Marktplatzangebote
5 Angebote ab € 12,95 €
  • Gebundenes Buch

Der spanische Nationalstolz hat durch die Herausforderung der erstarkten katalanischen Unabhängigkeitsbewegung und das problematische Verhältnis des Baskenlandes und Galiciens zum Zentralstaat einen neuen Impuls erhalten. Rechtsradikale Tendenzen, etwa durch die Partei Vox, aber auch die von prominenten Intellektuellen und Politikern vertretenen Position, dass es einen spanischen Nationalismus überhaupt nicht gibt, prägen die gesellschaftliche Auseinandersetzung.
Xosé M. Núñez Seixas skizziert die historische Entwicklung Spaniens vom Verlust der einstigen Größe, über den blutigen
…mehr

Produktbeschreibung
Der spanische Nationalstolz hat durch die Herausforderung der erstarkten katalanischen Unabhängigkeitsbewegung und das problematische Verhältnis des Baskenlandes und Galiciens zum Zentralstaat einen neuen Impuls erhalten. Rechtsradikale Tendenzen, etwa durch die Partei Vox, aber auch die von prominenten Intellektuellen und Politikern vertretenen Position, dass es einen spanischen Nationalismus überhaupt nicht gibt, prägen die gesellschaftliche Auseinandersetzung.

Xosé M. Núñez Seixas skizziert die historische Entwicklung Spaniens vom Verlust der einstigen Größe, über den blutigen Bürgerkrieg und die Diktatur Francos bis zu den nationalistischen und patriotischen Diskursen im europäischen Kontext. Er untersucht den spanischen Staatsnationalismus ebenso wie die politischen Konzepte des Patriotismus und Nationalismus und nähert sich so der Frage, was es heute bedeutet, Spanier zu sein.

Ausgezeichnet mit dem Premio Nacional de Ensayo 2019
Autorenporträt
Xose M. Nu n ez Seixas ist Inhaber des Lehrstuhls für Geschichte des 20. Jahrhunderts an der Universität Santiago de Compostela. Zwischen 2012 und 2017 war er Professor für Europäische Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts an der LMU München.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.11.2019

Alles nur ganz normaler Patriotismus?

Eine Nation im Clinch mit ihren Nationalitäten: Xosé M. Núñez Seixas folgt der schwierigen Genese des spanischen Nationalgedankens.

Im Oktober 2017 hielt Mario Vargas Llosa in Barcelona bei einer Kundgebung für die Einheit Spaniens eine flammende Rede gegen den Nationalismus, der die Geschichte mit "Kriegen, Blut und Leichen" gefüllt habe. Vor den Augen des Dichters wogte ein Meer aus rot-gelben Spanienfahnen, doch was Vargas Llosa als "Nationalismus" geißelte, war nicht dieses Bekenntnis seiner Zuhörer zur spanischen Nation, sondern die katalanische Unabhängigkeitsbewegung mit dem "Putschisten" Carles Puigdemont an der Spitze. Vargas Llosas Wahrnehmung steht stellvertretend für die vieler Spanier. Konfrontiert mit den identitätspolitischen und separatistischen Strömungen in Katalonien, dem Baskenland und - weniger ausgeprägt - Galicien, erscheint vielen Spaniern die eigene Identifikation mit dem spanischen Gesamtstaat nicht als Nationalismus, sondern nur als ganz natürlicher Patriotismus, Ausdruck staatsbürgerlicher Normalität gegenüber der Herausforderung durch die "peripheren Nationalitäten".

Lange äußerte sich dieser "Españolismo" nur verhalten, doch das hat sich geändert. Das "Spanien der Balkone", der Bürger, die die spanische Nationalflagge über ihre Balkongeländer und aus den Fenstern hängen, ist in den vergangenen Jahren immer sichtbarer geworden. Die Erfolge des konservativen Partido Popular und der rechtspopulistischen Vox-Partei sind zu einem Gutteil das Resultat eines zentralstaatlichen Nationalismus, der als Reaktion auf die Unabhängigkeitsbestrebungen in Katalonien wiedererwacht ist. Die windungsreiche Geschichte dieses spanischen Nationalbewusstseins untersucht Xosé Manoel Núñez Seixas, der bis 2017 Geschichtsprofessor an der Münchner Ludwig-Maximilans-Universität war und jetzt an der Universität von Santiago de Compostela lehrt.

Der Aufstieg des Kastilischen

Sein Buch, das mit dem spanischen Nationalpreis für Essayistik ausgezeichnet wurde, setzt 1808 mit dem spanischen Partisanenkampf gegen die napoleonische Herrschaft ein. Dieser von beiden Seiten äußerst grausam geführte Krieg brachte nicht nur das Wort "Guerrilla" ins Deutsche. Er befeuerte auch die antinapoleonischen Affekte der deutschen Romantiker, inspirierte die militärischen Vordenker der preußischen Befreiungskriege und spielt noch in Carl Schmitts "Theorie des Partisanen" eine tragende Rolle. Doch in Spanien selbst entfaltete der Guerrillakrieg erst Jahrzehnte nach seinem Ende eine identitätsbildende Wirkung.

Zu widerspruchsvoll war für die Zeitgenossen sein Verlauf, in dem spanische Patrioten nicht nur französischen Besatzern gegenüberstanden, sondern auch spanischen "Franzosenfreunden", die sich selbst als Aufklärer und ihre Landsleute auf der anderen Seite als irregeleitete Reaktionäre betrachteten. Es waren zunächst ältere Quellen, aus denen das entstehende Nationalbewusstsein des neunzehnten Jahrhunderts schöpfte.

