89,95 €
inkl. MwSt.
Versandkostenfrei*
Versandfertig in 1-2 Wochen
payback
0 °P sammeln
  • Gebundenes Buch

Sind wir zu natürlicher oder politischer Feindschaft unvermeidlich verurteilt? Der vorliegende Band zeigt, dass Feindschaft immer wieder neu in Prozessen der Verfeindung entsteht, deren fragwürdiger "Sinn" hier zur Diskussion gestellt wird. Zu einer "realistischen", nüchternen Betrachtung dieser Prozesse, gehört es auch, das Verhältnis zwischen Feindschaft und Fremdheit zu befragen, Beispiele der näheren und ferneren Vergangenheit heranzuziehen, das scheinbar natürliche Verhältnis von Feindschaft und Krieg zu hinterfragen, Radikalisierungen der Feindschaft zu untersuchen, Feindschaft in ihrer…mehr

Produktbeschreibung
Sind wir zu natürlicher oder politischer Feindschaft unvermeidlich verurteilt? Der vorliegende Band zeigt, dass Feindschaft immer wieder neu in Prozessen der Verfeindung entsteht, deren fragwürdiger "Sinn" hier zur Diskussion gestellt wird. Zu einer "realistischen", nüchternen Betrachtung dieser Prozesse, gehört es auch, das Verhältnis zwischen Feindschaft und Fremdheit zu befragen, Beispiele der näheren und ferneren Vergangenheit heranzuziehen, das scheinbar natürliche Verhältnis von Feindschaft und Krieg zu hinterfragen, Radikalisierungen der Feindschaft zu untersuchen, Feindschaft in ihrer Funktion als Identitäts- oder Gemeinschaftsbegründung in den Blick zu nehmen, den moralischen Umgang mit Feindschaft zu überprüfen, die Formen und Strukturen der Imagination von Feinden zu interpretieren – und selbstverständlich die klassischen Bestimmungen von Feindschaft in der modernen politischen Philosophie zu reflektieren. Der interdisziplinär angelegte Band verbindet exemplarische mit systematisch ansetzenden Studien, die sich gleichsam als Probebohrungen im Nährboden von Gewalt und Krieg verstehen lassen. Sie versprechen, einem neuen, nicht einfach auf zweifelhafte Anthropologien zurückgreifenden Nachdenken über Feindschaft den Weg zu bahnen.
Autorenporträt
Burkhard Liebsch ist Privatdozent an der philosophischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum.

Christian Geulen ist Professor für Neuere/Neueste Geschichte und deren Didaktik an der Universität Koblenz-Landau.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.01.2003

Krieg und Krieger
"Enemy Mine": Ein Sammelband erklärt den Sinn der Feindschaft

Die politische Erörterung von Detailfragen einer Kriegsvorbereitung kann eine solche Eigendynamik entwickeln, daß die grundsätzliche Frage nach der Rechtfertigung dieses Krieges nicht nur verschwindet, sondern dort, wo sie noch gestellt wird, als realitätsfern und veraltet erscheint. Ein Sammelband geht jetzt den wechselwirkenden Prozessen von Verfeindung und Krieg nach, ihren Identitäts- und Gemeinschaftsbildungen sowie ihren "paradoxen Verfestigungen durch moralische Bewertungen" (Clemens Knobloch), die vorgeblich immer De-Eskalationsstrategien anmahnen, faktisch aber oft zur Radikalisierung öffentlicher Feindbilder beitragen.

Am Beispiel der Historiographie des Ersten Weltkriegs wird gezeigt, daß kaum ein anderer Krieg im Zeichen der Metapher des Pulverfasses so herbeigeredet und noch vor seinem Beginn als eigentlich schon lange stattfindend gedacht wurde. So genau sich die Ursachen des Krieges rekonstruieren lassen, das Jahr 1914 "markiert immer auch einen Überschuß an historischer Bedeutung, an geschichtlicher Notwendigkeit, der in Kausalerklärungen nicht aufgeht" (Christian Geulen). Gegen eine von Hobbes bis Schmitt reichende Tradition der Feindtheoretiker wird im Sinne Arendts erklärt, daß die systematische Verkettung von Feindschaft und Krieg letztlich immer auf ihre Enthistorisierung hinausläuft, auf die Ersetzung von Geschichte durch einen vorausgesetzten natürlichen Prozeß.

