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In den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts bewegen sich zwei wenig bekannte Reisende auf die für Europäer noch immer sagenhafte Stadt Timbuktu zu: der eine ist Major Alexander Gordon Laing, der eine Karawane von Tripolis aus durch die Sahara führt, der andere ist René Caillié, von niemandem beauftragt und von niemandem unterstützt, der als Moslem, allein und mit wechselnden Begleitern, von Senegal her den Niger zu erreichen sucht. Bald hintereinander, 1826 und 1828, gelangen beide in die begehrte Stadt und verlassen sie bald wieder, der eine erreicht nach unerträglichen Strapazen Marokko und dann…mehr

Produktbeschreibung
In den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts bewegen sich zwei wenig bekannte Reisende auf die für Europäer noch immer sagenhafte Stadt Timbuktu zu: der eine ist Major Alexander Gordon Laing, der eine Karawane von Tripolis aus durch die Sahara führt, der andere ist René Caillié, von niemandem beauftragt und von niemandem unterstützt, der als Moslem, allein und mit wechselnden Begleitern, von Senegal her den Niger zu erreichen sucht. Bald hintereinander, 1826 und 1828, gelangen beide in die begehrte Stadt und verlassen sie bald wieder, der eine erreicht nach unerträglichen Strapazen Marokko und dann Frankreich, der andere bleibt verschollen.Diese historischen Ereignisse verwandeln sich bei Thomas Stangl in eine Phantasie von außerordentlicher Sprachgewalt. 3000 Jahre Geschichte des Raumes zwischen Mittelmeer und Sudan werden erzählt, Mythen, Sagen, Legenden mischen sich mit historischer Überlieferung, ausgreifende Essays über die mannigfaltigen Projektionen der Europäer von Herodot bis
Leo Frobenius durchziehen den Roman um die beiden 'Abenteurer'.Ins Unbekannte aufbrechen, ein Wagnis auf sich nehmen, denkend phantasieren - mit einem Wort: erzählen. In einer enormen Bilderflut, mit weit ausholenden Sätzen von großer Dichte und Suggestivität, stellt Thomas Stangl eine Wirklichkeit her über die Sehnsucht nach dem Unbekannten, am Schnittpunkt zwischen Kolonialismus und privatem Wahn, einen Abenteuerroman nach dem Ende aller Abenteuerromane - bei dem das eigentliche Abenteuer sich von Satz zu Satz vollzieht. 'Wie konnten die Menschen träumen, bevor ihnen die Technik zeigte, wie ein Bild auf das andere folgt, eine Einstellung die andere ersetzt?'
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.03.2004

Alle Wege führen nach Timbuktu
Thomas Stangls grandiose Reise Von Tilman Spreckelsen

Die beiden Reisenden haben dasselbe Ziel und reisen fast gleichzeitig: 1826 erreicht der Schotte Alexander Gordon Laing die sagenhafte Stadt Timbuktu, 1828 der Franzose René Caillié. Doch während Laing in offizieller Mission und mit Begleitung unterwegs ist, reist Caillié allein und als Araber verkleidet, immer in Gefahr, entdeckt und womöglich erschlagen zu werden. Nach seiner Rückkehr erhält er für seine Nachrichten aus Timbuktu eine hohe Prämie der Geographischen Gesellschaft Frankreichs. Laing wird auf dem Rückweg ermordet.

Die Reisewege der beiden kaum mehr bekannten Forscher bilden das Gerüst für das außergewöhnliche Debüt des Wiener Autors Thomas Stangl. Sein Roman "Der einzige Ort" zeichnet die Glücksmomente und Strapazen, die Wartezeiten und mühsamen Wanderungen nach, ohne sich im Detail zu verlieren oder den Rhythmus seines Erzählens der Reisegeschwindigkeit anzugleichen, ohne sich im geringsten an ausufernden Abschweifungen hindern zu lassen, die sich der Landschaft, den Mythen und der Entdeckungsgeschichte Nordwestafrikas widmen - sein Roman behält, darin etwa Michael Roes' "Leerem Viertel" vergleichbar, neben den geschilderten Reisen immer auch die früherer Forscher im Auge und beschwört so den Mythos der Stadt, die Caillié und Laing in der Wüste suchen, durch die Jahrhunderte herauf.

Denn natürlich stehen die eher vagen Handelsinteressen der Reisenden vollständig im Schatten jener gewaltigen Attraktion, jener durch keine Empirie gedeckten Verheißung, die der Name der malischen Stadt seit dem Mittelalter für europäische Ohren in sich birgt. Und Stangl stellt dieses Wechselspiel aus zäher Begierde und zunehmender Erschöpfung in Caillié und Laing in den Mittelpunkt seines Romans; er beschreibt, was die beiden Forscher vorantreibt, ohne es zu analysieren; er malt aus, wo seine Vorlagen in dürren Worten - wenn überhaupt - ein paar äußere Ereignisse der Reise schildern, und seine nüchterne Einfühlung in die beiden Europäer der frühen Biedermeierzeit gehört zum Besten, was im historischen Roman überhaupt erreichbar ist.

