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Eine Archäologie der Gespenstererscheinungen in Philosophie, Literatur, spiritistischer Forschung und neuen Medien vom 18. bis ins frühe 20. Jahrhundert.Als Kant an einer Abhandlung über das wahre und das falsche Geistersehen schrieb, verwendeten Schausteller die Laterna magica, um ihr Publikum mit projizierten Gespenstern zu erschrecken. Die Ambivalenz gegenüber den Geistern blieb für Kant prägend. In seinen kritischen Texten nimmt der Philosoph dann den spiritistischen Begriff der Erscheinung eines übersinnlichen Dings an sich auf. Gleichzeitig setzt er die Täuschung der spekulativen…mehr

Produktbeschreibung
Eine Archäologie der Gespenstererscheinungen in Philosophie, Literatur, spiritistischer Forschung und neuen Medien vom 18. bis ins frühe 20. Jahrhundert.Als Kant an einer Abhandlung über das wahre und das falsche Geistersehen schrieb, verwendeten Schausteller die Laterna magica, um ihr Publikum mit projizierten Gespenstern zu erschrecken. Die Ambivalenz gegenüber den Geistern blieb für Kant prägend. In seinen kritischen Texten nimmt der Philosoph dann den spiritistischen Begriff der Erscheinung eines übersinnlichen Dings an sich auf. Gleichzeitig setzt er die Täuschung der spekulativen Vernunft mit dem Blendwerk der Zauberlaterne in eins. So wird das optische Medium zur epistemischen Figur für die Grenzen des philosophischen Wissens.Es sind solche Konstellationen, denen Stefan Andriopoulos nachspürt, indem er bei Kant und Hegel, Schiller und Schopenhauer, in der Literatur der Romantik und bei der Erfindung des Fernsehens verborgene, aber konstitutive Zusammenhänge zwischen Philosophie, Medien, Literatur und scheinbar obskuren kulturellen Praktiken aufdeckt. Die Kombination von historischer Forschung und genauer Textlektüre eröffnet überraschende Einblicke in die technische und philosophische Projektion von Geistern und erzählt eine neue Mediengeschichte der Gespenster in Literatur und Wissenschaften.
Autorenporträt
Stefan Andriopoulos ist Professor am Institut für Germanistik der Columbia Universität in New York. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der deutschen und europäischen Literatur- und Mediengeschichte, der Wissenschaftsgeschichte und im Okkultismus.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.12.2018

Der Zauberspiegel bringt die Welt ins Haus
Stefan Andriopoulos untersucht den Beitrag des Gespensterwesens zu Philosophie und Technikgeschichte

"Sobald unser Ruf in der Nacht voller Erscheinungen, der allein sich unsere Ohren öffnen, ergangen ist, ertönt ein leises Geräusch (...) und die Stimme des teuren Wesens spricht zu uns." - So beschreibt Marcel Proust in der "Recherche" das Zustandekommen einer Telefonverbindung. Der Anklang an eine spiritistische Séance ist kaum zu überhören. Wozu auch passt, dass die vermittelnden Telefonistinnen zu "Allmächtigen" werden, "durch die die Abwesenden neben uns aufsteigen, ohne dass es erlaubt wäre, sie zu gewahren".

Natürlich ist das Vokabular der Geisterbeschwörung zur Beschreibung des technischen Mediums von Proust komödiantisch eingesetzt. Aber doch nicht nur, denn es steht für eine Magie, die auch durch das Wissen um die technische Realisierung nicht gleich gelöscht wird. Oder zumindest dafür, dass die Erfüllung des Wunsches, die Stimmen abwesender Personen zu hören, vor ihrer technischen Realisierung tatsächlich ins Feld einer Geisterkommunikation fiel, wie sie Spiritisten möglich schien. Auch wenn die Geister dazu nun einen Draht und noch ein paar weitere Dinge brauchten.

Prousts Paradestück über das Telefonieren lässt sich zurückverfolgen bis ins Jahr 1896. Es ist das Jahr, in dem die Radioaktivität entdeckt wurde und Marconi die ersten erfolgreichen Versuche drahtloser Telegraphie mit den von Hertz ein knappes Jahrzehnt zuvor nachgewiesenen elektromagnetischen Wellen gelang. 1895 war die Röntgenstrahlung dazugekommen, die erst 1912 ins elektromagnetische Spektrum eingeordnet werden konnte. Der Draht war fortgefallen, und spiritistische Vorstellungen einer direkten Kommunikation der Geister hatten eine neue Hochzeit. Jetzt ging es nicht mehr "bloß" um Stimmen - von den alten Klopfzeichen, spiritistisches Äquivalent des Morseapparats, zu schweigen -, es rückte auch die Übertragung von Bildern durch elektromagnetische Wellen in den Bereich des Möglichen. Ende der zwanziger Jahre schickte die Deutsche Reichspost ihre erste Probesendung - dreißig Bildzeilen auf einem Schirm von 3,6 mal 4,8 Zentimeter - durch jenen Äther, den die Physiker mittlerweile schon verabschiedet hatten.