Abgesehen von gelegentlichen argumentativen Unschärfen, die die kritisierten Protagonisten in zentralen Aussagen bisweilen grob verkürzen, wird die Grundthese des Bandes doch eindrucksvoll belegt: daß ein mit dem Krieg identifizierter Begriff der Feindschaft im Kern ein unpolitischer ist. Was Hobbes betrifft, räumen die Herausgeber selbst ein, daß man ihn zu Unrecht gern als Kronzeugen eines ewigen, unaufhebbaren und anthropologisch vorgegebenen Kriegszustandes zitiert. Hobbes hat genau unterschieden: Der latente Kriegszustand, in dem einer dem anderen "das Größte" antun kann (nämlich ihn physisch oder symbolisch zu töten), wird sich nicht abschaffen lassen, wohl aber die manifeste kriegerische Gewalt - wenn nur alle auf sie "zu verzichten versprechen".

"Wer hat als erster gedacht, daß die Politik der mit anderen Mitteln fortgesetzte Krieg ist?" fragt Foucault in der "Verteidigung der Gesellschaft". Für Hans Ulrich Wehler war Ludendorff zwar nicht der erste, wohl aber der radikalste Vertreter einer Kriegstheorie, die in der Politik nur ein Mittel zum Krieg sah und in diesem Sinne die Clausewitzsche auf den Kopf stellte. Schon zu Beginn der zwanziger Jahre hatte Ludendorff gemeint, daß "die Gesamtpolitik dem Kriege zu dienen" habe, da "Politik" im Grunde nichts anderes sei als "eben Krieg". Aus dem von Clausewitz bis Jünger immer noch theoretischen Diskurs zum Verhältnis von Krieg und Politik wurde bei Ludendorff eine praktische Kriegspolitik, in der die Unterscheidung zwischen Politik und Krieg ebenso verschwand wie die zwischen Theorie und Praxis.

Daß der Feind natürlich nicht "an sich" der absolute Feind ist, sich vielmehr erst aufgrund von Unterscheidungen und Entscheidungen zu dem entwickelt, der er am Ende als unbedingt zu Vernichtender sein wird, veranschaulicht der Band mit psychologischen, soziologischen und politologischen Analysen. Dabei spielen, wie es im Vorwort heißt, "neben Projektionen, Surrogatbildungen und paranoiden Momenten vor allem Antizipationen der extremen Bedrohung, die der Feind bedeuten kann, eine nicht zu übersehende Rolle. Die Wahrnehmung des ,realen' Anderen und die ,imaginäre' Aufladung des von diesen Antizipationen bestimmten Bildes, das man sich vom Anderen macht, sind oft kaum mehr auseinanderzuhalten."

Daß die Entwirklichung geradezu die Bedingung der Möglichkeit von Feindschaft sein kann, pointiert Christian Geulen mit Wolfgang Petersens Science-fiction-Film "Enemy Mine", in welchem der Plot von Robinson und Freitag auf der einsamen Insel in Form einer Geschichte der scheinbaren Verwandlung von Feindschaft in Freundschaft auf dem Weg einer doppelten Adoption variiert wird. Obwohl der Film eine Geschichte erzählen muß, versucht er, von dieser zu abstrahieren. Ebensowenig wie man im Film je Näheres über die Ursache des Kriegs zwischen Menschen und außerirdischen Dracs erfährt, gibt es Raum für die behauptete Freundschaft zwischen irdischer und außerirdischer Hauptfigur. In mechanischer Konsequenz führt die bloße Feindschaft vielmehr zur - Verwandtschaft. Die künstliche, jeder politisch-historischen Dimension entratenden Begriffsverdichtung "Enemy Mine" ließe sich denn auch so übersetzen: Schlag ich dir nicht den Schädel ein, mußt du schon mein Bruder sein.

CHRISTIAN GEYER

"Vom Sinn der Feindschaft", herausgegeben von Christian Geulen, Anne von der Heiden, Burkhard Liebsch. Akademie Verlag, Berlin 2002. 253 S., geb., 49,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.01.2003

