettoverwaltung richtete sogar ein Archiv ein, um diese Aufzeichnungen zu sammeln.Andrea Löw hat diese Selbstzeugnisse aus dem Getto in Litzmannstadt (Lodz) in deutscher, polnischer und jiddischer Sprache erstmals wissenschaftlich ausgewertet. Was wird über die Geschichte der Menschen im Getto berichtet? Wie versuchten sie, ihr Leben zu organisieren und gegen die Resignation anzukämpfen? Aus anonymen Opfern werden Individuen, die versuchten, auf ihr Schicksal aktiv Einfluß zu nehmen.
Autorenporträt
Andrea Löw ist stellvertretende Leiterin des Zentrums für Holocaust-Studien am Institut für Zeitgeschichte in München und Lehrbeauftragte am Historischen Institut der Universität Mannheim.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.05.2007

Ängste, Zweifel und Überlebenswillen
In einer Studie über das Ghetto Lodz kommen die gepeinigten Bewohner selbst zu Wort
Das Ghetto von Lodz – von den Nazis Litzmannstadt genannt – stand in der Nachkriegsrezeption lange Zeit im Schatten des Warschauer Ghettos. Seit kurzem ist aber eine verstärkte Aufmerksamkeit für das zweitgrößte (und das einzige unter kommunaler Verwaltung geführte) Ghetto der Nazis zu registrieren. Als östlichste „deutsche” Großstadt gehörte Lodz/Litzmannstadt nach der Annektierung Westpolens zum neuen Reichsgau Wartheland („Warthegau”). Die „Eindeutschung” der Stadt wurde damals zum obersten politischen Ziel proklamiert, zum anderen weckte das enorme industrielle Potential der Textilgroßstadt („Manchester des Ostens”) die Begehrlichkeit der neuen Machthaber.
Letzteres erkannte auch der von den Nazis als Ältester der Juden eingesetzte frühere, als autoritär und streitsüchtig geltende Leiter eines jüdischen Waisenhauses, Chaim Rumkowski. Als die Deutschen mit dem Aufbau des Ghettos begannen, glaubte er mit der Devise „Unser einziger Weg ist Arbeit” ein Pfand des Überlebens in der Hand zu haben. Tatsächlich entwickelte sich das Ghetto durch die Gründung vieler Fabriken und Werkstätten, in denen die Juden Zwangsarbeit verrichten mussten, zu einem Wirtschaftsfaktor, von dem Stadt und Gauverwaltung profitierten. Hauptabnehmer für die im Ghetto erzeugten Produkte waren die Wehrmacht, aber auch private Firmen im Reichsgebiet wie Neckermann, Leineweber und andere.
Häufige Reibereien zwischen den deutschen Verwaltungen vor Ort und den Ministerien und NS-Ämtern in Berlin belegen die widersprüchlichen Herangehensweisen: entweder die Arbeitskraft der Juden möglichst lange auszubeuten oder das Ghetto nur als „Marginalie” zu betrachten und sich der Juden durch unzureichende Lebensmittelversorgung, katastrophale hygienische und medizinische Verhältnisse und der damit verbundenen Tausenden Todesfällen sowie der Deportationen in das Vernichtungslager Kulmhof (Chelmno) zu entledigen.
Die örtlichen Machtzentralen – die deutsche Ghettoverwaltung unterstand als städtische Behörde direkt dem Oberbürgermeister Werner Ventzki (dem Vater des Rezensenten) – hatten mit Genehmigung von Gauleiter Arthur Greiser bereits Pläne für die Errichtung einer großzügigen Parkanlage auf dem Gelände des Ghettos nach dessen Liquidierung ausgearbeitet. Dies geschah nach dessen über vierjähriger Existenz im August 1944 mit dem Transport der letzten noch nicht der Vernichtung zum Opfer gefallenen etwa 70 000 Juden nach Auschwitz.
Jetzt hat die Historikerin Andrea Löw, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Arbeitsstelle für Holocaust-Literatur an der Universität Gießen, eine fundierte Arbeit vorgelegt, die die Brücke bildet zwischen der rein historiographischen Darstellung über das Leben und Sterben im Ghetto und den Stimmen der Ghettobewohner selbst, ihren erstaunlich vielen persönlichen Aufzeichnungen, Erinnerungen und der im Auftrag des Ältesten der Juden geführten Chronik. Um die Menge der Dokumente erfassen zu können, lernte die Autorin Polnisch und Jiddisch, da ein großer Teil der Texte in diesen Sprachen abgefasst ist.
Die Juden kommen hier mit all ihren Empfindungen, ihren Ängsten, ihren Zweifeln, aber auch mit ihrem Überlebenswillen zu Wort und geben Zeugnis ab von einem Leben, in dem sie sich schier unvorstellbaren Verhältnissen gegenübersahen. Sie selbst, die Juden des Ghettos Lodz/Litzmannstadt sind es, die von ihrem Leiden, von Hunger, Krankheit, aber auch von Machtkämpfen, Korruption, Widerstandsgruppen und Konflikten mit dem herrschsüchtigen Chaim Rumkowski berichten, von Hungerstreiks und von aus ihrer Mitte heraus organisierten Konzerten, Theateraufführungen und Lesungen zur Ablenkung von der niederschmetternden Wirklichkeit – eindrucksvoll, oft beklemmend. Häufig ist es gerade die Beschreibung der alltäglichen Ausnahmesituationen, die uns die Sichtweisen und Selbstwahrnehmungen der Betroffenen vor Augen führen. Die verdienstvolle Arbeit von Andrea Löw macht die jüdischen Opfer des Nazi-Regimes in Lodz für uns aus dem Dunklen wahrnehmbar und gibt ihnen menschliche Würde zurück.
JENS-JÜRGEN VENTZKI
ANDREA LÖW: Juden im Getto Litzmannstadt. Lebensbedingungen, Selbstwahrnehmung, Verhalten. Wallstein, Göttingen 2006. 584 Seiten, 46 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.01.2007