Dann ging es rasant weiter mit der technischen und kommerziellen Entwicklung des Fernsehens, die oft schon dargestellt wurde. Bleibt die Frage, welche Rolle in ihr das "Fernsehen" spiritistischer Provenienz, also dank irgendwelcher Geistesstrahlen oder psychischen Koppelungen an den schwingenden Äther der elektromagnetischen Wellen, gespielt hat. Die Antwort, die der in New York lehrende Literaturwissenschaftler Stefan Andriopoulos darauf im letzten Kapitel seines 2013 erschienenen und nun auf Deutsch vorliegenden Buchs gibt, fällt entschieden aus: Die spiritistischen Befassungen mit dem "Fernsehen" seien zwar natürlich keine hinreichende, wohl aber eine notwendige Bedingung für die technische Realisierung des Fernsehens gewesen.

Damit will Andriopoulos eine mediengeschichtliche Position korrigieren, die hier Wirkungen vor allem in eine Richtung konstatiert, nämlich von den wissenschaftlich-technischen Innovationen auf die spiritistischen Vorstellungen: Zuerst kam der Morseapparat, dann stellte sich die Mode der klopfend plaudernden Geister ein; zuerst wurden die Hertzschen Wellen und Röntgens X-Strahlen publik, dann setzte die spiritistische Euphorie von okkulten Wellen und Feldern ein, wie sie sich auch in der bildenden Kunst niederschlug. Und war eine technische Innovation etabliert, konnte ein Autor wie Proust spiritistische Anklänge nutzen, um halb ironisch, halb ernst ihre "Magie" festzuhalten. Von "Zauberspiegeln" und "Kristallkugeln", die das Ferne in jedermanns Haus bringen, war auch, literarisch weniger aufwendig als bei Proust, am Beginn der Geschichte des Fernsehens die Rede. Für Andriopoulos ist das ein Wink, dass die Wirkungen zwischen okkulter und technisch realisierter Television in beide Richtungen gelaufen sind.

Dafür bringt er zum einen Akteure ins Spiel, die gleichzeitig auf den Feldern des Spiritismus und im wissenschaftlich-technischen Establishment tätig waren: Sei es, dass sie die fürs Fernsehen notwendigen Apparate imaginierten - oder unsichtbare psychische Organe, die sich zumindest rückblickend wie Bauanleitungen lesen lassen -, sei es, dass sie sogar einen Platz in der Geschichte der technischen Anbahnungen des Fernsehens beanspruchen können. Zum anderen kann Andriopoulos auf einen Autor wie Carl du Prel verweisen, der bereits 1899 eine solche Wechselwirkung behauptete: Der Techniker beziehe die zu lösenden Probleme der Zukunft vom Okkultisten, während dem Okkultisten von ihm die naturwissenschaftliche Lösung der imaginierten psychischen Funktionen geliefert würde.

An dieser Beschreibung des Spiritismus als Schrittmacher technischer Fortschritte lässt sich natürlich zweifeln; aber kaum daran, dass er im Fall des Fernsehens eine katalytische Funktion hatte. Vielleicht auch deshalb, weil Spiritisten wie Ingenieure hier an ein ganz altes Wunschmotiv anknüpften. Bei Carl du Prel, der den Okkultismus als Philosophie der Technik entwarf, kam auch noch eine merkwürdige Interpretation der kritischen Philosophie Kants ins Spiel, nach der das "Fernsehen in Raum und Zeit" eine "Funktion des transzendentalen Subjekts" sei. Und bei Kant nimmt Andriopoulos tatsächlich den Faden der Geistererscheinungen auf, deren Übergang in die technisch realisierte Television sein Buch abschließt. Von Kant geht es dann weiter zu Hegel, Schopenhauer, Geistergeschichten und dem animalischen Magnetismus in der Romantik.

Auch in diesen Teilen geht es um Wirkungen der Geisterbeschwörung, noch nicht auf Technik, sondern auf Philosophie und Literatur. Die Pointe mit Blick auf Kant und Hegel ist, dass beide mit Referenzen auf die zeitgenössische Mode der "Phantasmagorien", der Erzeugung von Geistererscheinungen durch optische Tricks - Varianten der Laterna magica -, operierten. Und durchaus nicht nur beiläufig, sondern insbesondere bei Kant an systematisch wichtiger Stelle: dort nämlich, wo es um den "transzendentalen Schein" geht, der uns zur Vorstellung verlockt, wir könnten doch irgendwie die kritisch gezogenen Grenzen unseres Vernunftgebrauchs überschreiten und bei den Gegenständen "an sich" landen.

Bei Schopenhauer wiederum, der sich als der eigentliche Erbe Kants ansieht, wird daraus der paradoxe Versuch, im tierischen Magnetismus einen Beleg seiner Metaphysik des Willens zu sehen. Es sind überzeugende Lektüren der philosophischen und literarischen Texte, die der Autor hier vorführt: ohne große "medientheoretische" Enthüllungsgesten, genau und mit jargonfreier Eleganz. Kein Zweifel bleibt zurück, dass die Geister ihre Spuren hinterließen.

HELMUT MAYER

Stefan Andriopoulos: "Gespenster". Kant, der Schauerroman und optische Medien.

Aus dem Englischen von Uwe Hebekus. Konstanz University Press im Wallstein Verlag, Göttingen 2018.

256 S., br., 29,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Es sind überzeugende Lektüren der philosophischen und literarischen Texte, die der Autor hier vorführt: ohne große »medientheoretische« Enthüllungsgesten, genau und mit jargonfreier Eleganz.« (Helmut Mayer, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 07.12.2018) »Suggestiv und akribisch sucht der an der Columbia University lehrende Germanist (...) nach dem Unheimlichen.« (Marianna Lieder, Philosophie Magazin, August/September 2018)