Im Wolfspelz
Mit und gegen Carl Schmitt:
Fabeln der Feindschaft
Einst, bevor sie Bürger wurden, waren die Menschen Wölfe. Der Wolf aber trennt „nicht das Tier vom Menschen, sondern das menschliche Leben vom menschlichen Leben, den Bürger vom Bürger”. Nicht erst seit Hobbes erklingen die Geschichten dieser Verwandlungen, „mit denen sich die Politik die Grenze des Politischen und die Menschen-Gesellschaft die Grenze des Geselligen erzählt”: Weil die Menschen einander wie raubgierige Wölfe zerfleischten, schlossen sie sich zu Gemeinschaften zusammen, um dem Stärkeren die Stirn zu bieten und einander nach Recht und Gesetz zu ordnen. Dieses Bild birgt den Kern der politischen Fiktionen der Neuzeit. Aus ihnen begründete der moderne Staat seine Legitimation. In den Fiktionen aber hat sich ein Defekt eingenistet.
Joseph Vogl und Ethel Matala de Mazza haben in ihrem „Versuch über politische Zoologie”, über Bürger und Wölfe die wahre Geschichte der politischen Metamorphosen ans Licht gebracht. Von Schillers „Verbrecher aus verlorener Ehre”, dessen Name Wolf lautete, der am Ende aber keiner mehr sein wollte, nimmt die Spurensuche ihren Ausgang. Der Naturzustand hat nie existiert. Es waren immer schon Menschen, die den Wolfspelz sich überzogen, Menschen, die bereits einer Gemeinschaft angehört hatten. Die Gesellschaft war vor dem Wolf. Sie bestimmte, wer fortan als Wolf leben musste. Davon künden ihre polemischen Fabeln. Denn das Urbild des politischen Wolfs ist der Werwolf, der Mensch, der sich in einen Wolf verwandelt. Auf ihren sprach- und rechtsgeschichtlichen Beutezügen tragen die Autoren Belege zusammen, dass die Gesetzlosigkeit des Werwolfs selbst ein Rechtsphänomen war. Wer den Frieden der Gemeinschaft verletzt hatte, den verstieß das Gesetz aus der Gesellschaft und übergab ihn der Friedlosigkeit. Seine Ausschließung erzeugte aber nicht nur die Rechtlosigkeit des Kriminellen, sondern zugleich den Rechtskörper des Sozialen, „seine Integrität und Identität”.
Der Werwolf erweist sich somit als der dunkle Doppelgänger des Menschen. Sein Revier markiert das politisch Unheimliche: die Zonen der Indifferenz, aus denen sich die politische Ordnung reproduziert, der ortlose Ort der Mischwesen an den Rändern des homogenen Kollektivkörpers. Sie bewegen sich im Niemandsland der Gesetzlosigkeit, doch in diesem wahren Feld des Politischen versagen die Instrumente Carl Schmitts, die zwischen Freund und Feind eine Grenze setzen. Die Zeit der politischen Untiere, der entgrenzten barbarischen Wolfsmeuten, die das Gemeinwesen heimsuchen, des despotischen Wolfsmenschen im Zentrum der Souveränität, in denen sie wiederkehren, scheint vergangen. Der Wolf wurde abgelöst vom Lamm, von den biopolitischen Hirten und der zivilisierten Herde der Bürger. Doch reine Wesen gibt es nicht in der Sphäre des Politischen. Auch im Lamm stecken Wolfsgene.
Aus den Beiträgen zu diesem Band, die bei Carl Schmitt ihren Ausgang nehmen und nicht selten zu Foucault heimkehren, ragen nicht nur zwei weitere heraus. Friedrich Balke erklärt, wie Schmitt, der die verhasste Ambivalenz der Moderne in den Juden verkörpert glaubte, blind dafür wurde, dass die nationalsozialistische Rückkehr zur Souveränität die Biopolitik nicht überwand, sondern mit deren grenzenloser Ausweitung und Radikalisierung einherging. Die traditionelle Vorstellung vom Krieg als Urzustand der Gesellschaft und Ursprung alles Politischen, die den Rassismus gebar, entlarvt Christian Geulen als unpolitische Fiktion.
TIM B. MÜLLER
CHRISTIAN GEULEN, ANNE VON DER HEIDEN, BURKHARD LIEBSCH (Hrsg.): Vom Sinn der Feindschaft. Akademie Verlag, Berlin 2002. 253 Seiten, 49,80 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensent Tim B. Müller zeigt sich recht angetan von diesem Band. Als herausragend beurteilt er Joseph Vogls und Ethel Matala de Mazzas Beitrag "Versuch über politische Zoologie", der die wahre Geschichte politischer Metamorphosen an Licht bringe. Auch der Beitrag von Christian Geulen, der die traditionelle Vorstellung vom Krieg als Urzustand der Gesellschaft und Ursprung alles Politischen als unpolitische Fiktion entlarve, hat Müller überzeugt. Ein Lob spendet er außerdem dem Beitrag von Friedrich Balke, der erklärt, wie Carl Schmitt, der die verhasste Ambivalenz der Moderne in den Juden verkörpert glaubte, blind dafür wurde, dass die nationalsozialistische Rückkehr zur Souveränität die Biopolitik nicht überwand, sondern mit deren grenzenloser Ausweitung und Radikalisierung einherging.

© Perlentaucher Medien GmbH