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Micah Mortimer liebt Gewohnheiten, Selbstgespräche und eine ordentliche Wohnung. Jeden Tag beginnt er mit einem Morgenlauf um 7.15 Uhr, duscht, frühstückt und widmet sich anschließend geduldig den Computerproblemen seiner Kunden aus der Nachbarschaft. Nachmittags ist er im Nebenjob Hausmeister und kümmert sich um das Mietshaus, in dem er wohnt; ein paar Abende die Woche verbringt er auf der Couch seiner unkomplizierten Freundin Cass. Doch dann droht Cass die Wohnungskündigung, und sie möchte bei ihm einziehen. Und ein Teenager taucht auf, der behauptet, sein Sohn zu sein.

Produktbeschreibung
Micah Mortimer liebt Gewohnheiten, Selbstgespräche und eine ordentliche Wohnung. Jeden Tag beginnt er mit einem Morgenlauf um 7.15 Uhr, duscht, frühstückt und widmet sich anschließend geduldig den Computerproblemen seiner Kunden aus der Nachbarschaft. Nachmittags ist er im Nebenjob Hausmeister und kümmert sich um das Mietshaus, in dem er wohnt; ein paar Abende die Woche verbringt er auf der Couch seiner unkomplizierten Freundin Cass. Doch dann droht Cass die Wohnungskündigung, und sie möchte bei ihm einziehen. Und ein Teenager taucht auf, der behauptet, sein Sohn zu sein.
Autorenporträt
Anne Tyler, geboren 1941 in Minneapolis, Minnesota, ist die Autorin von zahlreichen Romanen. Sie erhielt den Sunday Times Award für ihr Lebenswerk sowie den Pulitzerpreis. Sie ist Mitglied der American Academy und des Institute of Arts and Letters. Bei Kein & Aber erschienen mehrere Romane von Anne Tyler. Mit ihrem Roman Der leuchtend blaue Faden stand sie auf der Shortlist des Man Booker Prize und des Women¿s Prize for Fiction, mit Der Sinn des Ganzen auf der Longlist des Booker Prize. Anne Tyler lebt in Baltimore. Michaela Grabinger hat für Kein & Aber u. a. mehrere Romane von Elif Shafak, Helen Simpson sowie zuletzt Anne Tylers Launen der Zeit übersetzt.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Werner von Koppenfels mag die Durchschnittsamerikaner mit ihren Alltagsgeschichten, von denen Anne Tyler auch in ihrem inzwischen dreiundzwanzigsten Roman erzählt. In diesem Fall geht es um Micah, einen alleinlebenden Hausmeister und Computerfachmann mittleren Alters, der sich mit Selbstgesprächen und kleinen Spleens weitgehend von der Welt abschottet bis eine außergewöhnliche Begebenheit sein Leben aufmischt: Der pubertäre Sohn einer Exfreundin steht plötzlich vor Micahs Tür und sorgt für trouble, resümiert der Kritiker. Kuriose Nebenfiguren steigern das Lesevergnügen des Rezensenten - was er leider nicht von der deutschen Übersetzung behaupten kann: Offenbar "unter Zeitdruck entstanden" mangele es gelegentlich nicht nur an der Tylerschen "Prägnanz und Lakonik", meint er.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.05.2020