Da sind etwa die Szenen im Haus des englischen Konsuls von Tripolis, in dem Laing notgedrungen viele Tage verbringen muß, während er auf die Entscheidung über seine Reise wartet. Dabei entwickelt er eine schüchterne Augenliebe mit Emma, der Tochter des Konsuls, und daß dieses Gefühl offenbar erwidert wird, hat nicht zuletzt mit Laings Erzählungen von seinen früheren Reisen zu tun. Stangl schildert die zögerliche Entwicklung dieser Liebe mit präziser Distanz und gestattet sich dabei höchstens einen Hauch von Trauer, obwohl doch Emmas Eltern vor Laings Abreise in die Verbindung einwilligen. Denn die Liebenden, die sich bis zu diesem Zeitpunkt kein einziges Mal allein gesehen haben (und daher fortwährend herausfinden müssen, was an Andeutungen, an Nähe, an Berührungen vor den Augen der Eltern noch möglich ist), werden auch während Laings Expedition niemals Botschaften austauschen können, die nur für den jeweils anderen bestimmt sind, nur von ihm gelesen werden können. So stellt sich für den schottischen Forscher immer drängender die Frage, warum er sich all dies eigentlich zumutet, statt nach Tripolis zurückzukehren.

Die andere Expedition, Cailliés Reise, kennt diese Schwierigkeiten nicht, sie hat mit anderen zu kämpfen: mit den Reaktionen der Einheimischen auf den Fremden vor allem, die zwischen hilfreicher Zuneigung und schroffer Verachtung schwanken, mit der andauernden und peinigenden Frage, welches Bild der abgerissene Europäer, der so dringend für einen Araber gehalten werden möchte und deshalb monatelang die Sprache des Islams gelernt hat, in den Augen der anderen hinterläßt. Stangl hütet sich, diese Frage zu beantworten. Und setzt mit dieser klugen Entscheidung den Schlußpunkt unter einen grandiosen Roman.

Thomas Stangl: "Der einzige Ort". Roman. Literaturverlag Droschl, Graz 2004. 408 S., geb., 25,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.07.2004

