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Zum 100. Geburtstag von Luise Rinser am 30. April: Die große Biographie
Mit Romanen wie 'Mitte des Lebens', 'Mirjam', 'Abaelards Liebe' gehörte Luise Rinser zu den meistgelesenen Schriftstellerinnen ihrer Zeit. Romanhaft sind, wie sich zeigt, auch ihre Autobiographien 'Den Wolf umarmen' und 'Saturn auf der Sonne'. Die streitbare Autorin, die die deutsche Kultur der Nachkriegszeit entscheidend mitprägte, sah sich gern als Gegnerin und Opfer des Nazi-Regimes. Aber sie schrieb Huldigungsgedichte an Hitler, leitete BDM-Schulungslager, entwarf Propagandafilme. Manches nie Ausgesprochene konnte…mehr

Produktbeschreibung
Zum 100. Geburtstag von Luise Rinser am 30. April: Die große Biographie

Mit Romanen wie 'Mitte des Lebens', 'Mirjam', 'Abaelards Liebe' gehörte Luise Rinser zu den meistgelesenen Schriftstellerinnen ihrer Zeit. Romanhaft sind, wie sich zeigt, auch ihre Autobiographien 'Den Wolf umarmen' und 'Saturn auf der Sonne'. Die streitbare Autorin, die die deutsche Kultur der Nachkriegszeit entscheidend mitprägte, sah sich gern als Gegnerin und Opfer des Nazi-Regimes. Aber sie schrieb Huldigungsgedichte an Hitler, leitete BDM-Schulungslager, entwarf Propagandafilme. Manches nie Ausgesprochene konnte Luise Rinser erst in ihren späten Jahren dem Freund José Sánchez de Murillo anvertrauen. Anderes hat sie literarisch verarbeitet: die Spannung zwischen Lebensentwurf und Wirklichkeit als schriftstellerische Inspiration.
Autorenporträt
José Sánchez de Murillo, geboren 1943, Begründer der Tiefenphänomenologie, lehrte Philosophie in Würzburg, Augsburg und Granada. Gegenwärtig leitet er das Edith-Stein-Forschungsinstitut, ist Mitherausgeber von >Aufgang. Jahrbuch für Denken, Dichtung, Musik< und lehrt an der Universität München. Er publizierte Monographien zur französischen Existenzphilosophie, zu Jakob Böhme, zur deutschen Romantik. Seine Freundschaft mit Luise Rinser begann 1995.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.04.2011

Nie sollst du mich befragen

Denn wir sind treu: Luise Rinser hat ihr Leben und Wirken zwischen 1932 und 1945 systematisch umgeschrieben. Das verschweigt auch eine neue, von ihrem Freund und Kollegen José Sánchez de Murillo verfasste Biographie nicht.

Ihre außerordentliche Popularität als Kämpferin für Frieden und Gerechtigkeit hat Luise Rinser mit der Erfindung einer Frauengestalt begründet, die das Ideal der sich befreienden Frau wirksamer geprägt hat als Simone de Beauvoirs Konstruktion des anderen Geschlechts. In Nina Buschmann aus dem Roman "Mitte des Lebens" (1950), millionenfach aufgelegt und in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt, konnte sich auch Luise Rinser selbst wiedererkennen: "die Haltung natürlich, der Widerstand gegen das Dritte Reich. Es gibt Leute, die mich Nina nennen; diese Unbedingtheit zu denken, zu leben, das bin vermutlich ich selber." In einem Punkt aber nimmt die Autorin Abstand von ihrer Figur: "Leben ohne Lüge ist vielleicht ein bisschen zu großartig."

Tatsächlich hat Luise Rinser im "Gespräch von Mensch zu Mensch" jedwede Moral gepredigt, das achte Gebot aber galt ihr nicht kategorisch. "Jeder Mensch hat ein Recht auf Selbsterhaltung, also auf Tarnung, Notwehr, Wahrung seines Geheimnisses." Deshalb dürfe man "andere nicht allzu direkt befragen". Jenes Recht hat sie in Bezug auf ihr Verhältnis zum Hitler-Regime zuweilen grammatisch eigenartig verzinkt wahrgenommen: "Ich war ja schon 1932 gegen den Nationalsozialismus, und das sage ich heute nicht etwa, weil ich gerne möchte, dass es so gewesen sei."

