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"Der vergessene Gigant der amerikanischen Literatur" The New Yorker
Die kleine Stadt Sutton im Nirgendwo der Südstaaten. An einem Nachmittag im Juni 1957 streut der schwarze Farmer Tucker Caliban Salz auf seine Felder, tötet sein Vieh, brennt sein Haus nieder und macht sich auf den Weg in Richtung Norden. Ihm folgt die gesamte schwarze Bevölkerung des Ortes. William Melvin Kelleys wiederentdecktes Meisterwerk Ein anderer Takt ist eines der scharfsinnigsten Zeugnisse des bis heute andauernden Kampfs der Afroamerikaner für Gleichheit und Gerechtigkeit.
Fassungslos verfolgen die weißen
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Produktbeschreibung
"Der vergessene Gigant der amerikanischen Literatur" The New Yorker

Die kleine Stadt Sutton im Nirgendwo der Südstaaten. An einem Nachmittag im Juni 1957 streut der schwarze Farmer Tucker Caliban Salz auf seine Felder, tötet sein Vieh, brennt sein Haus nieder und macht sich auf den Weg in Richtung Norden. Ihm folgt die gesamte schwarze Bevölkerung des Ortes. William Melvin Kelleys wiederentdecktes Meisterwerk Ein anderer Takt ist eines der scharfsinnigsten Zeugnisse des bis heute andauernden Kampfs der Afroamerikaner für Gleichheit und Gerechtigkeit.

Fassungslos verfolgen die weißen Bewohner den Exodus. Was bringt Caliban dazu, Sutton von einem Tag auf den anderen zu verlassen? Wer wird jetzt die Felder bestellen? Wie sollen die Weißen reagieren? Aus ihrer Perspektive beschreibt Kelley die Auswirkungen des kollektiven Auszugs. Liberale Stimmen treffen auf rassistische Traditionalisten. Es scheint eine Frage der Zeit, bis sich das toxische Gemisch aus Wut, Verzweiflung und Hilflosigkeit entlädt. Mal mit beißendem Sarkasmus, mal mit überraschendem Mitgefühl erzählt hier ein schwarzer Autor vom weißen Amerika. Ein Roman von beunruhigender Aktualität.
Autorenporträt
William Melvin Kelley wurde 1937 in New York geboren. Mit vierundzwanzig Jahren veröffentlichte er seinen bis heute gefeierten Debütroman A Different Drummer. Nach mehrjährigen Aufenthalten in Paris und auf Jamaika kehrte er mit seiner Familie 1977 nach New York zurück und unterrichtete am Sarah Lawrence College Kreatives Schreiben. Für seine Romane, Kurzgeschichten, Essays und Filme wurde Kelley vielfach ausgezeichnet. Er starb 2017 in Harlem.

Dirk van Gunsteren, 1953 geboren, studierte Amerikanistik und lebt in München. Er übersetzte u. a. T. C. Boyle, Peter Carey, John Dos Passos, Jonathan Safran Foer, Castle Freeman, John Irving, Colum McCann, V. S. Naipaul, Thomas Pynchon, Philip Roth, Richard Stark, Oliver Sacks und George Saunders. 2007 erhielt er den Heinrich-Maria-Ledig-Rowohlt-Preis, 2018 den Übersetzerpreis der Landeshauptstadt München.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.10.2019

Der schwarze
Exodus
Erstmals auf Deutsch: William Melvin Kelleys Roman
„Ein anderer Takt“ aus dem Jahr 1962
VON SAMIR SELLAMI
Es kann kaum ein Zufall sein, dass William Melvin Kelley die Handlung seines erstmals 1962 erschienenen Romans „Ein anderer Takt“ ins Jahr 1957 legte. Denn während die späten Fünfzigerjaher hierzulande eher an Staubsaugerwerbung und Wirtschaftswunder denken lassen, höchstens noch an Sputnik-Schock und Kalten Krieg, war es für den gesamten globalen Süden eine schicksalhafte Zeit. 1957 erlangte Ghana unter Kwame Nkrumah die Unabhängigkeit vom Britischen Empire und stieß eine Welle von Dekolonisierungen an, die in kürzester Zeit den ganzen Kontinent erfassen sollte. Und nicht nur weltgeschichtlich, sondern auch weltliterarisch war einiges los.
