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Hört man den Namen Engels, denkt man an Marx - umgekehrt ist das keineswegs so. Es wird also Zeit, den historischen Blick auf beide Denker gleichermaßen zu richten. Immerhin war Engels nicht nur Marx' wichtigster Gesprächspartner und Coautor, sondern schrieb sogar Artikel unter dessen Namen. Selbst das Kapital konnte nur erscheinen, weil Engels es aus den Manuskripten seines mitten in der Abfassung verstorbenen Freundes zusammenstellte. Jürgen Herres erzählt anschaulich von den oftmals außergewöhnlichen Umständen dieser politischen wie wissenschaftlichen Zusammenarbeit und Freundschaft. Sein…mehr

Produktbeschreibung
Hört man den Namen Engels, denkt man an Marx - umgekehrt ist das keineswegs so. Es wird also Zeit, den historischen Blick auf beide Denker gleichermaßen zu richten. Immerhin war Engels nicht nur Marx' wichtigster Gesprächspartner und Coautor, sondern schrieb sogar Artikel unter dessen Namen. Selbst das Kapital konnte nur erscheinen, weil Engels es aus den Manuskripten seines mitten in der Abfassung verstorbenen Freundes zusammenstellte.
Jürgen Herres erzählt anschaulich von den oftmals außergewöhnlichen Umständen dieser politischen wie wissenschaftlichen Zusammenarbeit und Freundschaft. Sein Buch gibt spannende Einblicke nicht nur in die Entstehungsgeschichte des Marxismus. Es schildert darüber hinaus das bewegte Familien- und Arbeitsleben der beiden gegensätzlichen Theoretiker, das sie von Trier bzw. Wuppertal nach Paris, Brüssel, Köln, Manchester und schließlich ins London des 19. Jahrhunderts führte: Eine Biografie Karl Marx' und Friedrich Engels' gleichermaßen.
Autorenporträt
Herres, Jürgen
Jürgen Herres, geb. 1955, ist Historiker und als Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften an der Herausgabe der Marx-Engels-Gesamtausgabe beteiligt.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.04.2018

Die Compagnons
Den Marx, den wir zu kennen glauben, hätte es ohne Friedrich Engels nicht gegeben – Jürgen Herres erzählt von einer großen intellektuellen Freundschaft
Koryphäen der Geistesgeschichte haben es schwer, ihr Gesicht zu wahren. Masken, die ihnen der Zeitgeist aufdrängt, verdecken jede Regung. Was Profil war, wird Ikone, geheiligt oder verteufelt, je nach Sichtweise. Auch in diesem Jahr, da die Welt des 200. Geburtstages von Karl Marx gedenkt, wird die Person im Schatten des Werkes bleiben und vor allem eines etwas in den Hintergrund geraten: Karl Marx, wie wir ihn zu kennen glauben und verstehen, gäbe es nicht ohne Friedrich Engels. Da passt es gut, dass der in der Geschichte des 19. Jahrhunderts bestens bewanderte Jürgen Herres den Weggefährten das „Porträt einer intellektuellen Freundschaft“ gewidmet hat. Marx und Engels verstanden sich als „Compagnons“. „Ihre Freundschaft und ihre intellektuelle Partnerschaft war außergewöhnlich, in der Geistesgeschichte wahrscheinlich beispiellos“, und doch bestand „zu keinem Zeitpunkt eine unbedingte Identität ihrer Auffassungen“, resümiert Herres. Er habe kein Doppelporträt im üblichen Sinne schreiben, sondern die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der in Herkunft und Mentalität so gegensätzlichen Partner sondieren wollen. Selbstverständlich öffnet sich damit auch ein Panorama der gesellschaftlichen Entwicklung zur Jahrhundertmitte mit all ihren Widersprüchen. Die erste Begegnung 1842 in Köln verlief durchaus kühl. Marx, damals Chefredakteur der Rheinischen Zeitung, sah in dem jungen Mann wahrscheinlich nur einen jener ehrgeizigen Räsonierer, die ihm das Leben unter der Zensur schwer machten.
Erst als er Engels’ Aufsatz „Umrisse zu einer Kritik der Nationaloekonomie“ in den „Deutsch-Französischen Jahrbüchern“ las, wendete sich das Blatt. Dieser Text hat Marx unmittelbar angeregt, sich mit politischer Ökonomie zu beschäftigen. Die ersten (nicht überlieferten) Briefe wechselten sie im Februar 1844, und als Engels nach Abschluss seiner kaufmännischen Ausbildung in Manchester, zehn bewegte Tage in Paris zubrachte, stellten sie eine „vollständige Übereinstimmung auf allen theoretischen Gebieten“ fest, wie Engels später behauptete.
Von Paris an datiert die vertrauensvolle Zusammenarbeit der Begründer des sogenannten „wissenschaftlichen Sozialismus“. Zunächst schrieben sie gemeinsam „Die heilige Familie oder die Kritik der kritischen Kritik“, eine Abrechnung mit den auf purem Wandel des Selbstbewusstseins beruhenden Phrasen der Junghegelianer um die Gebrüder Bauer. Aber das Pariser Refugium währte nicht lange. Auf Drängen der preußischen Regierung wurde Marx ausgewiesen. Er floh nach Brüssel.
Seine Frau Jenny, geborene von Westphalen, verkaufte Möbel und Wäsche, um das Reisegeld zu beschaffen und mit der zehn Monate alten Tochter zu folgen. Die Jahrzehnte finanzieller Not brachen an, nur durch Engels’ beständige Zuweisungen in Grenzen gehalten. Auch das „Alter Ego“ zog in die belgische Hauptstadt. In kurzer Folge entstanden die als „Deutsche Ideologie“ bekannt gewordenen Texte und auf der Grundlage von Vorentwürfen, die Engels verfasst hat, schrieb Marx das
„Manifest der Kommunistischen Partei“.
