Marktplatzangebote
Ein Angebot für € 14,95 €
  • Broschiertes Buch

Roger Caillois spürt "abenteuerlichen Kohärenzen" nach im Rahmen einer "diagonalen" Wissenschaft, welche die getrennten Disziplinen der Naturwissenschaften, Sozialwissenschaften und der ästhetischen Theorie verbindet. Den Begriffen Symmetrie und Asymmetrie fügt Caillois die Dissymmetrie hinzu, die ein System des Übergangs ermöglicht, das Entwicklungssprünge erlaubt. Ihr kommt eine fundamentale Bedeutung zu, die im Kontext der Evolutionstheorie diskutiert wird. "In jeder etablierten Symmetrie kann ein nicht akzidenteller Bruch auftreten, der dazu neigt, das gebildete Gleichgewicht zu komplizieren. Ein solcher Bruch ist eine Dissymmetrie."…mehr

Produktbeschreibung
Roger Caillois spürt "abenteuerlichen Kohärenzen" nach im Rahmen einer "diagonalen" Wissenschaft, welche die getrennten Disziplinen der Naturwissenschaften, Sozialwissenschaften und der ästhetischen Theorie verbindet. Den Begriffen Symmetrie und Asymmetrie fügt Caillois die Dissymmetrie hinzu, die ein System des Übergangs ermöglicht, das Entwicklungssprünge erlaubt. Ihr kommt eine fundamentale Bedeutung zu, die im Kontext der Evolutionstheorie diskutiert wird. "In jeder etablierten Symmetrie kann ein nicht akzidenteller Bruch auftreten, der dazu neigt, das gebildete Gleichgewicht zu komplizieren. Ein solcher Bruch ist eine Dissymmetrie."
Autorenporträt
Roger Caillois, geboren 1913 in Reims, war Mitglied der Gruppe der Surrealisten (1932-35), gründete 1938 mit Georges Bataille das College de Sociologie. Zahlreiche Reisen in Europa, Amerika und Asien, lebte zwischen 1941 und 1945 in Buenos Aires. Wurde 1971 in die Academie française aufgenommen und starb 1978 in Paris. Zahlreiche soziologische, philosophische, literaturkritische und ästhetische Schriften, die z. T. auch auf deutsch vorliegen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.12.2015

Denkt doch mal diagonal
Roger Caillois sucht das Formgesetz des Universums

"Dennoch: das Universum bleibt eins." - Das klingt, sieht man einmal von den vielen Welten ab, zu denen manche Physiker sich von der Quantenmechanik gedrängt sehen, nach einer ziemlich banalen Feststellung. Aber bei Roger Caillois hatte dieses Bestehen auf dem einen Universum einen besonderen Sinn. Der vielseitig gelehrte Autor wollte mit ihm durchaus nicht auf Reduktionismus, also darauf hinaus, dass es so etwas wie eine fundamentale Beschreibung der Welt gäbe. Es ging vielmehr darum, dass sich über alle Beschreibungen oder in älterer Terminologie über alle Naturreiche hinweg identische Strukturen und Formprinzipien finden lassen: von der leblosen Materie bis hin zu den Schöpfungen des Menschen.

Diesen Formen nachzuspüren war für Caillois die Idee der "diagonalen Wissenschaften". Diagonal, weil ihre Pfade quer zu den Einhegungen der verschiedenen Disziplinen verlaufen sollten, um die identischen Elemente auf verschiedenen Terrains aufzuspüren. Die Grundintuition dahinter ist spekulativer Natur, aber eine intellektuelle Ermäßigung für das Diagonalisieren war das bei Caillois gerade nicht. Man kann sich davon in einem schmalen Band überzeugen, der ursprünglich 1973 erschien, fünf Jahre vor Caillois' Tod, und der nun zum ersten Mal auf deutsch vorliegt. "La dissymétrie", der Deutsche Titel wirkt durch das Weglassen des Artikels sogar noch etwas strenger, ist wohl Caillois' entschiedenster Versuch, vom spekulativen Grundsatz in die Nähe von ausformulierbaren Thesen zu kommen.