Der iberische Widerstand gegen das Römische Imperium gehörte ebenso dazu wie das Reich der Westgoten, die Reconquista, das "goldene Zeitalter" der Habsburgerherrschaft und der Katholizismus. Eine entscheidende Rolle für die Grundlegung des Nationalgefühls spielt bis heute - neben der territorialstaatlichen Existenz Spaniens seit dem fünfzehnten Jahrhundert - das Kastilische, das von einer Regionalsprache zur Landessprache namens "Spanisch" aufstieg. Im Kastilischen sahen Sprachwissenschaftler des neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhunderts die veredelte Essenz aller iberischen Dialekte und den zur Sprache geronnenen Volksgeist ganz Spaniens.

Offen bleibt allerdings, wie in dieses synthetisierende Bild das Baskische eingefügt wurde, das keine lateinischen und nicht einmal indogermanische Wurzeln hat. Die romantische Aufladung des Spanisch-Kastilischen ist heute in den Hintergrund getreten, dafür stellen die Verfechter seiner nationalsprachlichen Vorrangstellung die wirtschaftliche und politische Bedeutung als Weltsprache und Brücke zu Lateinamerika heraus.

Bundesstaat nicht in Sicht

Das Buch überspannt zwar einen Zeitraum von über zwei Jahrhunderten, aber mehr als die Hälfte ist den knapp fünfundvierzig Jahren seit Francos Tod gewidmet. Detailliert beschreibt Núñez Seixas die rechten, liberalen und linken Spielarten des spanischen Nationalismus der Gegenwart. Er zeigt, wie ähnlich oft ihre historischen und sprachpolitischen Versatzstücke sind und wie sehr die Herausforderung durch die "peripheren Nationalitäten" einen gemeinsamen Bezugspunkt bildet.

Lagerübergreifend ist der oft hilflos wirkende Versuch, die identitätspolitischen Gegensätze des Landes mit Formeln wie "Nation aus Nationen" zu überbrücken. Was sich unterscheidet, sind Akzente: So betonen Linke eher die sozialpolitische Bedeutung des Gesamtstaates für ein "spanisches Volk" der Werktätigen, während Konservative und Rechte stärker auf die Identifikation mit der gemeinsamen Kultur und Geschichte setzen. Allerdings gibt es viele Varianten und Überschneidungen, und der Autor verliert sich streckenweise so sehr in Details, dass der Leser Mühe hat, die Orientierung zu behalten. Gegenüber dem ideologischen bleibt der wirtschaftliche Aspekt unterbelichtet. Über das Verhältnis zwischen spanischen Unternehmen, Gewerkschaften und den peripheren Nationalbewegungen erfährt man nichts und nur wenig über die Bedeutung, die die staatlichen Finanztransfers für den Streit zwischen peripheren und zentralistischen Nationalisten haben.

Ein weiteres Manko in diesem ansonsten sehr informativen Buch sind die bisweilen fehlenden Quellenangaben. Das betrifft vor allem die Meinungsumfragen, die der Autor anführt, um seine stark an politischen Programmen und sozialphilosophischen Konzepten orientierte Darstellung demoskopisch zu unterfüttern.

Eine wichtige Rolle in den nationalpolitischen Diskussionen des linken bis konservativen Spektrums in Spanien spielt das Konzept des Verfassungspatriotismus, das von Dolf Sternberger geprägt und von Jürgen Habermas weiterentwickelt wurde. Ihm bringt Núñez Seixas zwar Sympathie entgegen, aber einen gangbaren Weg aus der verfahrenen Situation sieht er darin nicht. Das liegt nicht nur an der mangelnden emotionalen Bindungskraft dieses demokratietheoretischen Entwurfs, sondern auch daran, dass der Begriff vielen spanischen Politikern nur als Argument für die Abwehr jedweder Verfassungsreform dient.

Hinzu kommt, dass eine wichtige Voraussetzung verfassungspatriotischer Identitätsbildung in Spanien bis heute fehlt: die umfassende Auseinandersetzung mit der faschistischen Vergangenheit. Das gegenwärtige Spanien sieht Núñez Seixas in einer Pattsituation. Weder vermögen die regionalistischen Bewegungen, in ihren Gebieten eine Hegemonie zu errichten, noch kann sich der spanische Staatsnationalismus flächendeckend durchsetzen. Dabei hat sich im politischen und administrativen Alltag der siebzehn Autonomen Gemeinschaften, aus denen sich Spanien zusammensetzt, längst eine Praxis etabliert, die durchaus an die Bundesrepublik Deutschland erinnert. Allerdings besitzen die Autonomen Gemeinschaften anders als die Bundesländer keine Eigenstaatlichkeit, und sie haben auch nicht deren Einfluss auf die gesamtstaatliche Gesetzgebung.

Zwar werden föderale Modelle von den Sozialisten und weiter links stehenden Gruppen diskutiert, aber dass Spanien den Weg in den Bundesstaat tatsächlich beschreiten wird, hält der Autor bis auf weiteres für unwahrscheinlich. Einen wesentlichen Grund dafür sieht er nicht nur in der Scheu vor Verfassungsreformen, sondern auch darin, dass die politische Struktur Spaniens von bilateralen Beziehungen zwischen dem Zentralstaat und den jeweiligen Regionen mit ihren Sonderregelungen geprägt ist. Sie in ein föderales Netzwerk gleichberechtigter und wechselseitig loyaler Territorien zu überführen scheint eine kaum zu meisternde Aufgabe zu sein. Núñez Seixas' Buch heißt im Original "Los suspiros de España", was man als "Spaniens Stoßseufzer" übersetzen kann. Es ist ein treffender Titel.

WOLFGANG KRISCHKE

Xosé M. Núñez Seixas: "Die bewegte Nation". Der spanische Nationalgedanke 1808-2019.

Aus dem Spanischen von Henrike Fesefeldt. Hamburger Edition, Hamburg 2019. 256 S., geb., 30,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr