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Fast zehn Jahre ist es her, dass das Ejército Zapatista de Liberación Nacional die Waffen ergriff und die landes- und weltweite Öffentlichkeit in Staunen versetzte. Wer waren diese eigenartigen Maya-Aufständischen aus dem entlegenen Südosten Mexikos, die weniger auf Waffen- denn auf Wortarsenale setzten und sich schon auf den ersten Blick von allen bislang bekannten Aufstandsbewegungen unterschieden? Die Masken tragen, um als Indigene erst sichtbar zu werden, die "intergalaktische" Treffen einberufen und Briefe an die "Señora Zivilgesellschaft" verfassen? Mit der Neu- und Eigenartigkeit dieser…mehr

Produktbeschreibung
Fast zehn Jahre ist es her, dass das Ejército Zapatista de Liberación Nacional die Waffen ergriff und die landes- und weltweite Öffentlichkeit in Staunen versetzte. Wer waren diese eigenartigen Maya-Aufständischen aus dem entlegenen Südosten Mexikos, die weniger auf Waffen- denn auf Wortarsenale setzten und sich schon auf den ersten Blick von allen bislang bekannten Aufstandsbewegungen unterschieden? Die Masken tragen, um als Indigene erst sichtbar zu werden, die "intergalaktische" Treffen einberufen und Briefe an die "Señora Zivilgesellschaft" verfassen? Mit der Neu- und Eigenartigkeit dieser paradox anmutenden Bewegung, die aus ihrer militärischen Ohnmacht symbolische Macht entwickelte, beschäftigt sich die Studie von Anne Huffschmid. Darin wird die zapatistische Rebellion einer diskursanalytischen "Lektüre" unterzogen und es wird dargelegt, wie sich die Aufständischen mittels einer hybriden Strategie aus diskursiven und metaphorischen Verfremdungs- und Kopplungsmanövern in den Spiegeln mexikanischer und internationaler Rezeption (Presse, intellektuelle Debatten, soziale Bewegungen, Internet) behaupten und legitimieren konnten. Gezeigt wird, wie diese interaktiv angelegte Selbstbehauptung, die immer nur im Wechselspiel mit ihren Resonanzen verstanden werden kann, als Unterwanderung bestehender Mythologien und kultureller Semantik funktioniert: etwa die mexikanische Lebenslüge einer rassenharmonischen Mestizaje, der Fundus einer "institutionalisierten Revolution" und ihrer paradoxen Leitfigur (Zapata als Verratener und Held der offiziellen Geschichtsschreibung) und das Demokratieversprechen einer marktliberalen Moderne. Doch auch jenseits von Mexiko provoziert diese "Weder-Noch"-Bewegung (Regis Debray) auf der nach 1989 vergleichsweise verwaisten Bühne politischer Imagination die unterschiedlichsten Spiegelungen, die in der Studie detailliert herausarbeitet werden - Rezeptionsmuster zwischen Befremdung und Faszination, Projektion und Identifikation, Einverleibung und Abgrenzung. Dabei wird deutlich, dass die zapatistische Maskerade kein Mummenschanz ist und die "vielen Worte" keinen bloß ornamentalen Charakter haben, sondern als Kernelemente einer politischen Strategie und Methodologie gedeutet werden können: die "Diskursguerilla" als Aufbegehren gegen hegemoniale Zuschreibungen und Redeweisen - und als Beleg dafür, dass "diskursive Praktiken" unter Umständen sogar lebenserhaltend sein können.

Begegnet ist Anne Huffschmid dem Zapatismo in Mexiko zuerst als Journalistin, Kulturreporterin der mexikanischen Tageszeitung La Jornada und Korrespondentin der Berliner Tageszeitung. Aus der journalistischen wurde mit den Jahren wissenschaftliche Neugier, und vor dem Hintergrund zahlreicher Reportagen, Aufsätze und publizistischer Beiträge entstand in mehrjähriger Forschungsarbeit die vorliegende Untersuchung, in der das Phänomen der "Diskursguerilla" aus kulturwissenschaftlicher Perspektive umfassend dargestellt wird. Die Studie wurde mit dem Preis der Arbeitsgemeinschaft Deutsche Lateinamerikaforschung (ADLAF) 2003 ausgezeichnet. Seit ihrer Promotion zum Dr. phil. lebt und arbeitet die Autorin wieder in Berlin.