Wille zum Überleben
Das schreckliche Schicksal der Juden im Getto Litzmannstadt

Überleben durch Arbeit war die Strategie von Mordechai Chaim Rumkowski, "Judenältester" des Gettos Litzmannstadt - in einem System, das ein Überleben nicht vorsah. Die Gettos waren als Zwangsquartiere für Juden im von Deutschland besetzten Osteuropa geschaffen worden, ihre Entstehung, Organisation und Auflösung unterschieden sich erheblich, aber alle entwickelten sich zu Zwischenstationen der Vernichtung. Die in Litzmannstadt umbenannte und dem Deutschen Reich einverleibte polnische Stadt Lodz hatte das größte Getto in den eingegliederten Gebieten und damit im Deutschen Reich. Auf 4,13 Quadratkilometern ohne Kanalisation drängten sich zeitweise 200 000 Menschen in katastrophalen hygienischen Verhältnissen, davon überlebten nach optimistischen Schätzungen etwa 7000. Mehr als 45 000 Menschen starben im Getto selbst, mindestens 145 000 wurden im Vernichtungslager Kulmhof und in Auschwitz ermordet oder starben auf den Transporten dorthin.

Die Historikerin Andrea Löw konzentriert sich in ihrer Studie auf die Lebensverhältnisse der Bewohner. Sie stützt sich dabei vor allem auf in erstaunlicher Vielfalt und Anzahl erhaltene Quellen in polnischer und jiddischer Sprache, die von deutschen Forschern bisher wenig genutzt wurden. Nach einer Zusammenfassung der Verhältnisse vor dem Krieg und in den ersten Monaten der Besatzung beschreibt sie zunächst die Phase der Einschließung des Gettos am 30. April 1940. Es folgt die Schilderung der in mehreren Wellen erfolgten weiteren "Aussiedlungen" bis zum September des Jahres und der Phase zwischen Ende 1942 und Juni 1944, in der das Getto zur reinen Produktionsstätte wurde. Die Auflösung des Gettos von Juni bis August 1944, als bis auf einen kleinen Rest alle Bewohner, darunter Rumkowski, abtransportiert und ermordet wurden, bildet den Schluss der Darstellung. Dabei folgt Löw nicht immer streng der Chronologie, doch die dann teilweise mehr sachthematisch aufgebauten Abschnitte dienen bei der Vielfältigkeit der Erscheinungsformen der besseren Anschaulichkeit.

Zum "Ältesten der Juden" bestimmte die deutsche Verwaltung Mordechai Chaim Rumkowski, der schon vorher in der jüdischen Gemeinde engagiert war. Er blieb der wichtigste Ansprechpartner der "Macht", wie die deutschen Behörden im Getto genannt wurden. Er allein war den Deutschen verantwortlich und bezog daraus seine Machtfülle gegenüber den Getto-Bewohnern. Die Selbstverwaltung blieb jedoch stets eine Scheinautonomie. Rumkowski erhielt direkte Anweisungen und hatte minimalen Spielraum. Er machte sich jedoch mit großem Eifer an die ihm gestellte Aufgabe und baute innerhalb kurzer Zeit einen hochdifferenzierten Verwaltungsapparat auf. Die wichtigsten Aufgaben waren Unterbringung und Versorgung der Bevölkerung. Arbeitskraft war, nachdem alles, was auch nur irgendeinen Wert hatte, abgegeben worden war, das einzige, was die Einwohner des Gettos zu bieten hatten. Eine breite Palette von Waren wurde hier produziert, die Rohstoffe wurden bereitgestellt und dann verarbeitet, dafür wurden Lebensmittel geliefert, die allerdings nie ausreichten.