Jürgen Herres schildert lebhaft das Treiben der „kleinen deutschen Kolonie“ der Emigranten. Souverän werden das Geflecht persönlicher Beziehungen und Liebesverhältnisse beschrieben, die Abende in Bierkneipen und Cafés, unaufdringlich verbunden mit dem Wandel der politischen Ansichten, sodass sich die vielen, nicht konfliktfreien Begebenheiten wie eine große Erzählung lesen.
1848, als in Deutschland die Revolution ausbrach, eilten Marx und Engels nach Köln. Eine Aktiengesellschaft ermöglichte die Gründung der Neuen Rheinischen Zeitung. Marx war wieder der geachtete
„Redakteur en chef“, Engels der flinkere, journalistisch talentiertere Autor. Sie hatten sich der eher mittelständischen Demokratischen Gesellschaft angeschlossen, was nicht auf allseitiges Verständnis stieß.
Ob die kurz zuvor gebildeten Arbeitervereine fortschrittlichere Positionen vertraten, wie Herres anmerkt, muss hinterfragt werden. Sie drängten vorerst auf eine republikanische Verfassung, der Volkssouveränität verpflichtete Parlamente und versuchten, in ihren streitbaren Artikeln die Position der Bourgeoisie zu stärken. Insofern vertraten sie im Vergleich zu den radikalen Forderungen der proletarischen Akteure eine moderatere Linie.
Dieser Realismus verließ Marx nach der Niederlage der Revolution im Londoner Exil. Einerseits nährte er Illusionen, schon bald würden neue Aufstände die Macht der Krone brechen, andererseits vertrugen sich die Vorstellungen von einem gestaffelten Revolutionsprozess nicht mit den sofortigen Herrschaftsansprüchen der Arbeiteraktivisten. Zugleich forderten Marx und Engels jetzt strikte Distanz zu den „kleinbürgerlichen“ Demokraten, die die Revolution verraten hatten. Ein Bündel von Widersprüchen, unter dem der 1848 reorganisierte Bund der Kommunisten scheiterte.
Der „kontrafaktische Optimismus“ (Herres), dem Marx eine Zeit lang verfiel, aber auch kompromissloses Beharren auf ihrem Konzept führten Marx und Engels in die Isolation; sie zogen sich in die Studierzimmer zurück, Engels, zunächst als Angestellter, dann als Teilhaber, ins väterliche Textilunternehmen. Sie waren der Streitereien müde und trösteten sich damit, „endlich wieder einmal ungestört arbeiten zu können“, wie Engels schrieb.
Mehr als ein Jahrzehnt lang schrieb Marx Leitartikel und Korrespondenzen für die auflagenstärkste Tageszeitung der damaligen Welt, die New-York Tribune, und Engels war ihm nicht nur faktischer Zuträger, sondern inkognito auch selbst Autor.
1864 begann das Engagement in der Internationalen Arbeiterassoziation, der sogenannten Ersten Internationale, für die Marx das Grundsatzprogramm, die „Inauguraladresse“ verfasste. In dieser Phase politischen Wirkens suchte er alles zu vermeiden, was die Zusammenarbeit der sozialistischen Strömungen behindern könnte.
Er war als Mitglied des Generalrates ein hellhöriger, aufgeschlossener Vermittler. Auch Ratschläge von Engels halfen ihm, die Internationale fast zehn Jahre lang als Kommunikationsplattform und Sprachrohr der europäischen Arbeiterschaft zu profilieren. Nachdem die Pariser Kommune 1871 unter dem Schutz preußischer Truppen niedergemetzelt worden war, setzte eine beispiellose Repressionspolitik ein, der das internationale Netzwerk nicht gewachsen war.
Die verbliebenen Führungspersonen verfielen der Rechthaberei, die in Hass und Ausgrenzung mündete – eine Grundkonstellation der Linken, die nie überwunden wurde und die Linke aller Nationen in wechselnden Schüben immer wieder spaltet. Auch Marx und Engels ließen sich zu heftiger, manchmal ungerechtfertigter Kritik an ihren Kontrahenten verleiten.
Ein schwer zu deutendes Muster wiederholt sich: Phasen der gegenseitigen Zuneigung und des verständnisvollen Ausgleichs wie zu Beginn der Märzrevolution, während der Konsolidierung der Internationale oder dann im Alter wechseln mit Jahren schroffer, auch gehässiger Abgrenzung. In diesen Zeiten wurden verschiedene, ja gegensätzliche Interessen nicht ernst genommen, sondern nur noch in jakobinischer Manier als Widerstände bekämpft.
Eine bisher wenig praktizierte Sichtweise: Jürgen Herres versteht es, diese, wenn man so will, Charaktereigenschaften, streng genommen aber zeitweise fundamentalistische Hartherzigkeit deutlich zu machen, ohne die wissenschaftlichen und politischen Verdienste des Dioskurenpaares zu schmälern.
JENS GRANDT
Jürgen Herres : Marx und Engels. Porträt einer intellektuellen Freundschaft. Verlag Philipp Reclam, Stuttgart 2018. 314 Seiten, 28 Euro. E-Book 23,99 Euro.
Die erste Begegnung der beiden,
1842 in Köln,
verlief ausgesprochen kühl
Die Verbliebenen verfielen
der Rechthaberei, die in
Hass und Ausgrenzung mündete
Was für eine Freude, ungestört zusammenarbeiten zu können: Friedrich Engels muss stehen, Karl Marx spottet wahrscheinlich.
Foto: SZ Photo/Sammlung Megele
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