Timbuktu sehen
Thomas Stangls glänzendes Romandebüt „Der einzige Ort”
Durch die Wüste oder ins ewige Eis: der zeitgenössische Roman ist auf die Expedition gekommen, die aus dem genormten Alltag der Moderne in die Unmittelbarkeit existentieller Grenzerfahrungen führt. Auf den ersten Blick scheint auch der 1966 geborene Wiener Thomas Stangl solch kalkuliertem Exotismus Tribut zu zollen: „Der einzige Ort” heißt sein Erstling, dessen Titel mit dem ultimativem Attribut an Ransmayrs „Letzte Welt” oder Schrotts „Finis Terrae” erinnert. Doch dann kommt es anders. Stangl hat zwar einen ethnographischen Abenteuerroman vorgelegt, aber in klugen Exkursen gerade jene Missverständnisse thematisiert, die der Exotismus als kulturelles Rahmenprogramm des Kolonialismus populär gemacht hat.
Der einzige Ort ist Timbuktu, die sagenhafte Stadt im Inneren Afrikas, die zu finden sich 1820 unabhängig voneinander zwei Forscher aufmachen, ein schottischer Major und ein französischer Abenteurer. Major Alexander Gordon Laing strebt Temboctou mit einer Karawane durch die Sahara zu, René Caillié will aus dem Senegal in das Gebiet des Niger vordringen. Der eine trifft dort, beschädigt an Körper und Seele, 1826 ein, der andere, gleichermaßen versehrt fürs Leben, zwei Jahre später.
Die „goldgepflasterten Straßen”, von denen sich die Europäer, krank danach, afrikanische Reichtümer in Besitz zu nehmen, Wundersames erzählten, die „kristallenen Pfeiler und Mauern und glockenklingenden Pagoden”, an denen sich die Habgier der frommen Christenmenschen entzündete, haben beide nicht gefunden. Timbuktu, alles in allem, erwies sich als Enttäuschung, die Stadt der Sehnsucht war weder so schön noch so reich, wie man sie sich im Paris oder London der Ära des heraufdämmernden Kolonialismus vorgestellt haben mochte.
Gleichwohl geht von Timbuktu ein düsterer Sog aus, dem Laing wie Caillié erliegen; der Schotte wird nicht mehr nach Hause zurückfinden, der Franzose sich zu Hause nicht mehr zurechtfinden. Laing stirbt irgendwo, Caillié, triumphal empfangen, kommt sich in der Zivilisation abhanden. Er wird zwar zum Ritter der Ehrenlegion geschlagen und gelangt zu Reichtum, aber das alles kann er, obwohl als Waisenkind aufgewachsen und vom Aufstieg in die gute Gesellschaft besessen, nicht mehr genießen: „er steht neben sich und beobachtet, wie ihm die Dinge widerfahren, auf die er sein Leben lang gewartet hat; er sieht darauf voraus, wie sie ihm wieder entgleiten werden.”
Thomas Stangl ist ein Beschreibungskünstler von Graden, ein geschickter Kompositeur - und ein Erzähler, der mit seiner Bildung nicht prunkt, sondern sie zu faszinierenden Exkursen in die 3000-jährige Kulturgeschichte des Raumes, zu philosophischen und politischen Abschweifungen nutzt. Er hat die historischen Quellen, zu denen auch Schriften von Major Laing wie René Caillié selber gehören, so genau studiert, dass er mit ihnen spielen kann, ohne sie zu verraten.
Die ungeheuren Strapazen, die die beiden Reisenden auf sich nahmen, weiß er mit geradezu schmerzender Eindringlichkeit zu schildern. Caillié, der sich arabischen Händlern und Schmugglern angeschlossen hat, wird vom Skorbut befallen: „Sein Mund ist eine einzige Wunde, er glaubt manchmal, ihm würden hier schon entscheidende Körperteile (Kiefer- und Wangenknochen, Teile des Gaumens, des Zahnfleisches, er weiß nicht genau) einfach fehlen... Das Kauen schmerzt ihn nicht nur, es verletzt ihn; er meint an den eigenen Knochen zu nagen, wenn er bloß an einer Yamswurzel nagt; er greift in seinen Mund und zieht ein längliches Knochenstück aus seinem Gaumendach, das dem Gefühl nach eine Verbindung zu seinem Gehirn darstellt, in seinem Gehirn steckt.”
Sinnlich einprägsame Passagen finden sich über das ganze Buch reichlich verstreut. Stangl nimmt sich für die körperlichen Wahrnehmungen seiner Protagonisten ebenso viel Zeit wie für detailversessene Beschreibungen der afrikanischen Natur. Und er unterbricht den Erzählfluss immer wieder, um auf die Ebene des Diskurses zu wechseln und dort von Jorge Luis Borges zu Victor Segalen zu springen, vom Ritter John de Mandeville, der im 14. Jahrhundert seine phantasierten Reisen zu den höchsten Bergen und tiefsten Tälern der Welt niederschrieb, zu Leo Frobenius, dem Afrikaforscher des Führers, der im Tropenanzug und mit Geländewagen durch Deutschland fuhr und in hunderten Vorträgen sein vermeintlich zivilisiertes Publikum mit Schauergeschichten aus der Welt der Naturvölker unterhielt.
Solcher Wechsel vom Erzählen zum Erläutern, vom Gestalten zum Kommentieren kann ein Prosawerk ruinieren. Stangl aber hat das seltene Talent, alles, was er weiß, mit leichter Hand dem Romangeschehen zu integrieren; und er weiß viel. Weil er gerade auch in den vielen Exkursen überzeugt, ist ihm ein glänzendes Debüt gelungen.
KARL-MARKUS GAUSS
THOMAS STANGL: Der einzige Ort. Roman. Literaturverlag Droschl, Graz 2004. 405 Seiten, 25 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Andreas Langenbacher hat dieses Romandebüt des österreichischen Autors Thomas Stangl sehr gefallen. Darin werden zwei Reisende beschrieben, die, ohne vom anderen zu wissen, um 1820 die afrikanische Wüstenstadt Timbuktu zu erreichen und zu erkunden suchen, fasst der Rezensent zusammen. Die "ausholenden, aber disziplinierten" Schilderungen erinnern an die Reisegeschwindigkeit einer Karawane, findet Langenbacher. Er lobt Stangl, weil er die "Innenansicht des europäischen Exotismus" im 19. Jahrhundert und das beginnende Interesse an der Kolonialisierung Afrikas zu Tage treten lasse. Besonders interessiert den Rezensenten aber, dass es dem Autor in seinem Roman gelingt zu demonstrieren, dass jedes "ernsthafte" literarische Projekt auch immer die Suche nach einem unbekannten Ort ist und etwas von "existentiellem Exotismus" aufweist.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Ein grandioser Roman. Stangls nüchterne Einfühlung in die beiden Europäer der Biedermeierzeit gehört zum Besten, was im historischen Roman überhaupt erreichbar ist." -- FAZ