Neben der Behebung unmittelbarer Notlagen durch Gesundheitswesen und Fürsorge für Bedürftige hatten Bildung für Kinder und Jugendliche sowie Theater und Konzerte einen hohen Stellenwert. Wichtig für die Menschen war, mit dem Fortbestehen des kulturellen Lebens an die Zeit vor dem Krieg anzuknüpfen und durch die Schulen in die Zukunft zu investieren. Diese Anknüpfung an eine Normalität trug zum Überlebenswillen wesentlich bei. Eine eigene Abteilung der Verwaltung widmete sich der Dokumentation, die bewusst auch Quellen für Historiker späterer Zeiten schaffen sollte.

Die hierarchische Struktur schuf auch soziale Unterschiede, und ein zentrales Thema war die Verteilung der Lebensmittel. Um seine Macht durchzusetzen, standen Rumkowski eine Polizei - der "Ordnungsdienst" -, ein Justizapparat und auch Strafvollzug zur Verfügung, und er machte Gebrauch davon. Unmut und Groll über die Lebensverhältnisse richteten sich in der Folge vor allem gegen Rumkowski und nicht gegen die eigentlichen Urheber. Die Einweisung von 20 000 Juden aus dem Deutschen Reich sorgte durch Sprachschwierigkeiten und Mentalitätsunterschiede für erhebliche Spannungen, eine vollständige Integration gelang nie.

Zu den Aufgaben der Selbstverwaltung zählte auch die Auswahl derjenigen, die deportiert werden sollten. Etwa fünf Monate nach den ersten Transporten erreichten Litzmannstadt erste Informationen über das schreckliche Schicksal dieser Menschen. Die Verwaltung entschied weiterhin, wer zu den Transporten eingeteilt wurde, im festen Glauben, Schlimmeres zu verhüten. Tatsächlich schockierte das brutale Eingreifen der Deutschen, als die vorgegebene Anzahl nicht rechtzeitig erreicht wurde, die Bevölkerung dermaßen, dass dieses Mittun gerechtfertigt schien. Historische Analyse und Bewertung werden hier schwierig, doch Andrea Löw nimmt sie abwägend und sensibel vor. Im Mittelpunkt dieser sorgfältigen Untersuchung steht nicht die Frage, wie es zur Judenverfolgung kam, sondern wie sie sich im konkreten Fall von Litzmannstadt auf die Menschen auswirkte. Andrea Löw gelingt es, dies für eine Vielzahl von Aspekten darzustellen.

KLAUS A. LANKHEIT.

Andrea Löw: Juden im Getto Litzmannstadt. Lebensbedingungen, Selbstwahrnehmung, Verhalten. Wallstein Verlag, Göttingen 2006. 584 S., 46,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Das Getto in Lodz - von den Nazis in Litzmannstadt umgetauft - war das größte im besetzten Europa. Unter schrecklichen Bedingungen lebten zeitweise 200.000 Menschen auf dem Raum von etwas mehr als vier Quadratkilometern. Andrea Löws Studie untersucht, wie die von den Nazis mit erdenklich wenig Spielraum und wirklicher Entscheidungsgewalt versehene Selbstverwaltung das Leben, ja die Selbstverständlichkeit eines Alltags nach Möglichkeit aufrechtzuerhalten sich bemühte. An der Spitze dieser Selbstverwaltung stand als "Judenältester" Mordechai Chaim Rumkowski, dessen Wirken Löw in ihrer Untersuchung beschreibt. Bewundernswert findet der Rezensent Klaus A. Lankheit, wie behutsam die Autorin mit heiklen Fragen der historischen Bewertung seines Verhaltens und insgesamt der Verwaltung, die auch darüber zu entscheiden hatte, wer aus dem Getto abtransportiert wurde, umgeht. Das von Löw entworfene Bild lobt der Rezensent als "erstaunlich" vielfältig, was sich vor allem der Verwendung von deutschen Historikern bisher wenig beachteter polnischer und jiddischer Quellen verdanke.

© Perlentaucher Medien GmbH