In England etwa sorgte der großartige, in einem stilisierten Karibik-Patois geschriebene Roman „The Lonely Londoners“ („Die Taugenichtse“) von Sam Selvon für Furore. In Brasilien erkundete João Guimarães Rosa in seinem Jahrhundertepos „Grande Sertão“ die Grenzen der Sprache. In Frankreich gewann der Martinikaner Édouard Glissant mit seinem Debütroman „Die Sturzflut“ als erster schwarzer Schriftsteller den Prix Renaudot. Und der Heinemann-Verlag in London brachte trotz ökonomischer Bedenken den bis heute bedeutendsten afrikanischen Roman heraus, Chinua Achebes „Alles zerfällt“.
Auch in „Ein anderer Takt“ zerfällt die alte Ordnung, ohne dass irgendjemand weiß, was genau an ihre Stelle treten könnte. Alles beginnt damit, dass die gesamte schwarze Bevölkerung eines Bundesstaats im „tiefen Süden“ der USA von einem Tag auf den anderen beschließt, sich ein für allemal aus dem Staub zu machen. Den Staat hat Kelley samt Hauptstadt und Wahlspruch erfunden. Dort, wo der Atlas zwischen Alabama und Mississippi eine Falte wirft, nistet sich das fiktive Territorium ein, „im Norden begrenzt durch Tennessee, im Süden durch den Golf von Mexiko“.
Der Exodus der Schwarzen erscheint umso mysteriöser, als es keine klaren Absprachen gibt, keine Flugblätter, keinen Aufruf übers Radio. Ebenso wenig ist ein Anführer der Bewegung auszumachen, nicht einmal der schweigsame Farmer Tucker Caliban, der vor seiner Landflucht zehn Tonnen Salz auf seinen Feldern verteilt, seine Kuh und sein Pferd erschießt und die vom berühmten Südstaatengeneral Willson geerbte Standuhr mit einer Axt in tausend Stücke haut.
Der Rest des Romans erzählt von den vergeblichen Versuchen der Weißen, sich einen Reim auf das „bedeutsame Ereignis“ zu machen. Sind es Wahnsinn, Verzweiflung oder Rachegefühle, welche die Flucht der Schwarzen antreiben? Werden diese versuchen, sich in den Nachbarstaaten niederzulassen, ziehen sie weiter in den Norden oder verschwinden sie gleich ganz aus dem Land? Wir werden es nicht erfahren, denn die Motive bleiben letztlich so unergründlich wie die vorbeiziehenden schwarzen Gestalten, die ihre Unlesbarkeit gut sichtbar auf ihren Gesichtern tragen, „verkniffen wie das Innere von Zitronen“.
In wechselnden Perspektiven entfaltet Kelley ein Kaleidoskop weißer Unfähigkeit, mit dem Skandal schwarzer Selbstbestimmung umzugehen. Das Reizvolle dieser erzählerischen Ausrichtung ist, dass kaum hartgesottene Rassisten zu Wort kommen, sondern vor allem die Wohlgesinnten, Verständnisbereiten. Kelley führt so höchst raffiniert vor, wie hartnäckig die Ideologie weißer Vorherrschaft selbst in den vermeintlich fortschrittlichen Milieus anständiger Bürgerlichkeit nistet.