Im Gegensatz zu den Angaben in ihrer Autobiographie "Den Wolf umarmen" (1981) ist es aber so gewesen, dass sie der N.S.-Frauenschaft und dem N.S.-Lehrerbund beitrat und Führerin im Bund Deutscher Mädel war. Auch hat sie, wie sie bei der Reichsschrifttumskammer auch angab, 1935 in der Zeitschrift "Herdfeuer" das Gedicht "Junge Generation" veröffentlicht, das die "Nationalzeitung" 1968 als "Hymne an Adolf Hitler" abdruckte. Ihr Umgang damit ist schwer begreiflich. Zunächst bestritt sie die Urheberschaft, dann erklärte sie es zu einem im BDM-Lager entstandenen Gemeinschaftswerk, schließlich sollte es Satire gewesen sein, sie habe damit "Nazis veräppeln" wollen. 1981 musste sie ihren gerichtlichen Widerstand gegen die Bezeichnung "Nazi-Poetin" aufgeben, was ihr von rechten Blättern immer wieder hämisch vorgehalten wurde. Vermutlich deshalb kehrte sie zum Leugnen zurück. Als die amerikanische Germanistin Diana Orendi Hinze sie 1987 auf die Nazizeit ansprach, wurde sie wütend. Dem Schriftsteller Michael Kleeberg schrieb sie 1996, "wer ihr zutraue, so etwas jemals geschrieben zu haben, mit dem wolle sie nichts zu tun haben".

Eine "Jugendtorheit", wie Kleeberg vorschlagen wollte, war das Gedicht nicht. Die intelligente Junglehrerin war dreiundzwanzig, als sie es schrieb. Es reproduziert ein damals verbreitetes antiindividualistisches Denkmuster. Emotional intensiv bringt es die antibürgerliche Erwartungsstimmung der Jugendbewegung zum Ausdruck. Während die satten Bürger in den Niederungen "schnarchend vom ewigen Frieden" träumen, wacht die "von ewig eisernem Wort" angerufene, einem charismatischen Führer verpflichtete Jugend auf hoher Warte und in nach Hölderlins vaterländischem Gesang modelliertem, rauschhaftem Lebensgefühl, bereit zu Dienst und Opfer. "Kühl, hart und wissend ist dies wache Geschlecht, / Nüchtern und heiliger Trunkenheit voll, / Tod oder Leben, ein Rausch, gilt uns gleich - / Wir sind Deutschlands brennendes Blut."

Charakteristisch für die Umbruchrhetorik der Jugendbewegung ist die gestische Entschiedenheit eines "Wir" jenseits der Bestimmung von Zielen. "Todtreu verschworene Wächter heiliger Erde, / Des großen Führers verschwiegene Gesandte, / Mit seinem flammenden Zeichen auf unserer Stirn, / Wir jungen Deutschen, wir wachen, siegen oder sterben, / Denn wir sind treu." Das Gedicht hätte, für sich gelesen, noch als Ausdruck eines Zeitphänomens durchgehen können, das Carl Schmitt 1925 als "politische Romantik" beschrieben hatte, der "alles zum Anlass für alles werden" könne. Die nationalsozialistische Jugendpolitik machte sich die Umbruchsrhetorik zunutze und übernahm die Lebensformen und Rituale der Jugendbewegung fast vollständig in die Hitlerjugend und den Bund Deutscher Mädel. In ihrem Bericht über eine von ihr geleitete BDM-Führerschulung hatte Luise Rinser 1934 den Enthusiasmus der Bewegung markig mit Parteiparolen verbunden. So zeichnet sie ein einschlägiges Bild der deutschen Frau: sportlich, frei, natürlich und doch mütterlich. Inhalte der Schulung sind Zucht, Kameradschaft und Gehorsam, "oberster Programmpunkt: Züchtung gesunder Menschen". Im "Einklang mit der R.J.F." (der Reichsjugendführung) ging es um "die Erziehung zu Kraft und Freude". Das Treuegelöbnis "unter dem verpflichtenden Zeichen des Hakenkreuzes" verbindet die junge Führerin hier schon mit einem Topos der frühen Popularität Hitlers, der elitären Verachtung der "guten Bürger", die "sich vor dieser Jugend-Bewegung fürchten, eben weil sie sich bewegt und etwa allzu bequeme Polsterstühle ins Schwanken bringen könnte".