AUS DEM INHALT
I. Vor-Worte
1. Lektüre einer Rebellion
2. Texte und Politik, erste Prämissen
3. Skizze eines Konflikts: Schauplätze und Ereignisse
4. Gliederung

II. Das Terrain: Kontext, Texte und Lektüren
1. Die Mexiko-Bühne: Alte und neuere Mythologien
2. Zur Analyse-Optik: Diskursanalytische Werkzeugkiste
3. Textarchiv und Korpusbildung

III. Zapatismo als Text und (im) Spiegel seiner Resonanzen
1. ¡Existimos!: Kernelemente einer Selbstbehauptung
2. Wahr oder falsch: Eine Medienguerilla?
3. Mit den Waffen der Literatur: Eine Autorenguerilla?
4. Diskursiver Stil und politische Methoden
5. Sprechende Bilder

IV. Nach-Worte
1. Rekapitulation
2. Ausblick
3. Offene Felder und Fragen
4. Ein Epilog (Berlin, im August 2003)

V. Anhang
(Bibliographie; Glossar; Liste der Interviews; Verzeichnisse der untersuchten Textkorpora; Dokumentation der Kommuniqués u.a.)
Autorenporträt
Dr. phil. Anne Huffschmid, Kulturwissenschaftlerin, forscht zu Erinnerung in Megastädten am Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin. Sie ist spezialisiert auf Themen wie Urbanität und Öffentlichkeit in Lateinamerika, Diskursanalyse und Visualität.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.08.2005