Totales Chaos
Anne Tylers dezentes Biedermeier-Porträt „Der Sinn des Ganzen“
Das sind die Nothelfer unserer Tage: Die Leute, die man anrufen kann, wenn der Computer streikt und die einen dann nicht am Telefon mit unverständlichen Anweisungen plagen, sondern gleich vorbeikommen. So einer ist Micah Mortimer, 43, Junggeselle, der neben der Computerei noch einen Hausmeisterjob in Baltimore erledigt. Seine Einmann-Firma hat er „Tech-Eremit“ genannt, und auch sein Leben hat etwas Eremitenhaftes. Sein Tages- wie sein Wochenlauf ist penibel durchgeplant; wann er joggt und welche Runde, wann der „Staubsaugetag“ ist (Freitag) und wann der „Bodenwischtag“ (Montag): All das steht unverrückbar fest und gibt seinem Leben Halt und Struktur. Micah hat also eine kleine Zwangsneurose, aber darunter leiden weder er noch sein Umfeld, allenfalls macht es sich ein wenig lustig.
Anne Tyler begleitet ihren Helden durch seinen Arbeitstag, zu seinen Kunden, die er meist mit wenigen Handgriffen aus tiefster Verzweiflung zu euphorischer Dankbarkeit bewegt; zum feierabendlichen Treffen mit seiner Freundin Cassie, einer Lehrerin, (er hält sie auf Distanz, denn er findet es „unschön, wenn man Tag und Nacht mit einer Frau zusammen lebte“); und zu Familientreffen. Micah hat vier Schwestern, dazu Schwäger, Nichten und Neffen, eine muntere, laute, chaotische Truppe, in der er es nie lange aushält.
Ein unspektakuläres Leben, das jede Aufregung und Abweichung zu vermeiden sucht. Als einzige kleine Extravaganz leistet sich Micah Selbstgespräche beim Putzen und Autofahren, manchmal mit fremdländischem Akzent. Selbst seine Erfinderin gibt sich angesichts dieser Romanfigur einigermaßen ratlos: „Man wüsste wirklich gern, was im Kopf eines Mannes wie Micah Mortimer vor sich geht.“ So lautet der Eingangssatz von „Der Sinn des Ganzen“, und er wird kurz vor Schluss fast wortgleich wiederholt.
Wer aber, wenn nicht sie, müsste das wissen? Es ist natürlich eine rhetorische Frage, ein gespieltes Sich-Wundern. Denn in seinem Kopf bewegen wir uns schon lange, und im Verlauf des schmalen Romans erfahren wir alles, was es über den Ursprung von Micahs Sonderlichkeit zu wissen gibt. Elternhaus und Kindheit: ein vollkommenes Durcheinander. Das Studium: abgebrochen; Micah war die Aufstiegshoffnung seiner Familie und hat sie enttäuscht. Sein Ehrgeiz: Dass alles so bleibt, wie es ist. Sein Weltbild: tiefschwarz. „Im Grunde hatte er sein Land aufgegeben“.
Es ist kein wohlhabendes Milieu, in dem er sich bewegt; seine Kunden sind Leute, die eben so über die Runden kommen. Seine Freundin Cassie hat einen Schüler, der mit seiner Großmutter in einem Auto lebt. Micah selbst kann auf keine Rente hoffen, und im Grunde weiß er, dass er auch innerlich „nur einen Staubsaugtag vom totalen Chaos entfernt“ ist. Dieses Chaos zu entfesseln wäre für manchen Autor eine wahre Lust. Nicht für Anne Tyler, dazu hat sie ein zu ausgeglichenes schriftstellerisches Temperament, und dazu sympathisiert sie mit ihren Figuren viel zu sehr. So erschüttert sie die Zwangsidylle ihres Helden („im Grunde war sein Leben schön“) auch nur mit sanfter Hand. Es passiert nichts, was sich nicht einrenken ließe, und es renkt sich tatsächlich wieder ein, auch deshalb, weil Micah einmal die richtigen Worte findet.
Die findet Anne Tyler auch. In ihrem Roman zieht ein Reigen kurioser, liebens- oder bemitleidenswerter Gestalten an uns vorbei, gut erfunden, treffend gezeichnet; aber beim Weiterblättern sind sie bald wieder vergessen. Allenfalls Micah wird eine längere Verweildauer im Lesergedächtnis vergönnt sein; als eine jener Durchschnittsfiguren, die nur der Literatur aus der Anonymität zu heben gelingt.
Anne Tyler publiziert seit 1963, ihre Romane haben ihr renommierte Preise wie den Pulitzer eingetragen (1989 für „Atemübungen“), John Updike hat sie bewundert, Nick Hornby tut es noch. Sie hat also Fans unter den Kollegen, aber auch eine breite, treue Leserschaft. Der gibt sie mit „Der Sinn des Ganzen“ vielleicht nicht das, was der (deutsche) Titel verspricht (im Original heißt es nüchterner „Redhead by the Side of the Road“). Aber ein paar Stunden kultivierten Zeitvertreib.
MARTIN EBEL
Anne Tyler: Der Sinn des Ganzen. Roman. Aus dem Englischen von Michaela Grabinger. Kein & Aber, Zürich 2020. 224 Seiten, 24 Euro.
John Updike hat sie
bewundert, Nick Hornby
tut es noch
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.07.2020