Diese Texte waren lange bekannt, wurden aber von germanistischen Verehrern der charismatischen Autorin als "literarisch wertlos und wertlos auch als mögliche Beweise für eine Nazibegeisterung der Jugendlichen" heruntergespielt. In manchem ehrfürchtigen Nachruf von 2002 kam der Nationalsozialismus gar nicht mehr vor. Seitdem hat sich jedoch Stück um Stück herausgestellt, dass Luise Rinser ihr Wirken und ihre Lebensverhältnisse zwischen 1932 und 1945 systematisch umgeschrieben hat. Sie hatte entgegen ihren Behauptungen nie Publikationsverbot, sondern erhielt bevorzugt Papierzuteilungen. Ihre Erzählung "Die gläsernen Ringe" (1941) erschien denn auch in zweiter Auflage. 1942 zeigte sie sich dem angehimmelten Ernst Jünger gegenüber stolz, "an einem Auslandspropaganda-Film der Ufa" mitarbeiten zu dürfen. Nach Denunziation durch eine Freundin wurde sie allerdings im Oktober 1944 wegen "Wehrkraftzersetzung" verhaftet und nach Traunstein ins Gefängnis gebracht, nicht aber wegen Hochverrats, im Dezember erhielt sie Hafturlaub, womöglich auf Veranlassung von Goebbels oder Hitler. Zum Prozess kam es nie.

Ihr Freund, der Philosoph und Schriftsteller José Sánchez de Murillo, der in ihr die Ikone seiner Weiblichkeitslehre sah, führt in seiner im Fischer Verlag erscheinenden Biographie, unterstützt von Luise Rinsers Sohn Christoph, so redlich wie schweren Herzens aus, dass ihre Verstrickung noch viel weiter reichte, als vermutet worden war. Das bitterste Detail besteht darin, dass die Junglehrerin ihre bevorzugte Stellung offenbar der Denunziation ihres jüdischen Schulleiters verdankte. Bei ihr liest sich das in gewundenen Formulierungen anders. Ich "lud dabei eine Schuld auf mich, die niemand mir als Schuld abnimmt und die ja auch keine war und die aller Vernunft zum Trotz mich dennoch bis heute belastet". Unter Gewissensbissen und Depressionen hat sie zweifellos gelitten, aber das hat sie nicht davon abgehalten, sich nach 1945 als Widerstandskämpferin zu erfinden. Nina Buschmann ist die, die Luise Rinser im Nachhinein gern gewesen wäre.

Nach der "Umkehr von Traunstein", so Sánchez de Murillo, habe sie sich fürderhin "in den Dienst der Menschheit und der sozialen Gerechtigkeit" gestellt. In ihrer Autobiographie habe sie nicht ihr Leben erzählt, sondern "die Legende von der zierlichen und zugleich starken Frau, die sich dem Drang der Männerwelt nach Macht, Krieg und Herrschaft mutig entgegenstellt". Diese Rolle hat sie als Diva der Friedensbewegung glanzvoll verkörpert, mit dem Höhepunkt ihrer Nominierung zur Wahl des Bundespräsidenten durch die Grünen 1984.

"Umkehr" trifft die Sache aber nicht in ganzem Umfang. Luise Rinser, das ewige Mädel, hat nämlich wie zwanghaft immer wieder ihre Bewunderung großer Führer und charismatischer Herrscher bekannt. In "Winterfrühling" (1981) in zweideutigem Gebrauch des "wir", indem sie der Menschheit überhaupt einen autoritären Charakter unterstellt: "Unser aller geheimer und offener Wunsch, der Eigenverantwortung enthoben zu sein, einem Kollektiv-Gewissen gehorchen zu dürfen, zu dienen, ohne zu denken, aufgehoben zu sein in der Ordnung, nicht so entsetzlich frei zu sein, so fehlbar durchs eigene Gewissen, so scharf gefordert zu einsamen Entscheidungen, so dem Zweifel hingeworfen. Einen Führer wollen wir, einen Papst, einen Guru, einen guten Diktator."