Zu dem, was die weißen Figuren nicht verstehen, nicht verstehen können, legt Kelley dann doch wenigstens Fährten aus. Denn nicht nur das Jahr 1957, sondern auch eine lange Rückblende am Anfang des Romans stellt das Geschehen in einen Zusammenhang mit der Geschichte des schwarzen Widerstands gegen Versklavung, Vergewaltigung, Folter und Mord – eine Geschichte, die in den Vereinigten Staaten nicht nur von Weißen lange verdrängt und totgeschwiegen wurde.
Aus der reißerischen Erzählung einer der Männer, die den schwarzen Exodus staunend verfolgen, erfahren wir von „dem Afrikaner“, einem direkten Vorfahren des störrischen Farmers, der sein Feld versalzen hat. Hundert Jahre zuvor, so die Legende, flüchtet ein furchterregend gigantischer afrikanischer Gefangener direkt vom Sklavenschiff in die umgebende Sumpflandschaft. Zuvor hatte er seinem Auktionator kurzerhand den Kopf vom Körper geschlagen, mit seinen Ketten, die er raffte, „wie eine Frau die Röcke rafft, wenn sie in einen Wagen steigt“. Von dort aus organisiert er den gewaltsamen Widerstand gegen die Sklavenhaltergesellschaft, bis er schließlich nach einer langen Hetzjagd von den Schergen seines Käufers gestellt und ermordet wird. Das Kleinkind, das er die ganze Zeit über bei sich trägt, geht als Sklave in den Bestand des weißen Großgrundbesitzers über und wird von diesem auf den Namen „Caliban“ getauft.
Diese Geschichte der „Marronage“, des flüchtigen Widerstands, ist transnational und transatlantisch. Sie hat ihren Ursprung auf den innerafrikanischen Sklavenrouten und zieht sich über die Meutereien und Selbstmordattentate auf den Sklavenschiffen, die Revolten auf den karibischen Plantagen, die brasilianischen Quilombos und die haitianische Revolution bis hin zu den Sklavenaufständen und der Underground-Railroad im Süden der USA.
Zuweilen trägt dieser Widerstand filmreife Namen wie Harriet Tubman oder Nate Turner, aber der größte Teil der Geschichte ist so namenlos wie der unbezähmbare Afrikaner und Kelleys erfundener Bundesstaat. Darin, dass der gerade mal 24-jährige William Melvin Kelley zu einer Zeit, als dies noch alles andere als selbstverständlich war, diese Geschichte literarisch anzapfte, liegt der kaum zu überschätzende Wert dieses Buches.
Kelley sollte übrigens später seine transatlantisch aufgeladene Fluchtfiktion gewissermaßen selbst in die Tat umsetzen, als er, enttäuscht von den Rückschlägen der Bürgerrechtsbewegung und geschockt von Malcolm X’ Ermordung, zunächst nach Paris zog. Von dort sollte es ursprünglich nach Senegal weitergehen, man entschied sich dann aber doch auf Wunsch der Verwandten in den Staaten für das näher gelegene Jamaika. 1977 kehrte Kelley in die USA zurück, wo er bis zu seinem Tod vor zwei Jahren lebte und an einem renommierten College im Bundesstaat New York kreatives Schreiben unterrichtete. An seinen Erfolg mit „Ein anderer Takt“ konnte er nicht wieder anknüpfen. Umso schöner, dass man das Buch jetzt in deutscher Sprache erstmals entdecken kann.
Enttäuscht von den Rückschlägen
der Bürgerrechtsbewegung
verließ Kelley die USA
William Melvin Kelley:
Ein anderer Takt. Roman. Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren.
Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2019.
304 Seiten, 22 Euro.
Erzähler der Revolten: William Melvin Kelley 1967 in Paris.
Foto: Gail Anderson / Hoffmann & Campe
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»Hoffmann und Campe gebührt großer Dank dafür, William Melvin Kelleys Ein anderer Takt , dieses im wahrsten Sinne des Wortes fantastische und hochaktuelle Buch, dem deutschen Markt zugänglich gemacht zu haben.« Dirk von Lowtzow Süddeutsche Zeitung, 20.12.2019