Ein Rotschopf am Straßenrand
Mit dem Segen des Verkehrsgottes unterwegs: Anne Tyler bringt einen technischen Einsiedler auf Trab

"Ein widerliches, von Ratten und Nagern befallenes Drecknest" nannte Donald Trump bekanntlich die Stadt Baltimore, nachdem deren Kongressabgeordneter - von der gegnerischen Fraktion - gewagt hatte, den Präsidenten zu kritisieren. Später legte Trump noch einmal nach: "Schlimmer als Honduras!" Gemeint war die Mordrate. Als Schauplatz von Anne Tylers vielgelesenen Romanen (dies ist ihr dreiundzwanzigster) bietet die Hauptstadt Marylands ein weniger abschreckendes Bild. Ein Ort, der nichts von sich hermacht, ziemlich glanzlos, ja, aber auf irgendwie selbstbewusste Art: Habitat kleiner Leute, amerikanischer Durchschnitt eben, und als solcher Schauplatz alltäglicher Geschichten. Langweilig werden sie bei dieser Autorin nie.

Diesmal ist es eine Woche aus dem Leben von Micah Mortimer (mittelalt, alleinlebend), erzählt in acht Kapiteln von Montag bis Montag und garantiert frei von weltbewegenden Ereignissen. Politische Themen? Fehlanzeige, sieht man von einem beiläufigen aside ab: "Im Grunde hatte er sein Land aufgegeben. Es ging gerade den Bach hinunter, und er hatte nicht das Gefühl, auch nur das Geringste dagegen tun zu können." Selbstbestätigung und spleenige Rollenspiele bezieht Micah aus dem Stolz auf seine Fahr-, Putz- und Kochkünste. Ein imaginärer Verkehrsgott lobt ihn für vorbildliches Fahrverhalten, etwa wenn er seinen Kia so behutsam beschleunigt, als hätte er ein rohes Ei unterm Gaspedal; das Bodenwischen jeden Montag wird mit pseudorussischem oder deutschem Akzent garniert, das Kochen dagegen à la française: "Wie wärs mit Am-bür-gör?"

Der feste Zeitrahmen dient als Skala für die diskrete Spannungskurve eines Lebens, das sich durch rigide Routine gegen Selbstzweifel und Sinnverlust abzuschotten sucht, bis etwas Unvorhergesehenes eintritt und den gutgeölten Mechanismus aus dem Takt bringt. Auch diese Konstellation ist tyler-typisch. Einstweilen hat sich Micah in seiner kleinen Welt mit Doppelberuf (Hausmeister und Computer-Notdienst) und halbfester Freundin häuslich eingerichtet.

Am Anfang steht ein Kameraschwenk des Erzählers auf den Ausgangspunkt der Geschichte, ein Mietsblock in einem der bescheideneren Viertel. Dort kümmert sich Micah um die kleinen Probleme und Nachlässigkeiten der Mieter, und wenn ein Kunde in Nöten anruft, setzt er das Schild "Tech Eremit" auf sein Wagendach, fährt los und behebt den Schaden. Die Souterrainwohnung mit ihren engen Fenstern unter der Decke lässt jetzt, im Spätherbst, wenig mehr von der Außenwelt erkennen als ein paar vertrocknete Blätter. Etwas trist ist es schon, das Milieu.