In ihrem Bericht aus dem sozialistischen Paradies Nordkorea, das sie 1980 und 1981 bereiste, lässt sie ihrer autoritären Neigung ungeschützt freien Lauf. Der Diktator Kim Il-sung erscheint ihr als "eine Vaterfigur, mit einer starken und warmen Ausstrahlung, ganz in sich ruhend, heiter, freundlich, ohne Falschheit, mit gelassenen Bewegungen und ruhigem Blick, ganz einfach, ohne jedes Imponiergehabe, witzig und humorvoll auch". Das patente deutsche Mädel aber stellt ihm "hochpolitische" Fragen und ist dann mit den Antworten sehr zufrieden. In Nordkorea scheint sie bis hinein in die hübsch geknoteten Halstücher der jungen "Pioniere" den "Geist der Gemeinschaft" wiederzufinden, der "verlangt, dass man sein Bestes gibt und dem Staat keinen Schaden zufügt und dass man der Revolution nicht in den Rücken fällt". Hier herrscht das "Gesetz der Milde", selbst der Gefängnisdirektor ist "ein Vatertyp, warmherzig, freundlich, offen", und Kim Jong-il, der Sohn und designierte Nachfolger des Diktators, ein "musischer junger Mensch", der natürlich Luise Rinsers Bücher gelesen hat.

Schließlich schreckt die "Linkskatholikin" mit dem vertrauten Verhältnis zu ihrem Gott und dem erotischen Beuteschema zölibatärer Gottesmann, gern auch Dalai Lama, nicht davor zurück, den totalitären Staat religiös zu verklären. "Christus ist ausgewandert nach Nordkorea." Den lieben Gott und den heiligen Geist hat er offenbar mitgenommen. Im Diktator erkennt sie "einen Vater, der alles sieht und alles hört und alles überwacht und allgegenwärtig ist". So ist es kein Wunder, dass die Begegnung sie "mit Kraft aufgeladen" hat: "Ich glaube wieder an die Zukunft der Menschheit." Zugleich wird ihr "die gründliche Verdorbenheit der westlichen Welt erschreckend deutlich". Berichte über Säuberungen und die Verfolgung und Ermordung von Oppositionellen unter Kim Il-sung glaubt sie nicht, denn die westlichen Massenmedien "sind gleichgeschaltet". Und auch das mag sie von Goebbels gelernt haben: Die Presse ist "das wirksamste Mittel, die Massen zu belügen". In Nordkorea gibt es das nicht, "das Volk lebt in friedlicher Unwissenheit".

1990 schmerzt sie der "Ausverkauf der DDR". Dem "lieben Erich Honecker" hatte sie 1988 angesichts des "charismatischen Gorbi" einen mahnenden Brief geschrieben und gebeten, ihr die Freundschaft nicht zu kündigen. Dass "die leidige Mauer" auch ein Bollwerk gegen den verdorbenen Westen ist, wie in Honeckers "freundlichem, klugem Antwortbrief" stand, hatte ihr eingeleuchtet. Dann ist die Mauer weg, und sie spöttelt, sie hätte sich das spektakulärer gewünscht, mit Dynamit zu Musik von Wagner. Mit dem "manipulierten Mob" ist sie auch nicht zufrieden. So fragt sie sich, ob ihre Menschenliebe nicht "Kompensation meiner Menschenverachtung" ist, was wie zwangsläufig auf die Verehrung der großen Führer verweist. "Hitler, der Retter, das Heil, und dann: das Tier, der Wahnsinnige, der Teufel. Mao, der Große. Lenin, der Große. Und dann dreht der Wind: man verweigert ihnen die Stätte der Beisetzung. Der ehemals fast göttlich Verehrte wird hinausbefördert." Da versteht sie "den Zynismus der echten Diktatoren".