Rebellen hinter Masken
Der internationale Rückhalt der mexikanischen Zapatisten
Die Gewehre sprachen nur für kurze Zeit. Zwölf Tage dauerte der bewaffnete Aufstand, mit dem das Zapatistische Befreiungsheer EZLN im Januar 1994 im südmexikanischen Bundesstaat Chiapas auf sich aufmerksam machte. Danach bestimmten Worte das Geschehen: Etwa „Intergalaktische Treffen” mit Globalisierungskritikern oder Texte des Zapatistensprechers Subcomandante Marcos, in denen der „Sub” meist auch den postmodern inspirierten Käfer Don Durito oder den maya-indianischen „Alten Antonio” sprechen ließ.
Diese gelegentlich widersinnige Mischung aus Moderne und Modernitätskritik stieß bei einflussreichen Intellektuellen in Mexiko-Stadt ebenso auf Widerhall wie bei jungen Linken in Berlin. Vom „ersten postkommunistischen Aufstand” war die Rede, der Literat Octavio Paz diskutierte mit Marcos über Universalismus, und Danielle Mitterrand, die Frau des französischen Präsidenten, ließ wissen: „Diese Menschen - unsere Brüder.”
Kürzlich erklärte Marcos, die Guerilla im mexikanischen Bundesstaat Chiapas wolle die Waffen niederlegen und sich in eine dauerhaft friedliche Bewegung verwandeln. Der Subcomandante kündigte eine „neue politische Initiative nationalen und internationalen Charakters an. Dies entspreche dem Willen der Ureinwohner, für deren Rechte das Zapatistische Befreiungsheer eintrete. Damit hob Marcos eine erst kurz zuvor erhobene Warnung auf, als er eine Rückkehr zu militärischen Aktionen angedroht hatte.
Wieso rief die „Wortergreifung” verarmter indigener Rebellen überhaupt solch große Resonanzen hervor? Mit dieser Frage beschäftigt sich eine diskurstheoretische Studie der Journalistin und Kulturwissenschaftlerin Anne Huffschmid. „Statt Identifizierung bietet der Zapatismo die Möglichkeit zur Identifikation”, resümiert sie und verweist auf die Rolle der Masken, mit denen die Indigenen ihr Gesicht verhüllen. „Wenn ihr wissen wollt, wer hinter der Maske steckt, dann schaut in einen Spiegel.” Ausgehend von dieser Erklärung des Subkommandanten widmet sich Huffschmid den „Spiegel-Effekten” des Aufstands in der Presse, unter Akademikern und in der globalisierungskritischen Szene.
Die Autorin untersucht diese „Resonanzen” in Anlehnung an den Theoretiker Michel Foucault, verweigert sich aber einer Analyse, nach der es „nur noch Diskurs und nichts als Diskurs” gebe. Dennoch bestätigt sich für die Wissenschaftlerin die diskurstheoretische Prämisse über die Wirkungsmächtigkeit von Sprache: Die Zapatisten seien der leibhaftige Beleg dafür, „dass ,diskursive Praktiken‘ unter Umständen sogar lebenserhaltend sind”. Womit die Autorin recht hat. Nur der große internationale Rückhalt der Rebellen hatte verhindert, dass die Regierung das Problem gewaltsam löste. Militärisch hätten die Maskierten der mexikanischen Armee nicht lange widerstehen können.
Dass der viel beschworene Diskurs trotzdem wenig mit dem Alltag in den indigenen Dörfern zu tun haben, zeigt ein weiteres Buch, das über den Zapatismus erschienen ist. „Das Feuer und das Wort” von Gloria Muñoz Ramírez nähert sich dem Phänomen ganz pragmatisch. Die mexikanische Journalistin hat selbst sieben Jahre mit den Rebellen gelebt.
Aus ihrer Nähe zu den Guerilleros macht sie keinen Hehl: Vorwort und Resümee sind dem EZLN-Sprecher Marcos vorbehalten. Muñoz Ramírez selbst beschreibt die über 20-jährige Geschichte der Zapatisten. So etwa die ersten Jahre, in denen ein paar dahergekommene städtische Linke lernen mussten, dass mit den Indigenen nicht mal eben Revolution à la Che Guevara zu machen ist.
Ausführlich lässt die Journalistin
Akteure der Rebellion zu Wort kommen: „Leutnant Insurgente im Sanitäts-
dienst Gabriela” oder „Compañero Gerardo aus den ersten zapatistischen Dörfern”. Sie sprechen vor allem über eine bessere Gesundheitsversorgung oder den Kampf für mehr Gerechtigkeit. „Es ist unsere Art”, so erklären sie, „zuerst an die Praxis, und dann an die Theorie zu gehen.”
WOLF-DIETER VOGEL
ANNE HUFFSCHMID: Diskursguerilla: Wortergreifung und Widersinn. Synchron-Verlag, Heidelberg. 480 Seiten, 44,80 Euro.
GLORIA MUÑOZ RAMÍREZ: EZLN: 20 und 10. Das Feuer und das Wort. Unrast-Verlag Münster. 262 Seiten, 18 Euro.
Der Subcomandante ist friedlich geworden. Zapatistenführer Marcos bei einer Rede in Mexico City im März 2001.
Foto: AP
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

In Anne Huffschmids Buch über das Zapatistische Befreiungsheer EZLN und die internationalen Reaktionen auf ihren bewaffneten Aufstand von 1994 bestätigt sich die "Prämisse über die Wirkungsmächtigkeit der Sprache", stellt Wolf-Dieter Vogel fest. Die Autorin kann, theoretisch gestützt von Michel Foucault, nachweisen, dass vor allem deren "diskursiven Praktiken" dem EZLN das Überleben gesichert hat, indem es internationale Aufmerksamkeit errungen und die mexikanische Armee dadurch daran hinderte hat, das Heer einfach gewaltsam aufzulösen, erklärt der Rezensent zustimmend.

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