Dafür, dass sich die Einsamkeit des technischen Eremiten in den Grenzen des Erträglichen hält, sorgen neben der Freundin seine Kunden, die in einer so unterhaltsamen wie abwechslungsreichen Figurengalerie auftreten. Außerdem besitzt er noch vier Schwestern und einen Neffen, dessen Verlobung auf einer quirligen Party gefeiert wird. Und dann kommt ja noch dieser Junge . . .

Der Originaltitel "Redhead by the Side of the Road", also Rotschopf am Straßenrand, vom Verlag nach deutscher Unsitte umgewandelt in "Der Sinn des Ganzen", bezieht sich auf einen rötlichen Hydranten, den der kurzsichtige Micah bei seiner morgendlichen Joggingrunde immer wieder mit einem Kind verwechselt; kein ganz nebensächliches Detail, denn am Tag zwei der Geschichte träumt er von einem kleinen Kind, das er zwischen den Regalen eines Supermarktes findet, und als er vom Joggen zurückkommt, sitzt da tatsächlich ein Kind, genauer: ein ausgewachsener Jugendlicher, auf seiner Treppenstufe.

Es handelt sich um Brink, den Sohn von Lorna, seinem college sweetheart aus fernen Zeiten. Der liegt gerade im pubertären Clinch mit seinen Eltern und ist auf der Suche nach einem alternativen Vater. Micahs Foto aus einer alten Schuhschachtel nimmt er als Wink des Schicksals für einen Ausbruch aus dem heimischen Regime samt Quartierwechsel. Also lässt er sich von Micah mit Kaffee, Dosenbier und einem Gästebett traktieren und wirbt auf seine ruppige Art um den neuen Dad, der sich mehr und mehr mit dieser Rolle anfreundet. Die emotionalen Altwasser werden kräftig aufgewühlt, zumal die halbfeste Freundin mit Ausstieg droht und sich das Erscheinen Lornas belebend auf brachliegende Gefühle auswirkt.

Anders als Rosamunde Pilcher gönnt Anne Tyler ihrer Gemeinde in der Regel nur ein gedämpftes Happy End. Immerhin heißt es im letzten Satz über Micah: "he begins to feel happy". Das Schlusswort zählt. Die Übersetzung hat diese kleine Pointe, die auch im Deutschen hinzukriegen wäre, übersehen. Auch sonst zeigt sie, bei genereller Lesbarkeit, Zeichen von sprachlichem Eigensinn. Sie ist wohl unter Zeitdruck entstanden, denn die deutsche Fassung musste zur gleichen Zeit wie das Original erscheinen. Prägnanz und Lakonik, die großen Stärken von Tylers Erzähl- und Dialogkunst, sind hier nicht mehr oberste Priorität. Die knapp reihende, quasi hemingwaysche Syntax der Vorlage bläht sich immer wieder auf, und Brinks einsilbiges "Great" mausert sich kurz nacheinander zu "Supergern . . . Optimal . . . Genial" - ein stilistischer Overkill.

Aber es gibt auch so etwas wie übergroße Nähe zum Original: Dann werden aus 35 Meilen 35 Kilometer, und die allgegenwärtige Kaffeemaschine muss ständig als "Perkolator" durch die Geschichte blubbern. Und wie kommt eigentlich der Schreibtisch in Micahs Schlafzimmer? Das Original plus Lexikon verrät es: bureau ist zwar ein englischer Schreibtisch, aber eine amerikanische Kommode. Zwei Nationen, getrennt durch eine gemeinsame Sprache, wie G. B. Shaw treffend bemerkt hat.

WERNER VON KOPPENFELS.

Anne Tyler: "Der Sinn des Ganzen". Roman.

Aus dem Amerikanischen von Michaela Grabinger. Kein & Aber, Zürich 2020. 224 S., geb., 22,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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