Und die große Luise Rinser? Neun Jahre nach ihrem Tod und kurz vor ihrem hundertsten Geburtstag am 30. April hat sich der Wind gedreht. Die junge Generation, der sie sich zeitlebens zugehörig fühlte, kennt kaum noch ihren Namen und scheint wenig Bedarf an charismatischen literarischen Weltenretterinnen zu haben. Rinsers "Nordkoreanisches Reisetagebuch" erschien bis 1984 in zahlreichen Auflagen. Ob die Politiker der Grünen es vor der Präsidentenwahl gelesen hatten? Hoffentlich nicht. Es könnte ihnen, wie anderen Verehrern dieser merkwürdigen Heiligen, sonst ein Satz von Herta Müller ins Stammbuch geschrieben werden. "Kein Verbrechen ist groß genug, um Diktatoren einsam zu machen."

FRIEDMAR APEL

José Sánchez de Murillo: "Luise Rinser". Ein Leben in Widersprüchen.

S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2011. 464 S., geb., 22,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.04.2011

Am Herdfeuer der Leidenschaft
Vor 100 Jahren wurde Luise Rinser geboren. Die neue Biografie über die Schriftstellerin ist überaus freundlich
In jeder Epoche gibt es mindestens eine Luise Rinser. Deshalb ist uns diese Schriftstellerin, die in der alten Bundesrepublik zu den am meisten gelesenen gehörte, gar nicht so ferngerückt. Ihre Mischung aus weiblicher Weltsicht, Gefühl und Mystizismus wirkt todsicher noch heute. Der Lebenslauf der vor 100 Jahren, am 30. April 1911, in Pitzling bei Landsberg am Lech geborenen Bayerin ist so spektakulär, dass die jetzt zu diesem runden Gedenktag erschienene Biografie schon allein durch die äußeren Daten Eindruck macht. Dem spanischen Philosophen José Sánchez de Murillo, der in München das „Edith Stein Institut“ für Tiefenphänomenologie gegründet hat, geht es jedoch auch stark um innere Daten. Damit entspricht er seiner Heldin durchaus. Das aber ist zugleich das Problem dieses Buches.
Rinser lebte offensiv. Sie bekam ein uneheliches Kind, nachdem sie ein paar Tage lang in den frühen vierziger Jahren als Drehbuchschreiberin bei der Ufa in Berlin war und in der nazistischen Film- und Künstlerszene verkehrte. Direkt nach dem Krieg wirbt ein amerikanischer Jude, der in München auftaucht, um ihre Hand, ebenso der hohe kommunistische Funktionär Johannes R. Becher. Sie hat eine leidenschaftliche Affäre mit dem jüdischen Amsterdamer Exilverleger Fritz Landshoff, heiratet aber in den fünfziger Jahren den urbayerischen, die deutsche Tiefe weit auslotenden Komponisten Carl Orff.
Es geht kreuz und quer. In den sechziger Jahren hat sie zwischen Erotik und geistlicher Transzendierung recht prekär pendelnde Beziehungen zu hohen katholischen Würdenträgern: der Benediktinerabt Johannes M. Hoeck wird von ihr genauso verehrt und offenkundig auch bedrängt wie der berühmte intellektuelle Jesuit Karl Rahner, den sie, wie der Biograf ziemlich deutlich aufblitzen lässt, in ungeahnte zölibatäre Nöte bringt. Noch um einiges später schließlich, von 1980 an, beginnt sie, den nordkoreanischen Diktator Kim Il Sung zu verehren, reist des öfteren in diese extravagante Spielart des Kommunismus und schreibt völlig begeisterte Artikel darüber.
Hier rast das zwanzigste Jahrhundert wirklich von einem Extrem ins andere. Ein Grundmotiv ist sicher, dass sich Rinser von Männern mit Macht ungemein angezogen fühlt, parallel dazu aber auch selbst eine starke Ausstrahlung entwickelt. Der Schriftsteller Michael Kleeberg, der vor einigen Wochen im Spiegel einen kritischen Essay über sie publizierte, erinnert sich: „Wachheit, Koketterie, Eitelkeit, Launen, alles perfekt kontrolliert, zugleich besaß sie so etwas wie eine Aura.“