Auch deshalb, weil hier ästhetische Phänomene, die für den schneidenden Kritiker künstlerischer Avantgarden oft im Vordergrund standen, keinen Ausschlag geben. Denn wenn auch der Titel an Caillois' tiefe Faszination für ästhetisch anmutende Naturgegenstände denken lässt - allen voran die Steinschnitte, die er gerade in den letzten Lebensjahren mit Hingabe und unter finanzieller Verausgabung sammelte -, der Bogen zur Kunst wird hier gar nicht geschlagen. Der Essay setzt noch etwas tiefer an, möchte in der Tendenz zur Störung von Symmetrien ein Formgesetz des Lebens erkennen: Je aufwendiger die Lebensformen, desto deutlicher die Abweichungen von Symmetrien, wie sie die einfacheren Formen im Vergleich deutlicher prägen; und entscheidende Punkte der Entwicklung, schon der unorganischen Materie, scheinen Caillois durch Brüche der Symmetrien markiert.

Das ist keine Idee bescheidenen Zuschnitts, und die Absicht, letztlich ein Formprinzip der Höherentwicklung von Materie zu skizzieren, lässt den Hintergrund der romantischen Naturphilosophie erkennen, die Caillois gut kannte. Flucht vor der Wissenschaft ist das bei Caillois, diesem Emphatiker des Intellekts, aber gerade nicht. Im geht es im Gegenteil darum, sich der Intelligibilität der Welt zu versichern - und damit erst ihrer erfolgreichen Behandelbarkeit durch die Wissenschaften. Da wird es schnell steil, mit einem regulativen Grundsatz, den er selbst im Kursivdruck hervorhob: "Nur ein in seinen letzten Elementen und Grundstrukturen aufzählbares Universum ist intelligibel." Doch gleichzeitig bemüht sich Caillois, konkrete Belege dafür zu geben, dass Dissymmetrien einen Leitfaden solcher Intelligibilität abgeben - von den Symmetriebrüchen der Elementarteilchenphysik bis zu Überlegungen darüber, was es mit links-rechts-Assymetrien auf sich haben könnte, ob nun verschieden drehende Proteine oder die präferierte Rechtshändigkeit bei Menschen.

Als der Text geschrieben wurde, stand die Konjunktur einiger sehr allgemeiner Theorien der Entstehung von Mustern, kritischen Verzweigungspunkten und (gestörten) Gleichgewichten noch bevor, mathematisch formuliert und mit wachsender Rechnerkapazität durchexerziert. Ob Caillois sie als Ansatzpunkte diagonaler Wege gesehen hätte? Aber vermutlich war mit Rechnern doch nicht zu erreichen, was seine Grundintuition des "einen Universums" umfasste.

HELMUT MAYER

Roger Caillois:

"Dissymmetrie".

Aus dem Französischen von Peter Geble. Brinkmann & Bose Verlag, Berlin 2015. 144 S., geb., 26,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

In seinem schmalen, nun erstmals auf Deutsch erschienenen Essay begebe sich der 1978 verstorbene französische Philosoph und Soziologe Roger Caillois auf die Suche nach dem Formgesetz des Universums, konstatiert Helmut Mayer. Mit seinen "diagonalen Wissenschaften", so der Rezensent, habe Caillois nach Strukturen in der Natur geforscht, die sich in ihren Formprinzipien gleichen. Zugleich lautet dessen zentrale These Mayer zufolge: "Je aufwendiger die Lebensformen, desto deutlicher die Abweichungen von Symmetrien." Den deutschen Titel "Dissymmetrie" findet Mayer strenger (und dadurch offenbar auch passender) als den französischen, verzichtet er doch im Gegensatz zum Original auf den bestimmten Artikel. Hier zeige sich der Versuch von Caillos, von der Spekulation zu gesicherten Erkenntnissen zu gelangen.

© Perlentaucher Medien GmbH