Die Hitlerbegeisterung der 22-Jährigen ist bei alldem weniger spezifisch als die Briefe, die sie wenige Jahre später an den Stahlhelm-Auratiker Ernst Jünger schreibt. Hier übt sie ihre weiblich-aktive Rolle bereits auffällig ein, und es ist ein Verdienst der Biografie von Sánchez, viele solcher zum Teil bisher ungedruckten Fundstücke ausgiebig zu zitieren. Rinser hat Jüngers „Marmorklippen“ gelesen und sucht um 1940 herum Anschluss an die herrschende Literatur: „Allein ich bin ein Mensch, der noch nicht die Möglichkeit bekam, seine Spannung auszumessen und zu vergeben, darum suche ich – auch aus der Witterung der Frau für die Nähe der männlichen Gefahr – die ‚Mitte‘ Ihres Buches.“
Jünger zeigt sich geschmeichelt, trifft sich auch mit ihr, hält aber wohl doch die letzte Distanz. Später wirft Rinser ihm vor, er trage die Schuld an der Scheidung von ihrem ersten Mann: „Als ich Ihre Bücher las und Sie dann kennenlernte, wurde ich plötzlich meines Wesens mir bewusst, meiner Kraft und Härte, und da wurde ich unzufrieden mit meinem weichen und schwachen Mann.“ Die Faszination durch Jünger hindert sie aber nicht daran, gleichzeitig den Briefkontakt mit Hermann Hesse in der Schweiz zu suchen – Hesse nimmt die Gegenrolle zu Jünger ein, er verkörpert den moralisch hochstehenden, väterlichen Freund.
Die Erklärung für alle diese scheinbaren Widersprüche bei Luise Rinser lautet für den Biografen vor allem: sie „lebt“. Dies ist das Schlüsselwort für Sánchez de Murillo, er legt es an den verschiedenen Stationen mit Verweisen auf theologische und philosophische Versatzstücke auch eingehend aus. Die Enge ihres katholischen Elternhauses hebt er hervor, den Druck, der auf sie ausgeübt wird, als sie heiraten will – Lehrerinnen durften in der Weimarer Republik und in der Nazizeit nicht verheiratet sein, das wird für die junge Luise Rinser zum ersten großen Konflikt. Sie schreibt als Junglehrerin 1933 und 1934 glühende Gedichte der Hitlerverehrung, wird aber gegen Ende des Krieges nach der Denunziation einer Freundin wegen „Wehrkraftzersetzung“ inhaftiert. Es wirkt durchaus glaubwürdig, dass sie auf die Ausstellung „Entartete Kunst“ 1937 in München sehr emotional reagiert und sich dadurch zu gefährden droht.
José Sánchez de Murillo verschweigt die beiden wunden Punkte in Rinsers Biografie nicht: ihre frühen Hitlergedichte und die Phase fanatischer Nazibegeisterung werden ebenso referiert wie die Tatsache, dass sie bis zuletzt den Vater ihres zweiten, einem One-Night-Stand im Nazi-Filmrausch-Milieu entsprungenen Sohnes verschwieg. Luise Rinser geht in ihren verblüffenden Verdrängungsleistungen über den deutschen Durchschnitt hinaus. Ihre frühen Veröffentlichungen in der Blut- und Boden-Zeitschrift Herdfeuer will sie später nicht mehr wahrhaben und streitet alles ab, obwohl sie schon in den siebziger Jahren mit den betreffenden Dokumenten konfrontiert wird.
Eine starke Impulsivität und Selbstbezogenheit attestiert ihr auch ihr Biograf, der mit ihr in ihren letzten Lebensjahren eng befreundet war. Aber er sieht selbst in Luise Rinsers Verfehlungen ihre „Tiefe“. Das ist ein Wort, auf das er immer wieder zurückkommt: „Auch hier dachte Luise Rinser tiefer“, oder: „Unser Gespräch erreichte ungeahnte Tiefen.“ Am Anfang des Buches, in den Passagen über Kindheit, Pubertät, Schule und Ausbildung, muss man stellenweise das Schlimmste befürchten: „Ihr Leben ist ungewöhnlich reich an Liebeserfahrungen. Und sie liebt stets in großem Stil“. Allerdings: „Ihr Eros wird durch die Vergeistigung des Mannes geweckt“, und Sánchez versetzt sich spürbar in ihren „Kampf ums Selbstsein im Chaos der Triebe und Leidenschaften“.
Der Biograf hält ihrer Anfälligkeit für die Nazis etwas Ursprünglich-Katholisches entgegen, das viel stärker gewesen sei. So kann er auch ihre herausgehobene Funktionärsrolle als Nazi-Ausbilderin von Lehrerinnen und BDM-Führerin letztlich bagatellisieren, selbst Gedichtzeilen wie „Wir, des großen Führers gezeichnet Verschworene“ oder: „Kühl, hart und wissend ist dies wahre Geschlecht, /Nüchtern, und heiliger Trunkenheit voll. / Tod oder Leben, ein Rausch, gilt uns gleich – / Wir sind Deutschlands brennendes Blut!“
Luise Rinser steht da in einer sehr spezifischen deutschen Tradition. Sánchez aber greift, wie damals das Gros der „inneren Emigranten“, bloß in eine schäbige alte Mottenkiste: Hitler sei ein Dämon gewesen, der das unschuldige deutsche Volk wie auch die unschuldig-leidenschaftliche Luise Rinser arglistig getäuscht habe: „Wie eine Schlange lauerte er seiner Beute auf und biss zu, wenn er ihrer sicher war.“ Der Wert dieses Buches liegt vor allem im Material, das es ausbreitet. Dass die literarischen Qualitäten von Rinsers Werk sehr augenblicksbezogen waren, ahnte man schon immer. Ihre Biografie hingegen ist ein ungewöhnlicher Spiegel des Jahrhunderts, bis hin zu der Tatsache, dass sie in den siebziger Jahren als Parteigängerin Willy Brandts auftrat und 1984 von den Grünen als Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten aufgestellt wurde.
Luise Rinser hat eine zweibändige Autobiografie veröffentlicht, die so vieles schönt, dass Sánchez sehr viel Argumentationsrhetorik aufwenden muss, einen besonderen „literarischen Charakter“ hervorzuheben. Sie spricht gern davon, dass sie sich in kosmische Zusammenhänge eingebunden fühle, „von Urkräften getragen“ – vielleicht ist die Quintessenz ihres Biografen doch am trefflichsten: „Die allgemeine Stimmung in Deutschland fasst sie zusammen mit einem Wort: ‚Wir lebten.‘“
HELMUT BÖTTIGER
JOSÉ SÁNCHEZ DE MURILLO: Luise Rinser. Ein Leben in Widersprüchen. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2011. 464 Seiten, 22,95 Euro.
Von Hitler bis Kim Il Sung –
Männer mit Macht scheinen
Luise Rinser angezogen zu haben
Sie fühlte sich „von Urkräften getragen“ und schwankte zwischen den Extremen des zwanzigsten Jahrhunderts: Luise Rinser (1911-2002) Foto: Sven Simon
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Allemal eine Biografie wert sei das Leben der Luise Rinser gewiss. Ob nun allerdings ein Freund ihrer späten Jahre und Gründer des "Edith Stein Instituts" für Tiefenphänomenologie wie Jose Sanchez de Murillo sie schreiben musste, da hat Rezensent Helmut Böttiger denn doch seine Zweifel. Lesenswert findet er den Band dennoch, vor allem des darin ausgebreiteten Materials wegen. Und immerhin suche der Biograf zwar nach allerlei Entschuldigungen für das frühe Nazi- und Hitler-Geglühe der Rinser, verschweigen oder bestreiten (wie vorzugsweise sie selbst) will er es immerhin nicht. Und ein Phänomen sei der Lebenslauf der Autorin, die starke und charismatische Männer auf aktive, wenn nicht bedrängende Weise zu bewundern ihr Leben lang nichts unterließ, ganz ohne Frage. Sie brachte den Jesuiten Karl Rahner auf dem Gebiet der Erotik ins Schwitzen, sie schwärmte unbeirrbar für den nordkoreanischen Diktator Kim Il-Sung und wurde von den Grünen in den Achtzigern zielsicher als Präsidentschaftskandidatin nominiert. Die literarischen Werke seien gewiss - Böttiger bleibt höflich - "sehr augenblicksbezogen". Als "pars pro toto" eines deutschen Jahrhunderts werde Rinser aber auch in dieser sehr beschönigenden Biografie sichtbar.

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